Leitsatz (amtlich)
Kunstgegenstände sind, auch wenn sie als solche nicht unter Kap.99 GZT fallen, grundsätzlich keine Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert im zolltariflichen Sinne (hier: nach Entwürfen eines namhaften zeitgenössischen Künstlers gefertigte Gobelins).
Orientierungssatz
Sammlungsstücke der Tarifnummer 99.05 GZT sind solche wissenschaftlicher Art; Kunstgegenstände rechnen zum "kulturellen" Bereich und sind je nach Beschaffenheit zollfrei (Tarifnrn. 99.01 bis 99.03 GZT) oder nicht, wobei die einschlägigen Tarifnummern des Kapitels 99 ausdehnend auszulegen sind (vgl. EuGH-Urteil vom 15.5.1985 Rs. 155/84). Die Tarifnr. 99.05 GZT erfaßt auch Sammlungsstücke von kunstgeschichtlichem Wert. Darunter fallen allein Stücke, die nicht (mehr) "nur" Kunstgegenstände, sondern ausschließlich oder in erster Linie Gegenstände des (kunst-)historisch-wissenschaftlichen Interesses sind. Erzeugnisse, bei denen der Kunstwert im Vordergrund steht, bleiben selbst dann "reine" Kunstgegenstände, wenn sie wegen ihrer künstlerischen Bedeutung einen davon abgeleiteten "kunsthistorischen" Wert in Gestalt exemplarischer Bedeutung für die Gegenwartskunst aufweisen.
Normenkette
GZT Tarifnr 99.05; GZT Tarifnr 58.03; GZT Tarifnr 99.01; GZT Tarifnr 99.02; GZT Tarifnr 99.03; GZT Kap 99 Vorschr. 4
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ließ im April 1978 vier Wandteppiche zum freien Verkehr abfertigen, die zollamtlich zunächst als Tapisserien der Tarifnr. 58.03 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT), später als zollfreie Sammlungsstücke der Tarifnr. 99.05 GZT behandelt wurden. Durch Änderungsbescheid vom 21.Dezember 1979 wies der Beklagte und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt --HZA--) die Teppiche erneut der Tarifnr. 58.03 GZT zu und erhob Zoll nach.
Die Teppiche enthalten betitelte Darstellungen. Sie sind nach Anweisung und Entwurf des Malers H von Hand, je als Einzelstück, gefertigt, durch Schreiben des Künstlers als Unikate ausgewiesen und in dessen Werkverzeichnis aufgenommen. Einer der Teppiche wurde 1978 vom Museum für Kunst und Gewerbe in H gekauft und in die dortige Sammlung aufgenommen; vergleichbare Teppiche des Künstlers wurden von anderen Museen erworben.
Die gegen den Änderungsbescheid nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage, mit der der Kläger sich auf von ihm vorgelegte gutachtliche Äußerungen verschiedener Museen und Fachleute berief, wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen. Das FG führte aus, zu den Sammlungsstücken von geschichtlichem Wert --Tarifnr. 99.05 GZT-- gehörten Kunstgegenstände jedenfalls dann nicht, wenn ihr geschichtlicher Wert allein auf die Bedeutung als Kunstgegenstand bzw. als Kunstwerk eines bedeutenden Künstlers gestützt werde. Kunstgegenstände als solche seien nur zollfrei, wenn sie --was hier ausscheide-- unter eine der Tarifnrn. 99.01 bis 99.03 GZT fielen. Die differenzierende, im Ergebnis einschränkende Aufgliederung in den vorbezeichneten Tarifnummern würde weitgehend ins Leere gehen, wenn dort nicht erfaßte Kunstgegenstände als Sammlungsstücke von (kunst-)geschichtlichem Wert der Tarifnr. 99.05 GZT anzuerkennen wären. Bei den Teppichen sei ein über die Eigenschaft als Kunstwerk hinausgehender geschichtlicher Bezug nicht erkennbar. Die Aufnahme solcher Teppiche in Sammlungen von Museen belege nur die künstlerische, allenfalls noch die kunstgeschichtliche Bedeutung.
