Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzicht auf vermögenswerte Rechtspositionen als eigene Beitragsleistung i. S. von § 10 Abs. 3 Nr. 2 b EStG
Leitsatz (NV)
Verzichtet der beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH gegen eine Versorgungszusage auf vermögenswerte Rechtspositionen, erwirbt er eine Anwartschaft auf eine Altersversorgung aufgrund eigener Beitragsleistung i. S. von § 10 Abs. 3 Nr. 2 b EStG. Der zusätzliche Sonderausgaben-Höchstbetrag nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG (sog. Vorwegabzug) steht ihm daher ungekürzt zu.
Normenkette
EStG 1984-1986 § 10 Abs. 3 Nr. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gründete 1981 im Alter von 56 Jahren eine . . .gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). In den Streitjahren 1984 bis 1986 war er beherrschender Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH. Vom Stammkapital der GmbH in Höhe von 50 000 DM hielten der Kläger einen Anteil von 35 000 DM, seine beiden Mitgesellschafter Anteile von je 7500 DM.
In § 7 des Gesellschaftsvertrages ist folgendes bestimmt:
,,Der (Kläger) erklärt sich bereit, seinen Geschäftsanteil zu gleichen Teilen an die (Mitgesellschafter) gegen Entgelt abzutreten, falls er freiwillig oder aufgrund Berufsunfähigkeit aus dem Berufsleben ausscheidet oder das 65. Lebensjahr vollendet. Das Entgelt für den Geschäftsanteil wird nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelt.
Sollte der (Kläger) sterben, bevor er seine Anteile auf die Mitgesellschafter übertragen hat, und geht sein Geschäftsanteil auf seine Ehefrau über, so kann sie wahlweise entweder den Anteil sofort auf die (Mitgesellschafter) zu gleichen Teilen gegen Entgelt (vgl. Abs. 1) übertragen oder aber ihn zunächst entsprechend dem in diesem Vertrag niedergelegten Eintrittsrecht der Erben in die Gesellschaft behalten. In diesem Fall ist sie allerdings verpflichtet, im Zeitpunkt der fiktiven Erreichung des 65. Lebensjahres durch (den Kläger) den Anteil auf die (Mitgesellschafter) zu gleichen Teilen gegen Entgelt gemäß Abs. 1 zu übertragen. Andere Erben des (Klägers) sind zur sofortigen Übertragung des Geschäftsanteils gegen Entgelt gemäß Abs. 1 auf die (Mitgesellschafter) zu gleichen Teilen verpflichtet."
Laut § 12 des Anstellungsvertrages mit der GmbH wurde dem Kläger für den Fall seines Ausscheidens folgende Versorgung zugesagt:
,,(Der Kläger) erhält nach seinem Ausscheiden infolge Vertragsbeendigung wegen Erreichens des 65. Lebensjahres von der (GmbH) ein lebenslängliches monatliches Ruhegehalt in Höhe von 50 % der jeweiligen Höhe des Gehaltes (Grundgehalt + Ortszuschlag) eines Bundesbeamten in der Gehaltsgruppe A 16 - Endstufe -. Gleiches gilt für den Fall, daß (der Kläger) wegen Berufsunfähigkeit oder Krankheit seine Anteile an der Gesellschaft vor Erreichung des 65. Lebensjahres gem. § 7 des Gesellschaftsvertrages überträgt und aus diesem Anlaß als Geschäftsführer ausscheidet. Für diesen Fall verpflichtet sich die Gesellschaft, bis zur Erreichung des 65. Lebensjahres durch (den Kläger) mindestens 75 % des zuletzt bezogenen Gehalts zu bezahlen, sofern dieser Betrag höher ist, als sich das nach Absatz 1 ergebende Ruhegehalt.
. . .
Im Falle des Ablebens des (Klägers) erhält seine Witwe 60 % des Ruhegehaltes. Dies gilt auch dann, wenn (der Kläger) bereits vor seinem Ausscheiden versterben sollte; in diesem Falle ist von dem Ruhegehalt auszugehen, das (dem Kläger) zugestanden haben würde, wenn er am Todestag in den Ruhestand getreten wäre. Auch hinsichtlich des Witwengeldes sind die Erhöhungen des Vergleichsgehaltes in gleicher Weise zu berücksichtigen wie beim Ruhegehalt des (Klägers).
Diese Versorgungszusage ist seitens der (GmbH) unwiderruflich."
