Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Eine wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG 1949 ist dann gegeben, wenn eine schwierige Frage (Aufgabe) auf Grund wissenschaftlicher Kenntnisse und Erkenntnisse nach wissenschaftlichen Grundsätzen gelöst wird.
Normenkette
EStG § 34 Abs. 5, § 34/4
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist Steueramtmann a. D. Er hat im Jahre 1949 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 6.180 DM und außerdem Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 380 DM gehabt. Bei den letzteren Einkünften handelt es sich um Einkünfte aus seiner Tätigkeit an der Volkshochschule. Er hat Vorträge über die Entwicklung des Steuerwesens in ihrer betriebswirtschaftlichen und allgemein wirtschaftlichen Bedeutung und über Probleme des modernen Rechnungswesens bei einer AG gehalten.
Da er aus mehreren Dienstverhältnissen Einkünfte über 3.600 DM bezogen hat, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterlegen haben, wurde es für das Streitjahr veranlagt. Er beantragte, die Einkommensteuer für seine Einkünfte aus seiner Tätigkeit an der Volkshochschule mit 10 % von 380 DM zu bemessen, weil die Voraussetzungen des § 34 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1949 gegeben seien. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab, das Finanzgericht gab der Berufung statt und begründete dies wie folgt:
Es komme darauf an, ob die Tätigkeit des Stpfl. an der Volkshochschule als wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG 1949 anzusehen sei. Das Finanzamt verneine dies unter Hinweis auf eine Stellungnahme der Vertreter der Süddeutschen Finanzverwaltungen vom Mai 1951. Danach seien Vorlesungen an einer Volkshochschule im allgemeinen nicht als eine wissenschaftliche Vortragstätigkeit anzuerkennen, weil an der Volkshochschule die unterrichtende, d. h. die Lehrtätigkeit, überwiege. Das Finanzgericht halte diese Gesetzesauslegung für zu eng. Die Vorschrift würde dann nur in wenigen Fällen Anwendung finden können. Beschränke man den Begriff auf die wissenschaftlichen Grundlagen-Forschung eines Gelehrten, so würde er auf die Fälle begrenzt, in denen sich jemand nebenberuflich als Forscher im Dienste der Wissenschaft betätige. Damit würden aber gerade jene Lohnsteuerpflichtigen, die die Höhe des Steuertarifs besonders empfindlich treffe und denen deshalb § 34 Abs. 5 EStG eine Milderung bringen solle, von der Vergünstigung ausgeschlossen. Im übrigen sei auch zu beachten, daß die beiden anderen Begriffe des Gesetzes, "künstlerische", "schriftstellerische" Tätigkeit eine enge Auslegung nicht vertragen. Dies sei insbesondere bei schriftstellerischer Tätigkeit der Fall. Es müßten ganz besondere Gründe vorliegen, einer schriftstellerischen Arbeit die Anerkennung im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG zu versagen. Schon aus Gründen der Gleichmäßigkeit sei es nicht gerechtfertigt, den Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit so einengend auszulegen, wie dies durch das Finanzamt geschehe. Wollte man anders verfahren, so würde selbst der Lehrbetrieb an den Universitäten weithin nicht unter den Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit fallen, ein Ergebnis, das unmöglich erscheine. Ein Oberlandesgerichtsrat z. B., der als Gast an einer Universität eine Vorlesung halte, würde danach - weil unterrichtend und belehrend - von der Vergünstigung ausgeschlossen sein. Dies entspreche nicht der Absicht des Gesetzes. Die Volkshochschulen hätten die Aufgabe, breiten Bevölkerungsschichten wissenschaftliche Erkenntnisse und Zusammenhänge nahezubringen. Bei diesen Vorträgen stünden ebenso wie bei den Hochschulen das wissenschaftliche Interesse und die wissenschaftliche Bildung derart im Vordergrund, daß sie als wissenschaftliche Tätigkeit anzusehen seien.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Finanzamtsvorstehers wendet hiergegen ein:
