Entscheidungsstichwort (Thema)
(Etikettenbesteuerung bei Trinkbranntwein in Kleinverkaufsbehältnissen - Kollisionsregeln bei Normenkonkurrenz im Steuerrecht - Bestimmtheit einer Ermächtigungsnorm)
Leitsatz (amtlich)
Auch für die Auslagerung von Trinkbranntwein in Kleinverkaufsbehältnissen aus einem offenen Branntweinlager nach dem 1.Januar 1980 war die Ermittlung der zu versteuernden Alkoholmenge nach dem auf dem Behältnis angegebenen Alkoholgehalt und der Nennfüllmenge (sog. Etikettenbesteuerung) nicht zwingend vorgeschrieben.
Orientierungssatz
1. Gegen die Gültigkeit von § 66 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs. 2 Satz 2 Branntweinverwertungsordnung in der ab 1.10.1978 gültigen Fassung bestehen keine rechtlichen Bedenken. Insbesondere genügt die Rechtsgrundlage der Vorschrift, nämlich § 184 Abs. 3 BranntwMonG, den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG.
2. Eine Ermächtigungsnorm ist auch dann nach Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung hinreichend bestimmt, wenn ihr Inhalt Zweck und Ausmaß nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen aus ihrem Sinnzusammenhang mit anderen Vorschriften des Gesetzes und aus dem von der gesetzlichen Regelung insgesamt verfolgten Ziel ermittelt werden können, wobei auch die Entstehungsgeschichte zur Klärung herangezogen werden darf (vgl. BFH-Urteil vom 18.2.1992 VII R 22/90).
3. An der Gültigkeit des § 2 Abs. 3 Alkoholverordnung der auf § 184 Abs. 3 BranntwMonG gestützt ist, bestehen keine Zweifel.
4. Rechtssätze können außer durch förmliche Aufhebung oder durch Zeitablauf auch durch Kollision mit einer nachträglich entstandenen Norm gleichen oder höheren Ranges ihre Geltung verlieren (vgl. BFH-Urteil vom 5.11.1964 IV 11/64 S). Bei der Konkurrenz einer späteren allgemeineren Norm zu einer früheren spezielleren Norm verdrängt die spätere Norm allerdings die frühere Norm nicht. Es gilt der Grundsatz "lex posterior generalis non derogat legi priori speciali" lediglich tatbestandsteilidentische Vorschriften (hier: § 66 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs. 2 Satz 2 Branntweinverwertungsordnung in der ab 1.10.1978 gültigen Fassung und § 2 Abs. 3 Alkoholverordnung) können mit unterschiedlichen Rechtsfolgen bestehen bleiben, ohne daß die Einheit der Rechtsordnung bereits durch deren bloße Existenz und Geltung verletzt wäre.
Normenkette
GG Art. 80 Abs. 1; BranntwMonG § 184 Abs. 3; BranntwVwO § 64 Abs. 2 S. 2, § 66 Abs. 3 S. 3; AlkoV § 2 Abs. 3; AO 1977 § 4
Verfahrensgang
FG Bremen (Entscheidung vom 11.09.1990; Aktenzeichen II 92/85 K) |
Tatbestand
Der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer Wein- und Spirituosen-Importfirma, war mit Wirkung vom 2.Januar 1979 von dem beklagten und revisionsbeklagten Hauptzollamt (HZA) ein offenes Branntweinlager bewilligt. Darin verschnitt sie als lose Ware eingeführten Rum bzw. Arrak mit ebenfalls eingeführtem losen Agraralkohol unter Zusatz von Wasser. Die Verschnitte wurden im Lager auf Flaschen abgefüllt und lt. Angaben auf den Behältnissen mit Alkoholgehalten von 38, 40 und 54 (Rum) bzw. 40 Volumenprozenten (Arrak) auf den Markt gebracht.
