Leitsatz (amtlich)
Eine Auslagerung im Sinne des § 4 Abs. 4 AbG liegt erst dann vor wenn die Ware körperlich aus dem Lager entfernt wird. Das gilt auch für Massengüter.
Normenkette
AbG § 4 Abs. 4
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte im Jahre 1968 Gerste aus Großbritannien und Hafer aus Polen ein, ließ die Ware zum freien Verkehr abfertigen und nahm sie anschließend in ihr Abschöpfungsaufschublager auf. Die Einfuhr der Ware unterlag gemäß, Art. 1 und 14 der Verordnung (EWG) Nr. 120/67 – VO (EWG) 120/67 – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. 117 vom 19. Juni 1967 und Nr. 174 vom 31. Juli 1967, BZBl 1967 962) der Abschöpfung. Nach § 4 Abs. 4 des Abschöpfungserhebungsgesetzes (AbG) i.d.F. des Änderungsgesetzes (ÄndG) vom 3 August 1964 BGBl I 1964, 569, BZBl 1964, 878) wurde die Höhe der Abschöpfung neu bemessen, als die Waren aus dem Abschöpfungsaufschublager ausgelagert wurden. Als Zeitpunkt der Auslagerung zeigte die Klägerin dem Zollamt (ZA), einer Dienststelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt – HZA –), für die Gerste den 1. August 1968 und für den Hafer den 9. August und 30. August 1968 an. Das ZA bestimmte hiernach den bei der Auslagerung anzuwendenden Abschöpfungssatz.
Eine bei der Klägerin durchgeführte Betriebsprüfung führte jedoch zu dem Ergebnis, daß die Ware nicht in vollem Umfang an den von der Klägerin bezeichneten Tagen aus dem Abschöpfungsaufschublager entfernt worden war. Die Gerste wurde tatsächlich in der Zeit vom 1. bis 19. August, der Hafer in der Zeit vom 9. August bis zum 28. November 1968 aus dem Lager entnommen.
Auf Grund dieser Feststellungen forderte das ZA mit Berichtigungsbescheid vom 29. September 1969 von der Klägerin Abschöpfung und Einfuhrumsatzsteuer nach mit der Begründung, die im Abschöpfungsaufschublager lagernden Waren seien erst dann als in den freien Verkehr entnommen zu behandeln, wenn sie körperlich aus den Lagerstätten entfernt worden seien. Maßgeblich für die Hohe der Abschöpfung sei deshalb die körperliche Entnahme, nicht aber die Abmeldungserklärung gegenüber der Zollstelle. Im Klageverfahren hat das Finanzgericht (FG) Hamburg eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) eingeholt zu der Frage, wie die Bestimmung des Art. 15 der VO (EWG) 120/67, wonach die Abschöpfung zu erheben ist, die am Tage der Einfuhr gilt, im Hinblick auf die deutschen Bestimmungen über Abschöpfungsaufschublager zu verstehen ist. Hierzu hat der EGH mit Urteil vom 15 Dezember 1971 Rs. 35/71 (EGHE 1971, 1083) ausgeführt, maßgebend sei der Abschöpfungssatz des Tages, an dem die Waren ausgelagert werden; die Auslagerung setze die unwiderrufliche Überführung in den freien Verkehr voraus.
Auf Grund dieser Entscheidung hat das FG mit Urteil vom 10. Februar 1972 IV 3/70 S–H (Entscheidungen der Finanzgerichte 1972 S. 467 – EFG 1972, 457 –) die Klage abgewiesen. Das FG führt aus:
Der Begriff Auslagerung könne nur dahin verstanden werden, daß die tatsächliche Entfernung aus dem Lager maßgeblich sei. Das folge aus dem allgemeinen Grundsatz, daß das Zollrecht an den Aufenthalt der Waren und die Warenbewegung anknüpfe. Da Waren in Zollaufschublagern der zollamtlichen Überwachung unterlägen, bedürfe der Übergang der Ware aus dem Aufschublager in den freien Verkehr einer an der Ware selbst in Erscheinung tretenden endgültigen Entscheidung Deshalb würden Anschreibungen und Auslagerungsanzeigen allein diesem Erfordernis nicht gerecht. Mit ihnen wurden nur Auflagen der Lagerzollstelle bei Bewilligung des Aufschublagers, nicht jedoch das gesetzliche Tatbestandsmerkmal der Auslagerung erfüllt.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Revision, mit der die Klägerin erneut geltend macht: Der Begriff Auslagerung verlange keine körperliche Verbringung der Ware aus dem Aufschublager. Es genüge, wenn durch eine Anzeige an die Zollstelle der Wille zur Auslagerung endgültig und unwiderruflich zum Ausdruck gebracht worden sei. Die Bekundung des Auslagerungswillens werde in dem Zeitpunkt wirksam, in dem die Entnahme der Ware aus dem Lager verbucht werde; sie könne nicht widerrufen werden, da sie kein Zollantrag im Sinne des § 11 Abs. 3 ZG sei. Das entspreche der Auffassung des EGH, daß für die Auslagerung die endgültige Überführung in den freien Verkehr erforderlich und ausreichend sei. Die Endgültigkeit der Überführung in den freien Verkehr ergebe sich auch daraus daß die Ware auf der Einfuhrgenehmigung abgeschrieben worden sei und deshalb die Einfuhr außenwirtschaftsrechtlich nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Es sei besonders im Lagerverkehr mit Massengütern geboten, den Begriff Auslagerung in diesem Sinne auszulegen.
