Leitsatz (amtlich)
1. Hinterbliebenenansprüche aus einer durch Satzung geregelten berufsständischen Zwangsversicherung sind weder nach § 111 Nr. 2 noch nach § 111 Nr. 4 BewG 1965 von der Zurechnung zum sonstigen Vermögen befreit.
2. Derartige Ansprüche sind jedoch nach § 111 Nr. 3 BewG 1965 befreit, wenn es sich um eine Rentenversicherung handelt und wenn am jeweiligen Stichtag für die Festsetzung der Vermögensteuer keine anderen als die in § 111 Nr. 3 Satz 2 BewG 1965 genannten Personen aus der Versicherung anspruchsberechtigt sind.
Normenkette
BewG 1965 § 111 Nrn. 2-4
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Witwe eines Zahnarztes. Dieser war bei einer Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte aufgrund berufsständischer Vorschriften zwangsversichert. Die Klägerin bezieht aus dieser Versicherung eine Witwenrente. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) setzte die Rente in Höhe von ... DM jährlich mit dem kapitalisierten Betrag an. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde zurückgewiesen.
Auch die Klage hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 111 Nrn. 2 und 3 BewG 1965. Sie ist der Auffassung, daß es sich bei der hier streitigen Versorgungsregelung um eine Versicherung im Rechtssinne handele, da die Versorgungsanstalt organisatorisch und finanziell von der kassenärztlichen Vereinigung völlig getrennt sei und ihre finanziellen Mittel ausschließlich aus den Versicherungsbeiträgen der Teilnehmer beziehe. Zur Sozialversicherung gehöre sie deshalb, weil der soziale Schutz der Mitglieder bezweckt sei. Zu Unrecht habe die Vorinstanz dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg vom 10. April 1968 V 317/65 für die Entscheidung des Streitfalles keine Bedeutung beigemessen. Denn der VGH sei bei der Definition des Begriffs der Sozialversicherung dem BVerfG (Urteil vom 10. Mai 1960 1 BvR 190, 363, 401, 409, 471/58, BVerfGE 11, 105, 111 f.) gefolgt. Im übrigen sei auf § 7 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes hinzuweisen; danach seien Personen, die aufgrund einer gesetzlich angeordneten Verpflichtung Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe seien, auf ihren Antrag von der Versicherungspflicht freizustellen. - Falls man gleichwohl die Voraussetzungen des § 111 Nr. 2 BewG 1975 nicht für gegeben erachte, sei § 111 Nr. 3 BewG 1965 anzuwenden, der - zumindest seinem Sinne nach - auch für öffentlich-rechtliche Versorgungsverhältnisse gelte.
Auf keinen Fall dürfe man davon ausgehen, daß eine Vermögensteuerbefreiung für Ansprüche aus berufsständischen Zwangsversicherungen allgemein nicht in Betracht komme. Es leuchte nicht ein, inwiefern Ansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung und Ansprüche aus privaten Rentenversicherungen begünstigt, Ansprüche aus Zwangsversicherungen aber von der Begünstigung ausgenommen sein sollten; dies sei auch mit dem Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Abänderung des angefochtenen Bescheids die Vermögensteuer 1972 um ... DM niedriger festzusetzen als bisher.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Zutreffend ist das FG zunächst davon ausgegangen, daß es sich bei dem Versorgungsanspruch der Klägerin nicht um einen Anspruch aus der Sozialversicherung i. S. von § 111 Nr. 2 BewG 1965 handelt. Der Begriff der Sozialversicherung wird - worauf das FA mit Recht hinweist - vom Gesetzgeber nicht immer in demselben Sinne gebraucht und ist deshalb einer allgemein-gültigen Auslegung nicht zugänglich (vgl. Urteil des BVerwG vom 29. Oktober 1969 I C 43/62, Deutsches Verwaltungsblatt 1964 S. 33). Davon geht auch das BVerfG in seinem Urteil 1 BvR 190 u. a. /58 aus. In § 111 Nr. 2 BewG 1965 wird der Begriff nicht in dem weiten Sinne gebraucht, wie ihn die Klägerin verstanden wissen will. Daß die Zwangsversicherung der Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte keine Sozialversicherung in diesem Sinne ist, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 20. Oktober 1967 III 158/63 (BFHE 90, 511, BStBl II 1968, 171) für § 68 Nr. 2 BewG 1934 i. d. F. des StÄndG 1961 mit ausgesprochen, der dem § 111 Nr. 2 BewG 1965 wörtlich entspricht. Hieran hält der Senat fest. Dabei wird nicht verkannt, daß die gesetzliche Zwangsversicherung für die freien Berufe für ihren Bereich ähnliche Aufgaben erfüllt wie die Sozialversicherung. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, die Ausnahmevorschrift des § 111 Nr. 2 BewG 1965 auf derartige Versicherungen auszudehnen.