Zur Versteuerung der ausgelagerten Flaschenware meldete die Klägerin jeweils die Alkoholmengen an, die sie aus dem unmittelbar vor dem Abfüllen durch Spindelung ermittelten Alkoholgehalt der Verschnitte und dem Nenninhalt der Flaschen errechnet hatte. Diese Verfahrensweise war durch Ziff.2.2 der Bewilligung und Ziff.2.3 des Zusatzblatts "Auflagen" abgedeckt. Darin war auch auf die Möglichkeit hingewiesen, bei der Auslagerung von Trinkbranntwein in Kleinverkaufsbehältnissen die Alkoholmenge in Übereinstimmung mit § 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 der Branntweinverwertungsordnung (VwO) nach dem auf dem Behältnis angegebenen Alkoholgehalt und der Füllmenge (sog. Etikettenbesteuerung) zu ermitteln.
Mit Schreiben vom 29.Januar 1980 wies das HZA die Klägerin auf die zum 1.Januar 1980 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 184 Abs.2 und 3 des Gesetzes über das Branntweinmonopol (Alkoholverordnung) vom 28.November 1979 (BGBl I, 2001), und speziell auf deren § 2 Abs.1 hin. Die darin enthaltene Regelung, wonach Alkoholmenge als das in Litern ausgedrückte Volumen des Äthanols bei einer Temperatur von 20 Grad Celsius definiert wird, bedeute eine Änderung der bisherigen Ermittlungsmaßstäbe für die Alkoholmengen, so daß vor dem 1.Januar 1980 nach altem Recht ausgestellte Untersuchungszeugnisse für die Ermittlung der Alkoholmengen nicht mehr anerkannt werden könnten. Das Schreiben enthielt keinen Hinweis auf § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung.
Eine im Jahr 1981 bei der Klägerin durchgeführte Betriebsprüfung, die den Zeitraum ab 1.Januar 1980 erfaßte, ergab hinsichtlich der Lagerbewegungen und Lagerbehandlungen im offenen Branntweinlager keine Beanstandungen. Erst bei der Folgeprüfung für die Zeit vom 1.Juni 1981 bis 31.März 1983 wurde beanstandet, daß die Klägerin die Alkoholmenge nach wie vor aufgrund der gespindelten Volumenprozente und nicht nach der für Kleinverkaufsbehältnisse nach § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung zwingend vorgeschriebenen --die Abweichung zu den gespindelten Werten habe in keinem Fall 0,3 % vol überschritten-- Etikettenangabe berechne.
Aufgrund dieser und anderer Feststellungen im Prüfungsbericht forderte das HZA von der Klägerin ... DM Branntweinsteuer nach. Hiervon entfielen auf die unterlassene Etikettenbesteuerung --und sind noch im Streit-- ... DM.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) im wesentlichen aus, das HZA habe die Branntweinsteuer nach § 154 Abs.1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol (BranntwMonG) und Art.2 der Verordnung (EWG) Nr.1697/79 (NacherhebungsVO) des Rates vom 24.Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von ... (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 197/1) zu Recht nacherhoben, weil im betreffenden Zeitraum für die Berechnung der Alkoholmengen entgegen den Anmeldungen der Klägerin aufgrund des § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung in allen Fällen allein der auf den Flaschen angegebene Alkoholgehalt maßgebend gewesen sei. Mit der Einführung der Etikettenbesteuerung als zwingende Maßnahme zum 1.Januar 1980 seien § 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO, in denen diese Methode der Bestimmung des Alkoholgehalts neben der Spindelung nur wahlweise vorgesehen sei, auch ohne ausdrückliche Aufhebung außer Kraft getreten und die eine solche Wahlmöglichkeit eröffnenden Bestimmungen der Bewilligung des offenen Branntweinlagers gegenstandslos geworden. Wegen der Einzelheiten der Begründung des finanzgerichtlichen Urteils verweist der Senat auf die in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 549 abgedruckte Vorentscheidung.
Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO habe bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung durch die 16.Verordnung zur Änderung der VwO vom 10.September 1986 (BGBl I, 1520) fortgegolten. Hätte der Verordnungsgeber diese Vorschrift bereits früher aufheben wollen, wäre ihm das ohne weiteres schon im Rahmen der Alkoholverordnung möglich gewesen, dessen § 6 zwar andere Bestimmungen aufhebe, nicht aber den § 64 Abs.2 Satz 2 VwO. Im übrigen habe die Alkoholverordnung der Umsetzung zweier EWG-Richtlinien gedient, deren Ziel --ebenso wie das des § 84 BranntwMonG-- es sei, die Bemessungsgrundlage für die Branntweinsteuer, die Weingeistmenge, auf technischem Gebiet so präzise wie möglich festzustellen. Gegenüber diesem Gesetzeszweck sei die Etikettenbesteuerung ein Minus, mithin die Ausnahme von der Regel. Wenn der Verordnungsgeber für die Feststellung der Weingeistmenge in Kleinverkaufsbehältnissen diese Ausnahme zur Regel hätte machen wollen, hätte er sicherlich auch den § 64 Abs.2 Satz 2 VwO ausdrücklich aufgehoben.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die angefochtenen Bescheide, diese soweit mehr als ... DM nachgefordert werden, aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Verwaltungsentscheidungen nach Maßgabe des Klagantrags (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß die Branntweinabgaben aufgrund der unterlassenen Etikettenbesteuerung zu niedrig festgesetzt worden sind, denn die Klägerin war in dem betreffenden Zeitraum nicht zu einer Etikettenbesteuerung verpflichtet.
Das FG hat rechtsirrtümlich angenommen, daß bei der Auslagerung des in Flaschen abgefüllten Trinkbranntweins --Erzeugnisse in Kleinverkaufsbehältnissen bis 5 l-- aus dem offenen Branntweinlager der Klägerin für die Bemessungsgrundlage "Alkoholmenge" seit 1.Januar 1980 die Nennfüllmenge des Behältnisses und der darauf angegebene Alkoholgehalt gemäß § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung maßgebend gewesen seien. Vielmehr durfte die Klägerin im Prüfungszeitraum Juni 1981 bis März 1983 weiterhin die gespindelten Alkoholwerte zur Berechnung der Alkoholmenge heranziehen.
a) Die Feststellung der Alkoholmenge durch die Klägerin nach den üblichen Grundsätzen, die für die amtliche Alkoholbestimmung galten, war durch § 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO in der ab 1.Oktober 1978 gültigen Fassung der Verordnung zur Änderung der Branntweinverwertungsordnung vom 27.Juli 1978 (BGBl I, 1165, 1169, 1170) abgedeckt. Gestützt auf § 184 Abs.3 BranntwMonG, eine Vorschrift, die erst kurz zuvor durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol vom 13.Juli 1978 (BGBl I, 1002) in das BranntwMonG eingefügt worden war, hat der Bundesminister der Finanzen (BMF) als Verordnungsgeber mit dieser Durchführungsvorschrift dem Inhaber eines offenen Branntweinlagers die Möglichkeit eingeräumt, bei der ohne amtliche Mitwirkung (§ 66 Abs.1 VwO) durchzuführenden Auslagerung von Trinkbranntwein in Kleinverkaufsbehältnissen die sog. Etikettenbesteuerung zugrundezulegen. Damit hat der Verordnungsgeber dem Lagerinhaber für die betreffenden Fälle ein Wahlrecht zugebilligt, die für die Besteuerung maßgebliche Alkoholmenge entweder nach den üblichen Grundsätzen oder nach dem auf dem Etikett angegebenen Alkoholgehalt und der Füllmenge zu ermitteln. Von diesem Wahlrecht hat die Klägerin --zu ihren Gunsten, wie die vom HZA geltend gemachte Nachforderung zeigt-- dergestalt Gebrauch gemacht, daß sie sich für die Ermittlung der Alkoholmenge nach den üblichen Grundsätzen (vgl. § 2 Abs.1 und 2, § 3 der Alkoholverordnung sowie die Chemisch-Technischen Bestimmungen) entschieden hat.
