Leitsatz (amtlich)
Macht der Steuerpflichtige für die drei Jahre eines Betriebsprüfungszeitraums einen Verlustabzug aus Vorjahren (§ 10d EStG) geltend, so bestehen keine Bedenken, daß das FA auch das Bestehen und die Höhe dieses Verlustes in die Prüfung einbezieht.
Normenkette
EStG § 10d; AO § 162 Abs. 10, § 204 Abs. 1; BpO (St) § 4 Abs. 2
Tatbestand
Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) ist Handelsvertreter und betreibt einen Textil-Groß- und Einzelhandel. Er hatte in den Bilanzen des Groß- und Einzelhandelsbetriebes für die Jahre 1962 bis 1964 Verluste ausgewiesen. Diese hatte das FA in den Veranlagungsverfahren 1965 bis 1967 gemäß § 10d EStG antragsgemäß einkommensmindernd berücksichtigt.
Das FA ordnete mit Verfügung vom 6. November 1968 für die Jahre 1965 bis 1967 eine Betriebsprüfung an und teilte mit Schreiben vom 2. Januar 1969 dem Steuerpflichtigen u. a. mit: "Zur Überprüfung des von Ihnen in den Jahren 1965 bis 1967 geltend gemachten Verlustabzuges nach § 10d EStG bitte ich, die Geschäftsbücher und sonstigen Unterlagen der Jahre 1962, 1963 und 1964 bei Fortsetzung der Prüfung dem Prüfer vorzulegen."
Dagegen legte der Steuerpflichtige mit der Begründung Beschwerde ein, die mit der Verfügung angeordnete Erweiterung der Betriebsprüfung verstoße gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 2 BpO(St). Die OFD wies die Beschwerde als unbegründet zurück, da die Besteuerungsgrundlagen der Jahre 1965 bis 1967 wegen des Verlustabzuges nach § 10d EStG nicht ohne Erweiterung des Prüfungszeitraums auf die Jahre 1962 bis 1964 festgestellt werden könnten.
Der Steuerpflichtige erhob Klage mit dem Antrag, unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung der OFD den Prüfungszeitraum gemäß § 4 Abs. 2 BpO(St) auf die Jahre 1965 bis 1967 zu beschränken und führte zur Begründung im wesentlichen aus, das FA habe in den Veranlagungsverfahren über die Jahre 1962 bis 1964 die ausgewiesenen Verluste bereits überprüft. Einwendungen gegen die Bilanzen und Bedenken wegen der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung habe das FA nicht erhoben. Wenn das FA es unterlassen habe, rechtzeitig eine Betriebsprüfung durchzuführen, so dürfe das nicht zur erheblichen finanziellen Benachteiligung für ihn führen.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte aus: Das FA habe mit Recht die Vorlage der Unterlagen für die Jahre 1962 bis 1964 verlangt. Es sei gemäß § 204 Abs. 1 AO verpflichtet, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer wesentlich seien. Es sei anerkannten Rechts, daß die Entscheidung über den Verlustabzug bei der Veranlagung des Jahres getroffen werde, in dem der Verlustabzug sich auswirke. Das FA sei nicht gehalten, vorher die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, wenn dafür kein äußerer Anlaß gegeben sei. Der Steuerpflichtige könne sein Klagebegehren auch nicht auf § 4 Abs. 2 BpO(St) stützen. Hier sei nicht eine Betriebsprüfung angeordnet worden, die über die letzten drei Veranlagungszeiträume zurückreiche - auch die Ansicht der OFD sei insoweit nicht zutreffend -, sondern nur die Vorlage der Unterlagen aus den Jahren 1962 bis 1964, um die Voraussetzungen für den Verlustabzug der Jahre 1965 bis 1967 nachprüfen zu können.
Mit der Revision beantragt der Steuerpflichtige, das Urteil des FG ersatzlos aufzuheben und die Beschränkung des Prüfungszeitraums auf die Jahre 1965 bis 1967 anzuordnen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Mit Recht ist das FG davon ausgegangen, daß das FA nach § 204 Abs. 1 AO berechtigt und verpflichtet ist, von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer wesentlich sind. Für die Bemessung der Steuer der Jahre 1965 bis 1967 sind die vom FA verlangten Unterlagen erforderlich, weil der Steuerpflichtige die in den Jahren 1962 bis 1964 ausgewiesenen Verluste gemäß § 10d EStG abziehen möchte. Da die Entscheidung über den Verlustabzug jeweils erst bei der Veranlagung des Jahres getroffen wird, in dem der Verlustabzug sich auswirkt (vgl. Urteil des BFH I 184/63 vom 12. Januar 1966, BFH 85, 161, BStBl III 1966, 270), ist auch die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung erst im Jahr des Abzugs zu prüfen. Dies kann aber, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, nur im Betrieb des Steuerpflichtigen geschehen. Die angegriffene Anordnung des FA stellt lediglich die gemäß § 162 Abs. 10 AO ohnehin bestehende Verpflichtung des Steuerpflichtigen fest, die für die Ermittlung der Steuerhöhe in den zu prüfenden Jahren 1965 bis 1967 erforderlichen Unterlagen aus den Verlustjahren 1962 bis 1964 vorzulegen.
