Entscheidungsstichwort (Thema)
Überschußerzielungsabsicht in bezug auf Einkünfte aus Kapitalvermögen
Leitsatz (NV)
Das Vorliegen der Überschußerzielungsabsicht ist zu bejahen, wenn beim Erwerb einer ertragbringenden Kapitalanlage der Gedanke einer ‐wenn auch bescheidenen‐ Rendite eine Rolle spielt und keine erkennbaren objektiven Anhaltspunkte dafür bestehen, daß eine solche nicht erwartet wird oder mit ihr nicht zu rechnen ist. Selbst die Ertragslosigkeit einer GmbH-Beteiligung reicht für sich allein genommen zur Verneinung der Einkünfteerzielungsabsicht nicht aus. Es bedarf vielmehr konkreter Anhaltspunkte dafür, daß aufgrund der individuellen Verhältnisse der Kapitalgesellschaft und/oder ihrer Gesellschafter auch langfristig mit einem Überschuß aus der Beteiligung nicht zu rechnen ist oder daß rein persönliche Gründe, wie freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen, für die Beteiligung bestimmend waren.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 7
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit dem 1. Oktober 1990 angestellter Geschäftsführer der A-GmbH (GmbH). Er bezog ein monatliches Festgehalt und eine gewinnabhängige Jahresgratifikation. Im Juni 1991 erwarb er im Rahmen einer Kapitalerhöhung einen Geschäftsanteil an der GmbH im Nennwert von 250 000 DM (= 5 % des Stammkapitals) zum Kaufpreis von 665 000 DM. Der Kläger finanzierte diesen Erwerb durch Aufnahme eines Darlehens bei der B-Bank in Höhe von 700 000 DM mit einer Laufzeit von sechs Jahren (vom 30. Juni 1991 bis 30. Juni 1997).
Der Zinssatz betrug 3,5 % über dem jeweiligen Interbankenbriefsatz. Ursprünglich war vorgesehen, daß der Kläger den Refinanzierungskredit wie folgt tilgen sollte:
Am 30. Juni 1993 100 000 DM
am 30. Juni 1994 100 000 DM
am 30. Juni 1995 150 000 DM
am 30. Juni 1996 150 000 DM
am 30. Juni 1997 200 000 DM
Summe 700 000 DM
Im Januar 1994 wurde vereinbart, daß die beiden ersten Tilgungsraten erst am 30. Juni 1997 zu leisten seien.
Im November 1994 fiel die GmbH in Konkurs. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1992 machte der Kläger die für das Refinanzierungsdarlehen aufgewendeten Zinsen in Höhe von 88 814 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) lehnte den Werbungskostenabzug ab, weil der Kläger nicht mit einem Überschuß der Einnahmen aus seiner GmbH-Beteiligung über die Werbungskosten habe rechnen können.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 9 Abs. 1 Sätze 1 und 3, § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―).
Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1992 dahingehend zu ändern, daß bei den Einkünften aus Kapitalvermögen weitere Werbungskosten in Höhe von 88 814 DM angesetzt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Zu Unrecht hat das FG angenommen, daß der Kläger im Streitjahr nicht beabsichtigt habe, mit seiner GmbH-Beteiligung positive Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu erzielen. Die streitigen Schuldzinsen sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen, soweit sie der Refinanzierung der GmbH-Beteiligung des Klägers dienten.
a) Schuldzinsen und andere Kreditkosten sind Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, wenn und soweit jene mit dieser Einkunftsart in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 EStG). Werbungskosten sind danach insbesondere Kosten für Kredite, deren Valuta zum Erwerb einer Kapitalanlage i.S. von § 20 EStG verwendet wird. Zu den Kapitalanlagen in diesem Sinne gehört auch eine GmbH-Beteiligung, wenn der Steuerpflichtige mit ihr beabsichtigt, Kapitaleinkünfte i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 20 EStG zu "erzielen".