b) Gegen die Gültigkeit von § 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO in der damals geltenden Fassung bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Insbesondere genügt die Rechtsgrundlage der Vorschrift, nämlich § 184 Abs.3 BranntwMonG, wonach der BMF durch Rechtsverordnung anordnen kann, "daß die in Branntwein und Branntweinerzeugnissen enthaltene Alkoholmenge nach den Angaben des Herstellers oder Händlers über den Alkoholgehalt und die Menge berechnet wird", den Anforderungen des Art.80 Abs.1 des Grundgesetzes (GG). Unschädlich ist, daß sie in Form einer Kann-Vorschrift gefaßt ist, da die Anwendbarkeit des Gesetzes nicht davon abhängt, ob von der Ermächtigung Gebrauch gemacht wird oder nicht (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Senat, Urteil vom 18.Februar 1992 VII R 22/90, BFHE 167, 251, 254, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
Die Ermächtigungsnorm ist aber auch nach Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung hinreichend bestimmt. Zwar ergeben sich Zweck und Ausmaß nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm. Doch genügt es, wenn Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigungsvorschrift nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen aus ihrem Sinnzusammenhang mit anderen Vorschriften des Gesetzes und aus dem von der gesetzlichen Regelung insgesamt verfolgten Ziel ermittelt werden können, wobei auch die Entstehungsgeschichte zur Klärung herangezogen werden darf (Senat in BFHE 167, 251, 255, m.w.N.).
Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 8/1820 und 8/1920) hatte der neue § 184 BranntwMonG zum Ziel, die bisherige Terminologie und Alkoholermittlung an die gemeinschaftliche Alkoholometrie in den Richtlinien zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Alkoholometer und Aräometer sowie über Alkoholtafeln (ABlEG 1976 L 262/143 bzw. 149) anzupassen und damit für deren Umsetzung in das nationale Recht eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Schon diese Zielrichtung läßt erkennen, daß die in § 184 Abs.3 BranntwMonG anheimgestellte Einführung der Etikettenbesteuerung dem Verordnungsgeber nach Zweck und Ausmaß der Ermächtigung nicht als Regeltatbestand, sondern als Ausnahmetatbestand der Alkoholmengenermittlung in Fällen minderer Bedeutung zur Erleichterung des Verkehrs anvertraut war.
Zwar ist diese gesetzgeberische Absicht nicht ausdrücklich in die Gesetzesbegründung aufgenommen worden. Ihre Richtigkeit wird jedoch durch den gesetzgeberischen Hintergrund bestätigt, den das FG zutreffend dargestellt hat. Hiernach war bereits durch Erlaß des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen (BMWF) vom 27.November 1972 (BZBl 1972, 1506) als eine den Steuerpflichtigen begünstigende Vereinfachungsmaßnahme im Branntweinlagerverkehr bei der Abfertigung von Trinkbranntwein in Original-Kleinverkaufspackungen bis zu 5 l zugelassen, daß die Weingeistmenge ggf. anhand einer Sortimentsliste, aus der sich der Weingeistgehalt in Raumhundertteilen ergab, ermittelt werden konnte. Dieses sog. Sortimentslistenverfahren hielt das FG Hamburg in zwei Urteilen vom 4.Juli 1974 V 30 bzw. 31/73 S-H mangels einer tragfähigen Rechtsgrundlage für unzulässig. § 184 Abs.3 BranntwMonG ist als Reaktion des Gesetzgebers auf diese Rechtsprechung zu verstehen. Es sollte eine gesetzliche Grundlage für den Verordnungsgeber geschaffen werden, um den Bedürfnissen der Praxis nach Vereinfachungsmöglichkeiten hinsichtlich der Berechnung der Alkoholmenge in bestimmten Fällen Rechnung tragen zu können. Das dann unverzüglich vom Verordnungsgeber zugunsten der Inhaber von Branntweinlagern in § 66 Abs.3 Satz 3 und § 64 Abs.2 Satz 2 VwO gemachte Angebot der Etikettenbesteuerung, eine dem bisherigen Sortimentslistenverfahren ähnliche Erleichterung, hält sich ganz im Rahmen und im historischen Kontext dieser Ermächtigung.
c) Das Wahlrecht des Lagerinhabers nach § 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO ist nicht durch § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung außer Kraft gesetzt worden.