2. Die Rente der Klägerin ist auch nicht nach § 111 Nr. 4 BewG 1965 von der Zurechnung zum sonstigen Vermögen ausgenommen. Wie der Senat in den Urteilen vom 29. Juni 1973 III R 86/72 (BFHE 109, 542, BStBl II 1973, 696) und vom 17. Mai 1966 III 2/62 (BFHE 86, 374, BStBl III 1966, 500) entschieden hat, bezieht sich der Ausdruck "gesetzliche Versorgungsbezüge" nur auf Gesetze im formellen Sinne unter Einschluß von Rechtsverordnungen, für die eine den Anforderungen des Art. 80 GG entsprechende gesetzliche Ermächtigung besteht. Satzungen gehören nicht hierzu. Die Satzung der Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte, die die Voraussetzungen, die Art und die Höhe der Versorgungsleistungen im einzelnen regelt, begründet deshalb keine gesetzlichen Versorgungsansprüche i. S. des § 111 Nr. 4 BewG 1965. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, daß § 9 des Gesetzes über die Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte den Teilnehmern der Versorgungsanstalt und ihren Hinterbliebenen einen Rechtsanspruch auf Ruhegeld bzw. Hinterbliebenenversorgung zubilligt. Denn der Rechtsanspruch besteht ausdrücklich nur "nach Maßgabe der Satzung". Ist aber die Regelung der Versorgungsansprüche nicht im Gesetz erfolgt, sondern der Satzung vorbehalten, so läßt sich von gesetzlichen Versorgungsbezügen nicht sprechen. Es besteht ein wesentlicher Unterschied etwa zur Regelung der Versorgungsansprüche der Beamten, des wichtigsten Anwendungsfalles des § 111 Nr. 4 BewG 1965; dort ist die Regelung im einzelnen im Gesetz selbst erfolgt.
3. a) Die Ausführungen, mit denen die Vorinstanz die Voraussetzungen des § 111 Nr. 3 BewG 1965 verneint hat, sind jedoch nicht frei von Rechtsirrtum. Zu Unrecht hat das FG angenommen, daß die Vorschrift nur Rentenversicherungen begünstigen wolle, die auf einem privaten Rentenversicherungsvertrag beruhen. Im Hinblick darauf, daß § 111 Nr. 1 BewG 1965 die Renten aus früheren Dienst- oder Arbeitsverhältnissen, § 111 Nr. 2 BewG 1965 die Ansprüche aus der Sozialversicherung und § 111 Nr. 4 BewG 1965 die gesetzlichen Versorgungsansprüche erfassen, ist allerdings zuzugeben, daß § 111 Nr. 3 BewG 1965 mit Renten aus privaten Rentenversicherungsverträgen einen vierten großen Bereich typischer Versorgungsansprüche freistellt. Daraus folgt jedoch nicht, daß die Anwendung dieser Vorschrift auf einzelvertraglich geregelte Versicherungsverhältnisse beschränkt sei. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 28. Januar 1977 III R 29/75 (BStBl II 1977, 450) unter Hinweis auf die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des StÄndG 1961 (Bundestags-Drucksache III/2573) ausgeführt, daß durch die Einführung der Vorschrift des § 68 Nr. 3 BewG a. F. gerade auch die nicht unter die bisherigen Befreiungsvorschriften fallenden beruflichen Pflichtversicherungsverhältnisse begünstigt werden sollten. Unter diesen Umständen besteht keine Veranlassung, den Begriff der Rentenversicherung auf Versicherungsverhältnisse zu beschränken, die durch private Versicherungsverträge geregelt sind (vgl. auch Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar § 111 BewG Anm. 13; Rössler/Troll/Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 111 BewG Anm. 5).
