Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Beiträge zu Lebensversicherungen, die aus Vorauszahlungen auf die Lebensversicherung aufgebracht werden, können im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Kreditaufnahme stehen.
2. Die für die Vorauszahlungen gezahlten Zusatzbeiträge sind abzugsfähige Schuldzinsen.
Normenkette
EStG § 10/1
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) schloß im Dezember 1954 zum 1. Dezember 1954 auf das Leben seiner vier Söhne über 30 Jahre laufende Versicherungen ab. Die zu Anfang Dezember 1958 fälligen Prämien zahlte er in der Weise, daß er gemäß § 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sich vom Versicherer eine entsprechende Vorauszahlung geben ließ. Dadurch traten zu den Prämien gewisse Zusatzbeiträge, die beide vom Versicherer voll zur Verfügung gestellt wurden. Im Dezember 1960 ließ der Stpfl. sich erneut 6.200 DM auszahlen, die mit 3.786,20 DM auf die Jahresprämien und die Zusatzbeiträge für die Vorauszahlung 1958 sowie auf die neue Vorauszahlung verrechnet wurden; die überschießenden 2.413,80 DM wurden bar an den Stpfl. ausgezahlt.
In den Einkommensteuererklärungen 1958 und 1960 machte der Stpfl. die aus den Vorauszahlungen gemäß § 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen gedeckten Leistungen an den Versicherer als Sonderausgaben geltend.
Das Finanzamt (FA) lehnte den Abzug unter Hinweis auf die Entscheidung des BFH VII 78/55 U vom 1. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 103, Slg. Bd. 64 S. 268) ab. Es führte aus, wirtschaftlich komme die Gewährung der Vorauszahlungen einer Stundung der Prämien gegen Zinsen gleich; die Prämien und die Zinsen könnten als Sonderausgaben erst berücksichtigt werden, wenn die "Vorauszahlungen" zurückgezahlt und die Zusatzbeiträge tatsächlich entrichtet wurden.
Der Stpfl. meint, die Vorauszahlungen des § 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen seien aus dem für ihn beim Versicherer angesammelten Deckungskapital gezahlt, das nach § 67 Abs. 1 Ziff. 6 BewG a. F. ihm als sein Vermögen zugerechnet werde. Mithin habe er bei den streitigen Zahlungen eigenes Vermögen eingesetzt; er habe keinen Kredit aufgenommen. Der Stpfl. verweist auf das BFH- Urteil VI 11/57 U vom 18. Juli 1958 (BStBl 1958 III S. 376, Slg. Bd. 67 S. 268), betreffend Verfügung eines Angestellten im öffentlichen Dienst über das in einem Versorgungsstock angesammelte Guthaben, sowie auf die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1963 S. 353, nach der die Vorauszahlungen keine Darlehen des Versicherers, sondern endgültige Leistungen aus dem Vertrag seien.
Die Berufung hatte zum Teil Erfolg. Das FG, dessen Entscheidung in EFG 1965 S. 62 veröffentlicht ist, sah in den Zahlungen nach § 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen Darlehen, die den Versicherungsbetrag unberührt ließen und erst bei Fälligkeit des Versicherungsbetrags verrechnet würden. Das FG lehnte den Abzug der Prämien des Jahres 1958 wegen Verstoßes gegen das Kreditverbot ab, während es die Prämien des Jahres 1960 zum Abzug zuließ, weil die Fünfjahresfrist überschritten sei. Die Zusatzbeiträge seien Darlehenszinsen und mithin Sonderausgaben im Sinne von § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG
Gegen diese Entscheidung legte das FA Rb. ein, die nach der FGO als Revision zu behandeln ist. Der Stpfl. schloß sich dem Rechtsmittel des FA an. Die Beteiligten wiederholen ihre früheren Ausführungen.
Entscheidungsgründe
Beide Revisionen sind unbegründet. Beiträge zu Lebensversicherungen sind nach § 10 Abs. 1 vorletzter und letzter Satz EStG nur als Sonderausgaben abzugsfähig, wenn sie nicht in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Aufnahme eines Kredits stehen. Das gilt nicht, soweit die Beiträge nach Ablauf von fünf Jahren seit Vertragsschluss in der ursprünglichen Höhe laufend und gleichbleibend geleistet werden. Der Stpfl. muß also grundsätzlich die abzusetzenden Aufwendungen aus eigenem verfügbarem Vermögen geleistet haben. Siehe dazu z. B. die BFH- Entscheidungen IV 547/54 U vom 5. April 1956 (BStBl 1956 III S. 186, Slg. Bd. 62 S 498), VI 110/56 U vom 24. Mai 1957 (BStBl 1957 III S. 262, Slg. Bd. 65 S. 77), VI 207/58 S vom 5. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 58, Slg. Bd. 68 S. 145), VI 52/60 U vom 3. Februar 1961 (BStBl 1961 III S. 159, Slg. Bd. 72 S. 432) Ausstehende Kundenforderungen und andere Außenstände sind keine "verfügbaren" Mittel, wie der Senat in seinen Entscheidungen VI 98/60 vom 27. Januar 1961 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961 S. 122) und VI 143/63 vom 11. September 1964 (HFR 1965 S. 61) dargelegt hat.