Mit der Revision gegen dieses Urteil beruft sich der Kläger auf Vorschrift 4a zu Kapitel 99 GZT. Er macht geltend, auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) seien die Tarifnummern dieses Kapitels bei Originalkunstwerken weit auszulegen. Bei der gebotenen weiten Auslegung müßten unter den Begriff "Sammlungsstücke" --hier: von geschichtlichem Wert-- zumindest solche (nicht schon in den Tarifnrn. 99.01 bis 99.03 GZT erfaßten) Originalkunstwerke subsumiert werden, die von Künstlern unbestreitbaren Ranges geschaffen worden seien. Der Begriff "Geschichte" umfasse auch die Gegenwart sowie den kunsthistorischen Bereich. Aufgrund der unterschiedlichen Qualifikationsmerkmale --Herstellungstechnik einerseits (Tarifnrn. 99.01 bis 99.03 GZT) und (kunst-)geschichtlicher Wert andererseits (Tarifnr. 99.05 GZT)-- finde eine Überschneidung zwischen beiden Gruppen nur bei Originalkunstwerken von künstlerischem Rang und kunsthistorischem Wert statt, welche in den in Tarifnrn. 99.01 bis 99.03 GZT aufgeführten herkömmlichen Techniken ausgeführt seien. Entgegen der Ansicht des FG werde durch diese Tarifnummern die Tarifbegünstigung von Kunstwerken nicht abschließend geregelt. Tapisserien von kunsthistorischer Bedeutung seien zu den Sammlungsstücken von geschichtlichem Wert zu zählen, insbesondere die Gobelins von H, die üblicherweise nicht zu reinen Dekorationszwecken verwendet, sondern als (originäre) Kunstwerke angesehen würden. Gerade ihr hoher künstlerischer Wert zeige, daß ihre Belastung mit dem vollen Zollsatz für das verwendete Material unbillig sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat zutreffend entschieden, daß die vom Kläger eingeführten Wandteppiche keine Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert im zolltariflichen Sinne sind und daß der angefochtene Änderungsbescheid, nach dem die Teppiche zu Tarifnr. 58.03 GZT --Tapisserien, handgewebt (Gobelins ...)...-- gehören und dem darin vorgesehenen Zoll unterliegen, nicht zu beanstanden ist. Die dagegen gerichteten Einwendungen der Revision greifen nicht durch.
1. Auf Vorschrift 4a zu Kapitel 99 GZT kann der Kläger sich nicht berufen. Die Vorschrift über den Vorrang des Kapitels 99 GZT gilt nur, wenn dieses bei der Tarifierung in Betracht kommt (Urteil des Senats vom 29.Oktober 1986 VII R 110/82, BFHE 148, 90, 94). Im Streitfalle kommt jedoch keine der Tarifnummern des Kapitels 99 GZT in Betracht.
2. Es bestehen bereits Zweifel, ob die eingeführten Teppiche den --allgemeinen-- Anforderungen entsprechen, die für die vom Kläger begehrte Zuweisung zu Tarifnr. 99.05 GZT gelten. "Sammlungsstücke" kennzeichnen sich u.a. dadurch, daß sie normalerweise nicht ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung gemäß verwendet werden (EuGH-Urteile vom 10.Oktober 1985 Rs.200/84 --Oldtimer-- und Rs.252/84 --Pistolen--, EuGHE 1985, 3377, 3383 und 3388, 3393; Senatsurteile in BFHE 148, 90, 92; vom 2.April 1987 VII R 105/84,BFHE 150,97, und vom 20.Oktober 1987 VII K 16, 21-23/87, BFHE 151, 266). Gerade wenn davon ausgegangen wird, daß die Gobelins von H nicht zu reinen Dekorationszwecken verwendet, sondern als originäre Kunstwerke angesehen werden, könnte fraglich erscheinen, ob darin --auch bei Aufnahme in Museumssammlungen-- eine Verwendung zu einem anderen als dem ursprünglichen Zweck liegen kann. Darüberhinaus bestehen auch Zweifel an dem "geschichtlichen Wert" der Teppiche. Der Geschichtsbegriff im Sinne der Tarifnr. 99.05 GZT ist freilich in weitem Sinne zu verstehen; er umfaßt die Entwicklung der Menschheit und die menschlichen Errungenschaften in allen Bereichen (EuGH, a.a.O.); auch ein kunst"historischer" Wert wird danach als "geschichtlicher Wert" in Betracht kommen (ebenso die nur für die Verwaltung verbindlichen Anweisungen in Erläuterungen zum Zolltarif --ErlZT-- zu Kapitel 99 Teil IV Rz.3 und 4 und in Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung Z 8212 - 1 Abs.95 Nr.2). Damit nicht entschieden ist jedoch, ob dieser Geschichtsbegriff, wie der Kläger meint, auch die Gegenwart einschließt, auf zeitgenössische Kunstwerke bezogen, ob diese das für die Anerkennung eines geschichtlichen Werts erforderliche Kriterium erfüllen, einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften zu dokumentieren oder einen Abschnitt dieser Entwicklung zu veranschaulichen.
Alle diese Fragen können jedoch unentschieden bleiben. Auch wenn anzunehmen wäre, daß die Teppiche den an Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert zu stellenden Anforderungen bei isolierter Heranziehung der Tarifnr. 99.05 GZT genügen, können sie bei Würdigung der zolltariflichen Zusammenhänge, die bei der Auslegung dieser Tarifposition im Falle der Tarifierung von Kunstgegenständen zu beachten sind (nachstehend Nr.3), nicht als "Sammlungsstücke" im zolltariflichen Sinne behandelt werden.
