Leitsatz (amtlich)
1. Für eine Klage gegen eine Verfügung, durch die die Einspruchsbehörde das Einspruchsverfahren nach § 244 AO aussetzt, weil ihre Entscheidung von dem Ausgang eines anderen Verfahrens abhängt, besteht kein Rechtsschutzinteresse.
2. Eine Klage mit dem Ziel, die Einspruchsbehörde für verpflichtet zu erklären, unverzüglich über den Einspruch zu entscheiden, ist unzulässig.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; AO § 230 Abs. 2, § 244; FGO § 46 Abs. 1-2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ließ unter seiner inzwischen gelöschten Firma in der Zeit vom 1. April bis 8. Juni 1965 auf Grund der Erstattungsgewährung durch die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt Getr) Mais, Gerste und Sorghumhirse abschöpfungsfrei zum freien Verkehr abfertigen. Mit Bescheid vom 29. August 1967 widerrief die EVSt Getr die gewährte Erstattung. Daraufhin erhob der Beklagte und Revisionsbeklagte (HZA) die Abschöpfung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 der Erstattungsverordnung Getreide und Reis (ErstVOGetrReis) vom 24. November 1964 (BGBl I 1964, 917, BZBl 1965, 2) mit Bescheid vom 20. Dezember 1967 nach. Das HZA teilte der Firma des Klägers mit, daß es die Entscheidung über den Einspruch gegen diesen Bescheid gemäß § 244 AO aussetze, weil die Entscheidung über die beim Hessischen FG anhängige Klage gegen den Widerrufsbescheid der EVSt Getr für das Einspruchsverfahren vorgreiflich sei. Die Beschwerde gegen die Aussetzungsverfügung blieb erfolglos. Die gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD erhobene Klage mit dem Antrag, die Aussetzungsverfügung des HZA und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben (Antrag Nr. 1) und das HZA für verpflichtet zu erklären, über den Einspruch unverzüglich zu entscheiden (Antrag Nr. 2), wies das FG als unzulässig ab.
Da die Firma des Klägers nach Einlegung der Revision gelöscht worden ist, der Kläger also nicht mehr unter dieser Firma einen Rechtsstreit führen konnte, auf der anderen Seite aber als Inhaber einer Einzelfirma von vornherein Klagepartei war, war das Rubrum dahin zu berichtigen, daß er selbst als Kläger eingesetzt wurde. Mit der Revision macht der Kläger geltend, die Aussetzungsverfügung des HZA habe ihn deshalb belastet, weil sie in sein in Art. 19 Abs. 4 GG garantiertes und durch die einschlägigen Vorschriften der Reichsabgabenordnung konkretisiertes Recht auf Erlaß einer Einspruchsentscheidung eingegriffen habe. Diesen belastenden Verwaltungsakt habe er zunächst mit der Beschwerde angreifen können. Gegen die ablehnende Beschwerdeentscheidung sei die Anfechtungsklage zulässig gewesen. Ein Rechtsschutzbedürfnis könne nicht durch die Verweisung auf § 46 FGO verneint werden. Denn § 46 FGO betreffe nur die Fälle, in denen die beteiligte Behörde untätig bleibe. Setze sie dagegen die Entscheidung über ein Rechtsmittel durch selbständigen Verwaltungsakt gemäß § 244 AO aus, so sei dieser Verwaltungsakt auch selbständig mit dem zulässigen Rechtsbehelf angreifbar. Eine Klage aus § 46 FGO habe ihm auch keinen ausreichenden Rechtsschutz geben können. Hätte er den belastenden Verwaltungsakt nicht auch selbständig fristgerecht angefochten, so wäre dieser selbst dann in Bestandskraft erwachsen, wenn er rechtswidrig gewesen wäre. Eine bestandskräftige Aussetzungsverfügung nach § 244 AO wäre aber als solche ein zureichender Grund im Sinne des § 46 FGO gewesen.
Das Anfechtungsbegehren sei auch begründet gewesen, da die Aussetzungsverfügung rechtswidrig gewesen sei. Diese sei nicht schon dann zulässig, wenn ein anderes Rechtsverhältnis präjudiziell sein könnte, sondern nur dann, wenn es präjudiziell sei. Das HZA habe in der Aussetzungsverfügung ernstliche Zweifel an der Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 ErstVOGetrReis geäußert und es schon für möglich gehalten, daß der Nachforderungsbescheid u. U. auch dann aufzuheben sei, wenn der Erstattungswiderrufsbescheid von Bestand bleibe. In eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids sei es überhaupt nicht eingetreten. Auch habe das HZA seine Aussetzungsverfügung auf Grund einer nur möglichen Präjudizialität erlassen. Dies genüge aber nicht für eine Aussetzung nach § 244 AO.