Die Absicht zur "Erzielung" von Kapitaleinkünften setzt das Streben des Steuerpflichtigen voraus, durch die Vermögensnutzung auf Dauer gesehen ein positives Ergebnis, d.h. einen (Total-)Überschuß der Kapitaleinnahmen über die Werbungskosten, zu erwirtschaften. Maßgebend ist dabei nicht das Ergebnis eines oder weniger Jahre, sondern das Gesamtergebnis der voraussichtlichen Vermögensnutzung, wobei allerdings steuerfreie Veräußerungsgewinne außer Betracht bleiben (vgl. z.B. Beschluß des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. IV. 3. c, aa ―2― der Gründe, m.w.N.).
Die Absicht zur Erzielung von Gewinnen und Einnahmenüberschüssen ist eine innere Tatsache, die ―wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgänge― nur anhand äußerlicher Merkmale beurteilt werden kann. Das Vorliegen oder Fehlen einer solchen Absicht ist daher aus den in der Außenwelt erkennbaren ―objektiven― Umständen (Indizien und Beweisanzeichen) zu erschließen (vgl. z.B. BFH-Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. IV. 3. c, bb, m.w.N.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der erkennende Senat die Einkünfteerzielungsabsicht des Steuerpflichtigen verneint, wenn die von ihm fremdfinanzierte Kapitalanlage "vorwiegend zur Ausnutzung (nichtsteuerbarer) Wertsteigerungen im Vermögen" erfolgte bzw. wenn "für den fremdfinanzierten Erwerb der GmbH-Beteiligung die Absicht der Erzielung eines alsbaldigen (nichtsteuerbaren) Veräußerungsgewinns maßgebend war" (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 21. Juli 1981 VIII R 154/76, BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37, unter 4., und VIII R 128/76, BFHE 134, 119, BStBl II 1982, 36, unter 5.; vom 23. März 1982 VIII R 132/80, BFHE 135, 320, BStBl II 1982, 463, unter 1. a; vom 8. Oktober 1985 VIII R 234/84, BFHE 145, 335, BStBl II 1986, 596, unter 2. b). Hingegen hat er das Vorliegen der Überschußerzielungsabsicht bejaht, wenn beim Erwerb einer ertragbringenden Kapitalanlage der Gedanke einer ―wenn auch bescheidenen― Rendite eine Rolle spielte und keine erkennbaren objektiven Anhaltspunkte dafür bestanden, daß eine solche nicht erwartet wurde oder mit ihr nicht zu rechnen war (Senatsurteil in BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37, unter 4.). Selbst die Ertragslosigkeit einer GmbH-Beteiligung reicht für sich allein genommen zur Verneinung der Einkünfteerzielungsabsicht nicht aus. Es bedarf vielmehr konkreter Anhaltspunkte dafür, daß aufgrund der individuellen Verhältnisse der Kapitalgesellschaft und/oder ihrer Gesellschafter auch langfristig mit einem Überschuß aus der Beteiligung nicht zu rechnen ist (Senatsurteil vom 9. August 1983 VIII R 276/82, BFHE 139, 257, BStBl II 1984, 29, 30, re.Sp., m.w.N.) oder daß rein persönliche Gesichtspunkte, wie freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen, für die Beteiligung bestimmend waren (BFH-Urteile vom 23. Mai 1985 IV R 198/83, BFHE 144, 53, BStBl II 1985, 517, unter 2.; in BFHE 145, 335, BStBl II 1986, 596, unter 2. d, m.w.N.).
b) Nach den vorstehenden Maßstäben hat das FG unzutreffend die Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers verneint. Das Vorliegen einer Überschußerzielungsabsicht des Steuerpflichtigen setzt entgegen der offenbaren Annahme des FG nicht voraus, daß bei objektiver Betrachtung sicher mit Einnahmeüberschüssen gerechnet werden kann (vgl. z.B. Senatsurteile vom 5. März 1991 VIII R 6/88, BFHE 164, 319, BStBl II 1991, 744, unter II.; vom 14. Juli 1992 VIII R 49/90, BFH/NV 1993, 16, unter 2. a).