Der Steuerpflichtige beruft sich auch zu Unrecht auf § 4 Abs. 2 BpO(St), wonach der Prüfungszeitraum nicht über die letzten drei Veranlagungszeiträume zurückreichen solle. Die Vorinstanz sieht in dieser Bestimmung eine Selbstbeschränkung der Finanzverwaltung in dem Sinne, daß Betriebsprüfungen nicht ohne zwingenden Grund über die letzten drei Veranlagungszeiträume hinaus erstreckt werden sollen, und folgert daraus einen Begründungszwang für die Fälle einer weitergehenden Ausdehnung von Betriebsprüfungen. Dem ist insoweit zuzustimmen, als die Finanzverwaltung nicht willkürlich den Betriebsprüfungszeitraum ausdehnen darf und insoweit eine Nachprüfung des Ermessens der Finanzverwaltung ermöglicht wird.
Gegenüber den Ausführungen der Vorinstanz ist aber zu beachten, daß bereits in § 4 Abs. 2 BpO(St) die Voraussetzungen für eine Ausdehnung des Betriebsprüfungszeitraums genau festgelegt sind, die die Annahme einer willkürlichen Ausdehnung mit Recht ausschließen, so für den Fall, daß die Besteuerungsgrundlagen nicht ohne Erweiterung des Prüfungszeitraums festgestellt werden können. Diese Ausnahme ist im vorliegenden Fall gegeben. Die Besteuerungsgrundlagen der für die Betriebsprüfung vorgesehenen Jahre 1965 bis 1967 können wegen des geltend gemachten Verlustabzuges aus den Jahren 1962 bis 1964 nicht ohne Überprüfung auch dieser Jahre festgestellt werden. Selbst wenn daher, wie die OFD meint, in der Aufforderung, die Geschäftsbücher und sonstigen Unterlagen der Jahre 1962 bis 1964 vorzulegen, bereits die Anordnung über die Ausdehnung des Prüfungszeitraums liegt mit der Folge, daß das FA, worauf die OFD hinweist, die Auswertung der dabei festgestellten neuen Tatsachen bei pflichtgemäßem Handeln nicht vermeiden kann, läßt sich in der von dem Steuerpflichtigen beanstandeten Anordnung der Finanzverwaltung kein Ermessensfehler erblicken.
Der Steuerpflichtige ist ferner zu Unrecht der Auffassung, daß mit der sorgfältigen Durchführung der Veranlagung für die Verlustjahre 1962 bis 1964 und den in ihrer Folge verfügten hohen Erstattungen bereits die Verluste dieser Jahre für einen späteren Verlustabzug festgestellt worden seien. Das kann schon deshalb nicht der Fall sein, weil die Voraussetzung einer ordnungsmäßigen Buchführung nur im Betrieb des Steuerpflichtigen überprüft werden kann.
Wenn der Steuerpflichtige erwartet, daß das FA unmittelbar nach Veranlagung der Jahre 1962 bis 1964 eine Betriebsprüfung hätte durchführen sollen, falls es überhaupt eine Überprüfung für erforderlich hielt, so übersieht er, daß bei Veranlagung der Verlustjahre 1962 bis 1964 noch nicht abzusehen war, ob es bei dem Steuerpflichtigen später je zu der Inanspruchnahme des Verlustabzuges kommen würde. Erst nach dessen Geltendmachung für die Jahre 1965 bis 1967 bestand Veranlassung, die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und die Höhe der früheren Verluste zu überprüfen. Daher geht auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen über die verspätete Durchführung von Betriebsprüfungen und über eine etwaige Funktionsunfähigkeit der Finanzverwaltung insoweit ins Leere.
Wenn der Steuerpflichtige schließlich aus der Höhe der Verluste und dem Umfang der durchzuführenden Erstattungen eine Verpflichtung des FA zur alsbaldigen Durchführung einer Betriebsprüfung ableiten will, so ist dem entgegenzuhalten, daß die Höhe der Beträge, deren Erstattung das FA, ohne die Ergebnisse einer etwaigen Betriebsprüfung abzuwarten, verfügt hat, eher für die Kulanz des FA spricht als gegen sie.
Fundstellen
Haufe-Index 69101 |
BStBl II 1970, 714 |
BFHE 1970, 365 |