Die Klägerin beantragt, unter Änderung des FG-Urteils die Einspruchsentscheidung des HZA sowie den Berichtigungsbescheid des ZA aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Nach seiner Meinung ergeben Wortlaut und Sinnzusammenhang der Lagerbestimmungen des Zollgesetzes und des Abschöpfungserhebungsgesetzes, daß unter der Auslagerung nur die tatsächliche Entfernung der Ware aus dem Lager, nicht aber ein nur buchmäßiger Vorgang verstanden werden kann. Dem hat sich der nach § 122 Abs. 2 FGO dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BdF) angeschlossen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Die Einfuhr der Gerste und des Hafers unterlag gemäß Art. 1 und Art. 14 der VO (EWG) 120/67 und § 1 AbG i. d. F. vom 3. August 1964 der Abschöpfung. Auf diese Abgabe waren gemäß § 2 Abs. 1 AbG die für Zölle geltenden Vorschriften anzuwenden, soweit sich aus der VO (EWG) 120/67 nichts anderes ergab und das Abschöpfungserhebungsgesetz nichts anderes bestimmte.
Für die Erzeugnisse war gemäß § 2 AbG in Verbindung mit § 36 Abs. 1 und 3 ZG bereits bei der ihrer Einlagerung vorausgegangenen Abfertigung zum freien Verkehr mit der Bekanntgabe des Abschöpfungsbescheides eine Abschöpfungsschuld entstanden. Die Höhe dieser Schuld richtete sich nach §§ 3 und 4 AbG.
Die sich an die Abfertigung zum freien Verkehr anschließende Lagerung im Abschöpfungsaufschublager hatte gemäß § 2 AbG und § 46 Abs. 1 ZG nur die Wirkung, daß die Zahlung der auf Grund der Abfertigung zum freien Verkehr geschuldeten Abschöpfung aufgeschoben wurde. Die Höhe der Abschöpfungsschuld wurde jedoch nach § 4 Abs. 4 AbG durch die Auslagerung verändert, wobei es auf deren Zeltpunkt ankam. Das FG hat zu Recht entschieden, daß eine Auslagerung erst dann vorliegt, wenn die Ware körperlich aus dem Lager entfernt wird.
Die Vorschriften des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Zollgesetzes erläutern nicht, was unter dem Begriff „Auslagerung” zu verstehen ist. Deshalb ist der Begriff nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auszulegen.
Der Begriff Auslagerung steht im Zusammenhang mit dem Begriff „Lager”, unter dem das Zollrecht entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch einen räumlich abgegrenzten Bereich, die Lagerstätte, versteht. Die Lagerung beginnt mit der tatsächlichen Überführung der Waren in das Lager. Unter Auslagerung kann nur der entgegengesetzte Vorgang, d. h. die Entnahme der Waren aus dem Lager, verstanden werden. In diesem Sinne wurde der Begriff auch in einzelnen Bestimmungen des Zollgesetzes, insbesondere in § 46 Abs. 10, verwendet. Beide Begriffe, Einlagerung sowie Auslagerung, setzen demnach einen tatsächlichen Vorgang, eine Bewegung der Waren in ihrer körperlicher Substanz, voraus. Buchungsvorgänge können nicht an die Stelle der tatsächlichen Warenbewegung treten, insbesondere kann eine Abbuchung in der Lagerbuchführung nicht die Lagerung beenden. Das ist nur durch körperliche Entfernung der Ware aus dem Lager möglich. Das gilt auch für Massengüter. Es mag sein, daß die als Massengüter in Betracht kommenden vertretbaren Sachen im Rahmen des Lagerverkehrs in der Regel untrennbar vermischt oder vermengt werden, so daß nach §§ 947 und 948 BGB die bisherigen Eigentümer nur noch Anspruch auf die Auslieferung eines Anteils des entstandenen Gesamtvorrates haben (vgl. 419 Abs. 1 und 2 HGB). Auch in diesem Fall kann aber von einer „Auslagerung” der dem Anteil am Gesamtvorrat entsprechenden Ware nur die Rede sein, wenn diese Ware körperlich aus dem Lager entfernt wird.
Legt man diesen Inhalt des Begriffes Auslagerung hier zugrunde, so ergibt sich, daß auch die von der Klägerin abgegebenen Auslagerungsanzeigen die Lagerung nicht beenden konnten. Die nach § 4 Abs. 4 Satz 3 AbG von dem Lagerhalter abzugebende Auslagerungsanzeige war nur eine Erklärung, die den Zweck hatte, die steuerliche Überwachung des Auslagerungsvorgangs, d. h. der tatsächlichen Auslagerung, zu ermöglichen. Eine materiell-rechtliche Bedeutung für die Dauer der Lagerung und für den abgabenrechtlichen Status der eingelagerten Ware kam ihr nicht zu.
Fundstellen
Haufe-Index 514752 |
BFHE 1976, 232 |