Nach den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist auszuschließen, daß der Kläger die streitige (nichtwesentliche) GmbH-Beteiligung in der Absicht erwarb, sie alsbald ―bei nächster günstiger Gelegenheit― zu veräußern und dadurch nicht steuerbare Wertsteigerungen zu realisieren. Hiergegen spricht insbesondere der Umstand, daß der Kläger der GmbH als Geschäftsführer verbunden war und ihr im Wege der Einlage langfristig benötigtes Kapital zuführte. Es kommt hinzu, daß bei GmbH-Anteilen die Möglichkeit einer kurzfristigen Realisierung steuerfreier Anteilswertsteigerungen eingeschränkt ist, weil kein leicht erkennbarer Kurswert existiert und die Wertermittlung meist langwierige Untersuchungen und Berechnungen voraussetzt (Senatsurteil in BFHE 134, 119, BStBl II 1982, 36, unter 5.).
Nicht zu überzeugen vermag deswegen auch die Erwägung des FG, die GmbH habe die von ihr voraussichtlich erzielten Gewinne zunächst nicht ausschütten können, sondern reinvestieren und zur Rückführung von Schulden verwenden müssen. Auch im Falle der hier zu beurteilenden nichtwesentlichen Beteiligung sind Gewinnthesaurierungen der Beteiligungsgesellschaft dann unschädlich, wenn sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, daß aufgrund der individuellen Gestaltung der Verhältnisse der GmbH und/oder ihrer Gesellschafter eine Thesaurierungsabsicht verfolgt wird, die vorwiegend der Realisierung von Wertsteigerungen durch Anteilsveräußerung dienen soll (vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 134, 119, BStBl II 1982, 36, unter 5.). Umstände solcher Art sind indessen weder vom FA vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Sie liegen im übrigen schon deswegen fern, weil der Kläger ―wie ausgeführt― die GmbH-Beteiligung langfristig zu halten gedachte.
Wegen dieses letztgenannten Aspekts überzeugt es überdies nicht, daß das FG bei seiner Ertragsprognose vorrangig auf den relativ kurzen Zeitraum der Laufzeit des Refinanzierungsdarlehens von sechs Jahren abstellte, auf den Zeitraum also, in welchem die voraussichtlichen Kapitalerträge in starkem Maße durch die hohen Refinanzierungszinsen belastet wurden.
Davon abgesehen hat das FG bei seiner Ertragsprognose auch nicht berücksichtigt, daß sich aus der maßgeblichen Sicht zu Beginn des Streitjahres 1992 die Schuldzinsen schon während der Laufzeit des Refinanzierungskredits durch dessen stetige Tilgung in jährlichen Raten wesentlich reduzieren sollten.
Das FG hat nicht verkannt, daß der Kläger den Geschäftsanteil "in der Erwartung laufender Erträge erworben hat". Es hat dies aus der zutreffenden Erkenntnis hergeleitet, daß der Kläger anderenfalls kaum einen so erheblichen Finanzierungsaufwand und die damit verbundenen Risiken auf sich genommen hätte. Die vom FG getroffenen, für den erkennenden Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen bieten zunächst keinen Anhalt dafür, daß der Kläger die GmbH-Beteiligung aus rein persönlichen Neigungen erwarb und hielt. Sie liefern überdies aber auch keine hinlänglichen objektiven Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger aus der maßgeblichen Perspektive zu Beginn des Streitjahres 1992 aufgrund der spezifischen Verhältnisse der GmbH und/oder ihrer Gesellschafter auch auf längere Sicht nicht mit einem Einnahmenüberschuß rechnen durfte. Im Gegenteil: Die Krise des Beteiligungsunternehmens in den Jahren 1988 und 1989 war im Jahr 1991 überwunden, die erforderlichen Sanierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen waren abgeschlossen. Bereits 1990 war der Umsatz der GmbH gegenüber den wirtschaftlich schwierigen Vorjahren um 70 % gesteigert und ein Jahresüberschuß von rd. 800 000 DM erzielt worden. Vorausgegangen war eine beträchtliche Kapitalerhöhung im Jahr 1989, verbunden mit dem Eintritt der finanzstarken X-Beteiligungs-GmbH als Gesellschafterin. Mitte 1991 war es zu einer weiteren Kapitalerhöhung gekommen, im Zuge derer die X-Beteiligungs-GmbH ihr Beteiligungsengagement ausweitete und auch der Kläger und sein Mitgeschäftsführer in die GmbH eintraten. Weiteres erhebliches Kapital wurde der GmbH von der Y-Investitionskreditbank als stille Gesellschafterin zugeführt.