aa) § 2 Abs.3 Satz 1 der Alkoholverordnung führt allgemein für alkoholische Erzeugnisse in Kleinverkaufsbehältnissen bis 5 l mit Wirkung ab 1.Januar 1980 obligatorisch die Etikettenbesteuerung ein. Nur wenn der tatsächliche Alkoholgehalt des Erzeugnisses um mehr als 0,3 % vol von der Etikettenangabe abweicht, soll die Alkoholmengenbestimmung nach den üblichen Regeln erfolgen (Satz 2). Die Klägerin hat mit der Auslagerung des in Flaschen abgefüllten Trinkbranntweins im Prüfungszeitraum Juni 1981 bis März 1983 unstreitig den Tatbestand dieser Vorschrift erfüllt. Nach den Feststellungen des Betriebsprüfers, die das FG übernommen hat, wich der gespindelte Alkoholgehalt in keinem Fall um mehr als 0,3 % vol von der Angabe auf dem Behältnis ab, so daß die Etikettenbesteuerung nach dieser Vorschrift für die Klägerin obligatorisch gewesen wäre, falls diese Vorschrift auf sie zur Anwendung gekommen wäre.
bb) An der Gültigkeit des § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung bestehen ebensowenig Zweifel wie an der Gültigkeit des § 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO. Die Vorschrift ist im übrigen auf dieselbe Ermächtigungsgrundlage (§ 184 Abs.3 BranntwMonG) gestützt wie die beiden fünfzehn Monate zuvor in Kraft gesetzten Bestimmungen der VwO. Die Ermächtigungsgrundlage trägt beide Lösungen: sowohl ein Wahlrecht des Steuerschuldners hinsichtlich der Etikettenbesteuerung als auch die obligatorische Einführung der Etikettenbesteuerung bei bestimmten alkoholischen Erzeugnissen.
cc) Ab 1.Januar 1980 bestand zwischen § 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO einerseits und § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung andererseits jedenfalls im Falle der Klägerin eine Normenkollision, die aufzulösen, etwa durch ausdrückliche Aufhebung der beiden Bestimmungen der VwO, der Verordnungsgeber unterlassen hatte. Hierzu wäre nach Auffassung des Senats um so eher Anlaß gewesen, als die Alkoholverordnung in ihrem § 6 eine Aufhebungsvorschrift enthält, die ohne größeren Aufwand auf die betreffenden Bestimmungen der VwO hätte erstreckt werden können.
dd) Mithin ist die Normenkollision nach den hergebrachten und in der Rechtslehre anerkannten Grundsätzen zu lösen (vgl. etwa Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6.Aufl. 1991, S.266 ff.; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S.47 ff.). Dabei ist anerkannt, daß Rechtssätze außer durch förmliche Aufhebung oder durch Zeitablauf auch durch Kollision mit einer nachträglich entstandenen Norm gleichen oder höheren Ranges ihre Geltung verlieren können (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5.November 1964 IV 11/64 S, BFHE 80, 356, 371, BStBl III 1964, 602, unter Hinweis auf Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Bd., Allgemeiner Teil, 8.Aufl. 1961, S.137; s. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., Stand März 1992, § 4 AO 1977 Tz.11 ff.).
Im Streitfall kollidieren zwei Rechtsverordnungen des BMF, also gleichrangige Normen. Das FG hat diesen Konflikt nach rein temporalem Verhältnis der beiden Normen gelöst, indem es befunden hat, daß das spätere Recht (§ 2 Abs.3 der Alkoholverordnung) das frühere Recht (§ 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO) außer Kraft gesetzt hat ("lex posterior derogat legi priori"; vgl. Renck, Zum Anwendungsbereich des Satzes "lex posterior derogat legi priori", Juristenzeitung --JZ-- 1970, 770). Die ausdrückliche Aufhebung der beiden Bestimmungen der VwO durch die 16. Verordnung zur Änderung der VwO vom 10.September 1986 (BGBl I, 1520) sei für das Außerkrafttreten nicht konstitutiv gewesen. Zur Unterstützung dieser Ansicht zitiert das FG aus der zu den Akten gegebenen Begründung zum Entwurf dieser 16. Änderungsverordnung, wo es zu dem neugefaßten § 64 VwO heißt: "Auf die im bisherigen Absatz 2 enthaltene Spezialvorschrift zur Besteuerung nach Nennfüllmenge und angegebenem Alkoholgehalt (Etikettenbesteuerung) kann verzichtet werden. Dies ist jetzt in § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung vom 28.11.1979 (BGBl I, 2001) geregelt."
