Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur unentgeltlichen Überlassung einer Wohnung i. S. von § 21 Abs. 2 Alt. 2 EStG und zur Abziehbarkeit wiederkehrender Leistungen als dauernde Last
Leitsatz (NV)
1. Erhält ein Steuerpflichtiger als Ersatz für einen im Rahmen einer Schenkung vorbehaltenen Nießbrauch ein Nutzungsrecht an einem anderen Wohngrundstück eingeräumt, so muß auch das an die Stelle des Nießbrauchs getretene Nutzungsrecht als unentgeltliches gewertet werden. Infolgedessen ist der Nutzungswert des Ersatzgrundstücks dem unentgeltlich Nutzenden zuzurechnen, während der überlassende Eigentümer mangels Einkunftserzielung keine Werbungskosten geltend machen kann.
2. Der überlassende Eigentümer kann sich mit seinem Begehren nach Abzug von Werbungskosten bei seiner Anfechtungsklage gegen seine Einkommensteuerveranlagung nicht auf Tz. 67 des BMF-Schreibens v. 15. 11. 1984 (IV B 1 - S 2253 - 139/84 - BStBl I 1984, 561) berufen, da diese Übergangsregelung eine Billigkeitsmaßnahme i. S. von § 163 Abs. 1 und § 227 AO 1977 enthält, deren Berücksichtigung im Verfahren zur Überprüfung einer Steuerveranlagung den Gerichten seit dem Inkrafttreten der AO 1977 verwehrt ist.
3. Damit wiederkehrende Leistungen an einen potentiell Unterhaltsberechtigten als dauernde Last nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1971 abgezogen werden können, muß ein außerhalb des gesetzlichen Unterhaltsverhältnisses bestehender besonderer Verpflichtungsgrund vorliegen. Im Falle eines ihn begründenden Vertrags unter nahen Familienangehörigen müssen die gegenseitigen Rechte und Pflichten klar und eindeutig vereinbart und auch durchgeführt sein.
Normenkette
EStG 1971 § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Nr. 2, § 21 Abs. 2 Alt. 2; AO 1977 § 163 Abs. 1, § 227
Verfahrensgang
Tatbestand
Die verheiratete Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erhielt von ihrer Mutter mit notariellem Vertrag vom 12. Februar 1960 ein Mietwohngrundstück unter Vorbehalt eines lebenslänglichen Nießbrauchs geschenkt. Ihre Mutter bewohnte eine Wohnung des Miethauses. Soweit die aus dem Grundstück gezogenen Erträge nicht für ihren Lebensunterhalt ausreichten, unterstützte die Klägerin sie.
Die Klägerin ließ im Jahre 1968 den Nießbrauch im Einverständnis mit ihrer Mutter löschen und veräußerte das Grundstück. Im selben Jahr erwarb sie die Eigentumswohnungen Nr. 1 und Nr. 18, die in diesem Jahr bezugsfertig wurden. Sie überließ die Eigentumswohnung Nr. 1 ihrer Mutter zum Wohnen, während sie die Eigentumswohnung Nr. 18 im eigenen Namen vermietete und auch die Miete im eigenen Namen vereinnahmte. Die Bestellung eines Nießbrauchsrechts zugunsten der Mutter an den beiden Eigentumswohnungen war zwar beabsichtigt, unterblieb aber zunächst auf deren Wunsch.
Am 10. Dezember 1972 gab die Klägerin folgende schriftliche Erklärung gegenüber ihrer Mutter ab:
,,Ich habe von meiner Mutter . . . am 12. 2. 1960 das ursprüngliche Einfamilienhaus . . . unter lebenslänglichem Nießbrauchsvorbehalt erhalten. Dieses Grundstück wurde mit Zustimmung meiner Mutter am 13. 8. 1968 verkauft an . . .
Der Kaufpreis wurde zum Erwerb der Eigentumswohnungen . . . Nr. 1 und 18 von . . . verwendet.
Auf ausdrücklichen Wunsch meiner Mutter wurde das Nießbrauchsrecht, das selbstverständlich auf die Wohnungen Nr. 1 und 18 übergegangen ist, nicht in den Wohnungsgrundbüchern eingetragen. Ich räume meiner Mutter das Recht ein, jederzeit die dingliche Eintragung des lebenslänglichen Nießbrauchsrechtes in die Wohnungsgrundbücher zu verlangen."
