Entscheidungsstichwort (Thema)
Altvorräteentlastung
Leitsatz (NV)
1. Auch für eingeführte hergestellte Vorräte ist im Rahmen der Altvorräteentlastung der Ausgangswert lediglich um 20 v. H. zu erhöhen (wie BFH-Urteil vom 30. 10. 1969 V R 51/69, BFHE 97, 209, BStBl II 1970, 75).
2. Dies gilt auch für Vorräte, die aus dem EG-Ausland eingeführt worden sind. Die Regelung verstößt nicht gegen Art. 95 Abs. 1 EWG-Vertrag.
3. Zur Behandlung von Kommissionswaren im Rahmen der Altvorräteentlastung.
Normenkette
UStG 1967 § 28 Abs. 2; EWGV Art. 95 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte im Herbst 1967 Birnenkonserven, die sie in Italien selbst hergestellt hatte, in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) eingeführt. Anläßlich des Grenzübertritts waren Zoll und 6 v. H. Umsatzausgleichsteuer entrichtet worden. Die Ware wurde in einem Lagerhaus in M eingelagert und in der Zeit vom Herbst 1967 bis Mai 1969 über den Kommissionär S verkauft. Am 31. Dezember 1967 waren in dem Lager noch 81 751 Kartons Birnenkonserven vorhanden.
Die Klägerin errechnete in der Jahressteuererklärung 1968 als Altvorräteentlastung gemäß § 28 des Umsatzsteuergesetzes 1967 (UStG 1967) einen Betrag in Höhe von . . . DM (Erhöhungsbetrag 100 v. H., Entlastungssatz 3 v. H.). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erließ nach einer Umsatzsteuersonderprüfung einen endgültigen Umsatzsteuerbescheid für 1968, in dem er den Entlastungsbetrag lediglich mit . . . DM bemaß (Erhöhungsbetrag 20 v. H.). Das FA lehnte es ab, die Klägerin als Kommittenten im Sinne des Erlasses des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 3. November 1967 - IV A/2 - S 7450 - 50/67 unter B Nr. 2 Abs. 6 (BStBl I 1967, 374, Umsatzsteuer-Kartei S 7450 K 1) anzusehen und ihr einen Erhöhungsbetrag von 100 v. H. zuzubilligen. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im wesentlichen mit folgender Begründung statt: Der Klägerin stehe eine Erhöhung des Ausgangswerts um 100 v. H. zu. Die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Satz 3 UStG 1967, daß die Gegenstände nicht bearbeitet oder verarbeitet worden sein dürften, beziehe sich nur auf das Inland. Im Urteil vom 30. Oktober 1969 V R 51/69 (BFHE 97, 209, BStBl II 1970, 75) hafte der Bundesfinanzhof (BFH) zu sehr am Wortlaut des Gesetzes. Vor dem 1. Januar 1968 eingeführte Vorräte hätten - gleichviel, ob sie aus dem Ausland erworben oder vom Hersteller in das Inland verbracht worden seien - stets einer gleich hohen Belastung mit Umsatzausgleichsteuer unterlegen. Insbesondere auch im Hinblick auf die Verpflichtung der Bundesrepublik aus Art. 95 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV), Waren aus anderen Mitgliedsstaaten nicht mit höheren inländischen Abgaben zu belegen als gleichartige inländische Waren, sei es geboten, § 28 Abs. 2 Satz 3 UStG 1967 weit auszulegen. Es sei anzunehmen, daß der Gesetzgeber das Diskriminierungsverbot habe beachten wollen. Der Klage könne dennoch nicht voll stattgegeben werden, weil der Ausgangsbetrag lediglich mit . . . DM anzusetzen sei.
Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer auf . . . DM festzusetzen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der BMF ist dem Verfahren beigetreten. Er ist der Auffassung, daß § 28 UStG 1967 im Sinne des Urteils in BFHE 97, 209, BStBl II 1970, 75 auszulegen sei. Ein Verstoß gegen Art. 95 EWGV sei zu verneinen. Einzelfallgerechtigkeit sei bei der Entlastung der Altvorräte nicht erreichbar gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Neufestsetzung der Umsatzsteuer 1968 entsprechend dem Revisionsantrag des FA.
1. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967 kann ein Unternehmer, auf dessen Umsätze § 19 oder § 24 UStG 1967 nicht anwendbar ist, für seine am Schluß des Jahres 1967 im Inland vorhandenen Gegenstände des Vorratsvermögens einen Betrag als Vorsteuer abziehen. Die Abzugsberechtigung der Klägerin ist hinsichtlich der Birnenkonserven dem Grunde nach zu bejahen. Die aus Italien eingeführten und am 31. Dezember 1967 in M lagernden (noch nicht veräußerten) 81 751 Kartons waren Vorratsvermögen (fertige Erzeugnisse im Sinne des § 151 Abs. 1 Aktivseite III A 3 des Aktiengesetzes 1965 - AktG 1965 -). Ein Ausschluß von der Entlastung gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 1 UStG 1967 kommt nicht in Betracht. Die Klägerin hatte nach den Feststellungen des FG bei der Einfuhr der Konserven 6 v. H. Umsatzausgleichsteuer entrichtet.
Der Abzugsbetrag ist aus einem Ausgangsbetrag (Bilanzwert bzw. Anschaffungs- oder Herstellungskosten) zu errechnen, der sich um 100 v. H. oder um 20 v. H. erhöht; auf den erhöhten Betrag ist der Ausfuhrvergütungssatz gemäß § 25 UStG 1951 anzuwenden (§ 28 Abs. 1 und 2 UStG 1967). Ausgangsbetrag sind im Streitfall mangels eines Bilanzwerts die Herstellungskosten, die das FG unbeanstandet mit . . . DM ermittelt hat.
Streitig ist lediglich, ob der Ausgangsbetrag um 100 v. H. oder 20 v. H. zu erhöhen ist (§ 28 Abs. 2 Sätze 3 und 4 UStG 1967). Die Erhöhung um 100 v. H. ist davon abhängig, daß der Unternehmer die Gegenstände erworben und nicht bearbeitet oder verarbeitet hat (§ 28 Abs. 2 Satz 3 UStG 1967). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Klägerin hat die Birnenkonserven in Italien hergestellt. Hieran würde sich nichts ändern, wenn, wie in der Revisionserwiderung vorgetragen wird, eine von der Klägerin abhängige Organgesellschaft Hersteller gewesen sein sollte. Die Klägerin muß sich im Rahmen des § 28 UStG 1967 die Herstellungsmaßnahmen ihrer Organgesellschaft zurechnen lassen; die Organschaft endete nicht an der Grenze (BFH-Urteil vom 17. September 1981 V R 6/76, BFHE 134, 194, BStBl II 1982, 47). Danach hat das FG zu Unrecht einen Erhöhungssatz von 100 v. H. gewährt.
Die Auffassung des FG, § 28 Abs. 2 Satz 3 UStG 1967 meine lediglich Be- und Verarbeitungsmaßnahmen im Inland, findet im möglichen Wortsinn des Gesetzestextes selbst dann keinen Anhalt, wenn andere Vorschriften des UStG in die Auslegung einbezogen werden. Zwar beschränkt sich die Steuerbarkeit auf Umsätze, die im Inland ausgeführt werden (§ 1 Nr. 1 UStG 1951, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967); auch wird die Altvorräteentlastung nur auf im Inland vorhandenes Vorratsvermögen gewährt (§ 28 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967). Diese Eingrenzungen des gesetzlichen Geltungsbereichs sind indessen ausdrücklich angeordnet. Im übrigen gilt das UStG - z. B. hinsichtlich der Grundbegriffe Unternehmer und Unternehmen - unbeschränkt. Die vom FG vorgenommene Einschränkung nimmt dem Gesetzestext seinen Sinn. Das FG möchte den Nebensatz des § 28 Abs. 2 Satz 3 UStG 1967 wie ,,. . . erworben und nicht im Inland bearbeitet oder verarbeitet" lesen. Dann wäre indes schwerlich zu erklären, warum die Beschränkung auf das Inland nicht auch den Nebensatzteil ,,erworben" ergreifen soll. In diesem Fall würde die erhöhte Entlastung entfallen, weil die Klägerin die Konserven nicht im Inland erworben hat. Sie müßte aber auch dann entfallen, wenn der vom FG korrigierte Gesetzestext zugrunde gelegt wird; denn die Klägerin hat die Birnenkonserven weder im Inland noch im Ausland erworben. Sie hat allenfalls Birnen erworben, aus denen sie Konserven hergestellt hat. Es zeigt sich, daß die beiden Teile des Nebensatzes aufeinander abgestimmt sind und nicht nur einem Teil durch Interpretation eine Einschränkung beigefügt werden darf.
