Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Anwendung des § 68 FGO a.F. im Rechtsstreit über die Herabsetzung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen
Leitsatz (NV)
- § 68 FGO a.F. ist anwendbar, wenn beide Bescheide "dieselbe Steuersache", d.h. dieselben Beteiligten und denselben Besteuerungsgegenstand betreffen. Beide Bescheide müssen lediglich einen (zumindest teilweise) identischen Regelungsbereich haben. Zwischen der Festsetzung von Vorauszahlungen und der anschließenden Jahressteuerfestsetzung besteht ein die Anwendung des § 68 FGO a.F. rechtfertigender sachlicher Zusammenhang.
- Lehnt das Finanzamt die Herabsetzung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen ab und setzt es anschließend die Einkommensteuer für das Kalenderjahr fest, kann in entsprechender Weise ein sachlicher Zusammenhang zwischen beiden Verwaltungsakten vorliegen.
- Der Anwendung des § 68 FGO a.F. steht nicht entgegen, dass es sich bei der Klage auf Herabsetzung von Vorauszahlungen um ein Verpflichtungsbegehren handelt, während die gegen den Jahressteuerbescheid gerichtete Klage eine Anfechtungsklage ist.
Normenkette
FGO § 68
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Friseurmeister. Mit Vertrag vom 19. August 1996 übertrug er seinen Friseurbetrieb zum 1. September 1996 auf N, den er im November 1996 adoptierte. In dem "Betriebsübergabevertrag" heißt es unter 3. u.a.:
"Die Übertragung erfolgt unentgeltlich. Jedoch wird dem Übergeber an dem übertragenen Unternehmen eine stille Beteiligung eingeräumt; für das dadurch begründete Rechtsverhältnis zwischen dem Übergeber und dem Übernehmer gelten die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches über die stille Gesellschaft entsprechend.
Dabei wird zugunsten des Übergebers eine Einlage mit einem Betrag von 140 000 DM zum Übertragungsstichtag eingebucht …
Die Übertragung erfolgt im Wege vorweggenommener Erbfolge."
Mit Schreiben vom 3. Februar 1997 lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) den Antrag des Klägers, die Einkommensteuervorauszahlungen für das IV. Quartal 1996 wegen der Betriebsübergabe auf null DM festzusetzen, ab. Das FA begründete dies damit, dass von einer entgeltlichen Geschäftsübertragung auszugehen und ein Veräußerungsgewinn zu versteuern sei. Der Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid blieb erfolglos. Während des Klageverfahrens erließ das FA für das Streitjahr 1996 am 30. Dezember 1998 den Jahreseinkommensteuerbescheid. Es setzte die Einkommensteuer auf … DM unter Ansatz eines Veräußerungsgewinns in Höhe von … DM fest. Unter "Erläuterungen" heißt es in dem Bescheid:
"Dieser Bescheid ändert den mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 17. Dezember 1997 über die Ablehnung des Antrags auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen für das 4. Quartal 1996."
Unter "Ergänzung zur Rechtsbehelfsbelehrung" ist vermerkt:
"Sie können innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Bescheids beim Finanzgericht beantragen (§ 68 der Finanzgerichtsordnung), diesen Bescheid zum Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens zu machen; ein Einspruch erübrigt sich dann. Wird weder Einspruch eingelegt noch der Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung gestellt, wird mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist ihre Klage unzulässig."
Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid fristgerecht Einspruch ein. Gleichzeitig stellte er mit Schriftsatz vom 13. Januar 1999 "vorsorglich" im laufenden Klageverfahren den Antrag, den Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Am 13. Juli 1999 teilte der zuständige Berichterstatter den Beteiligten mit:
"…geht der Senat entsprechend der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 19. Juli 1996 (BFH/NV 1997, 27; Az. I B 110/95) davon aus, dass das Einspruchsverfahren subsidiär zu dem Verfahren ist, in dem der Antrag nach § 68 FGO gestellt wird. Das finanzgerichtliche Verfahren ist also fortzuführen."
Daraufhin nahm der Kläger seinen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1996 zurück.
Nach einem Wechsel in der Zuständigkeit teilte der Vorsitzende des Senats des Finanzgerichts (FG) den Beteiligten mit Schreiben vom 7. November 2001 mit, dass erhebliche Bedenken beständen, ob der Einkommensteuerbescheid den ablehnenden Bescheid vom 3. Februar 1997 i.S. des § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ändere oder ersetze.
Im Klageverfahren vor dem FG beantragte der Kläger, den im Einkommensteuerbescheid 1996 angesetzten Veräußerungsgewinn bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe von … DM außer Betracht zu lassen, hilfsweise, für den Fall der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, festzustellen, dass die Klage bis zur Erledigung der Hauptsache begründet gewesen sei.
Das FG verwarf die Klage "wegen Einkommensteuer für das IV. Quartal 1996" als unzulässig.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 68 FGO a.F.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und nach den erstinstanzlichen Klageanträgen zu entscheiden.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen. Der nach Klageerhebung ergangene Einkommensteuerbescheid 1996 hat den Bescheid des FA vom 3. Februar 1997 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung i.S. von § 68 FGO a.F. ersetzt.
1. Nach § 68 Satz 1 FGO a.F. wird, wenn der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt wird, dieser auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Ein solcher Antrag ist nach § 68 Satz 2 FGO a.F. innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsakts zu stellen. Hierauf ist in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen (§ 68 Satz 3 FGO a.F.). Der Antrag ist auch bei einer Verpflichtungsklage zulässig (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. November 2001 IV R 66/99, BFH/NV 2002, 524, m.w.N.).