Im Jahre 1978 wurde ein Nießbrauchsrecht zugunsten der Mutter an den Eigentumswohnungen Nr. 1 und 18 eingetragen.
Die Klägerin trug in den Streitjahren 1972 und 1973 den Lebensunterhalt ihrer Mutter und bezahlte die Kosten für Heizung und Wasser für die von ihrer Mutter genutzte Eigentumswohnung Nr. 1. Die Klägerin kaufte im Jahre 1972 außerdem noch die Eigentumswohnungen Nr. 35 und 36. Nachdem sie die erhöhten Absetzungen nach § 7b des Einkommensteuergesetzes während der Jahre 1968 bis 1971 für die Eigentumswohnungen Nr. 1 und 18 in Anspruch genommen hatte, machte sie sie in den Streitjahren 1972 und 1973 für die Eigentumswohnungen Nr. 35 und 36 geltend.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) rechnete bei seinen Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1972 und 1973 den Nutzungswert der Eigentumswohnung Nr. 1 (5 443 DM) und die Mieteinkünfte der Eigentumswohnung Nr. 18 der Klägerin mangels eines ihrer Mutter wirksam bestellten Nießbrauchsrechts zu. Das FA versagte ihr erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG 1971 (EStG) für die Eigentumswohnungen Nr. 35 und 36 unter Berufung auf den Objektverbrauch. Die Unterhaltsleistungen der Klägerin an ihre Mutter berücksichtigte es nicht in voller Höhe als dauernde Last, sondern als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 1 EStG in Höhe von 1 200 DM.
Mit ihrer Klage begehrten die Kläger, den Nutzungswert der Eigentumswohnung Nr. 1 der Mutter zuzurechnen, der Klägerin erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG für die Eigentumswohnung Nr. 35 von 4 049 DM jährlich zu gewähren und Unterhaltsleistungen von 6 919 DM im Jahre 1972 und von 7 359 DM im Jahre 1973 als dauernde Lasten anzuerkennen.
Das Finanzgericht (FG) gab ihrer Klage statt. Es rechnete den Nutzungswert der Eigentumswohnung Nr. 1 der Mutter der Klägerin zu. Da die Klägerin für die Eigentumswohnung Nr. 1 mangels Zurechenbarkeit des Nutzungswerts keine erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG beanspruchen könne, ständen ihr diese für die Eigentumswohnung Nr. 35 zu. Einen Objektverbrauch infolge der Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen für die Eigentumswohnungen Nr. 1 und 18 während der Jahre 1968 bis 1971 anzunehmen, würde gegen das Prinzip der Abschnittsbesteuerung und gegen die materielle Steuergerechtigkeit verstoßen. Der besondere Verpflichtungsgrund für die Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen an die Mutter der Klägerin als dauernde Last ergebe sich aus einer Vereinbarung zwischen der Klägerin und ihrer Mutter. Nach den Gesamtumständen des Falles habe die Mutter auf ihr früheres Nießbrauchsrecht an dem Mietwohngrundstück verzichtet und als Gegenleistung von der Klägerin die Eigentumswohnung Nr. 1 zur Nutzung überlassen und eine Versorgung versprochen erhalten. Wirtschaftlich gesehen seien im Zuge des Verkaufs des Mietwohngrundstücks und der Anschaffung der Eigentumswohnungen Nr. 1 und 18 die der Versorgung der Mutter dienenden Objekte ausgewechselt worden.
Das FA rügt mit seiner vom FG zugelassenen Revision Verletzung des § 7b, des § 10 Abs. 1 Nr. 1 und des § 21 EStG. Der von der Klägerin begehrte Objektwechsel bei den erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG sei unzulässig. Für die Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen der Klägerin an ihre Mutter als dauernde Last fehle es an einer klaren und eindeutigen Vereinbarung, wie sie unter nahen Familienangehörigen erforderlich sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Beteiligten gehen nunmehr mit dem FG zutreffend davon aus, daß der Nutzungswert der von der Mutter der Klägerin bewohnten Eigentumswohnung Nr. 1 nicht bei der Klägerin, sondern bei ihrer Mutter anzusetzen ist.