Dem FG ist darin zu folgen, daß die streitigen Prämien mit der Aufnahme eines Kredits im Zusammenhang stehen. Nach § 7 Abs. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen können nach Zahlung von zwei Jahresbeiträgen bis zu einer gewissen Höhe "Vorauszahlungen auf die Versicherung gewährt werden, wodurch sich alle Verpflichtungen des Versicherers um den im voraus gezahlten Betrag verringern". Liest man nur diesen § 7 Abs. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, so könnte man allerdings glauben, daß in Höhe der Vorauszahlungen die Fälligkeit der Versicherungssumme vorverlegt und diese endgültig beglichen werde, so daß das Versicherungsverhältnis nur noch über den Restbetrag lautet. Aber in Abs. 2 wird dagegen gesagt, daß von dem Tage der Vorauszahlung ab "außer dem laufenden Beitrag", d. h. dem ursprünglichen, unveränderten Prämienbetrag, "ein nicht gewinnberechtigter Zusatzbeitrag zu zahlen" sei der zu verzinsen ist. Weiter heißt es in Abs. 3, a. a. O.: "Kündigt der Versicherer wegen Nichtzahlung der Zusatzbeiträge, so erlischt derjenige Teil der Versicherung, dessen Rückvergütung der gewährten Vorauszahlung nebst Rückständen an Zusatzbeiträgen, Zinsen und Kosten gleichkommt". Nach § 7 Abs. 4 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen hat der Versicherungsnehmer das Recht, zu jedem Prämientermin den im voraus empfangenen Betrag ganz oder zum Teil zurückzuzahlen. Dem entsprechen die Abrechnungen des Versicherers über die einzelne "Vorauszahlung (Policen- Beleihung)": Die Vorauszahlung ist mit 6,5 bzw. 6,75 % "zu verzinsen, bis sie zurückgezahlt oder an einer Leistung aus der Versicherung verrechnet wird". Aus diesen Vereinbarungen insgesamt konnte das FG rechtlich einwandfrei folgern, daß die Vorauszahlungen aus § 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen verzinsliche Darlehen seien. Der Versicherungsvertrag als solcher bleibt in vollem Umfang bestehen; der Darlehnsvertrag läuft rechtlich und wirtschaftlich selbständig daneben. Daran ändert es nichts, daß zwar der Versicherungsnehmer (Darlehnsempfänger) zu jedem Beitragstermin die Vorauszahlungen ganz oder zum Teil zurückzahlen darf, insoweit also ein Kündigungsrecht hat, daß aber der Versicherer (Darlehnsgeber) bei pünktlicher Zahlung durch den Versicherungsnehmer kein Recht zur Kündigung hat. Bei Darlehen kann vertragsmäßig der Kündigungsausschluß auf Zeit vereinbart werden (Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB - BGB-RGRK -, 11. Aufl., § 609 Anm. 1 und 3). Waren aber die Vorauszahlungen Darlehen, so waren die daraus herrührenden Beträge beim Stpfl. fremde, durch Kreditaufnahme beschaffte Mittel.
Dem FG ist auch darin beizutreten, daß die Kreditaufnahme vom Dezember 1968 steuerunschädlich ist, weil zu dieser Zeit der Vertragsabschluß schon über fünf Jahre zurücklag und die Beiträge zu den Lebensversicherungen seitdem unverändert geblieben waren. Die Zinsen auf die selbständig daneben bestehenden Darlehen haben nichts damit zu tun.
