Leitsatz (amtlich)
Auch im Geltungsbereich der Verordnung der Britischen Militärregierung Nr. 175 ist gegen die Festsetzung einer Erzwingungsgeldstrafe im Sinne des § 202 AO durch das Finanzamt, auch wenn eine Strafandrohung vorausgegangen ist, das Berufungsverfahren (Anrufen des Finanzgerichts und des Bundesfinanzhofs) zulässig, sofern ein Ermessensmißbrauch bei der Festsetzung der Erzwingungsgeldstrafe behauptet wird.
Normenkette
AO §§ 202, 305 Abs. 2; Verordnung der Brit. Militärregierung Nr. 175 §§ 18, 21
Tatbestand
Der Beschwerdegegner (Bg.) hat in den Veranlagungsabschnitten II/1948 und 1949 gleichzeitig Einkünfte aus mehreren Dienstverhältnissen bezogen, unter anderem als Geschäftsführer eines den Bereich einer Provinz umfassenden Wirtschaftsverbandes. Das Finanzamt forderte ihn daher wiederholt unter Übersendung entsprechender Vordrucke auf, für die genannten Zeiträume Einkommensteuererklärungen abzugeben.
Der Bg. unterließ die Ausfüllung der Vordrucke und machte geltend, seine Gehaltsbezüge hätten bereits dem Lohnsteuerabzug unterlegen, so daß er zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen nicht verpflichtet sei.
Mit Schreiben vom 16. Juli 1951 teilte ihm das Finanzamt ausdrücklich mit, daß er verpflichtet sei, "für die vorgenannten Zeiträume eine Einkommensteuererklärung abzugeben, auch wenn die Einkünfte bereits dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterlegen haben". Er ließ auch diese Aufforderung zur Abgabe der Erklärungen und zur Einreichung der Lohnbescheinigungen unbeachtet.
Das Finanzamt wiederholte mit Verfügung vom 9. Oktober 1951 die Auflage und drohte dem Bg. eine Erzwingungsgeldstrafe von 50 DM für den Fall an, daß er der Aufforderung nicht innerhalb einer Woche nachkommen würde. Die Verfügung enthält den Zusatz:
"Wenn Sie annehmen, zur Erfüllung der Aufforderung nicht verpflichtet zu sein, so müssen Sie dies dem Finanzamt rechtzeitig unter Darlegung der Gründe mitteilen."
Nachdem der Bg. auch dieses Schreiben nicht beantwortet hatte, setzte das Finanzamt durch am 6. November 1951 abgeschickte Verfügung vom 3. November 1951 die angedrohte Erzwingungsgeldstrafe fest und forderte den Bg. unter Androhung einer weiteren Geldstrafe von 100 DM nochmals auf, der Anordnung des Finanzamts bis zum 15. November 1951 zu entsprechen.
Der Bg. reichte am 15. November 1951 die Einkommensteuererklärung für 1949 und später auch eine solche für den Veranlagungszeitraum II/1948 ein; auf Grund seiner Erklärungen wurde für die Lohneinkünfte -- nach Anrechnung der einbehaltenen Steuerabzugsbeträge -- eine nicht unbeträchtliche Einkommensteuer für beide Veranlagungszeiträume festgesetzt.
Gegen die mit Bescheid vom 3. November 1951 erfolgte "Bestrafung" legte der Bg. durch am 7. Dezember 1951 beim Finanzamt eingegangenes Schreiben vom 4. Dezember 1951 "Beschwerde" ein. Er behauptete, nicht gewußt zu haben, daß er trotz des ordnungsmäßigen Abzugs der Lohnsteuerbeträge noch eine Einkommensteuererklärung habe abgeben müssen. Er bittet am Schluß des Schreibens, die Erzwingungsstrafe aus Billigkeitsgründen niederzuschlagen. Das Finanzamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Das Finanzgericht hat durch den angefochtenen Beschluß die Erzwingungsstrafe auf 25 DM herabgesetzt, weil unter Berücksichtigung des Grundsatzes des billigen Ermessens diese Strafe ausgereicht habe, den vom Finanzamt erstrebten Zweck zu erreichen.
In der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht der Vorsteher des Finanzamts geltend, daß die Straffestsetzung vom 3. November 1951 im Hinblick auf die Bestimmungen des § 305 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) und des § 21 Abs. 2 der Verordnung der Britischen Militärregierung Nr. 175 nicht mehr mit einem Rechtsmittel anfechtbar sei. Außerdem vertritt er die Auffassung, daß dem Finanzamt kein Ermessensmißbrauch bei der Festsetzung der Erzwingungsstrafe nachgewiesen sei. Jedenfalls sei das Finanzgericht bei einer Aufhebung der Verfügung des Finanzamts nicht berechtigt gewesen, sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Finanzamts zu setzen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist zulässig und im Ergebnis auch sachlich begründet.
Zwar kann dem Vorsteher des Finanzamts nicht darin gefolgt werden, daß die Festsetzung der Erzwingungsstrafe im Rechtsmittelwege überhaupt nicht anfechtbar sei.
