Leitsatz (amtlich)
Streikunterstützungen, die die Gewerkschaft Textil-Bekleidung an ihre streikenden Mitglieder zahlt, sind Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 3 Nrn. 4, 7, § 19 Abs. 1, § 22 Nr. 1, § 24 Nr. 1 Buchst. a, b; LStDV §§ 2, 2 Abs. 2 Nr. 2, § 20 Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3, Art. 105 ff., Art. 9 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger hat für die Zeit vom 10. März bis zum 14. August 1965 von der Gewerkschaft Textil-Bekleidung Streikunterstützungen in Höhe von 3 976 DM bezogen. Lohnsteuer ist von diesen Beträgen nicht einbehalten worden.
Das FA rechnete die Streikunterstützungen bei einer nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durchgeführten Veranlagung für das Jahr 1965 zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Es sah die Streikunterstützungen als Entschädigungen nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG an, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden waren. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG wies die Klage mit dem in EFG 1967, 559 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab. Es hielt die von der Gewerkschaft gezahlten Streikgelder ebenfalls für steuerpflichtige Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Es führte aus:
Als Arbeitslohn seien nicht nur die zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer vereinbarte Vergütung, sondern alle Beträge steuerlich zu erfassen, die dem Arbeitnehmer aus Anlaß oder als Ausfluß seiner Tätigkeit vom Arbeitgeber oder einem Dritten zugewendet würden. Aus der Tatsache, daß Streikunterstützungen nur für die Zeit des streikbedingten Lohnausfalls gezahlt würden, ergebe sich bereits der unmittelbare Zusammenhang mit dem Verlust des steuerpflichtigen Arbeitslohns. Die Streikunterstützungen seien durch den Lohnausfall während des Streiks bedingt. Sie seien, wie aus der Satzung der Gewerkschaft Textil-Bekleidung zu entnehmen sei, über die Höhe der Monatsbeiträge dem Arbeitslohn angepaßt. Auch wenn die Streikunterstützungen erheblich niedriger seien als der ausgefallene Arbeitslohn, sei das kein Hindernis, in den Unterstützungen eine Entschädigungsleistung zu sehen.
Die Anwendbarkeit des § 24 EStG werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Gewerkschaft die Leistungen erbracht habe. Nach dem Wortlaut der Vorschrift komme es nicht darauf an, von wem die Entschädigung gezahlt werde. Auch die Beweggründe für die Ersatzzahlungen seien nicht maßgebend. Es komme nur darauf an, daß wirtschaftlich ein Ersatz für den Verlust steuerpflichtiger Einnahmen geleistet werde.
Eine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung der Streikunterstützungen bestehe zwar für die Gewerkschaft nach der Satzung nicht, aber aus dem Mitgliedschaftsverhältnis ergebe sich eine Verpflichtung aus Billigkeitsgründen. Die Beiträge der Mitglieder dienten u. a. dazu, Rücklagen für eventuelle Streikfälle zu bilden. Auch durch den Abzug der Mitgliedsbeiträge als Werbungskosten sei der unmittelbare Zusammenhang der Streikunterstützungen mit dem Arbeitsverhältnis gegeben.
Aus Art. 9 GG könnten Bedenken gegen die Steuerpflicht der Streikunterstützungen nicht hergeleitet werden. Ob anderenfalls eine Steuerpflicht aus § 22 Nr. 3 EStG in Betracht komme, könne dahingestellt bleiben.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht. Er macht geltend:
Das FG gehe davon aus, daß nach der Rechtsprechung als steuerpflichtiger Arbeitslohn anzusehen sei, was dem Arbeitnehmer aus Anlaß oder als Ausfluß seiner Tätigkeit zufließe. An die Stelle dieser Tatbestandsmerkmale habe es den "Zusammenhang" der Streikunterstützungen mit dem laufenden Arbeitsverhältnis der Streikenden gesetzt. Zuwendungen an einen Arbeitnehmer würden jedoch noch nicht dadurch zum Arbeitslohn, daß sie mit dem Arbeitsverhältnis im "Zusammenhang" stünden. Der Begriff des Zusammenhangs sei nicht nur viel weiter, sondern auch viel unbestimmter als der der Zuwendung aus Anlaß oder als Ausfluß der Tätigkeit des Arbeitnehmers.