Voraussetzung für die Annahme einer Rentenversicherung ist allerdings, daß Prämien gezahlt werden und daß die zu zahlende Rente von der Höhe der Prämien abhängt (Urteile des BFH III R 29/75 und vom 20. Juni 1969 III R 64/66, BFHE 96, 120, BStBl II 1969, 544). Das FG hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird zu prüfen haben, ob diese Voraussetzungen nach den Bestimmungen der Satzung der Versorgungsanstalt in der für das Streitjahr geltenden Fassung erfüllt sind.
b) Entgegen der Auffassung des FA wird die Anwendung des § 111 Nr. 3 BewG 1965 auf die Rente der Klägerin nicht dadurch ausgeschlossen, daß § 27 Abs. 1 c der Satzung unter gewissen, sehr engen Voraussetzungen auch einer unverheirateten nahen Verwandten des Versicherungsnehmers, die diesem den Haushalt geführt hat, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zubilligt. Allerdings spricht der Wortlaut des § 111 Nr. 3 Satz 2 BewG 1965 dafür, daß es bei einer privatrechtlichen Rentenversicherung für die Freistellung von der Vermögensteuer darauf ankommt, daß nach dem Versicherungsvertrag außer der Ehefrau des Versicherungsnehmers und seinen minderjährigen oder in Berufsausbildung befindlichen, noch nicht 25 Jahre alten Kindern keine weiteren Personen bezugsberechtigt sein dürfen, unabhängig davon, ob bei Eintritt des Versicherungsfalles solche weiteren Personen vorhanden sind oder nicht (vgl. Mönter, Die Information, Ausgabe A, 1961, 269 [271]). Diese Frage braucht der Senat aber nicht abschließend zu entscheiden, weil der Rentenanspruch der Klägerin auf einer öffentlich-rechtlichen berufsständischen Zwangsversicherung beruht, deren Umfang durch Satzung geregelt ist. Zwar umfaßt § 111 Nr. 3 BewG 1965, wie oben dargelegt, auch diese Versicherungen; die Regelung des Satzes 2 dieser Vorschrift, die ihrem Wortlaut nach auf privatrechtliche Versicherungsverhältnisse abstellt, kann auf durch Satzung geregelte berufsständische Zwangsversicherungen aber nur sinngemäß angewendet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Zwangsversicherte grundsätzlich weder über die Voraussetzungen noch über den Umfang der Versicherung entscheiden kann und damit keine Dispositionsbefugnis über die Verwendung der von ihm zu erbringenden Beiträge hat. Während der Versicherungsnehmer aufgrund eines privatrechtlichen Versicherungsverhältnisses die Versicherung nach seinen persönlichen Verhältnissen gestalten kann, muß der Zwangsversicherte die durch Satzung vorgegebene Regelung hinnehmen, auch wenn sie seinem Versicherungsbedürfnis nicht entspricht. Unter Berücksichtigung dieser Unterschiedlichkeiten zwischen den beiden Versicherungsarten und aufgrund der Überlegung, daß der Gesetzgeber die Versicherten aufgrund von berufsständischen Zwangsversicherungen keinesfalls schlechter stellen wollte als Versicherungsnehmer einer privatrechtlichen Rentenversicherung, kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß nach dem Wortlaut des § 111 Nr. 3 Satz 2 und 3 BewG 1965 unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs, in dem diese Vorschrift steht, die Renten aus berufsständischen, durch Satzung geregelten Zwangsversicherungen so lange nicht zum sonstigen Vermögen gehören, als nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungszeitpunkts der Bezugsberechtigte keine andere Person als der Versicherungsnehmer selbst, seine Ehefrau oder seine Kinder sind, die noch nicht das 18. Lebensjahr oder, im Falle der Berufsausbildung das 25. Lebensjahr vollendet haben.
Fundstellen
Haufe-Index 72375 |
BStBl II 1977, 625 |
BFHE 1978, 326 |