Die vom FG hilfsweise befürwortete (engere) Ausdehnung des § 28 Abs. 2 Satz 3 UStG 1967 nur auf im EG-Ausland hergestellte Erzeugnisse findet erst recht im möglichen Wortsinn des Gesetzestextes keinen Anhalt. Das FG hat nicht erörtert, ob eine Analogie zugunsten der Klägerin in Betracht kommt. Diese Möglichkeit scheidet jedoch schon deswegen aus, weil § 28 Abs. 2 Satz 3 UStG 1967 Teil der Gesamtregelung der Altvorräteentlastung ist, die zwar, wie in BFHE 97, 209, BStBl II 1970, 75 dargelegt ist, bewußt vereinfachend gestaltet ist, aber im Hinblick auf die begrenzte zur Entlastung zur Verfügung stehende Summe abschließend sein soll. Es fehlt daher an einer Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit.
2. Art. 95 Abs. 1 EWGV ist nicht verletzt. Nach dieser Vorschrift erhebt die Bundesrepublik als einer der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften (EG) auf Waren aus einem anderen Mitgliedsstaat weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben. Das FG geht zu Recht davon aus, daß die Vorschrift individuelle Rechte des einzelnen begründet, die von den staatlichen Gerichten zu beachten sind (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 17. Februar 1976 Rs. 45/75, EuGHE 1976, 181).
Die Umsatzsteuer ist, soweit sie Lieferungen oder Einfuhren belastet, eine Abgabe im Sinne des Art. 95 Abs. 1 EWGV. Das gilt auch für die gemäß § 1 Nr. 3, § 6, § 7 Abs. 5 bis 7 UStG 1951 bis zum 31. Dezember 1967 erhobene Ausgleichsteuer. In den Belastungsvergleich ist mit dem FG auch der Vorsteuerabzug nach § 28 UStG 1967 einzubeziehen. Der Einwand des FA, Art. 95 Abs. 1 EWGV hindere die Mitgliedsstaaten nicht, Steuervergünstigungen zu gewähren, trifft zwar zu. Jedoch müssen die Vergünstigungen, sollen sie dem Vorwurf der Diskriminierung entgehen, auf gleichartige aus EG-Staaten eingeführte Erzeugnisse erstreckt werden (EuGH-Urteile vom 10. Oktober 1978 Rs. 148/77, EuGHE 1978, 1787; vom 27. Februar 1980 Rs. 168/78, EuGHE 1980, 347).
Die Erhöhung des Ausgangsbetrags um 100 v. H. wird gemäß § 28 Abs. 2 Satz 3 UStG 1967 gleichermaßen für Inlands- und Auslandserzeugnisse (einschließlich der EG-Erzeugnisse) gewährt, die der Unternehmer erworben und nicht be- oder verarbeitet hat. Insofern läßt die Vorschrift keine Diskriminierung erkennen. Die Vorschrift diskriminiert selbsthergestellte eingeführte EG-Auslandserzeugnisse auch nicht mittelbar. Zwar belastete die bis zum 31. Dezember 1967 erhobene Ausgleichsteuer eingeführte Handelsware und eingeführte Fertigungsware in gleicher Höhe, während § 28 Abs. 2 Sätze 3 und 4 UStG 1967 - methodisch abweichend - beide Warengruppen unterschiedlich entlastet. Es mag dahinstehen, ob die unterschiedliche Entlastung, wie der BMF geltend macht, schon deswegen gerechtfertigt ist, weil sie der an Inlandserzeugnissen ausgerichteten, stark vereinfachenden Tendenz des § 28 UStG 1967 folgt und einmalig ist. Unentschieden bleiben kann auch, ob, was nach den Ausführungen zu 1. zweifelhaft sein kann, überhaupt eine Rechtsnorm des nationalen Rechts zur Verfügung steht, aus der ein erhöhter Entlastungsanspruch hergeleitet werden könnte (dazu BFH-Urteil vom 22. Oktober 1985 VII R 140/82, BFHE 144, 494).
