Leitsatz (amtlich)
Ein Wirtschaftsgut (hier Straßenleuchte) ist einer selbständigen Nutzung im Sinne des § 6 Abs. 2 EStG fähig, wenn es ohne wesentliche Veränderung aus seinem bisherigen Nutzungszusammenhang herausgelöst werden kann und in einem anderen Nutzungszusammenhang funktionsfähig bleibt.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein Energieversorgungsunternehmen. Sie hat mit zahlreichen Gemeinden ihres Versorgungsgebiets Straßenbeleuchtungsverträge abgeschlossen. Die ihr gehörigen Straßenleuchten (Pilz-, Peitschen-, Platz-, Parkleuchten, Straßenbleuchtungsausleger) sind in verschiedener Weise an das Netzkabel angeschlossen: 1. Vom Netzkabel führt ein besonderes Beleuchtungskabel von Leuchte zu Leuchte. Hinter der Abnahmestelle angebrachte Schaltuhren oder Fotoschalter setzen das Beleuchtungskabel unter Spannung oder nehmen die Spannung fort. 2. Vom Netzkabel führen Anschlußkabel zu der einzelnen Leuchte. Jede Leuchte enthält ein Tonempfängerrelais, das von einer zentralen Steuerungsanlage aus betätigt wird und den Spannungsweg zur Leuchte freigibt oder abschaltet. 3. Einzelanschluß wie zu 2., der zentrale Impuls wird jedoch über eine Schaltuhr oder einen Fotoschalter in einen Beidraht gegeben, der neben dem Netzkabel und den Anschlußkabeln verläuft.
Die Klägerin schrieb ab 1963 den Aufwand für neue Straßenleuchten, soweit er 600 DM nicht überstieg, gemäß § 6 Abs. 2 EStG (in der bis zum 31. Dezember 1964 geltenden Fassung) in voller Höhe ab. Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) verneinte nach einer Betriebsprüfung die selbständige Nutzungsfähigkeit der Straßenleuchten und erhöhte in dem nach § 222 AO berichtigten Körperschaftsteuerbescheid für 1963 das Einkommen entsprechend.
Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG, dessen Urteil in den EFG 1971, 442 veröffentlicht ist, hat ausgeführt: Die Straßenleuchten seien selbständig nutzbar genauso wie sonstige elektrische Geräte, die über einen Steckkontakt oder wie vorliegend mit einer Klemme an das Stromnetz angeschlossen würden. Ohne Bedeutung seien demgegenüber die zentrale Steuerung des Ein- und Ausschaltens, die gleiche Bauart der Leuchten und ihre Aufstellung in gleicher Entfernung. Es bestehe ein Unterschied zu den nicht selbständig nutzungsfähigen Straßenleuchtbändern, die dem Betrachter als Ganzes erschienen. Aufgabe der einzelnen Straßenleuchte sei es, an der Stelle, an der sie stehe, Licht auszustrahlen.
Das FA rügt mit der Revision Verletzung des § 6 Abs. 2 EStG: Die Leuchtstellen könnten nicht mit Elektrogeräten (Tischlampen, Deckenleuchten, u. a. ) verglichen werden. Elektrogeräte würden einzeln genutzt. Die Straßenleuchten seien hingegen Teil der Straßenbeleuchtungsanlage. Sie würden einheitlich gesteuert, seien von gleicher Bauart, würden in ungefähr gleicher Entfernung voneinander aufgestellt und seien durch Beleuchtungskabel usw. fest und auf die Dauer verbunden.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie erwidert: Es könne nicht von einer Anlage gesprochen werden. Die einzelnen Leuchten könnten ausgewechselt werden. Sie seien mit dem Netz nur über eine Klemme verbunden. Die Steuerungsanlage diene auch anderen Zwecken. Nach Verwaltungsauffassung trete die Straßenbeleuchtungsanlage "zumindest eines Straßenzuges, eines Stadtteils oder der Gemeinde" als einheitliches Ganzes in Erscheinung (Erlaß des Hessischen Ministers der Finanzen vom 11. August 1969, DStZ, B - Eildienst - 1969 S. 338). Wenn aber eine Nutzungseinheit angenommen werde, müsse ihr Umfang angegeben werden können. Die Beleuchtung beginne und ende nach den Bedürfnissen des Verkehrs zu unterschiedlichen Zeiten und sei unterschiedlich intensiv. Daraus ergebe sich, daß nicht Stadtteile oder Gemeinden einheitlich beleuchtet würden, sondern jeweils nur der von einer Leuchte ausgestrahlte Platz.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 6 Abs. 2 EStG in der bis zum 31. Dezember 1964 geltenden Fassung konnten Steuerpflichtige unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten von beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die einer selbständigen Bewertung und Nutzung fähig waren, im Jahr der Anschaffung oder Herstellung in voller Höhe als Betriebsausgaben absetzen, wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten 600 DM nicht überstiegen.
