Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsstätte auch bei freiwilligen Fahrten zum Zwecke der Fortbildung
Leitsatz (NV)
Die Abzugsbeschränkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer seine regelmäßige Arbeitsstätte zum Zwecke eines Arbeitseinsatzes aufsucht. Sie greift auch ein, wenn die regelmäßige Arbeitsstätte freiwillig zum Zwecke der Fortbildung angefahren wird (Parallelentscheidung: BFH-Urteil vom 26. Februar 2003 VI R 30/02, V).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr 1993 als Flugzeugführer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
In der Einkommensteuererklärung für 1993 machte der Kläger neben den Kosten für Fahrten zwischen seiner Wohnung und Arbeitsstätte, dem … Flughafen, auch Fahrtkosten für den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Bei der Berechnung der Fortbildungskosten setzte er für die 22 Fahrten 0,52 DM für jeden Kilometer an.
Die Fortbildungsveranstaltungen fanden in den Betriebsräumen der Arbeitgeberin des Klägers, der X-AG (AG), auf dem … Flughafen statt. Sie waren nicht dienstlich angeordnet, sondern wurden vom Kläger freiwillig während seiner Freizeit durchgeführt; sie umfassten Übungen in der englischen Sprache, Auffrischung der Kenntnisse über Schlechtwetteranflüge und über den Transport von gefährlichen Gütern in Flugzeugen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) sah die Fahrten zu den Fortbildungsveranstaltungen als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte an und berücksichtigte bei der Ermittlung der Fahrtkosten nur den Pauschbetrag des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von 0,65 DM pro Entfernungskilometer. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klage hatte ―auch hinsichtlich eines anderes Streitpunkts (Anerkennung von Trinkgeldern als Werbungskosten)― Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen zur Begründung aus, der Kläger könne die tatsächlichen Kraftfahrzeugkosten oder ―wie im Streitfall beantragt― den Kilometersatz des Abschn. 38 Abs. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 1993 (LStR 1993) in Höhe von 0,52 DM geltend machen. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, der als lex specialis die Anwendung der Grundnorm des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ausschließe, stehe dem nicht entgegen. Bei den Fahrten des Klägers handele es sich nicht um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, so dass die Abzugsbeschränkung nicht eingreife. Der Kläger habe seine Arbeitsstätte nicht aufgesucht, um seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung nachzukommen, sondern um sich freiwillig und ohne Weisung seiner Arbeitgeberin fortzubilden.
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG sei nur anwendbar, wenn die Arbeitsstätte zum Zweck eines Arbeitseinsatzes angefahren werde. Zwar folge dies nicht unmittelbar aus Nr. 4 Satz 1 dieser Regelung, weil dort ganz allgemein und ohne Einschränkung die "Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte" genannt seien. Bei der Auslegung sei aber auch Satz 2 zu beachten. Dort seien als Gründe für die Berücksichtigung weiterer Fahrten "ein zusätzlicher Arbeitseinsatz außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" oder eine "Arbeitszeitunterbrechung" von bestimmter Dauer genannt. Dies lasse den Schluss zu, dass als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur diejenigen zu werten seien, die zum Zwecke eines Arbeitseinsatzes unternommen würden.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der das FA die Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in seinem Urteil vom 18. Januar 1991 VI R 132/86 (BFHE 163, 363, BStBl II 1991, 408) klargestellt, dass § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG die Anwendung der gesetzlichen Pauschbeträge für die Fahrten mit dem eigenen Kraftwagen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht von weiteren Voraussetzungen, etwa der Erbringung einer Arbeitsleistung, abhängig mache. Die Arbeitsstätte müsse lediglich aus beruflichen Gründen von der Wohnung aus aufgesucht werden. Diese Voraussetzung sei vorliegend erfüllt. Der Kläger habe seine Arbeitsstätte aufgesucht, um sich in seinem ausgeübten Beruf fortzubilden. Bei Fortbildungsmaßnahmen könne nicht darauf abgestellt werden, ob die Fortbildungsmaßnahme vom Arbeitgeber angeordnet werde oder vom Arbeitnehmer auf freiwilliger Basis erfolge. Es könne insoweit nur eine einheitliche Berücksichtigung als Werbungskosten in Betracht kommen. Außerdem habe der Gesetzgeber aus steuer- und verkehrspolitischen Gründen sowie zwecks Verwaltungsvereinfachung sämtliche beruflich veranlassten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG erfassen wollen.
Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit weitere Fahrtkosten für den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen als Werbungskosten berücksichtigt worden sind.
Der Kläger tritt der Revision entgegen und beantragt, die Revision zurückweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Änderung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage, soweit (weitere) Fahrtkosten für den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen betroffen sind (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Das FG hat die Abzugsbeschränkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG zu Unrecht nicht angewandt. Bei den Fahrten, welche der Kläger freiwillig zum Zwecke der Fortbildung unternommen hat, handelt es sich um Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte im Sinne dieser Vorschrift. Die Fahrtkosten waren dementsprechend zu kürzen. Zur Begründung im Einzelnen wird auf das Urteil vom 26. Februar 2003 VI R 30/02 Bezug genommen.
Fundstellen