Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Kassenärztliche Vereinigungen führen nicht überwiegend hoheitliche Aufgaben aus. Aufwandsentschädigungen, die Kassenärztliche Vereinigungen an einen Angestellten bezahlen, sind daher nicht steuerfrei nach § 3 Ziff. 11 EStG 1955 (ß 3 Ziff. 12 EStG 1957).
Normenkette
EStG § 3 Ziff. 11; EStG § 3 Ziff. 12
Tatbestand
Streitig ist, ob die an den Geschäftsführer einer Kreis- und Abrechnungsstelle einer Kassenärztlichen Vereinigung gezahlte Aufwandsentschädigung steuerfrei ist. Der Geschäftsführer Dr. A., der in den Jahren 1956 und 1957 im Hauptberuf Facharzt war, bezog von der Kassenärztlichen Vereinigung für diese Tätigkeit neben einem Gehalt, von dem Lohnsteuer einbehalten wurde, eine monatliche Aufwandsentschädigung von 220 DM, die steuerfrei gelassen wurde. Das Finanzamt hielt diese Aufwandsentschädigung für lohnsteuerpflichtig und forderte durch Haftungsbescheid von der Kassenärztlichen Vereinigung Lohnsteuer für 1956 und 1957 nach. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Die Berufung führte zur ersatzlosen Aufhebung des Haftungsbescheids. Das Finanzgericht, dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1960 S. 385 veröffentlicht ist, sah die Voraussetzungen des § 3 Ziff. 11 EStG 1955 (ß 3 Ziff. 12 EStG 1957) als erfüllt an. Die Kassenärztliche Vereinigung sei nach § 368 k der Reichsversicherungsordnung (RVO) eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und ihre Kasse eine öffentliche Kasse, die einer öffentlich-rechtlichen Aufsicht und Prüfung unterliege. Der Empfänger der Aufwandsentschädigung leiste auch öffentliche Dienste; denn die Vereinigung habe hoheitliche Aufgaben zu erfüllen, die der Geschäftsstellenleiter im Bereich seiner Kreis- und Abrechnungsstelle wahrgenommen habe. Er habe auch steuerlich anzuerkennenden Aufwand durch seine Tätigkeit gehabt, der auf 180 DM monatlich zu schätzen sei. Da der Geschäftsstellenleiter monatlich 220 DM Aufwandsentschädigung bezogen habe, liege in Höhe von 40 DM steuerpflichtiger Arbeitslohn vor. Die dafür anfallende Lohnsteuer sei jedoch durch die von der Kassenärztlichen Vereinigung bereits geleisteten Zahlungen gedeckt, so daß ihre Inanspruchnahme entfalle.
Der Vorsteher des Finanzamts rügt mit seiner Rb. unrichtige Anwendung des § 3 Ziff. 11 EStG 1955 (ß 3 Ziff. 12 EStG 1957). Die Kassenärztliche Vereinigung sei keine "öffentliche Kasse", da sie nicht der Dienstaufsicht einer Aufsichtsbehörde unterstehe. Auch leiste Dr. A. keine öffentlichen Dienste; denn er sei weder ausschließlich noch überwiegend mit Hoheitsaufgaben beschäftigt. Die Wahrnehmung privatwirtschaftlicher Interessen der Kassenärzte überwiege. Aber selbst wenn eine Aufwandsentschädigung aus einer öffentlichen Kasse an eine öffentliche Dienste leistende Person anzunehmen wäre, seien die streitigen Zuwendungen an Dr. A. nicht steuerfrei, weil ihm steuerlich anzuerkennende Werbungskosten nicht in dieser Höhe entstanden seien.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Sowohl nach dem für 1956 geltenden § 3 Ziff. 11 EStG 1955 als auch nach dem für 1957 geltenden § 3 Ziff. 12 EStG 1957 ist Voraussetzung der Steuerfreiheit von Dienstaufwandsentschädigungen, daß sie von einer öffentlichen Kasse an Personen gezahlt werden, die öffentliche Dienste leisten.