3. Der Senat teilt die Auffassung des FG, daß Kunstgegenstände --in der (rechtlich unverbindlichen) Überschrift von Abschn.XXI und Kapitel 99 GZT gesondert neben Sammlungsstücken aufgeführt-- keine Sammlungsstücke im zolltariflichen Sinne sind, auch soweit sie nicht unter die Tarifnr. 99.01, 99.02 oder 99.03 GZT fallen. Zwar kann der Revision zugegeben werden, daß auch bei der von ihr vertretenen weiten Auslegung des zolltariflichen Begriffs "Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert" die vorbezeichneten Tarifnummern nicht bedeutungslos würden, sie vielmehr --bezogen auf "Kaufhauskunst"-- Bedeutung behielten. Die Richtigkeit der Ansicht des FG ergibt sich jedoch aus dem Aufbau des Zolltarifs. Dieser stellt (zollfreie) Kunstgegenstände bestimmter Art --Originalgemälde usw.; Originalstiche und dergl.; Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst-- neben "Sammlungsstücke" und weist andere Kunstgegenstände an anderer Stelle aus, handgewebte Tapisserien z.B. in Tarifnr. 58.03 GZT. Die Unterscheidung zwischen Kunstgegenständen und Sammlungsstücken entspricht der Aufgliederung in Anhang B des UNESCO-Abkommens vom 22.November 1950 über die Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters (BGBl II 1957, 171), dessen Durchführung Kapitel 99 GZT dient (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 150, 97, 100). Sammlungsstücke der Tarifnr. 99.05 GZT sind danach solche wissenschaftlicher Art (vgl. auch ErlZT zu Kapitel 99 Teil I Rz.5); Kunstgegenstände rechnen zum "kulturellen" Bereich und sind je nach Beschaffenheit zollfrei (Tarifnrn. 99.01 bis 99.03 GZT) oder nicht, wobei freilich die einschlägigen Tarifnummern des Kapitels 99 ausdehnend auszulegen sind (so zu Tarifnr. 99.03 EuGH-Urteil vom 15.Mai 1985 Rs.155/84, EuGHE 1985, 1454, 1456).
Bestätigt wird dies durch die Erläuterungen zum Zolltarif, die nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des Senats wichtige Mittel der zolltariflichen Auslegung sind. Nach ihnen --ErlZT zu Tarifnr. 58.03 Teil I Rz.15-- gehören nicht zu Tarifnr. 58.03 Tapisserien mit einem Alter von mehr als 100 Jahren (Kapitel 99). Da Waren mit den Merkmalen der Tarifnr. 99.05 in keinem Fall zu der insoweit in Bezug genommenen Tarifnr. 99.06 --Antiquitäten, mehr als 100 Jahre alt-- gehören (Vorschrift 4b zu Kapitel 99), gehen auch die Erläuterungen --richtigerweise-- davon aus, daß Tapisserien von besonderer künstlerischer Bedeutung nicht als "Sammlungsstücke" der Tarifnr. 99.05 zugeordnet werden können. Die Höhe der Zollbelastung, die sich bei Anwendung der zutreffenden Tarifnummer ergibt, ist kein (allein) ausschlaggebender Gesichtspunkt (vgl. EuGH, a.a.O., Abs.11 der Entscheidungsgründe: "darüberhinaus"); das gilt zumindest dann, wenn das betreffende Erzeugnis in einer Tarifnummer außerhalb des Kapitels 99 ausdrücklich benannt ist (hier: Gobelins in Tarifnr. 58.03).
Dieser zolltariflichen Beurteilung steht nicht entgegen, daß die Tarifnr. 99.05 auch Sammlungsstücke von kunstgeschichtlichem Wert erfaßt (vorstehend Nr.2). Denn darunter fallen allein Stücke, die nicht (mehr) "nur" Kunstgegenstände, sondern ausschließlich oder in erster Linie Gegenstände des (kunst-)historisch-wissenschaftlichen Interesses sind. Erzeugnisse, bei denen der Kunstwert im Vordergrund steht, bleiben selbst dann "reine" Kunstgegenstände, wenn sie wegen ihrer künstlerischen Bedeutung einen davon abgeleiteten "kunsthistorischen" Wert in Gestalt exemplarischer Bedeutung für die Gegenwartskunst aufweisen. Einen solchen Wert hat --mehr oder weniger-- jeder Kunstgegenstand wenigstens dann, wenn es sich um ein Kunstwerk von Rang handelt. Für sich allein ist er nicht geeignet, ein für die Zuweisung zur Tarifnr. 99.05 erforderliches (historisch-)wissenschaftliches Interesse zu begründen.
Fundstellen
Haufe-Index 62416 |
BFH/NV 1989, 8 |
BFHE 155, 219 |
BFHE 1989, 219 |
HFR 1989, 213 (LT) |