Wenn das FG auch einen zufälligen Zusammenhang ablehne und deshalb eine Rechts- oder Billigkeitsgrundlage für die Entschädigung fordere, so berufe es sich dafür doch zu Unrecht auf die Entscheidung des BFH IV 260/52 U vom 11. Dezember 1952 (BFH 57, 144, BStBl III 1953, 57). Bei dieser Entscheidung sei die Frage nach der Rechts- oder Billigkeitsgrundlage nicht dafür erheblich gewesen, ob die Zahlung zum Arbeitslohn zu rechnen sei, sondern nur dafür, ob die Zahlung Entschädigungscharakter mit der Folge des ermäßigten Steuersatzes habe. Die Streikunterstützungen seien nicht Ausfluß des Arbeitsverhältnisses, sondern der Zugehörigkeit des Klägers zu seiner Gewerkschaft. Der Arbeitslohn werde in der Ebene des individuellen Arbeitsvertrages gezahlt, während die Streikunterstützungen auf der Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zur Gewerkschaft beruhten und ihre Zahlung als Instrument des gewerkschaftlichen Arbeitskampfes in der Ebene des kollektiven Arbeitsrechts liege. Die Gewerkschaft habe deshalb die Streikunterstützungen auch nicht als Dritter im Interesse des Arbeitgebers, sondern gerade entgegen dessen Interesse gezahlt. Danach könnten die Streikunterstützungen weder auf Grund des § 19 EStG noch nach § 24 EStG zur Einkommensteuer herangezogen werden.
Der BdF, der dem Verfahren beigetreten ist, vertritt die Auffassung, daß die von den Gewerkschaften gewährten Streikunterstützungen als Entschädigungen für entgangene Einnahmen nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu behandeln seien. Die Streikunterstützungen seien ihrem Wesen nach den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zuzurechnen. Ob die Streikunterstützungen auch sonstige Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 7 in Verbindung mit § 22 EStG seien, könne dahinstehen, da diese Vorschrift nur subsidiär zum Zuge käme.
Der BdF hat seinem Schriftsatz die Stellungnahmen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft und der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände beigefügt. Während diese in den Streikunterstützungen Ersatz für entgangenen Arbeitslohn sieht, halten jene die Einordnung der Streikunterstützung unter eine Einkunftsart nicht für möglich.
In der mündlichen Verhandlung machte der Vertreter des Klägers ergänzend geltend:
Die Streikunterstützung sei nach der Verkehrsauffassung nicht als Arbeitslohn anzusehen, da zwischen beiden Zuflüssen allenfalls ein mechanischer, aber kein wesensmäßiger Zusammenhang bestehe. Zum Wesen miteinander in Zusammenhang stehender Zahlungen gehöre es, daß die Absicht, die mit ihnen verfolgt werde, identisch sei. Die Zahlung der Streikunterstützung beruhe jedoch auf der Absicht der Gewerkschaft, einen Streik durchzuführen, aber nicht auf der Absicht, einen Schaden auszugleichen. Daß die Zahlungen auf Rechtsoder Billigkeitsgründen beruhten, gebe für die Erkenntnis des Wesens der Streikunterstützung nichts her.
Ein Schaden im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG werde durch die Streikunterstützung auch deshalb nicht ausgeglichen, weil der Verlust des Lohnes durch Streik in der Mehrzahl der Fälle die Arbeitnehmer nicht unfreiwillig treffe. Der Arbeitnehmer trete freiwillig der Gewerkschaft bei. Vor einem Streik finde eine Urabstimmung der Arbeitnehmer statt. Ohne eine qualifizierte Mehrheit bei der Abstimmung unterbleibe der Streik. Für streikunwillige Arbeitnehmer sei die Aufnahme der Arbeit durchaus möglich.