Der Kläger konnte sich in seiner günstigen Ertragseinschätzung im Zeitpunkt des Erwerbs seiner Beteiligung vor allem durch den von der Unternehmensberatungsgesellschaft Z für die Jahre 1992 bis 1995 erstellten "Geschäftsentwicklungsplan" bestätigt sehen, dessen positive Prognosen die B-Bank zur Gewährung des streitigen Refinanzierungskredits sowie zu einer noch umfangreicheren Kreditgewährung an den anderen Geschäftsführer und Neugesellschafter veranlaßten. Hinzu traten die positive, von Wirtschaftsprüfern testierte Zwischenbilanz der GmbH zum 30. Juni 1991 und ferner der Umstand, daß ein Altgesellschafter seinen nominellen Geschäftsanteil in Höhe von 756 500 DM Mitte 1991 zum Preis von 2 Mio. DM veräußert hatte.
Dieses positive Umfeld hatte sich bis Ende 1991 nicht wesentlich verschlechtert. Zwar sind das noch Mitte 1991 für dieses Jahr prognostizierte Umsatzziel von rd. 100 000 000 DM nicht voll erreicht und nur ein Jahresumsatz von 89 000 000 DM erzielt worden. Die grundlegende Ursache für den späteren Konkurs der GmbH Ende 1994, nämlich die gravierenden Umsatzeinbußen infolge des Konjunktureinbruchs, war jedoch zu Beginn des Streitjahres noch nicht abzusehen.
b) Die Entscheidung des Senats wird nicht dadurch beeinflußt, daß der Kläger sich an der GmbH möglicherweise nicht nur in Erwartung der Ausschüttung von Gewinnen beteiligt hat, sondern auch, um durch die Zuführung von Kapital die GmbH zu stärken und damit zugleich den eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Jedenfalls steht der wirtschaftliche Zusammenhang der Aufwendungen mit den Einkünften aus Kapitalvermögen im Vordergrund und verdrängt die Beziehung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (vgl. auch BFH-Urteile vom 21. April 1961 VI 158/59 U, BFHE 73, 449, BStBl III 1961, 431, unter 1.; in BFHE 134, 119, BStBl II 1982, 36, unter 5.; in BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37, unter 5.).
c) Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Zwar ermöglichen die Feststellungen des FG ―wie unter II. 1. a dargelegt― den Schluß, daß der Kläger die Absicht hatte, Überschüsse zu erzielen. Jedoch läßt sich den Feststellungen des FG nicht entnehmen, ob der Kläger die Valuta des Refinanzierungskredits in vollem Umfang zur Erzielung von Einkünften aus der in Rede stehenden GmbH-Beteiligung einsetzte. Der vom Kläger aufgenommene Refinanzierungskredit (700 000 DM) überschritt die Anschaffungskosten der Beteiligung (665 000 DM) um 35 000 DM. Das FG hat ―von seinem Standpunkt aus zu Recht― nicht aufgeklärt, wozu dieser Differenzbetrag verwendet wurde. Sollte er nicht (zum Erwerb) der Beteiligung gedient haben (z.B. als Geldbeschaffungskosten), wären die streitigen Werbungskosten um 35/700 (=5 %) zu kürzen. Sollte der Differenzbetrag der Erzielung anderweitiger Einkünfte gedient haben, wären die entsprechenden Zinsteile dort zu berücksichtigen. Dies wird das FG im zweiten Rechtsgang aufzuklären haben.
Fundstellen
Haufe-Index 55846 |
BFH/NV 1999, 1323 |
HFR 1999, 894 |