Das FG hat jedenfalls nicht ausreichend gewürdigt, daß die in den Jahren 1966/67 erhobenen Ausgleichsteuern - also auch die im Streitfall im Herbst 1967 entrichtete Ausgleichsteuer - Durchschnittssätze im Sinne des Art. 97 EWGV waren (s. § 7 Abs. 7 UStG 1951 in der Fassung des 17. UStG-Änderungsgesetzes vom 23. Dezember 1966, BGBl I 1966, 709, BStBl I 1967, 10; BFH-Urteile vom 11. Juli 1968 VII 156/65, BFHE 92, 405; vom 21. Oktober 1976 V R 23/72, BFHE 120, 306, BStBl II 1977, 131). Sie sollten die eingeführten ausländischen Waren in etwa auf die Höhe der Umsatzsteuerbelastung inländischer Waren heben. Die Ungenauigkeit lag einmal darin begründet, daß die Umsatzsteuerbelastung einer inländischen Ware unter der Herrschaft der früheren kumulativen Allphasensteuer nur annähernd und schätzungsweise zu bestimmen war. Zum anderen sollte nicht danach unterschieden werden, ob die inländische Ware ,,je nach Herstellungsbetrieb (einstufig oder mehrstufig) und Produktionsvorgang" unterschiedlich mit Umsatzsteuer belastet war (s. Begründung des 17. UStG-Änderungsgesetzes, Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks V/1004, S. 3). Der frühere Ausgleichsteuersatz bildete ein gewogenes Mittel auch zwischen der inländischen Umsatzsteuerbelastung auf hergestellte und erworbene Waren (vgl. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie des Rates vom 30. April 1968 über die gemeinsame Methode zur Berechnung der in Art. 97 EWGV vorgesehenen Durchschnittssätze, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1968 L Nr. 115 S. 14; ferner EuGH-Urteil vom 24. Juni 1969 Rs. 29/68, EuGHE 1969, 165, 180).
Hieraus folgt, daß der Gesetzgeber bei der Altvorräteentlastung nicht gehindert war, die differenzierende Regelung für inländische Vorräte auch auf gleichartige eingeführte Vorräte zu übertragen. Zwar wäre denkbar gewesen, im Hinblick auf den einheitlichen Ausgleichsteuersatz sowohl für eingeführte Handelsware als auch für eingeführte Erzeugnisse einen dritten Erhöhungssatz festzulegen, der zwischen den beiden Erhöhungssätzen von 20 v. H. und 100 v. H. hätte liegen können. Dem Vereinfachungszweck des § 28 UStG 1967 entsprach es jedoch, darauf abzustellen, daß die vor dem 1. Januar 1968 erhobene Ausgleichsteuer ein gewogenes Mittel der inländischen Umsatzsteuerbelastung gleichartiger Vorräte der verschiedenen Produktions- und Handelsstufen darstellte. Eine solche Regelung rechtfertigte es, die Entlastung für eingeführte Handelswaren über den vorgestellten mittleren Entlastungssatz hinaus anzuheben und die Entlastung für eingeführte Erzeugnisse unterhalb dieses Satzes zu belassen. Die Auffassung des FG würde dazu führen, die im Inland hergestellten Erzeugnisse gegenüber den im Ausland hergestellten Erzeugnissen zu benachteiligen. Art. 95 Abs. 1 EWGV gebietet nicht, Auslandsvorräte zu bevorzugen. Dem nationalen Gesetzgeber ist vielmehr gestattet, gleichartige Waren und Erzeugnisse unter steuerlichen Gesichtspunkten unterschiedlich zu behandeln; ansonsten würden nationale Steuerregelungen differenzierender Art praktisch unterlaufen (BFH-Urteil vom 18. Oktober 1983 VII R 26/77, BFHE 139, 461, 463). § 28 UStG 1967 enthält eine solche Differenzierung unter steuerlichen Gesichtspunkten (Herstellung, Erwerb).