Selbst wenn nach den Vorschriften des Einkommensteuerrechts die Streikunterstützung zu besteuern wäre, ergebe sich aus Art. 9 GG ein Verbot der Besteuerung. Durch Art. 9 Abs. 3 GG werde die Koalitionsfreiheit garantiert. Das Grundrecht gewähre neben der Freiheit der Bildung von Koalitionen unter Garantie ihres Bestandes auch die Garantie ihrer freien Betätigung. Im Kernbereich der Koalitionsbetätigung der Gewerkschaften liege der Arbeitskampf. Zur Durchführung des Arbeitskampfes sei die Zahlung von Streikunterstützungen unerläßlich. Die Heranziehung der Streikunterstützungen zur Einkommensbesteuerung bedeute eine Behelligung der Arbeitnehmer mit bürokratischen Maßnahmen. Die Besteuerung beeinträchtige die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit, die durch eine Verfassungsnorm garantiert sei. Eine Einschränkung dieser Freiheit sei durch Gesetz nicht vorgesehen und dürfe deshalb durch ein einfaches Steuergesetz nicht herbeigeführt werden.
Der Vertreter des BdF machte geltend:
Nach dem Wortlaut des Art. 9 GG bestehe kein Anlaß zu der Annahme, daß die Besteuerung das Streikrecht in verfassungswidriger Weise beeinträchtige. Auch wenn der durch die Notstandsgesetzgebung erweiterten Fassung des Abs. 3 des Art. 9 GG nur eine negative Abwehrfunktion gegenüber Notstandsmaßnahmen zukomme, so habe sie die Frage offengelassen, welche gesetzlichen Maßnahmen, die nicht den Notstand beträfen, im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen getroffen werden könnten. Nach der überwiegenden Meinung des Schrifttums sei eine gesetzliche Einschränkung des Streikrechts möglich. Wenn man die Besteuerung der Streikunterstützung durch Art. 9 GG für verboten halte, so müsse auch das durch § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes (AfG) angeordnete Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bis zur Beendigung des Arbeitskampfes als grundgesetzwidrige Beeinträchtigung des Streikrechts angesehen werden.
Die Auffassung, daß nach der Verkehrsanschauung zwischen der Streikunterstützung und dem Verlust des Arbeitslohnes kein unmittelbarer Zusammenhang bestehe, entspreche nicht der Wirklichkeit. Sinn und Zweck der Streikunterstützung sei die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der streikenden Arbeitnehmer. Ihre Zahlung würde von den Arbeitnehmern als Ersatz für den entgehenden Arbeitslohn angesehen. Die Arbeitnehmer hätten nach der Satzung der Gewerkschaft Textil-Bekleidung einen Rechtsanspruch auf die Streikunterstützung.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
I.
Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit schließt die Besteuerung von Streikunterstützungen nicht aus.
Art. 9 Abs. 3 GG läßt allerdings nach seinem Wortlaut keinerlei Einschränkungen des Grundrechts der Koalitionsfreiheit zu. Er schützt die Koalitionsfreiheit gegen jeden Eingriff, in erster Linie gegen Eingriffe des Staates (Dietz in Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. III/1 S. 425, 447). Der Schutz betrifft die Freiheit des einzelnen, sich mit anderen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu Koalitionen zusammenzuschließen. Er gewährleistet auch den Bestand der Koalition selbst und ihre spezifisch koalitionsmäßige Betätigung. Mit dem Recht auf Betätigung ist auch das Recht der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände, zur Erreichung ihrer Aufgaben die Mittel des Arbeitskampfes (Streik und Aussperrung) einzusetzen, gegenüber dem Staat verfassungsrechtlich geschützt (Schmidt-Bleibtreu-Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 9 Anm. 14; Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl. II/2 S. 914 ff.; Hamann-Lenz, Das Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl., S. 237). Ein Eingriff in die Arbeitskämpfe durch verfassungsmäßig vorgesehene Notstandsmaßnahmen ist durch Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG ebenfalls ausgeschlossen.