Die Reichsabgabenordnung sieht gegen eine Straffestsetzung im Sinne des § 202 AO nur das Rechtsmittel der Beschwerde an die nächstobere Behörde (Oberfinanzdirektion) vor. In Abänderung dieser Bestimmungen ist nach § 18 Buchstabe a der Verordnung Nr. 175 gegen die Festsetzung einer Erzwingungsstrafe die Beschwerde an das Finanzgericht gegeben. Allerdings schränkt § 21 Abs. 2 der Verordnung Nr. 175 dieses Beschwerderecht an das Finanzgericht -- in Anlehnung an die für die Rb. im § 305 Abs. 2 AO getroffene Regelung -- dahin ein, daß gegen die Straffestsetzung als solche die Beschwerde nur zulässig ist, wenn keine besondere Strafandrohung vorausgegangen ist.
Da im Streitfall durch die Verfügung vom 9. Oktober 1951 die Strafandrohung ordnungsmäßig erfolgt ist, kann im Bereich der bisherigen britischen Zone die Straffestsetzung nicht mehr im Beschwerde verfahren vor dem Finanzgericht angefochten werden.
Wenn somit auch die Straffestsetzung vom 3. November 1951 nicht mit dem Rechtsmittel der Beschwerde vor dem Finanzgericht angefochten werden kann, so würde es rechtstaatlichen Prinzipien widersprechen, wenn sie überhaupt hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Nachprüfung nicht unterliegen würde.
Der Große Senat des Bundesfinanzhofs hat in seinem grundlegenden Gutachten vom 17. April 1951 Gr. S. D 1/51 S (Bundessteuerblatt -- BStBl. -- III S. 107) auf Grund des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) für die Bundesrepublik Deutschland den Rechtsgrundsatz entwickelt, daß auch die reinen Ermessensakte der Finanzverwaltungsbehörden durch die Steuergerichte daraufhin nachzuprüfen sind, ob ein behaupteter Rechtsverstoß, insbesondere durch Überschreitung der Ermessensgrenzen oder Ermessensmißbrauch vorliegt. Entsprechend diesen Grundsätzen hat der IV. Senat des Bundesfinanzhofs (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 382/51 U vom 24. Januar 1952, BStBl. III S. 55) in einem ähnlich liegenden Fall ausgesprochen, daß Beschwerdeentscheidungen der Oberfinanzdirektionen wegen einer nach § 202 AO verhängten Erzwingungsgeldstrafe mit dem Rechtsmittel der Berufung vor den Finanzgerichten angefochten werden können.
Nach Auffassung des erkennenden Senats muß dieser Rechtsmittelschutz auch im Geltungsbereich der Verordnung Nr. 175 entsprechend gewährt werden. Die Bestimmung des § 18 der Verordnung Nr. 175 sollte offenbar die Rechtsstellung des beteiligten Steuerpflichtigen (Stpfl.) nicht verschlechtern, sondern durch die Einschaltung eines unabhängigen Finanzgerichts -- an Stelle der vorgesetzten Verwaltungsbehörde -- verstärken. Daher darf die Sonderregelung, die im § 21 Abs. 2 der Verordnung Nr. 175 für die Zulässigkeit der Beschwerde gegen Straffestsetzungen getroffen ist, nicht zu einer Beschränkung des Rechtsmittelschutzes führen. Der Senat ist daher der Auffassung, daß bei behauptetem Ermessensmißbrauch das Rechtsmittel der Berufung auch unmittelbar gegen die Straffestsetzungsverfügung des Finanzamts gegeben sein muß, zumal eine vorherige Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion wegen der durch § 18 der Verordnung Nr. 175 getroffenen Regelung im vorliegenden Fall nicht in Betracht kam.
Da die Ausführungen in der Eingabe des Bg. vom 4. Dezember 1951, zumal im Hinblick auf die beantragte Niederschlagung aus Billigkeitsgründen, die Behauptung eines Ermessensmißbrauchs durch das Finanzamt sinngemäß enthalten, war somit das eingelegte Rechtsmittel als Berufung zulässig.
Es ist unerheblich, daß das Finanzgericht das Rechtsmittel als Beschwerde behandelt und daher die angefochtene Entscheidung als Beschluß bezeichnet hat. Denn in dem Verfahren ist, besonders auch durch die Beteiligung ehrenamtlicher Beisitzer, der gleiche Rechtsschutz gewährleistet worden, wie er für das Berufungsverfahren vorgeschrieben ist.
