Entscheidungsstichwort (Thema)
Unrichtige Mitteilung der Geschäftsstelle des FG über Terminsverlegung als absoluter Revisionsgrund
Leitsatz (NV)
Der Kläger ist i.S. des § 119 Nr. 4 FGO nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten, wenn der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle irrtümlich dem Prozeßvertreter die unzutreffende Auskunft erteilt, der Termin zur mündlichen Verhandlung sei verlegt worden, und wenn das FG gleichwohl die mündliche Verhandlung durchführt.
Normenkette
FGO § 119 Nr. 4
Tatbestand
Im Revisionsverfahren ist streitig, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war.
Auf den Gerichtsbescheid des FG vom 7. Juli 1997 hatte die Klägerin Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Das FG beraumte den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 12. November 1997 an. Mit einem durch Telefax übermittelten Schriftsatz vom 10. November 1997 teilten die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit, der sachbearbeitende Steuerberater sei krank und könne den Termin nicht wahrnehmen; eine Vertretung durch einen Anwalt der Kanzlei sei nicht möglich. Das FG forderte die Prozeßbevollmächtigten daraufhin per Telefax am 11. November 1997 auf, die Erkrankung des Rechtsanwalts X, der im vorangegangenen Verfahren sämtliche dem Gericht vorliegenden Schriftsätze unterzeichnet hatte, durch Vorlage eines ärztlichen Attests zu belegen; zugleich wurde um die Benennung der anderweitigen Termine gebeten, aufgrund derer die Partner des Prozeßbevollmächtigten an der Vertretung des Rechtsanwalts X gehindert würden. Daraufhin teilten die Prozeßbevollmächtigten mit Telefax vom 12. November 1997, beim FG eingegangen um 10.37 Uhr, mit, Herr Rechtsanwalt X sei für die Kanzlei nicht mehr tätig, da er zum Ende des Jahres 1997 aus der Kanzlei ausscheide. Beigefügt war ein Attest für den Steuerberater Y mit folgendem Inhalt: "Herr Y leidet an einer akuten Erkrankung. Aufgrund der Symptome ist der Patient nicht in der Lage, seine Arbeitsaufgaben in gewohntem Umfang wahrzunehmen. Ich bitte deshalb sehr höflich, ihn von der heutigen Verhandlung zu suspendieren."
Das FG verhandelte jedoch am vorgesehenen Termin zur Sache und wies die Klage als unbegründet ab. Es seien keine erheblichen Gründe für eine Vertagung gegeben (§ 155 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.V.m. § 227 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―). Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin sei über die Folgen seines Ausbleibens belehrt worden (§ 91 Abs. 2 FGO). Dem Antrag auf Verlegung des Termins sei nicht stattzugeben, weil das Fax vom 12. November 1997 und der Inhalt des ärztlichen Attests nicht den Anforderungen genügten, die an eine aussagekräftige Begründung eines Vertagungsantrags kurz vor Beginn der mündlichen Verhandlung zu stellen seien. Weder sei aus dem Attest die Verhandlungsunfähigkeit des Steuerberaters Y ersichtlich noch sei seine Erkrankung genau geschildert und glaubhaft gemacht (Bezugnahme auf Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 31. August 1995 VII B 160/94, BFH/NV 1996, 228; vom 14. Mai 1996 VII B 237/95, BFH/NV 1996, 902, m.w.N.).
Hiergegen legte die Klägerin Revision ein, mit der sie einen Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO rügt. Steuerberater Y sei durch Krankheit gehindert gewesen, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Dies sei dem FG bereits am 10. November 1997 unter Hinweis darauf mitgeteilt worden, daß nunmehr Steuerberater Y den Fall bearbeite. Das vom FG angeforderte Attest sei diesem am 12. November 1997 um 10.37 Uhr übermittelt worden. Auf einen anschließenden Anruf hin habe die Urkundsbeamtin, Frau Z, bestätigt, daß das Attest eingegangen und der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 10. Dezember 1997, 9.30 Uhr, verlegt worden sei; eine schriftliche Bestätigung der Terminsverlegung werde in den nächsten Tagen erfolgen. Dennoch, so rügt die Klägerin, sei die mündliche Verhandlung durchgeführt worden, ohne daß zuvor der Vertreter hierüber informiert worden sei. Selbst wenn Steuerberater Y trotz der Erkrankung an der mündlichen Verhandlung hätte teilnehmen wollen, wäre ihm dies nicht gelungen, da er "durch das Gericht bzw. durch die Urkundsbeamtin Z" insoweit in die Irre geführt worden sei. Der Prozeßbevollmächtigte sei nunmehr davon ausgegangen, daß der Termin tatsächlich verlegt worden sei. Er habe darauf vertrauen können, daß Frau Z mit dem Vorsitzenden Richter Rücksprache genommen habe. Die tatsächliche Durchführung der mündlichen Verhandlung ohne die Klägerin bzw. ihren Prozeßbevollmächtigten bedeute "de facto" deren Ausschluß von der mündlichen Verhandlung. Dies allein rechtfertige die zulassungsfreie Revision.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision abzuweisen.