Die Revision sei auch hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens begründet. Die Klage auf Bescheidung schlechthin sei weder eine Anfechtungs- noch eine Verpflichtungsklage, da sie nicht gegen den Erlaß eines Verwaltungsakts bzw. auf Erlaß eines abgelehnten Verwaltungsakts gerichtet sei. Sie sei vielmehr als Leistungsklage zu qualifizieren. Diese sei zulässig, da für den Kläger bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG die Möglichkeit einer Klage aus § 46 FGO nicht mehr bestanden habe. Denn in diesem Zeitpunkt sei die Jahresfrist schon abgelaufen gewesen. Die rechtzeitig angefochtene Aussetzungsverfügung sei wegen Fehlens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 244 AO nicht als "besonderes Verhältnis" im Sinn des § 46 Abs. 2 FGO anzusehen. Das Verpflichtungsbegehren sei auch begründet, weil die zuständige Behörde durch den Ablauf der Jahresfrist von ihrer Verpflichtung nicht frei werde, über einen ordnungsgemäß geltend gemachten Rechtsbehelf zu entscheiden, und der Betroffene einen durchsetzbaren Anspruch auf diese Entscheidung behalte.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung der Vorentscheidung den Bescheid des HZA vom 10. März 1969, durch den das HZA das Einspruchsverfahren gegen den Nachforderungsbescheid aussetzte, und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben und das HZA für verpflichtet zu erklären, den Einspruch des Klägers gegen den Nachforderungsbescheid vom 20. Dezember 1967 unverzüglich in rechtsmittelfähiger Form zu bescheiden.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das HZA ist der Ansicht, daß es nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht gezwungen sei, in jedem Fall die Entscheidung unverzüglich zu treffen. Vielmehr garantiere Art. 19 Abs. 4 GG nur den Weg zum Richter. Das HZA verweigere die Entscheidung auch nicht schlechthin, sondern auf Grund des § 244 AO nur vor der Entscheidung über das anhängige präjudizielle Verfahren. Die Aussetzungsverfügung enthalte mindestens konkludent die Zusage, nach Wegfall des die Entscheidung hindernden Umstandes unverzüglich das Verfahren abzuschließen. Unbeachtlich sei, ob der zureichende Grund in einer Aussetzungsverfügung oder in einer Mitteilung enthalten sei. Auch wenn eine sonst ermessensfehlerhafte Aussetzungsverfügung aufgehoben werden müßte, bliebe trotzdem die Klage unzulässig, wenn die Aussetzungsverfügung einen zureichenden Grund enthalte. Der Kläger habe daher auch bei Aufhebung der Aussetzungsverfügung nichts gewinnen können. Das Anfechtungsverfahren sei daher nicht zulässig gewesen.
Der Aussetzungsverfügung fehle es auch nicht an einer Rechtsgrundlage. Die Bezugnahme des HZA auf § 9 Abs. 1 Satz 3 ErstVOGetrReis sage nicht, daß das HZA es für möglich gehalten habe, daß der Nachforderungsbescheid unter Umständen auch aufzuheben sei, wenn der Erstattungswiderrufsbescheid Bestand behalte. Mit dem Hinweis habe das HZA vielmehr zum Ausdruck gebracht, daß es eventuell des Erstattungswiderrufs durch die EVStGetr nicht bedurft hätte. Da aber ein Widerrufsbescheid bestanden habe und gegen ihn eine Klage schwebe, sei das Verfahren vorgreiflich. Deshalb seien die Voraussetzungen des § 244 AO für die Aussetzung des Verfahrens gegeben gewesen.
Hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens sei die Revision weder zulässig noch begründet. Eine Einspruchsentscheidung sei ein Verwaltungsakt. Eine Klage mit dem Ziel, das HZA zum Erlaß der abgelehnten Entscheidung über den Einspruch zu verurteilen, sei deshalb eine Verpflichtungsklage. Eine allgemeine Leistungsklage, als die der Kläger seine Klage qualifiziert wissen wolle, kenne das Klagesystem der FGO nicht. Die "sonstige Leistungsklage" sei nicht auf Erlaß eines Verwaltungsaktes gerichtet. Der Kläger hätte nach Ablauf von sechs Monaten bis zum Ablauf eines Jahres nach Einlegung des Einspruchs eine Anfechtungsklage auf § 46 FGO stützen können mit dem Antrag, den Steuerbescheid aufzuheben, wenn er geglaubt habe, durch die Aussetzungsverfügung in seinen Rechten verletzt zu sein.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Ziel der Klage war nach dem Antrag Nr. 2 des Klägers, eine Entscheidung über seinen Einspruch unverzüglich zu erhalten. Um dies zu erreichen, wollte er mit seinem Antrag Nr. 1 die Aussetzungsverfügung des HZA beseitigen. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, kennt die Finanzgerichtsordnung aber keine Untätigkeitsklage, die sich auf den Erlaß einer Einspruchsentscheidung richtet. Entscheidet die zuständige Behörde über den Einspruch ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht in angemessener Frist, so kann ohne vorherigen Abschluß des Vorverfahrens Klage nach § 46 FGO erhoben werden. Demnach besteht für eine Verpflichtungsklage nach dem Antrag des Klägers kein Rechtsschutzinteresse. Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, daß die Jahresfrist nach § 46 Abs. 2 FGO im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG bereits abgelaufen gewesen sei. Denn die Aussetzungsverfügung ist ein "besonderes Verhältnis" im Sinn dieser Vorschrift, so daß insoweit die darin bestimmte Jahresfrist nicht gilt (siehe Urteil des BFH vom 31. August 1971 VII R 36/70, BFHE 103, 381, BStBl II 1972, 20; v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 46 FGO Anm. 13). Hielt der Kläger die Voraussetzungen des § 244 AO nicht für gegeben, so konnte er dies mit der Klage nach § 46 FGO geltend machen (vgl. auch Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 5 am Ende zu § 46 FGO). Denn im Rahmen dieses Verfahrens, in dem der angegriffene Verwaltungsakt gerichtlich auf seine Rechtmäßigkeit überprüft wird, muß auch geprüft werden, ob die Zulässigkeitsvoraussetzung der Mitteilung eines zureichenden Grundes nach § 46 Abs. 1 FGO, im Streitfalle der Aussetzungsverfügung, gegeben ist. Ergibt sich dabei, daß die Aussetzungsverfügung nicht gerechtfertigt war, so ist die Klage nach § 46 FGO zulässig, im anderen Falle unzulässig. Würde man gleichwohl dem Kläger die Möglichkeit einer Verpflichtungsklage auf unverzüglichen Erlaß einer Einspruchsentscheidung in Verbindung mit der Möglichkeit einer Anfechtungsklage gegen die Aussetzungsverfügung (nach erfolgloser Beschwerde) geben, so erhielte er einen über den vom Gesetzgeber in § 46 FGO abgesteckten Rahmen hinausgehenden Rechtsschutz.
Hinsichtlich des Anfechtungsbegehrens kann dahinstehen, ob gegen die Aussetzung der Entscheidung gemäß § 244 AO überhaupt ein Rechtsbehelf gegeben ist, weil nach § 230 Abs. 2 AO bei der Untätigkeitsbeschwerde Einspruchsentscheidungen keine Verfügungen in diesem Sinne sind (vgl. v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., Anm. 8 zu § 244 AO; Kühn-Kutter, Anm. 3 zu § 244 AO; a. M. Tipke-Kruse, a. a. O., Anm. zu § 244 AO ohne nähere Begründung). Auf jeden Fall fehlt es auch für eine isolierte Anfechtung der Aussetzungsverfügung an einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Mit der Beseitigung der Aussetzungsverfügung kann er nur erreichen, daß der Weg für den Erlaß einer Einspruchsentscheidung freigemacht wird. Hierfür steht ihm aber die Klage nach § 46 FGO offen. Im Rahmen dieses Verfahrens muß dann auch darüber entschieden werden, ob die Mitteilung der Aussetzungsverfügung einen zureichenden Grund im Sinn des § 46 Abs. 1 FGO darstellt, wie oben ausgeführt wurde.
Gegen die Annahme eines ausreichenden Rechtsschutzes durch die Klage nach § 46 FGO kann der Kläger nicht geltend machen, daß im Falle der nicht fristgerechten Anfechtung der Aussetzungsverfügung diese bestandskräftig geworden und daher als solche, auch wenn sie rechtswidrig gewesen wäre, ein zureichender Grund im Sinn des § 46 FGO gewesen wäre. Denn das Gericht muß bei der Prüfung der Zulässigkeit der Klage nach § 46 FGO in jedem Falle prüfen, ob dem Kläger ein zureichender Grund mitgeteilt worden ist, d. h. ob die Einspruchsbehörde aus bestimmten Gründen an der sofortigen Entscheidung gehindert ist, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 244 AO vorliegen. Auch dem Umstand, daß der Kläger durch die Aussetzungsverfügung in seinem Recht auf Erlaß einer Einspruchsentscheidung verletzt sein kann, wird durch den Rechtsschutz im Rahmen des § 46 FGO Rechnung getragen. Denn die Klage nach § 46 FGO hat gerade zum Ziel, daß die Einspruchsbehörde zu einer Entscheidung angehalten wird, indem im Falle einer ungebührlichen Verzögerung, wenn also kein zureichender Grund mitgeteilt worden ist, ohne vorheriges Vorverfahren Klage erhoben werden kann. Mit Recht hat das FG kein besonderes Rechtsschutzinteresse des Klägers für eine isolierte Anfechtungsklage gesehen. Denn ein Anspruch auf Zinsen nach § 111 Abs. 1 Satz 1 FGO erwächst ihm durch die Klage nach § 46 FGO und nur unter dessen Voraussetzungen. Da die Klage nach allem vom FG zu Recht als unzulässig abgewiesen worden ist, war auf die Begründetheit des Anfechtungsbegehrens nicht mehr einzugehen, sondern die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 70732 |
BStBl II 1974, 116 |
BFHE 1974, 1 |