Die Auffassung des FG kann schließlich auch deswegen nicht überzeugen, weil die Anwendung des Erhöhungssatzes von 100 v. H. auf die eingeführten Waren inländische Hersteller benachteiligen würde. Art. 95 Abs. 1 EWGV gebietet nicht, Auslandsware gegenüber der Inlandsware zu bevorzugen.
3. Das FG hat von seinem Standpunkt aus unerörtert lassen können, ob sich die Klägerin mit Erfolg auf Abschn. B Nr. 2 Abs. 6 des BMF-Erlasses vom 3. November 1967 (a. a. O.) berufen kann. Auch dies ist zu verneinen. Der Erlaß geht auf die Besonderheiten der Altvorräteentlastung bei einer Verkaufskommission ein: Die am 31. Dezember 1967 beim Kommissionär lagernde Kommissionsware sei ertragsteuerrechtlich noch dem Kommittenten zuzurechnen, obwohl sie umsatzsteuerrechtlich nach § 3 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB 1951) bereits an den Kommissionär geliefert worden sei; habe der Kommittent die Kommissionsware be- oder verarbeitet (hergestellt) - sei es im Inland oder Ausland -, wäre es ,,eine unbillige sachliche Härte", die Altvorräteentlastung lediglich nach einem Erhöhungssatz von 20 v. H. zu gewähren. Der BMF erklärt sich deshalb damit einverstanden, daß der Kommittent unter Anwendung des Erhöhungssatzes von 100 v. H. entlastet wird. Dies ist eine Billigkeitsmaßnahme (§ 131 Abs. 2 und 3 der Reichsabgabenordnung - AO -), mit der aus sachlichen Gründen ein Steuererlaß in der Form einer niedrigeren Festsetzung der Umsatzsteuer zugelassen wird (§ 131 Abs. 1 Satz 2 AO). Das FA hat in dem angegriffenen Bescheid vom 29. Mai 1974 und in der Einspruchsentscheidung vom 5. Februar 1975 die Anwendung der Billigkeitsmaßnahme abgelehnt. Es konnte seine Ermessensentscheidung bis zum Inkrafttreten der Abgabenordnung - AO 1977 - (1. Januar 1977) in das Veranlagungsverfahren einbeziehen und im Einspruchsverfahren bestätigen (Eingleisigkeit des Verfahrens). Seine Entscheidung ist auch in diesem Punkt gerichtlich nachprüfbar. Hieran hat sich nichts dadurch geändert, daß während des finanzgerichtlichen Verfahrens die AO 1977 in Kraft trat. Der BFH hat lediglich für den Fall, daß das Einspruchsverfahren am 1. Januar 1977 noch nicht abgeschlossen war, entschieden, daß der gemäß Art. 97 § 18 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) zulässigerweise als Einspruch eingelegte Rechtsbehelf als Beschwerde im Sinne der AO 1977 unter Beachtung des § 163 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 (Zweigleisigkeit des Verfahrens) fortgeführt werden mußte (BFH-Urteil vom 28. Februar 1980 IV R 19/78, BFHE 130, 244, BStBl II 1980, 528). Im Streitfall hat das FA noch vor Inkrafttreten der AO 1977 nach damaliger Rechtslage zutreffend abschließend (eingleisig) in einer Einspruchsentscheidung über die Rechtmäßigkeit der Veranlagung und über die Billigkeitsmaßnahme entschieden. Es wäre ungerechtfertigter Formalismus, für die Billigkeitsmaßnahme nochmals das Beschwerdeverfahren zur Oberfinanzdirektion (OFD) zu eröffnen.
Dieser Auffassung steht nicht das BFH-Urteil vom 21. Dezember 1977 I R 247/74 (BFHE 124, 199, BStBl II 1978, 305) entgegen, in dem es der BFH in einem Gewinnfeststellungsverfahren im Hinblick auf § 163 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 abgelehnt hat, auf einen vor dem 1. Januar 1977 erstmals vor dem FG gestellten Billigkeitsantrag einzugehen. Eine richterliche Prüfung von Billigkeitsgesichtspunkten ist ohne eine vorangegangene ermessensausübende Billigkeitsentscheidung der Verwaltung unzulässig (s. auch BFH-Urteil vom 28. November 1980 VI R 226/77, BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319).
