Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
§ 114a ZVG ist auf das GrEStG nicht entsprechend anwendbar.
Normenkette
GrEStG § 9/1, § 9 Abs. 2, § 11/1/4; ZVG § 114a
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) erwarb am 22. Juli 1955 ein Grundstück in der Zwangsversteigerung. Der Einheitswert des Grundstücks betrug 16.800 DM. Das Meistgebot (Meistbargebot) betrug 25.000 DM; nach den Versteigerungsbedingungen waren bestehenbleibende Rechte nicht vorhanden. Weil die Bfin. das Grundstück zur Rettung von Grundpfandrechten im Betrage von insgesamt rund 40.490 DM erworben hatte, wurde die Grunderwerbsteuer auf Grund der Steuervergünstigung des § 9 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) nicht erhoben.
Am 31. Januar 1956 wurde das Grundstück seitens der Bfin. zum Kaufpreis von 40.000 DM freihändig weiterveräußert.
Das Finanzamt war der Auffassung, daß das Grundstück zu einem Entgelt weiterveräußert wurde, das die für den Erwerb in der Zwangsversteigerung (22. Juli 1955) einzusetzende Gegenleistung übersteigt, und zog die Bfin. wegen des letztgenannten Erwerbsvorgangs nach § 9 Abs. 2 GrEStG nachträglich zur Steuer heran.
Die Bfin. macht geltend, daß ein Anwendungsfall des § 9 Abs. 2 a. a. O. nicht gegeben sei, weil der für den Erwerbsvorgang vom 22. Juli 1955 anzusetzenden Gegenleistung nach § 114a des Zwangsversteigerungsgesetzes (ZVG) die in der Zwangsversteigerung ausgefallenen Rechte der Bfin. in einem Ausmaß hinzuzurechnen seien, daß sie statt eines Gewinns einen Verlust habe. Eine etwa abweichende Regelung im GrEStG sei durch § 114a ZVG überholt. Dort ist bestimmt:
"Ist der Zuschlag einem zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigten zu einem Gebot erteilt, das einschließlich des Kapitalwertes der nach den Versteigerungsbedingungen bestehenbleibenden Rechte hinter sieben Zehnteilen des Grundstückswertes zurückbleibt, so gilt der Ersteher auch insoweit als aus dem Grundstück befriedigt, als sein Anspruch durch das abgegebene Meistgebot nicht gedeckt ist, aber bei einem Gebot zum Betrage der Sieben-Zehnteile-Grenze gedeckt sein würde."
Einspruch und Berufung waren ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Auch die Rechtsbeschwerde (Rb.) unterliegt der Zurückweisung.
Unzutreffend ist die Auffassung der Bfin., daß durch die Vorschrift des § 114a ZVG in der Fassung des Art. 3 Nr. 18 des mit Wirkung ab 1. Oktober 1953 in Kraft getretenen Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20. August 1953 (Bundesgesetzblatt 1953 I S. 952, 962) eine neue Rechtslage geschaffen worden sei. Eine dem § 114a ZVG entsprechende Regelung war bereits im § 3 der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung (ZwangsvollstrVO) vom 26. Mai 1933 (Reichsgesetzblatt 1933 I S. 302) enthalten. Durch die Regelung im Gesetz vom 20. August 1953 wurde lediglich die Vorschrift des § 3 ZwangsvollstrVO, die nur für krisenhafte wirtschaftliche Verhältnisse gedacht war, in einen dauernden Schutz zugunsten des Vollstreckungsschuldners umgewandelt. Siehe dazu die Regierungsbegründung zum Entwurf des späteren Gesetzes vom 20. August 1953 (Bundestagsdrucksache Nr. 3668 vom 5. September 1952, S. 16/17).
Es kann nicht angenommen werden, daß dem Gesetzgeber beim Erlaß des GrEStG die damalige Regelung im § 3 ZwangsvollstrVO unbekannt war, zumal im § 9 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2, im § 9 Abs. 2 Satz 2 und im § 11 Abs. 1 Ziff. 4 Satz 2 GrEStG 1940, vielleicht sogar in Anlehnung an die Vorschrift des § 3 ZwangsvollstrVO, ähnliche Regelungen getroffen wurden. Die im Streitfall anwendbare Vorschrift des § 11 Abs. 1 Ziff. 4 Satz 2 GrEStG 1940 lautet:
"Hat ein zur Befriedigung aus dem Grundstück berechtigter Grundpfandgläubiger das Meistgebot abgegeben, so ist auch der durch dieses Gebot nicht gedeckte Anspruch des Meistbietenden hinzuzurechnen, soweit die Gesamtleistung den Wert des Grundstücks (§ 12) bei der Abgabe des Meistgebots nicht übersteigt."
Allerdings dienen diese Vorschriften nicht dem Schutz des Vollstreckungsschuldners, der bei der Grunderwerbsteuer nicht schutzbedürftig ist, da er nicht als Steuerschuldner behandelt wird (siehe § 15 Ziff. 4 GrEStG). Die Regelung hat den Zweck, die Besteuerung in den Fällen zu regeln, in denen der Grundstückserwerb für den das Grundstück erwerbenden Pfandgläubiger ein gutes Geschäft ist, oder die Steuerbefreiung nach § 9 GrEStG in den Fällen zu umgrenzen, in denen ein Pfandgläubiger das Grundstück zur Rettung seines Pfandrechts erwirbt. Demgemäß ist die Regelung im GrEStG auf den Grundpfandgläubiger beschränkt, während § 3 ZwangsvollstrVO (jetzt § 114a ZVG) auf jeden zur Befriedigung aus dem Grundstück berechtigten Erwerber, insbesondere auch auf einen persönlichen Gläubiger, anwendbar ist (siehe Jonas-Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 16. Aufl. 1954, S. 286). Die Regelung im GrEStG unterscheidet sich von der des § 3 ZwangsvollstrVO (jetzt) § 114a ZVG) außerdem dadurch, daß die Hinzurechnung nicht nur bis zu sieben Zehnteilen, sondern bis zur vollen Höhe des Grundstückswerts vorgeschrieben ist, während andererseits als Wert des Grundstücks nicht der vom Zwangsversteigerungsgericht festgesetzte Wert (siehe Jonas-Pohle a. a. O. S. 287), sondern der Einheitswert maßgebend ist (siehe den Hinweis auf § 12 GrEStG in den oben erwähnten Vorschriften des GrEStG).
War hiernach die Regelung im GrEStG vom Gesetzgeber des GrEStG 1940 gewollt, so ist ein Anwendungsfall des § 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes ("Dabei sind ... die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen") nicht gegeben. Eine Gesetzeslücke, die geschlossen werden müßte, ist nicht vorhanden. Daß sich die Vorschrift des § 11 Abs. 1 Ziff. 4 Satz 2 GrEStG im Streitfall für die Bfin. ungünstiger auswirkt als die des § 114a ZVG, vermag der Senat, der an das Gesetz gebunden ist, im Wege der Rechtsprechung nicht zu ändern.
Fundstellen
Haufe-Index 409029 |
BStBl III 1958, 228 |
BFHE 1958, 593 |
BFHE 66, 593 |