Der Senat folgt dieser Auffassung nicht. Das FG hat verkannt, daß die betreffenden Vorschriften einen unterschiedlichen Anwendungsbereich haben können und im Streitfall nur zufällig in tatbestandlicher Konkurrenz stehen. § 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO ist nämlich, wovon offensichtlich auch der Verordnungsgeber in der soeben zitierten Begründung ausgeht ("Spezialvorschrift"), die gegenüber § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung speziellere Norm.
Die Spezialität des § 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO (nur fakultative Etikettenbesteuerung) folgt daraus, daß sich die Vorschrift nach ihrer systematischen Stellung in der VwO lediglich auf die Abfertigung bzw. die Entnahme von Trinkbranntwein aus einem Branntweinlager in den verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr bezieht. Sie erfaßt nicht die Fälle der unmittelbaren Einfuhr oder eines anderweitigen Übergangs von Trinkbranntwein in den verbrauchsteuerrechtlich freien Verkehr. Dies erfolgt erst durch den allgemein gehaltenen § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung. Den auf die Branntweinlagerung beschränkten Anwendungsbereich der Vorschriften der VwO hatte offensichtlich auch der Verordnungsgeber vor Augen, indem er diese Regelung in der Begründung zu ihrer Aufhebung im Jahre 1986 als "Spezialvorschrift" (gegenüber § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung) bezeichnete.
Damit erweist sich das Verhältnis von § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung zu den betreffenden Vorschriften der VwO als das einer späteren allgemeineren Norm zu einer früheren spezielleren Norm. Bei einer solchen Konkurrenz verdrängt die spätere Norm die frühere Norm aber nicht. Es gilt der Grundsatz "lex posterior generalis non derogat legi priori speciali" (vgl. Renck, JZ 1970, 770; Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO 1977 Tz.15 und § 2 Tz.1). Die lediglich tatbestandsteilidentischen Vorschriften können mit unterschiedlichen Rechtsfolgen bestehen bleiben, ohne daß die Einheit der Rechtsordnung bereits durch deren bloße Existenz und Geltung verletzt wäre. Sie stehen beide als rechtmäßige Normen lediglich in Anwendungskonkurrenz (vgl. Renck, JZ 1970, 770).
Hieraus folgt, daß bei der Auslagerung von Trinkbranntwein in Kleinverkaufsbehältnissen bis 5 l aus einem Branntweinlager die dem Lagerinhaber durch § 66 Abs.3 Satz 3 i.V.m. § 64 Abs.2 Satz 2 VwO eingeräumte Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Ermittlung der Alkoholmenge über den 1.Januar 1980 hinaus bis zur formellen Aufhebung dieser Vorschriften im Jahre 1986 fortbestand. Die Klägerin war daher zur Etikettenbesteuerung nicht verpflichtet.
Für die gegenteilige Meinung des FG, das aus der Entstehungsgeschichte der Vorschriften der Alkoholverordnung ableiten will, der Verordnungsgeber habe mit § 2 Abs.3 der Alkoholverordnung zum 1.Januar 1980 eine abschließende, alle Fälle umfassende Neuregelung der Etikettenbesteuerung treffen wollen, gibt es keine tragfähigen Argumente. Es mag auch durchaus sinnvoll gewesen sein, dem Inhaber eines Branntweinlagers weiterhin die Möglichkeit zu belassen, auch bei Branntwein in Kleinverkaufsbehältnissen die Alkoholmenge nach Spindelung aufgrund des üblichen amtlichen Verfahrens zu ermitteln. Denn einem Lagerinhaber, der in seinem Lager Branntwein mischen und (auch) in Flaschen abfüllen darf, stehen, anders als einem bloßen Händler oder Einführer, die zu einer solchen Ermittlung notwendigen technischen Einrichtungen in seinem Betrieb ohnehin in der Regel zur Verfügung.
Fundstellen
Haufe-Index 64439 |
BFH/NV 1993, 18 |
BFHE 169, 564 |
BFHE 1993, 564 |
BB 1993, 426 (L) |
StE 1993, 102 (K) |