Mit dem Erlass des Einkommensteuerbescheids für 1996 ist dieser Bescheid entsprechend § 68 FGO a.F. an die Stelle des angegriffenen Bescheids vom 3. Februar 1997 getreten.
a) Die Begriffe "ändern" und "ersetzen" sind ―entsprechend dem Sinn und Zweck des § 68 FGO, nach Möglichkeit ein erneutes Verfahren zu vermeiden― weit auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 9. September 1986 VIII R 198/84, BFHE 147, 463, BStBl II 1987, 28). Welche Bedeutung den Begriffen nach den allgemeinen abgabenrechtlichen Verfahrensvorschriften zu Grunde zu legen ist, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend (vgl. BFH-Urteil vom 17. April 1991 II R 142/87, BFHE 164, 11, BStBl II 1991, 527). § 68 FGO verlangt keine inhaltliche Einwirkung des ersetzenden oder ändernden Bescheids auf den ursprünglichen Bescheid. Die Vorschrift ist vielmehr schon dann anwendbar, wenn beide Bescheide "dieselbe Steuersache", d.h. dieselben Beteiligten und denselben Besteuerungsgegenstand betreffen. Die beiden Verwaltungsakte müssen lediglich einen (zumindest teilweise) identischen Regelungsbereich haben, damit es zu einem Austausch des Verfahrensgegenstandes kommen kann (BFH-Urteil vom 8. Februar 2001 VII R 59/99, BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506).
b) Nach der Rechtsprechung des BFH zu § 68 FGO a.F. besteht zwischen der Festsetzung von Vorauszahlungen und der anschließenden Jahressteuerfestsetzung ein die Anwendung der Vorschrift rechtfertigender sachlicher Zusammenhang (vgl. Urteile vom 12. Juli 1988 IX R 149/83, BFHE 154, 93, BStBl II 1988, 942; vom 3. Dezember 2002 IX R 71/00, BFH/NV 2003, 600, zur Einkommensteuer; in BFHE 147, 463, BStBl II 1987, 28, zur Gewerbesteuer; vom 21. Februar 1991 V R 130/86, BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465; vom 15. Juni 1999 VII R 3/97, BFHE 189, 14, BStBl II 2000, 46; vom 4. November 1999 V R 35/98, BFHE 190, 67, BStBl II 2000, 454, zur Umsatzsteuer; anderer Ansicht Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 68 Rz. 30, 75; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 68 FGO Rz. 13; Kühn/ Hofmann, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 68 FGO Rz. 4). Die Jahressteuerfestsetzung löst danach die auf Vorauszahlungsbescheiden beruhende Festsetzung für die Voranmeldungszeiträume ab und "ersetzt" sie auf diese Weise (Senatsentscheidung vom 23. Juni 1993 X B 134/91, BFHE 172, 9, BStBl II 1994, 38).
c) Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest, soweit, wie hier, die Anwendung des § 68 FGO a.F. betroffen ist. Die nach seiner Auffassung berechtigte Frage, ob die Rechtslage wegen der Änderung der Vorschrift durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) nunmehr anders zu beurteilen ist (bejahend Tipke/Kruse, a.a.O.; verneinend für die Umsatzsteuer BFH-Beschluss vom 22. Oktober 2003 V B 103/02, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2004, 142), stellt sich deshalb nicht. Der ursprünglich angefochtene Bescheid vom 3. Februar 1997 und der Jahressteuerbescheid für 1996 haben einen identischen Regelungsbereich, soweit es um die Frage der Versteuerung eines Veräußerungsgewinns geht. Denn das FA hat die vom Kläger beantragte Herabsetzung der Vorauszahlungen für das IV. Quartal 1996 mit Hinweis auf die nach seiner Auffassung zu berücksichtigende Versteuerung eines Veräußerungsgewinns abgelehnt. An dieser Auffassung hat das FA im nachfolgenden Jahressteuerbescheid festgehalten und einen Veräußerungsgewinn bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb des Klägers angesetzt. Das Ersetzungsverhältnis zwischen den beiden Bescheiden hat sich in den Erläuterungen zum Jahressteuerbescheid niedergeschlagen, indem das FA ausdrücklich erklärt hat, dass der Jahressteuerbescheid den mit der Klage angefochtenen Bescheid ändert.
Entgegen der Auffassung des FG steht der Anwendung des § 68 FGO in diesem Fall nicht entgegen, dass es sich bei der Klage auf Herabsetzung der Vorauszahlungen um ein Verpflichtungsbegehren handelt, während die gegen den Jahressteuerbescheid gerichtete Klage eine Anfechtungsklage ist. Der Zweckbestimmung des § 68 FGO a.F. entsprechend ist für die Anwendung der Vorschrift allein entscheidend, ob der angefochtene ursprüngliche und der neue Bescheid "dieselbe Steuersache" betreffen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 20. Mai 1994 VI R 105/92, BFHE 175, 3, BStBl II 1994, 836).
2. Die Sache ist nicht spruchreif, weil das FG ―von seinem Standpunkt aus zutreffend― keine Feststellungen getroffen hat, die eine Sachentscheidung ermöglichen. Sie ist daher an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1178756 |
BFH/NV 2004, 1287 |