§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO sei anwendbar, wenn der Beteiligte oder sein Prozeßbevollmächtigter nicht oder nicht ordnungsgemäß zum Termin geladen und ohne ihn verhandelt worden sei. Ob dem der Fall gleichstehe, daß das FG eine mündliche Verhandlung durchführe, obwohl der Termin zuvor aufgehoben worden sei, sei zweifelhaft. Die Klägerin habe nicht schlüssig gerügt, daß der Termin zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß aufgehoben worden sei. Die Entscheidung über die Terminsverlegung obliege dem Vorsitzenden. Dieser habe erst nach Prüfung des Attests über den Antrag befinden können. Es sei nicht vortragen worden, daß die angebliche Aussage von Frau Z auf eine Verfügung des Vorsitzenden zurückgehe, denn nur dann wäre der Termin wirksam aufgehoben worden. Der Prozeßbevollmächtigte habe auf die Aussage der rechtsunkundigen Urkundsbeamtin nicht vertrauen dürfen. Dem Vertreter des FA sei in der mündlichen Verhandlung nichts über eine Terminsverlegung bekannt geworden.
Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung des Vorsitzenden Richters am FG A, der Urkundsbeamtin des FG Z, des Steuerberaters Y, und von Frau B als Zeugen. Hierauf und auf den Beweisbeschluß vom 16. März 1999 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist wegen eines von der Klägerin schlüssig gerügten wesentlichen Verfahrensmangels aufzuheben, der nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO die zulassungsfreie Revision eröffnet und als absoluter Revisionsgrund nach § 119 Nr. 4 FGO zur Zurückverweisung führt (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Ein Verstoß im Sinne dieser Vorschriften liegt vor, wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer ―was hier nicht der Fall ist― wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat.
a) Ein Beteiligter ist dann in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten, wenn das Gericht bei der Vorbereitung oder Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch die Teilnahme unmöglich gemacht hat (BFH-Beschluß vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850, ständige Rechtsprechung), so z.B., falls ein Beteiligter nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (Bundesverwaltungsgericht ―BVerwG―, Urteil vom 1. Dezember 1982 9 C 486.82, BVerwGE 66, 311; BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, 19, BStBl II 1988, 948, 949, ständige Rechtsprechung). Ebenso ist ein Beteiligter nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten, wenn der Prozeßbevollmächtigte zum Verhandlungstermin nicht erschienen ist, weil der Vorsitzende den Termin aufgehoben hat, denn hierdurch ist die Ladung als gegenstandslos weggefallen (§§ 91, 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO; vgl. BVerwG-Entscheidung vom 27. April 1990 8 C 38/88, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1991, 583; BFH-Beschluß vom 19. August 1997 VI R 46/97, BFH/NV 1998, 588). Dasselbe gilt, wenn der Vorsitzende (oder sein Vertreter) dem Prozeßbevollmächtigten eine Terminsverlegung unter der Voraussetzung zugesagt hatte, daß noch vor Sitzungsbeginn ein Attest über die Verhandlungsunfähigkeit vorgelegt wird und der Prozeßbevollmächtigte daraufhin ein ―spezifiziertes― ärztliches Attest einreicht (BFH-Urteil vom 28. November 1990 I R 71/90, BFH/NV 1991, 756).
b) Eine solche bedingte Zusage einer Terminsverlegung ist den Prozeßbevollmächtigten nach eigenem Vortrag nicht gegeben worden. Indes konnten diese davon ausgehen, daß die Terminsverlegung von dem ―vor Verhandlungsbeginn gemäß §§ 91, 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2, Halbsatz 1 ZPO hierfür allein zuständigen― Senatsvorsitzenden verfügt und als dessen Entscheidung durch die Geschäftsstelle übermittelt worden ist (vgl. Urteil in BFH/NV 1991, 756, unter 1. b bb). Es ist Sache der Geschäftsstelle (§ 12 FGO), einen ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb beim Gericht zu gewährleisten und den Richter von Aufgaben zu entlasten, die diesem nicht ausdrücklich zugewiesen worden sind (vgl. Schmieszek in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 12 FGO Rdnr. 10). Sie hat von Gesetzes wegen die Ladungen und Zustellungen zu veranlassen (§§ 53, 91 FGO, § 155 FGO i.V.m. §§ 209 ff. ZPO). Überschreitet der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle seine Kompetenz, indem er nur vorgibt, eine richterliche Entscheidung zu übermitteln, ist diese Amtshandlung hinsichtlich der Frage, ob in der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ein Verfahrensfehler liegt, dem Gericht zuzurechnen.
2. Aufgrund des Ergebnisses der Verhandlung und der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, daß die Urkundsbeamtin Z als zuständige Vertreterin der Geschäftsstelle des 4. Senats des Sächsischen FG am Vormittag des 12. November 1997 der Mitarbeiterin der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten, Frau B, aufgrund einer Verwechslung die Auskunft gegeben hat, daß die auf diesen Tag anberaumte mündliche Verhandlung in der Sache der Klägerin aufgehoben sei. Diese Feststellung wird belegt durch die schriftliche Bekundung der Frau Z und dem vom ihr in Ablichtung vorgelegten Aktenvermerk vom 6. Januar 1998. Sie wird gestützt durch die hinsichtlich des Vorgangs der Terminsverlegung hiermit sachlich übereinstimmenden Aussagen der Zeugen Wirtschaftsprüfer Steuerberater Y und Frau B.
3. Da die Klägerin nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten war (§ 119 Nr. 4 FGO), ist das Urteil als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen. Das Gesetz stellt damit eine grundsätzlich unwiderlegliche Vermutung der Ursächlichkeit auf (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Rz. 3, m.w.N.). Es kommt daher nicht darauf an, ob der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, wäre ihm gegenüber der Termin "aufgehoben" worden, in der Lage gewesen wäre, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 424783 |
BFH/NV 2000, 569 |