Bei den Einkommensteuerveranlagungen 1984 bis 1986 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Vorsorgeaufwendungen des Klägers im Rahmen des zusätzlichen Sonderausgaben-Höchstbetrages gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren 1984 bis 1986 geltenden Fassung - EStG - (sog. Vorwegabzug). Nachdem das FA aufgrund einer Lohnsteueraußenprüfung bei der GmbH von dem im Anstellungsvertrag geregelten Anwartschaftsrecht des Klägers auf Altersversorgung Kenntnis erlangt hatte, änderte es die Einkommensteuerbescheide 1984 bis 1986 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und kürzte den Vorwegabzug für Versicherungsbeiträge gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 b bb EStG. Es war der Auffassung, der Kläger habe das Anwartschaftsrecht ohne eigene Beitragsleistung erworben. Der Einspruch war erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hob die Änderungsbescheide ersatzlos auf. Es führte aus, die Kürzung des Vorwegabzugs sei nicht gerechtfertigt, weil das Anwartschaftsrecht auf Altersversorgung dem Kläger nicht ausschließlich für seine Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH und damit als Teil einer angemessenen Gesamtvergütung für diese Tätigkeit eingeräumt worden sei. Vielmehr habe der Kläger das Anwartschaftsrecht als zusätzliches Entgelt für die Übertragung seines Geschäftsanteils erhalten, der den beherrschenden Einfluß in der GmbH für die Erwerber gesichert und ihnen ermöglicht habe, als Geschäftsführer hohe Gehälter zu beziehen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 b bb EStG. Es führt aus, entgegen der Auffassung des FG habe der Kläger keinen (teilweise) eigenen Beitrag für den Erwerb des Anwartschaftsrechts auf Altersversorgung erbracht. Das Entgelt für die Übertragung des Gesellschaftsanteils sei laut Gesellschaftsvertrag nach dem Stuttgarter Verfahren zu ermitteln. Bei dieser Wertermittlung würden sowohl der Vermögenswert als auch die Ertragsaussichten berücksichtigt. Dafür, daß dem Anteil noch ein zusätzlicher - nicht bereits vom gemeinen Wert umfaßter - Wert beizumessen gewesen sei, zu dessen Ausgleich die Anwartschaftsrechte auf Altersversorgung eingeräumt werden sollten, lägen keine Anhaltspunkte vor. Ein solcher zusätzlicher Wert sei insbesondere nicht darin zu sehen, daß der Kläger als beherrschender Gesellschafter die lukrative Tätigkeit des Geschäftsführers in der Gesellschaft ausüben könne und ein gesellschaftsfremder Erwerber des Gesellschaftsanteils in erster Linie dafür zahlen müsse, nunmehr selbst die Gesellschaft zu beherrschen und entsprechende Einkünfte zu erzielen. Im übrigen hätten die Mitgesellschafter, wenn sie hierin einen zusätzlichen, vom Stuttgarter Verfahren nicht erfaßten Wert gesehen hätten, mit Sicherheit auch insoweit eine vertragliche Regelung getroffen. Im Gesellschaftsvertrag sei die Übertragung des Gesellschaftsanteils aber abschließend geregelt worden, und zwar in dem Sinne, daß der Wert nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelt werde. Dem entspreche der notarielle Vertrag vom 22. August 1989, durch den der Anteil übertragen worden sei. Die Altersversorgung sei im übrigen nur im Anstellungsvertrag zugesagt worden. Gesellschaftsvertrag und Anstellungsvertrag miteinander zu vermengen, wie es das FG getan habe, sei nicht zulässig.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die geänderten, hinsichtlich des Grundfreibetrags für vorläufig erklärten Einkommensteuerbescheide 1984 bis 1986 vom 22. März 1991.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das FG den Vorwegabzug nicht gekürzt.
1. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG konnten zusammenveranlagte Steuerpflichtige Vorsorgeaufwendungen i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG zusätzlich zu den Höchstbeträgen des § 10 Abs. 3 Nr. 1 und 3 EStG bis zu einem Betrag von 6000 DM als Sonderausgaben abziehen. Der Vorwegabzug verminderte sich bei Steuerpflichtigen, die während des ganzen Kalenderjahres nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterlagen, eine Berufstätigkeit ausgeübt und im Zusammenhang damit aufgrund vertraglicher Vereinbarungen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne Beitragsleistung erworben hatten, um 9 v. H. der Einnahmen aus der Beschäftigung der Tätigkeit, höchstens des Jahresbetrags der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 b bb EStG).