Das FG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß jede Straßenleuchte ein bewegliches Wirtschaftsgut des Anlagevermögens ist. Sie ist nicht Teil des Leitungsnetzes, da sie von ihm durch Auflösung der Klemmverbindung abgetrennt werden könnte, ohne daß Netz oder Leuchte zerstört oder in ihrem Wesen verändert würden. Die Leuchte ist trotz Fundamentierung auch nicht Bestandteil des (fremden) Straßengrundstücks, sondern - weil in Ausübung eines Rechts mit dem Grundstück verbunden - nur dessen Scheinbestandteil. Hieraus ergibt sich auch ihre selbständige Bewertungsfähigkeit im Sinne des § 6 Abs. 2 EStG.
Zu Recht hat das FG auch die einzelne Straßenleuchte für selbständig nutzungsfähig gehalten. Dieses Merkmal des § 6 Abs. 2 EStG ist erfüllt, falls das zu beurteilende Wirtschaftsgut nicht Teil eines einheitlichen Ganzen ist (Urteile des BFH vom 16. Dezember 1958 I 286/56 S, BFHE 68, 198, BStBl III 1959, 77; vom 27. März 1963 I 201/62 U, BFHE 76, 837, BStBl III 1963, 304). Der erkennende Senat hat in dem Urteil vom 13. September 1966 I 53/64 (BFHE 86, 799, BStBl III 1966, 692) Transportwagen einer Ziegeleitrockenanlage für selbständig nutzungsfähig gehalten und bereits damals entscheidend darauf abgestellt, daß die Transportwagen ohne wesentliche Veränderung aus der Trockenanlage herausgenommen und in einen anderen Nutzungszusammenhang gestellt werden konnten. Hieran wird festgehalten. Die Abschreibungsfreiheit ist nicht schon zu versagen, wenn das Wirtschaftsgut in eine größere Einheit (Fabrik, Anlage usw.) eingeordnet ist und in diesem Zusammenhang eine dienende Funktion ausübt, sondern nur dann, wenn der Nutzungszusammenhang mit den anderen Wirtschaftsgütern der Einheit, wirtschaftlich gesehen, unauflösbar ist und das Wirtschaftsgut außerhalb dieser Einheit - so der eindeutige Gesetzeswortlaut - einer Nutzung nicht mehr fähig ist. Der Vereinfachungseffekt, der mit § 6 Abs. 2 EStG erreicht werden soll, würde verlorengehen, sollte das Tatbestandsmerkmal der selbständigen Nutzungsfähigkeit zu eng ausgelegt werden (siehe Gutachten der Steuerreformkommission 1971 unter V Tz. 76 ff., Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 17). Soweit der erkennende Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung einen abweichenden Standpunkt eingenommen haben sollte, wird diese Rechtsprechung aufgegeben.
Die einzelne Straßenleuchte kann, wie unstreitig ist, ausgewechselt werden. Auch wenn im Sinne der Verwaltungsauffassung von der Straßenbeleuchtungsanlage eines Stadtteils oder einer Gemeinde gesprochen werden könnte, ergäben sich keine technischen Schwierigkeiten, die Straßenleuchten an ihren Klemmverbindungen abzulösen und sie in das Beleuchtungsgebiet eines anderen Stadtteils oder einer anderen Gemeinde zu versetzen, wobei sie dort ebenso ihre Beleuchtungsfunktion erfüllen könnten. Das gilt zumindest für ein anderes Beleuchtungsgebiet mit gleichartigen Straßenleuchten (Pilz- oder Peitschenleuchten usw.) und gleichartigem Netzkabelanschluß. Dabei ist unerheblich, daß der Fundamentierungssockel der Straßenleuchten nicht versetzbar ist. Ist wie hier die Fundamentierung gegenüber dem versetzbaren, das Wirtschaftsgut charakterisierenden Teil von untergeordneter Bedeutung, wird die selbständige Nutzungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Bei dieser Betrachtungsweise ist es gleichgültig, ob eine Straßenbeleuchtungsanlage mehr vereinheitlichende Momente als eine Raumbeleuchtung aufweist. Schon die Möglichkeit, daß die einzelne Straßenleuchte aus ihrer Straßenbeleuchtungseinheit lösbar ist und in anderen Straßenbeleuchtungseinheiten nutzbar bleibt, begründet die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 2 EStG.
Fundstellen
Haufe-Index 70681 |
BStBl II 1974, 2 |
BFHE 1973, 323 |