Wissenschaftlich tätig sei, wer die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschungen und Untersuchungen oder die Früchte seiner wissenschaftlichen Erfahrungen und Kenntnisse in der Form von Büchern, Abhandlungen, Gutachten, Vorträgen oder in Form des Unterrichts anderen mitteile (Entscheidungen des Reichsfinanzhofs V 675/37 vom 24. August 1938, Reichssteuerblatt - RStBl. - 1938 S. 908; V 201/38 vom 18. Januar 1939, RStBl. 1939 S. 484). Es sei der Ansicht des Finanzgerichts zuzustimmen, daß ein Oberlandesgerichtsrat, der Gastvorlesungen an einer Universität halte, die Voraussetzungen der Vergünstigung erfülle. Auch das Finanzamt lehne eine starre Auslegung des Begriffes "wissenschaftliche Tätigkeit" ab. Es komme auf die Verhältnisse des einzelnen Falles an. Bei den Volkshochschulen überwiege die reine Lehrtätigkeit. Es seien deshalb die Voraussetzungen der Vergünstigung bei diesen Vorträgen nicht erfüllt.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
In der Literatur ist der Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit nicht scharf umrissen. Kayser, im Betriebs-Berater 1950 S. 588, ist der Ansicht, daß der Tätigkeit des Wissenschaftlers und Künstlers das Merkmal eines besonderen geistigen Niveaus oder einer schöpferischen Arbeit anhafte. Eine im wesentlichen gleiche Ansicht wird in dem Erläuterungsbuch zum Einkommensteuergesetz von Blümich-Falk S. 851 vertreten. Zur wissenschaftlichen Tätigkeit könne auch die Tätigkeit des Erfinders gehören. Nach dem Erläuterungsbuch von Hartmann-Böttcher zum Einkommensteuerrecht (Forkel-Verlag, Stuttgart) unter XIX - II 3 zählt zur wissenschaftlichen Tätigkeit die Abgabe wissenschaftlicher Gutachten, die Wahrnehmung eines Schiedsrichteramtes, die Mitwirkung bei Examenskommissionen usw. Die Einkommensteuer- Richtlinien - EStR - 1950 sehen eine wissenschaftliche Tätigkeit in der Erstattung wissenschaftlicher Gutachten und in der wissenschaftlichen Vortragstätigkeit.
Finanzamt, Finanzgericht und die Literatur gehen von der Auffassung aus, daß als wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG 1949 nicht lediglich die wissenschaftliche Forschertätigkeit zu verstehen ist. Der Senat tritt dieser Auffassung bei.
Die Bestimmung des § 34 Abs. 5 ist, wie bereits das Finanzgericht ausgeführt hat, aus sozialen Erwägungen heraus entstanden. Die enge Auslegung des Begriffes würde dazu führen, daß die Vergünstigung sich gerade dort nicht auswirken könnte, wo die Auswirkung ihrem sozialen Zwecke entspräche. Desgleichen ist dem Finanzgericht darin beizupflichten, daß eine derart enge Auslegung auch mit den umfassenderen Begriffen der schriftstellerischen und der künstlerischen Tätigkeit schwer zu vereinbaren wäre. Wenn der Gesetzgeber Einkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit begünstigen wollte, so ging er davon aus, daß wissenschaftliche Erkenntnisse zur Erzielung von Einkünften genutzt werden. Das ist aber nur dann der Fall, wenn sie zur Lösung von realen Fragen des praktischen Lebens verwendet werden. Dies kann sich nicht nur auf die Vortragstätigkeit beschränken, sondern muß in gleicher Weise für alle Tätigkeiten gelten, die ein wissenschaftliches Gepräge haben, Die Rechtsprechung des Umsatzsteuersenats zu dem Begriff Privatgelehrter kann nicht ohne weiteres auf die "wissenschaftliche Tätigkeit" im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG übertragen werden. Der Begriff "wissenschaftliche Tätigkeit" ist umfassender.
Den Vorbehörden und der Literatur ist darin beizupflichten, daß im Gegensatze zu der schriftstellerischen Tätigkeit der Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit eine hochstehende, besonders qualifizierte Tätigkeit verlangt. Der Begriff der Wissenschaft ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch in besonderem Masse mit den Disziplinen verbunden, die an den Hochschulen gelehrt werden. Des weiteren erblickt man in der Forschertätigkeit in besonderem Ausmaße eine wissenschaftliche Betätigung.