Beitragsleistungen in diesem Sinn sind im Regelfall Einzahlungen auf eine private oder gesetzliche Versicherung. Als eigene Beitragsleistung gilt nach dem Gesetz aber auch die Minderung eines etwaigen Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nach § 89 b des Handelsgesetzbuches (HGB) durch einen Versorgungsanspruch und die Anrechnung eines etwaigen Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB auf einen Versorgungsanspruch (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 b bb EStG). Der Verlust des Ausgleichsanspruchs steht also wirtschaftlich einem Erwerb der Versorgung aufgrund eigener Beitragsleistung gleich. Es handelt sich hierbei nicht lediglich um eine Sonderregelung für Handelsvertreter - wie das FA meint -, sondern um den positiv-rechtlichen Ausdruck des verallgemeinerungsfähigen Rechtsgrundsatzes, daß auch die Minderung eines Vermögensanspruchs durch Versorgungsleistungen oder der Verzicht auf einen Vermögensanspruch gegen eine Versorgungszusage als eigene Beitragsleistung im Sinne des Gesetzes anzusehen ist, die eine Kürzung des Vorwegabzugs ausschließt. Dementsprechend übernahm der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 10 EStG durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) diesen Passus nicht mehr. Er hielt es für selbstverständlich, daß der Handelsvertreter seine Altersversorgung aus eigenen Mitteln erbringt, wenn der Ausgleichsanspruch gemindert und auf den Versorgungsanspruch angerechnet wird (vgl. BTDrucks. 11/2157, S. 145, und Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10 EStG grüne Blätter Erl. zu Abs. 3 Anm. I 2 c).
Die Auslegung, daß der Verzicht auf einen Vermögensanspruch gegen eine Versorgungszusage als eigene Beitragsleistung gilt, ergibt sich auch aus dem Gesetzeszweck. Der zusätzliche Höchstbetrag soll einen Ausgleich dafür bieten, daß bei Arbeitnehmern der Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Rentenversicherung steuerfrei bleibt, während der selbständig Tätige seine Beiträge in voller Höhe selbst aufbringen muß. Im Grundsatz wird der zusätzliche Höchstbetrag allen Steuerpflichtigen zugestanden, jedoch gekürzt bei rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern und bei Arbeitnehmern, die im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit Anwartschaften auf eine Altersversorgung erwerben, ohne dazu Beiträge zu leisten (BTDrucks. 8/292, S. 21). Verzichtet daher der Steuerpflichtige für den Erwerb einer Altersversorgung auf ihm zustehende vermögenswerte Rechtspositionen, steht ihm nach dem Zweck der Regelung der ungekürzte Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen zu.
2. Im Streitfall hat der Kläger die von der GmbH zu erbringenden Ruhegeldzahlungen aufgrund eigener Beitragsleistung erworben, weil die Altersversorgung Teil des Entgelts für die Übertragung des GmbH-Anteils war.
Laut Gesellschaftsvertrag war das Entgelt für den Geschäftsanteil des Klägers nach dem Stuttgarter Verfahren zu bestimmen. Anhand dieses Verfahrens wird der gemeine Wert nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften ermittelt, also der Betrag, den ein Käufer für den Erwerb des Anteils aufwenden würde. Berücksichtigt werden sowohl der Vermögenswert als auch die Ertragsaussichten, d. h. die künftigen Gewinne der GmbH nach Abzug der Geschäftsführergehälter. Da der Kläger und die Mitgesellschafter aufgrund der Anstellungsverträge hohe Gehälter bezogen, waren die mit dem GmbH-Anteil des Klägers verbundenen Gewinnansprüche durch die Bewertung nach dem Stuttgarter Verfahren nicht erfaßt. Entscheidend für die Mitgesellschafter war aber, daß der Kläger auch seine Tätigkeit als Geschäftsführer aufgab. Daher war die Übertragung des GmbH-Anteils auch an die Aufgabe der Berufstätigkeit des Klägers gekoppelt. Über den GmbH-Anteil hatten die Mitgesellschafter den beherrschenden Einfluß in der GmbH und konnten die hoch dotierte Geschäftsführertätigkeit des Klägers übernehmen. Dieser Vorteil, der in dem nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelten Wert nicht berücksichtigt war, hängt sachlich mit der Versorgungszusage zusammen. Dafür spricht auch - wie das FG zutreffend ausgeführt hat -, daß der Kläger bei Gründung der GmbH und bei Aufnahme der Geschäftsführertätigkeit bereits 56 Jahre alt war. Denn einem der Gesellschaft nicht angehörenden Geschäftsführer wäre unter diesen Umständen keine Versorgungszusage erteilt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 418362 |
BFH/NV 1992, 596 |