Das FA hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die Billigkeitsregelung des BMF anzuwenden. Dieser liegen erkennbar folgende Erwägungen zugrunde: Handelsrechtlich sind Erzeugnisse oder Waren, die einem Verkaufskommissionär übergeben worden sind, weiterhin vom Kommittenten als sein (ihm gehöriges) Vorratsvermögen zu bilanzieren (Wirtschaftsprüfer-Handbuch 1985/86 S. 596). Diese Regelung ist gemäß § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch einkommensteuerrechtlich maßgeblich. Demgemäß kann nur der Kommittent die Altvorräteentlastung nach § 28 UStG 1967 beanspruchen. Da der Kommittent - so die weitere Vorstellung des Erlasses - umsatzsteuerrechtlich schon mit der Übergabe des Kommissionsguts an den Kommissionär vor dem 1. Januar 1968 eine (steuerpflichtige) Lieferung gemäß § 1 Nr. 1 UStG 1951, § 3 UStDB 1951 tätigte - im Streitfall hätte eine solche Lieferung gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 UStG 1951 in der Fassung des 16. UStG-Änderungsgesetzes vom 26. März 1965 (BGBl I 1965, 156, BStBl I 1965, 107) mit 1 v. H. versteuert werden müssen -, ist es sachlich unbillig, den Kommittenten weiterhin wie einen Hersteller zu behandeln, obwohl das ihm zuzurechnende Vorratsvermögen vor dem Stichtag schon wie Handelsware mit kumulativer Allphasensteuer belastet war. Bei der Beurteilung der sachlichen Unbilligkeit spielt es keine Rolle, daß der Kommittent nach neuerer Auffassung mit der Übergabe der Kommissionsware noch keine Lieferung an den Kommissionär bewirkt hat, sondern erst im Zeitpunkt der Lieferung des Kommissionsguts an den Abnehmer (BFH-Urteil vom 25. November 1986 V R 102/78, BFHE 148, 547, BStBl II 1987, 278, zu § 3 Abs. 3 UStG 1967; § 3 UStDB 1951 war genauso formuliert). Selbst wenn mit der früheren Auffassung, die dem BMF-Erlaß vom 7. November 1967 (a. a. O.) zugrunde liegt, eine Lieferung des Kommissionsguts an den Kommissionär schon vor dessen Lieferung an den Abnehmer für möglich gehalten wird, setzt die sachliche Unbilligkeit nach den Vorstellungen des Erlasses voraus, daß das Kommissionsgut tatsächlich übergeben wurde und daß die angenommene Lieferung zu einer Besteuerung geführt hat.
Das FA stellt in Abrede, daß die Klägerin die am 31. Dezember 1967 noch nicht veräußerten Birnenkonserven dem Kommissionär S übergeben hatte. Die Birnenkonserven lagerten in M, was einer Übergabe durch Besitzkonstitut (§ 930 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) nicht entgegenstehen würde. Diese Frage braucht jedoch nicht entschieden zu werden. Auch wenn die Kommissionsware übergeben worden sein sollte, hätte sie mangels Besteuerung der Übergabe nicht die Eigenschaft von ,,Handelsware" erlangt. Die Klägerin hat ausweislich der vom FG in Bezug genommenen Umsatzsteuerakte in 1967 keine Umsätze an Birnenkonserven versteuert. Sie hat dies in einem Schreiben vom 22. Mai 1969 an das FA damit begründet, daß 1967 ,,keine Lieferungen im Inland (stattfanden), so daß die Abgabe von Steuererklärungen für das Jahr 1967 entfällt". Späterhin hat sie geltend gemacht, die Versteuerung erst in den Jahren 1968/69 habe auf einem Irrtum beruht (Schreiben an das FA vom 19. Oktober 1973 Blatt 4). Abgesehen davon, daß das Verhalten der Klägerin der Rechtslage entsprach (BFHE 148, 547, BStBl II 1987, 278), könnte eine sachliche Unbilligkeit im Sinne des BMF-Erlasses nur dann angenommen werden, wenn die Übergabe an den Kommissionär tatsächlich mit Allphasen-Umsatzsteuer belegt worden wäre. Dies war jedoch nicht der Fall.
Fundstellen
Haufe-Index 415356 |
BFH/NV 1988, 404 |