Ausgehend von diesen Erwägungen wird man eine wissenschaftliche Tätigkeit nur dort anerkennen können, wo für die Ausübung der Tätigkeit wissenschaftliche Kenntnisse im Sinne dieser Betrachtungsweise Voraussetzung sind, und des weiteren, wo eine hochstehende, qualifizierte Tätigkeit entfaltet wird, die der Forschertätigkeit vergleichbar ist. Es muß eine schwierige Aufgabe nach wissenschaftlichen Grundsätzen, d. h. nach streng sachlichen und objektiven Gesichtspunkten zu lösen versucht werden. Es ist denkbar, daß eine schriftstellerische Tätigkeit eine wissenschaftliche Tätigkeit darstellt. Die beiden Begriffe stehen sich nicht einander ausschließend gegenüber, sondern sie überschneiden sich. Die schriftstellerische Tätigkeit ist keine wissenschaftliche Tätigkeit, wenn die oben dargestellten Bedingungen nicht erfüllt sind. Die Tatsache, daß eine Tätigkeit unterrichtender Natur ist, schließt die Steuervergünstigung dann nicht aus, wenn sie gleichzeitig das Merkmal der wissenschaftlichen Tätigkeit erfüllt. Das gleiche gilt von der Erstattung von Gutachten und ähnlichen Tätigkeiten. Nicht lediglich Gutachten über abstrakte Fragen sind steuerbegünstigt, sondern auch Gutachten, die konkrete praktische Streitfälle erledigen, z. B. medizinische Gutachten über schwere Krankheitsfälle, zu sanitären Maßnahmen, juristische Gutachten und Entscheidungen über schwierige Streitfragen. Immer ist es aber erforderlich, daß die Objektivität der Stellungnahme gesichert ist.
Im vorliegenden Falle ist es somit nicht entscheidend, ob die Vorlesungen an der Volkshochschule unterrichtender Natur sind. Dies wird man im übrigen in erheblichem Umfange auch hinsichtlich der Vorlesungen an den Universitäten annehmen müssen. Entscheidend ist, ob die Vorlesungen einen wissenschaftlichen Charakter tragen. Das Finanzgericht hat dies jedenfalls für einen Teil der Vorlesungen angenommen. Der Senat hat gegen diese Würdigung auf Grund der vorliegenden Unterlagen keine Bedenken. Das Finanzgericht hat des weiteren auch hinsichtlich der Vorträge des Stpfl. das wissenschaftliche Gepräge bejaht. Auch hiergegen bestehen keine Erinnerungen. Es handelt sich um Vorträge, die schwerwiegende Fragen wirtschaftlicher Natur behandeln, wie sie auch den volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Disziplinen der Hochschulen eigentümlich sind. Das Finanzgericht hat des weiteren angenommen, daß der Stpfl. auch in der Lage war, seine Vorträge in der für wissenschaftliche Vorträge notwendigen qualifizierten Form zu halten. Es ging dabei wohl davon aus, daß die Anforderungen der Volkshochschulen bei der Auswahl der Vortragenden eine entsprechende Gewähr hierfür geben. Auch gegen diese Würdigung, die im übrigen im erheblichen Umfange auf tatsächlichen Gebiete liegt, bestehen keine Bedenken. Wissenschaftlichen Kenntnisse können auch durch Selbststudium erworben werden.
Die Rb. des Finanzamtsvorstehers muß somit als unbegründet zurückgewiesen werden.
Der Stpfl. hat mit Schreiben vom 16. Februar 1952 formal eine Anschlußberufung nach § 247 AO eingelegt. Sachlich stellen seine Ausführungen lediglich den Antrag auf Ablehnung der Rb. des Finanzamtsvorstehers dar. Der Senat nimmt an, daß es sich hier nur um ein Fehlgreifen im Ausdrucke handelt, und sieht deshalb in dem Vorbringen keine formelle Anschlußbeschwerde, die mangels Beschwerde als unzulässig zu verwerfen wäre, sondern lediglich eine Stellungnahme zur Rb. des Finanzamtsvorstehers.
Fundstellen
Haufe-Index 407413 |
BStBl III 1952, 165 |
BFHE 1953, 425 |
BFHE 56, 425 |