Nach § 21 Abs. 2, 2. Alternative EStG gehört zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch der Nutzungswert einer dem Steuerpflichtigen ganz oder teilweise unentgeltlich überlassenen Wohnung. Überläßt der Eigentümer die Wohnung in der Weise, daß der Nutzende sie aufgrund einer gesicherten Rechtsposition innehat, so hat der Nutzende den Nutzungswert zu versteuern. Eine gesicherte Rechtsposition ist gegeben, wenn der Eigentümer dem Nutzenden den Gebrauch der Wohnung für eine festgelegte Zeit nicht entziehen kann. Diese Rechtsposition kann der Nutzende auch durch ein schuldrechtliches Nutzungsrecht erlangen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1983 VIII R 215/79, BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366; VIII R 184/83, BFHE 140, 203, BStBl II 1984, 371; vom 30. Oktober 1984 IX R 2/84, BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610, und vom 30. Juli 1985 VIII R 71/81, BFHE 144, 376, BStBl II 1986, 327).
Die vorstehenden Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall in der Person der Mutter erfüllt. Die Mutter nutzte die Eigentumswohnung Nr. 1 aufgrund einer gesicherten Rechtsposition. Aus der Erklärung der Klägerin vom 10. Dezember 1972, die ihre Mutter zumindest konkludent angenommen hat, läßt sich das Recht der Mutter entnehmen, diese Wohnung lebenslänglich zu nutzen. Die Mutter ist danach berechtigt, die Eigentumswohnung Nr. 1 anstelle ihrer früheren Wohnung in dem verkauften Mietwohnhaus zu bewohnen. Dieses Recht soll ihr lebenslänglich zustehen. Denn die Klägerin hat ihr das Recht eingeräumt, jederzeit die Eintragung eines Nießbrauchs an der Eigentumswohnung Nr. 1 zu verlangen. Ihre Nutzung ist schließlich auch eine unentgeltliche. Da der bei der Schenkung des Mietwohngrundstücks an die Klägerin vorbehaltene Nießbrauch unentgeltlich war (vgl. BFH-Urteile vom 28. Juli 1981 VIII R 124/76, BFHE 134, 130, BStBl II 1982, 378, und vom 5. Juli 1984 IV R 36/81, BFHE 141, 325, BStBl II 1984, 711, Ziff. 2 der Gründe), kann das vereinbarungsgemäß als Ersatz an seine Stelle getretene Nutzungsrecht nicht anders gewertet werden; hiervon geht auch das Schreiben des BMF vom 15. November 1984 (a. a. O., Tz. 26) aus. Der Zurechnung des Nutzungswerts bei der Mutter steht schließlich nach ständiger Rechtsprechung auch nicht § 12 Nr. 2 EStG entgegen (Urteile in BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366, und in BFHE 140, 203, BStBl II 1984, 371).
Ist somit der Nutzungswert der Eigentumswohnung Nr. 1 nicht der Klägerin, sondern ihrer Mutter zuzurechnen, so folgt daraus, daß die Klägerin mangels Einkunftserzielung für die Eigentumswohnung Nr. 1 keine erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG und keine anderen Werbungskosten geltend machen kann (BFH-Urteile vom 7. Dezember 1982 VIII R 166/80, BFHE 139, 23, BStBl II 1983, 660; vom 16. Oktober 1984 IX R 71/84, BFHE 142, 443, BStBl II 1985, 154; vom 6. August 1985 IX R 11/84, BFH/NV 1986, 326; vom 4. Juni 1986 IX R 80/85, BFHE 147, 315, BStBl II 1986, 839). Die Klägerin kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, daß der überlassende Eigentümer im Falle eines vor dem 31. Mai 1981 eingeräumten Nießbrauchs nach Tz. 67 des BMF-Schreibens vom 15. November 1984 (a. a. O.) noch die Absetzungen für Abnutzung (AfA) und andere Werbungskosten entsprechend der früheren Verwaltungspraxis absetzen darf. Diese im Hinblick auf die frühere Verwaltungspraxis ergangene Übergangsregelung enthält eine Billigkeitsmaßnahme i. S. von § 163 Abs. 1 und § 227 der Abgabenordnung - AO 1977 - (vgl. zu Übergangsregelungen der Verwaltung Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 227 AO 1977 Tz. 24). Im Hinblick auf die sich aus § 163 Abs. 1 Satz 3 und § 348 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ergebende Zweigleisigkeit des Veranlagungs- und des Billigkeitsverfahrens ist es den Gerichten seit Inkrafttreten der AO 1977 verwehrt, bei der Überprüfung einer Steuerveranlagung Billigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 28. November 1980 VI R 226/77, BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319; vom 13. März 1985 I R 94/81, BFH/NV 1986, 91).
