Leitsatz (amtlich)
1. Zu dem Erfordernis der Aufmachung einer Ware für den Einzelverkauf zu medizinischen Zwecken nach der Tarifnr. 30.04 GZT (Abweichung von der Entscheidung vom 24.Oktober 1984 VII K 25/83, BFHE 142, 337).
2. Gegen die Gültigkeit der VO Nr.315/86 bestehen keine Bedenken.
Normenkette
EWGV 315/86; GZT Tarifnr 30.04; GZT Tarifnr 48.21 Tarifst F-2
Tatbestand
Die Klägerin beantragte bei der Beklagten (Oberfinanzdirektion --OFD--) die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) für eine Ware, die sie als "ATTENDS R-Slips" bezeichnet und die aus den USA eingeführt werden soll. Zur Beschaffenheit der Ware sowie zur stofflichen Zusammensetzung, zu den besonderen Merkmalen und zum Herstellungsverfahren machte die Klägerin keine Angaben, verwies vielmehr auf die Begründung der Entscheidung des Senats vom 24.Oktober 1984 VII K 25/83 (BFHE 142, 337). Als Verwendungszweck gab sie an: "Heil- und Hilfsmittel bei inkontinenten Patienten (Verkauf über den Pharma-Großhandel und direkt an Krankenhäuser, Kliniken, Altenheime und Sanatorien)."
Die OFD wies die Ware in der vZTA vom 13.Mai 1986 der Tarifst. 48.21 F II des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu.
Zur Begründung ihrer Entscheidung stützt die OFD sich u.a. auf die Verordnung (EWG) Nr.315/86 (VO Nr.315/86) der Kommission vom 11.Februar 1986 zur Einreihung von Waren in die Tarifst. 48.21 F II GZT (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 39/15).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet. Die OFD hat die streitbefangene Ware zu Recht aufgrund der VO Nr.315/86 der Tarifst. 48.21 F II GZT zugewiesen.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin wird die streitbefangene Ware von der VO Nr.315/86 erfaßt.
a) Die Verordnung geht erkennbar davon aus, daß bereits das Fehlen einer Verwendung zu spezifisch medizinischen oder chirurgischen Zwecken eine Aufmachung für medizinische Zwecke i.S. der Tarifnr. 30.04 GZT ausschließt, daß insoweit auf die übliche Verwendung abzustellen ist und daß die Linderung der Auswirkungen der Inkontinenz keine spezifisch medizinische oder chirurgische Verwendung ist. Das folgt vor allem aus Absatz 3 der Erwägungsgründe der Verordnung, in dem ausgeführt ist, daß trotz Aufmachung für den Einzelverkauf eine Aufmachung für medizinische Zwecke deshalb nicht in Betracht kommt, weil es sich bei der üblichen Verwendung zur Linderung der Auswirkungen der Inkontinenz nicht um eine spezifisch medizinische oder chirurgische Verwendung handelt.
b) Ob eine Aufmachung für medizinische Zwecke i.S. der Tarifnr. 30.04 GZT dadurch ausgeschlossen wird, daß es sich bei der üblichen Verwendung nicht um eine solche zu spezifisch medizinischen oder chirurgischen Zwecken handelt und ob die Linderung der Auswirkungen der Inkontinenz zu den spezifisch medizinischen Zwecken gehört, sind Rechtsfragen und nicht Fragen der tatsächlichen Feststellung.
Davon ist auch der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 142, 337 ausgegangen. Er hat in dieser Entscheidung dazu ausgeführt, er sei der "Auffassung", daß schon der Hinweis auf die Anwendungsgebiete, mit der die Verpackung versehen sei, ausreiche, um daraus die Bestimmung des Verkaufs zu medizinischen Zwecken entnehmen zu können, und daß die Verwendung der Ware zur Begrenzung der Inkontinenz oder ihrer Auswirkungen medizinischen Zwecken diene. Mit diesen Ausführungen hat der Senat erkennbar seine Auffassung zur Auslegung des Erfordernisses der Aufmachung für medizinische Zwecke nach der Tarifnr. 30.04 GZT zum Ausdruck gebracht.
c) Da es nach der von dieser Auffassung des Senats abweichenden Regelung in der VO Nr.315/86 auf den vorgenannten Hinweis, mit dem die Verpackung der Ware versehen ist, wie auch auf die übrigen von der Klägerin in der Verordnung vermißten Merkmale der streitbefangenen Ware nicht ankommt, muß die Ware aufgrund der vorgenannten Verordnung der Tarifst. 48.21 F II GZT zugewiesen werden. Denn sie besitzt --wie auch die Klägerin einräumt-- die nach dieser Verordnung bedeutsamen Merkmale.
Diese Schlußfolgerung entspricht auch der von der OFD dargelegten Entwicklung, die zu der VO Nr.315/86 geführt hat. Danach kann nicht zweifelhaft sein, daß die Entscheidung des Senats in BFHE 142, 337 der Anlaß für den Erlaß der Verordnung war und daß durch die Verordnung die Waren erfaßt werden sollen, die so beschaffen sind, wie diejenige, die Gegenstand der genannten Entscheidung des Senats war. Nach den Darlegungen der OFD ist die Verordnung auf ein Schreiben der Kommission an den Ausschuß für das Schema des GZT (Art.1 der VO Nr.97/69) zurückzuführen, mit dem diesem die Entscheidung des Senats zugeleitet worden ist.