Die Kassenärztliche Vereinigung ist nach § 368 k RVO eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihre Kasse ist jedoch eine öffentliche Kasse im Sinne dieser Befreiungsvorschriften nur, wenn ihre Finanzgebarung einer Prüfung durch die öffentliche Hand unterliegt (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 609/54 U vom 9. Februar 1956, BStBl 1956 III S. 183, Slg. Bd. 62 S. 493). Für die vom Finanzamt erhobene Einwendung, daß die im § 368 k Abs. 3 in Verbindung mit §§ 30 bis 32 RVO vorgesehene Aufsicht des Arbeits- und Sozialministers keine Prüfung der Finanzgebarung der Kassenärztlichen Vereinigung, besonders der Angemessenheit der von ihr gezahlten Dienstaufwandsentschädigungen zum Gegenstand habe, spricht viel. Zu dieser Frage braucht im Streitfall jedoch nicht abschließend Stellung genommen zu werden; denn § 3 Ziff. 11 EStG 1955 und § 3 Ziff. 12 EStG 1957 können schon deshalb keine Anwendung finden, weil die Angestellten einer Kassenärztlichen Vereinigung keine öffentlichen Dienste leisten. öffentliche Dienste in diesem Sinne sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur solche, die ausschließlich oder doch überwiegend hoheitliche Aufgaben zum Gegenstand haben. Es muß sich dabei um Aufgaben handeln, die Gebietskörperschaften und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften auf Grund der ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben regeln und erforderlichenfalls erzwingen können (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 255/56 U vom 22. August 1957, BStBl 1957 III S. 395, Slg. Bd. 65 S. 424).
Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind Zusammenschlüsse der als Kassenärzte zugelassenen ärzte, der an der kassenärztlichen Versorgung beteiligten ärzte und schließlich der im Arztregister eingetragenen, nicht zugelassenen ärzte. Derartige Berufsorganisationen können zwar neben den berufsständischen Zwecken auch hoheitliche Aufgaben erfüllen. Ob diese jedoch die berufsständischen Aufgaben und die Interessenvertretung der Mitglieder an Umfang und Bedeutung übertreffen, bedarf der Prüfung. Bei der Bayerischen Landesärztekammer wurde ein überwiegen der nicht hoheitlichen Aufgaben (ärztliche Selbstverwaltung) über die Mitwirkung bei der öffentlichen Gesundheitspflege angenommen (siehe das erwähnte Urteil IV 255/56 U). Nicht anders liegen die Verhältnisse bei Handwerksinnungen, Kreishandwerkerschaften, Handelskammern sowie bei Industrie- und Handelskammern (Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 1452/30 vom 17. Juni 1931, RStBl 1931 S. 666, und VI A 36/36 vom 11. Mai 1937, RStBl 1937 S. 975, Slg. Bd. 41 S. 233; Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., S. 192).
Der Aufgabenkreis der Kassenärztlichen Vereinigungen ergibt sich aus §§ 368 ff. RVO. ärzte, Zahnärzte und Krankenkassen wirken danach zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der nach der RVO versicherten Personen und ihrer Angehörigen zusammen. Diese auf der RVO beruhende kassenärztliche Versorgung ist als eine hoheitliche Aufgabe anzuerkennen, an der die Kassenärztlichen Vereinigungen als gebietsmäßig abgegrenzte Zusammenschlüsse der ärzte beteiligt sind. Die Kassenärztlichen Vereinigungen hatten in den Streitjahren insbesondere die der Zulassung als Kassenärzte dienenden ärzteregister zu führen (ß 368 a RVO). Die Zulassung als Kassenarzt stand ihnen jedoch nicht allein zu, sondern wurde von einem Zulassungsausschuß vorgenommen, der von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Landesverbänden der Krankenkasse für jeden Zulassungsbezirk gebildet wurde (ß 368 b RVO). Den Zulassungsausschüssen gehörten Vertreter der ärzte und der Krankenkasse in gleicher Zahl an. Unter den Vertretern der ärzte mußte sich jeweils ein in das ärzteregister eingetragener, aber nicht als Kassenarzt zugelassener Arzt befinden. Da die Mitglieder der Zulassungsschüsse ihr Amt als Ehrenamt versahen, bei dessen Ausübung sie nicht an Weisungen gebunden waren, hatten die Kassenärztlichen Vereinigungen als solche keine Entscheidungsbefugnis bei der Zulassung als Kassenarzt. Ihre Mitwirkung bei dem Zulassungsverfahren war daher vorbereitender Art, so daß sie nicht als hoheitliche Tätigkeit im eigentlichen Sinne bezeichnet werden konnte.