Was der Stpfl. gegen die Kreditaufnahme vorbringt, greift nicht durch. Das gilt zunächst von dem Hinweis auf § 67 Abs. 1 Ziff. 6 BewG, wonach noch nicht fällige Ansprüche aus Lebens- und Kapitalversicherungen zum steuerpflichtigen Vermögen gehören. Wie dargelegt, stehen Forderungen verfügbaren Mitteln nicht gleich; mit Forderungen können Barverpflichtungen nicht erfüllt werden. Der Stpfl. irrt zudem, wenn er von "seinem bei der Versicherungsgesellschaft angesammelten Deckungskapital" und insoweit von "eigenem" Vermögen spricht. Allerdings bestehen nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) für die Deckungsrücklage bei der Lebensversicherung besondere Vorschriften z. B. über Anlage und Verwaltung des Deckungsstocks (Prämienreservefonds) - § § 66 bis 69 VAG -; über ihn wacht ein Treuhänder (§ § 70 bis 75 VAG); im Konkurs des Versicherers haben die Versicherten Anspruch auf eine Art abgesonderter Befriedigung aus dem Deckungsstock (§ 77 VAG). Aber das ändert nicht daran, daß der Deckungsstock Vermögen des Versicherers ist und den Zweck hat, Ansprüche der Versicherten, wie es ja auch in § 67 Abs. 1 Ziff. 6 BewG heißt, sicherzustellen. Darin liegt der Unterschied gegenüber dem Versorgungsstock der Angestellten im öffentlichen Dienst (siehe dazu die "Richtlinien für die Alters- und Hinterbliebenenversorgung" Anlage D zu § 16 der Allgemeinen Tarifforderung für Angehörige des öffentlichen Dienstes vom 30. April 1938, Reichshaushalts- und Besoldungsblatt 1938 S. 121, 135). In dem vom Stpfl. angezogenen Urteil VI 11/57 U (a. a. O.) hat der Senat ausgeführt, daß dem Arbeitnehmer an dem Versorgungsstock unmittelbare Rechte zustehen; insbesondere hat der Stpfl. nach § 25 der Richtlinien einen wesentlichen Einfluß auf die Anlage des Vermögens. § 25 Abs. 2 (a. a. O.) besagt z. B., daß der gesicherte Arbeitnehmer "zu Lasten des Versorgungsstocks eine Lebens- oder Leibrentenversicherung eingehen" kann. Eine solche Einflußnahme hat der Versicherte auf den Deckungsstock des Versicherers nicht.
Der Senat tritt den gegenteiligen Ausführungen des FG Münster (a. a. O.) nicht bei. Das FG Münster betrachtet die Vorauszahlungen nach § 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht als Darlehen, weil keine Rückzahlungsverpflichtung bestehe. Das trifft aber nicht zu. Zwar kann der Versicherer, wie ausgeführt, bei pünktlicher Zahlung des Versicherungsnehmers das Darlehen nicht kündigen. Eine Tilgung des Darlehens ist aber vorgesehen, sei es durch tatsächliche Zahlung des Versicherungsnehmers oder durch Aufrechnung des Versicherers mit einer Leistung aus der Versicherung. Dem entspricht es, daß bis zu dieser Zeit der Schuldbetrag zu verzinsen ist.
Schließlich ist der angefochtenen Entscheidung auch darin beizutreten, daß die Zusatzbeiträge Darlehnszinsen und damit Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG sind, so daß sie in beiden Jahren abgesetzt werden können. Für den Abzug von Zinsen spielt die Kreditaufnahme keine Rolle.
Die Ausführungen des FA im Zusammenhang mit der Entscheidung des Senats VI 78/55 U (a. a. O.) gehen fehl. Der damalige Sachverhalt lag insofern anders, als gleichzeitig mit dem auf Zahlung einer Einmalprämie lautenden Versicherungsvertrag ein als Darlehnsvertrag bezeichnetes Abkommen geschlossen worden war; beide Abkommen hingen wirtschaftlich zusammen; der Versicherungsnehmer hatte nur den verhältnismäßig geringen Unterschied zwischen der Einmalprämie und dem Darlehnsbetrag zu zahlen. Im Streitfall handelt es sich um einen Vertrag mit laufenden Beiträgen, die der Stpfl. ganz überwiegend im Laufe der Jahre aus eigenen Mitteln, nicht aus Mitteln des Versicherers aufgebracht hat. Eine wirtschaftliche Koppelung schon bei Vertragsabschluß mit einer Darlehnsabrede über den größten Teil der Prämie bestand hier nicht. Es wird vielmehr, ohne daß der Versicherungsnehmer darauf einen Rechtsanspruch hat (§ 7 Abs. 1 letzter Satz der Allgemeinen Versicherungsbedingungen), im Einzelfall ein Darlehen gegeben, das neben der ungekürzten Prämienzahlung selbständig zu verzinsen ist. Der Versicherungsnehmer kann das Darlehen zurückzahlen und damit seine Zinsverpflichtung beenden. Immer aber laufen die Beiträge zum Versicherungsvertrag unverändert weiter. Die Vorauszahlung vom Dezember 1960 war sogar erheblich höher als der an den Versicherer zu zahlende Betrag; insoweit wurde die "Vorauszahlung" überhaupt nicht zur Verwendung für die Prämien gegeben. Nach alledem hängen die Darlehen der beiden Streitjahre nicht so eng mit den Lebensversicherungsverträgen zusammen, daß man im Sinne der Entscheidung VI 78/55 U (a. a. O.) sagen müßte, daß sich wirtschaftlich hinter der Gewährung der Vorauszahlungen eine Stundung der geschuldeten Prämien verberge, die erst bei der Rückzahlung der Vorauszahlungen tatsächlich entrichtet würden und infolgedessen dann erst als Sonderausgaben abgesetzt werden könnten.
Fundstellen
BStBl III 1966, 421 |
BFHE 1966, 244 |
BFHE 86, 244 |
StRK, EStG:10/1/1 R 89 |
NJW 1966, 2234 |