2. Das angefochtene Urteil war jedoch aufzuheben, weil das FG der Klägerin rechtsfehlerhaft erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG für die Eigentumswohnung Nr. 35 zuerkannt hat. Die Klägerin kann hierfür keine erhöhten Absetzungen infolge Objektsverbrauchs (§ 7b Abs. 6 EStG) beanspruchen. Dies ist unter den Beteiligten nicht mehr im Streit.
3. Außerdem kann das angefochtene Urteil auch deswegen keinen Bestand haben, weil das FG darin Unterhaltsleistungen der Klägerin an ihre Mutter rechtsfehlerhaft als dauernde Last i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG beurteilt hat.
Wiederkehrende Leistungen an einen potentiell Unterhaltsberechtigten sind grundsätzlich nach § 12 Nr. 2 EStG vom Abzug als dauernde Last ausgeschlossen (BFH-Urteile vom 13. Juli 1973 VI R 222/71, BFHE 110, 267, BStBl II 1973, 776, und vom 31. Oktober 1973 VI R 206/70, BFHE 110, 547, BStBl II 1974, 86). Die Anwendbarkeit des § 12 Nr. 2 EStG kann ein Steuerpflichtiger nur ausräumen, indem er dartut, daß seine Zahlungen auf einem besonderen, außerhalb des gesetzlichen Unterhaltsverhältnisses liegenden Verpflichtungsgrund beruhen (BFH-Urteil vom 14. November 1969 VI R 50/68, BFHE 98, 240, BStBl II 1970, 376). Dies ist der Klägerin entgegen der Auffassung des FG nicht gelungen.
Das FG hat bei seiner Annahme eines solchen außerhalb des gesetzlichen Unterhaltsverhältnisses bestehenden besonderen Verpflichtungsgrundes nicht berücksichtigt, daß ein Vertrag, um als besonderer Verpflichtungsgrund beurteilt werden zu können, auch steuerrechtlich anzuerkennen sein muß. Dies setzt unter nahen Familienangehörigen insbesondere voraus, daß die gegenseitigen Rechte und Pflichten klar und eindeutig vereinbart sind (BFH-Urteil vom 28. Januar 1986 IX R 12/80, BFHE 146, 68, BStBl II 1986, 348).
An einer solchen Vereinbarung fehlt es bei den von der Klägerin ihrer Mutter erbrachten Unterhaltsleistungen, deren Abzug als dauernde Last die Klägerin begehrt.
Aus der Erklärung der Klägerin vom 10. Dezember 1972 läßt sich nichts über Unterhaltsleistungen an ihre Mutter dem Grunde und der Höhe nach entnehmen. Es kann für die einkommensteuerrechtliche Beurteilung dahinstehen, ob sich nach den Gesamtumständen des Falles auf einen Verzicht der Mutter auf ihr früheres Nießbrauchsrecht gegen Überlassung der Eigentumswohnung Nr. 1 zur Nutzung und eine Versorgung schließen läßt, wie es das FG angenommen hat. Hieraus einen besonderen Verpflichtungsgrund herzuleiten, wie ihn eine dauernde Last nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG voraussetzt, verbietet der oben angeführte Grundsatz, daß eine Vereinbarung unter nahen Familienangehörigen einkommensteuerrechtlich nur dann anerkannt werden kann, wenn darin die gegenseitigen Rechte und Pflichten klar und eindeutig vereinbart worden sind.
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Fundstellen
Haufe-Index 415107 |
BFH/NV 1987, 712 |