Nach § 368 g RVO haben die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Krankenkassen Gesamtverträge über die kassenärztliche Versorgung abzuschließen, durch die eine gleichmäßige, ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Kranken gewährleistet und die ärztlichen Leistungen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Krankenkasse angemessen vergütet werden sollen. Hierbei werden die Kassenärztlichen Vereinigungen also als Vertreter der ihr angehörenden Kassenärzte tätig und müssen in erster Linie als deren Interessenvertreter angesehen werden, die gegenüber den Krankenkassen die wirtschaftlichen Belange der ärzte wahrnehmen. Daß dies ihre Aufgabe ist, wurde in § 368 Abs. 1 Satz 2 RVO ausdrücklich gesetzlich festgelegt. Wenn daneben in Satz 3 dieser Vorschrift auch bestimmt ist, daß sie die Erfüllung der den Kassenärzten obliegenden Pflichten zu überwachen haben und diese notfalls durch Anwendung der ihnen nach § 368 m RVO zustehenden Strafgewalt zur Erfüllung ihrer Pflichten anhalten können, so ist nach der Regelung in den §§ 368 ff. RVO doch der Eindruck vorherrschend, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen zwar bei der ärztlichen Betreuung der Sozialversicherten in erheblichem Umfang mitzuwirken haben, daß sie aber doch mehr die Interessenvertreter der Kassenärzte sind. Da ihre Mitwirkung bei der Durchführung der ärztlichen Versorgung außerdem im wesentlichen in Vorbereitungsmaßnahmen und dem Abschluß von Vereinbarungen mit den Krankenkassen bestanden hat, lag die Tätigkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen in den Streitjahren zwar im öffentlichen Interesse, kann aber nicht als hoheitliche Betätigung im eigentlichen Sinne gewertet werden. Jedenfalls ist bei der Tätigkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen ein überwiegen der öffentlichen Dienstleistungen nicht anzunehmen. Damit entfällt für ihre Angestellten die Steuerfreiheit für Dienstaufwandsentschädigungen nach § 3 Ziff. 11 EStG 1955 und § 3 Ziff. 12 EStG 1957. Die Vorentscheidung, die von der gegenteiligen Auffassung ausgegangen ist, muß daher wegen Rechtsirrtums aufgehoben werden.
Wenn demnach auch die Steuerfreiheit der an Dr. A. gezahlten Dienstaufwandsentschädigung nach § 3 EStG zu verneinen ist, so bleibt doch zu prüfen, ob diese Zahlungen Auslagen (Werbungskosten) des Geschäftsführers ersetzen. Soweit Werbungskosten anzuerkennen sind, wäre dies im Streitfall bei der Lohnsteuernachforderung gegen die Kassenärztliche Vereinigung auch zu deren Gunsten zu berücksichtigen. Die vom Finanzgericht über die Unkosten des Geschäftsführers angestellten Ermittlungen und die überschlägige Berechnung, die zur Anerkennung eines Dienstaufwands von 180 DM geführt haben, genügen allerdings zur Feststellung der Werbungskosten nicht. Wenn auch wahrscheinlich Schätzungen nicht zu vermeiden sind, so muß doch der Versuch einer genaueren Ermittlung der ausschließlich beruflich bedingten Aufwendungen gemacht werden. Dabei ist zu beachten, daß die Werbungskosten, die bei der Tätigkeit als angestellter Geschäftsführer entstehen, sich wahrscheinlich mit den bei der freiberuflichen Tätigkeit als Facharzt anfallenden Betriebsausgaben überschneiden, so daß die Höhe der Werbungskosten nur im Zusammenhang mit den bei der Veranlagung berücksichtigten Betriebsausgaben festgestellt werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 410364 |
BStBl III 1962, 201 |
BFHE 1962, 540 |
BFHE 74, 540 |