Die gegen die -- nur unzutreffend als Beschluß bezeichnete, tatsächlich als Urteil zu würdigende -- Entscheidung des Finanzgerichts eingelegte Rb. ist ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zulässig. Zwar ist gegen Berufungsentscheidungen der Finanzgerichte die Rb. nach § 286 Abs. 1 AO grundsätzlich nur dann gegeben, wenn der Wert des Streitgegenstandes höher als 200 DM ist oder das Finanzgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache die Rb. zugelassen hat. Es handelt sich im Streitfall jedoch nicht um eine Entscheidung des Finanzgerichts im Rahmen des nach den §§ 228, 229 AO vorgesehenen Berufungsverfahrens. Vielmehr geht es um die Nachprüfung der Verhängung einer Erzwingungsgeldstrafe, die deshalb im Berufungsverfahren erfolgen muß, weil die besonderen Voraussetzungen für ein Beschwerdeverfahren nicht gegeben sind. In einem ähnlich liegenden Fall hat der IV. Senat (vgl. das schon angeführte Urteil IV 382/51 U vom 24. Januar 1952, BStBl. III S. 55) die Rb. ohne Rücksicht auf die Wertgrenze oder die grundsätzliche Bedeutung der Streitsache zugelassen, weil eine Beschränkung der Zulässigkeit der Rb. durch die Vorschriften des § 286 AO gegenüber der uneingeschränkten Zulässigkeit im Falle des § 305 AO nicht vertretbar erscheint. Wie in dem Urteil hervorgehoben wird, muß, wenn nach § 305 AO wegen der Androhung einer Erzwingungsstrafe die Rb. an den Bundesfinanzhof ohne Rücksicht auf die Höhe der Strafe gegeben ist, auch wegen der Verhängung der Erzwingungsstrafe die Rb. unbeschränkt zulässig sein. Der erkennende Senat macht sich diese Rechtsauffassung für den vorliegenden Streitfall zu eigen.
Die Rb. ist auch begründet, weil die Straffestsetzung des Finanzamts nach Grund und Höhe keine Rechtsverletzung darstellt, insbesondere auch weder eine Überschreitung der Ermessensgrenzen noch einen Ermessensmißbrauch erkennen läßt. Zwar mag im allgemeinen die Bemessung der ersten Erzwingungsstrafe auf einen Betrag von 50 DM hoch erscheinen. Im Streitfall ist aber zu berücksichtigen, daß der Bg. es mit ziemlicher Beharrlichkeit versäumt hat, den berechtigten Forderungen des Finanzamts nachzukommen.
Nach § 46 Abs. 1 Ziff. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1948 bzw. 1949 ist jeder Stpfl. -- unbeschadet des Lohnsteuerabzugs -- zur Einkommensteuer zu veranlagen, wenn er Einkünfte aus mehreren Dienstverhältnissen bezogen hat, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterlegen haben und der Gesamtbetrag dieser Einkünfte 3600 DM übersteigt. Der Gesamtbetrag der lohnsteuerpflichtigen Einkünfte des Bg. hat im Kalenderjahr 1949 sich auf mehr als 12 000 DM belaufen. Das Finanzamt hatte daher nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, von dem Bg. die Abgabe der Steuererklärungen zu verlangen.
Es ist auch zu berücksichtigen, daß der Bg. als Geschäftsführer eines Wirtschaftsverbandes im Wirtschaftsleben steht. Aus diesem Grunde war es ihm durchaus zuzumuten, sich mit den einschlägigen Bestimmungen vertraut zu machen, wenn er Zweifel an der Berechtigung des Verlangens des Finanzamts hatte.
Das Finanzamt hat ihn durch das Schreiben vom 16. Juli 1951 ausdrücklich darüber belehrt, daß er trotz des Lohnsteuerabzugs zu veranlagen sei. In der Strafandrohung ist ihm anheimgegeben worden, nochmals seine abweichende Auffassung gegebenenfalls darzulegen. Der Bg. hätte sich Kosten und Ärger, den beteiligten behördlichen Instanzen vermeidbare Arbeit erspart, wenn er den Schreiben des Finanzamts rechtzeitig Rechnung getragen hätte. Jedenfalls hat das Finanzamt durchaus im Rahmen des gesetzlichen Ermessens gehandelt, wenn es gegen den im Wirtschaftsleben stehenden Bg. unter den gegebenen Umständen -- auch im Hinblick auf sein Einkommen -- eine Geldstrafe von 50 DM zur Erzwingung der Einkommensteuererklärungen festsetzte, nachdem der Bg. es nicht für nötig hielt, auf die im Jahre 1951 an ihn gerichteten Aufforderungen zu antworten.
Da somit weder eine Ermessensüberschreitung noch ein Ermessensmißbrauch des Finanzamts festzustellen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben und die als Berufung anzusehende Beschwerde gegen die Verfügung des Finanzamts vom 3. November 1951 als unbegründet zurückzuweisen. Es muß also bei der vom Finanzamt festgesetzten Erzwingungsgeldstrafe von 50 DM verbleiben.
Es bedarf daher keines Eingehens auf die in der Rb. erörterte, in dem erwähnten Gutachten des Großen Senats (BStBl. 1951 III, S. 107) im Rechtssatz 5 verneinte Frage, ob die Finanzgerichte grundsätzlich berechtigt sind, bei reinen Ermessensakten der Steuerbehörden ihr Ermessen an die Stelle des Ermessens der Finanzämter zu setzen.
Fundstellen
Haufe-Index 407482 |
BStBl III 1952, 250 |
BFHE 1953, 647 |