2. Der Auffassung der Klägerin, die VO Nr.315/86 sei nichtig, weil durch sie der GZT nicht nur erläutert werde und die Verordnung deshalb nicht im Rahmen der Ermächtigung durch die VO Nr.97/69 ergangen sei, kann nicht gefolgt werden.
a) Wie sich schon aus den aufgezeigten Ausführungen zur Begründung der Entscheidung des Senats in BFHE 142, 337 ergibt, ist die Regelung in der Tarifnr. 30.04 GZT und insbesondere das darin enthaltene Erfordernis der Aufmachung für medizinische Zwecke erläuterungsbedürftig. Das wird auch durch die Darlegungen der Klägerin zur Begründung der Revision bestätigt.
b) Die Auffassung der Klägerin, daß durch die VO Nr.315/86 die Ermächtigung zur Erläuterung des GZT in der VO Nr.97/69 überschritten werde, beruht im wesentlichen auf der Auffassung, die Verordnung berücksichtige die Merkmale der Aufmachung für medizinische Zwecke i.S. der Tarifnr. 30.04 GZT nur unvollständig und gehe von einem unzutreffenden Verwendungszweck aus. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß die Grenzen einer Erläuterung überschritten seien.
Die Klägerin übersieht, daß es gerade der Erläuterung des genannten Erfordernisses (Aufmachung für medizinische Zwecke) bedarf, um erkennen zu können, auf welche Merkmale es ankommt und unter welchen Voraussetzungen ein Verwendungszweck als medizinischer anzusehen ist, und um infolgedessen beurteilen zu können, ob im Einzelfall eine Aufmachung für medizinische Zwecke vorliegt. Davon ist, wie bereits dargelegt, auch der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 142, 337 erkennbar ausgegangen.
Außerdem ist zu berücksichtigen, daß nach den Erwägungsgründen der VO Nr.97/69 die Grenze einer Erläuterung erst dann überschritten wird, wenn der Wortlaut einer Tarifnummer oder Tarifstelle geändert wird. Denn in diesen Erwägungsgründen wird ausgeführt, daß durch eine Erläuterung des GZT der Wortlaut der Tarifnummer und der Tarifstellen nicht geändert werden darf. Eine derartige Änderung kann der VO Nr.315/86 aber nicht entnommen werden. Durch sie soll erkennbar erreicht werden, daß eine Linderung der Auswirkungen der Inkontinenz nicht als medizinische Verwendung i.S. der Tarifnr. 30.04 GZT angesehen wird und daß schon deshalb in einer Aufmachung von Waren, die diesem Zweck dienen, nicht eine solche für medizinische Zwecke erblickt wird. Diese Regelung wird vom Wortlaut der Tarifnr. 30.04 GZT gedeckt. Die Frage, ob dadurch der Wortlaut auch ausgeschöpft wird, ist eine typische Frage der Auslegung und folglich auch der Erläuterung. Sie kann lediglich zu der Erwägung führen, ob eine andere Erläuterung der Tarifnummer nicht besser entsprochen hätte.
c) Diese Erwägung jedoch kann nicht zu dem Ergebnis führen, daß eine Verordnung, durch die der GZT erläutert wird, nichtig sei. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß durch die VO Nr.97/69 ein weiterer Beurteilungsspielraum bezüglich der Entscheidung zwischen zwei oder mehreren Tarifnummern, die für die Einreihung einer Ware in Betracht kommt, eingeräumt worden ist und daß die Ungültigkeit einer Verordnung zur einheitlichen Anwendung des Schemas des GZT "nur bei Vorliegen eines offensichtlichen Irrtums oder eines Ermessensmißbrauchs" in Betracht gezogen werden soll (vgl. Urteil des EuGH vom 28.März 1979 Rs.158/78, EuGHE 1979, 1103; Schlußanträge des Generalanwalts vom 22.Oktober 1975 in der Rs.37/75, EuGHE 1975, 1349, 1350 f.). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
d) Entgegen der Auffassung der Klägerin beruht die VO Nr.315/86 auch nicht auf einer Abweichung von der Entscheidung in EuGHE 1982, 3481, 3486 f. über das Erfordernis der Aufmachung für medizinische Zwecke i.S. der Tarifnr. 30.04 GZT. Insoweit betrifft die Entscheidung des EuGH nur die Operationstücher, die Gegenstand dieser Entscheidung waren, und beruht auf der Feststellung, daß die Tücher eigens zum Gebrauch bei chirurgischen Eingriffen und zur Vermeidung jeder dabei entstehenden Ansteckungs- und Infektionsgefahr hergestellt sind. Diese speziell auf eine andere Ware ausgerichtete Entscheidung ermöglicht es nicht, daraus einen Gegensatz zur Regelung in der VO Nr.315/86 zu entnehmen.
3. Da dem Senat nicht zweifelhaft erscheint, daß die VO Nr.315/86 gültig ist, braucht eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art.177 Abs.1 Buchst.c und Abs.3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Gültigkeit nicht eingeholt zu werden.
Fundstellen
Haufe-Index 61937 |
BFHE 150, 227 |
BFHE 1987, 227 |
HFR 1987, 540-540 (ST) |