Das Koalitionsrecht ist jedoch wie die anderen Grundrechte in die durch das Rechts- und Sozialstaatsprinzip bestimmte Rechtsordnung eingebettet. Zu dieser Rechtsordnung gehören die nach Art. 105 ff. GG verfassungsgemäß erlassenen Steuergesetze. Von ihrer Anwendung sind diejenigen, die die grundrechtlich geschützten Freiheiten und Institute in Anspruch nehmen, nicht ausgenommen. Der besondere Schutz von Ehe und Familie durch Art. 6 GG verbietet es beispielsweise nicht, die Ehegatten und ihre Kinder zur Besteuerung heranzuziehen. In die Gleichbehandlung vor dem Gesetz nach Art. 3 Abs. 1 GG sind auf Grund des Art. 19 Abs. 3 GG auch die Koalitionen (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände) einbezogen. Die unter gewissen Voraussetzungen gewährte persönliche Befreiung dieser Berufsverbände von den Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen setzt ihre Steuerpflicht voraus. Das Koalitionsrecht schließt demnach die Anwendung von Steuergesetzen nicht grundsätzlich aus.
Die Garantie der Koalitionsfreiheit läßt es zwar nicht zu, daß steuerrechtliche Regelungen sich unmittelbar gegen das Koalitionsrecht richten, indem sie es einschränken oder zu behindern suchen (Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG). Ob jedoch steuerrechtliche Regelungen bereits rechtswidrig wären, wenn ihre Anwendung das Koalitionsrecht nur mittelbar beeinträchtigt, braucht für den Streitfall nicht entschieden zu werden. Der Senat hält weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Beeinträchtigung durch die Besteuerung der Streikunterstützungen für gegeben.
Die Streikunterstützung wird gezahlt, wenn sich die kollektive arbeitsrechtliche Auseinandersetzung bis zum Arbeitskampf in Form des Streiks verschärft hat. Bis zu diesem Zeitpunkt üben die Gewerkschaften ihre koalitionsgemäße Betätigung aus, ohne daß die Gewerkschaftsmitglieder ihren Anspruch auf den Arbeitslohn verlieren. Die laufende Besteuerung des Arbeitslohns hat dabei keinen Einfluß auf die gewerkschaftliche Tätigkeit. Im Fall des genehmigten Streiks tritt, wie unter II. dargelegt, für die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer unter gewissen Voraussetzungen an die Stelle des bisher empfangenen Arbeitslohnes die Streikunterstützung. In der Individualsphäre des Arbeitnehmers übernimmt die Streikunterstützung wirtschaftlich eine dem Arbeitslohn entsprechende Aufgabe, nämlich die Sicherung des Lebensunterhalts. An diesen wirtschaftlichen Sachverhalt knüpft die Besteuerung an. Für die Arbeitnehmer bleibt im Fall einer etwaigen Besteuerung der Streikunterstützung die steuerliche Lage gegenüber der Besteuerung des Arbeitslohns unverändert, wenn nicht wegen der Freigrenze in der Regelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG sogar eine Besserstellung eintritt. Die Steuererklärungspflicht, die mit der Heranziehung der Streikunterstützung zur Besteuerung verbunden ist, ist für die Arbeitnehmer auch sonst gegeben, wenn sie neben dem Arbeitslohn andere Einkünfte erzielen. Die Gewerkschaften werden in ihren spezifisch koalitionsmäßigen Entscheidungen durch die Besteuerung der Streikunterstützung nicht berührt. Die Höhe der Streikunterstützung wird durch die Satzung bestimmt. Eine Steuer haben die Gewerkschaften nicht einzubehalten. Es liegen demnach keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Besteuerung der Streikunterstützung zu einer Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit führen kann.
II.
Bei einem von der Gewerkschaft Textil-Bekleidung genehmigten Streik ist der Hauptvorstand der Gewerkschaft durch § 15 der Satzung ermächtigt, an die Mitglieder eine Streikunterstützung zu zahlen. Es ist dem Kläger zuzugeben, daß die Streikunterstützungen nicht unmittelbar als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 3 Nr. 4, § 19 Abs. 1 EStG und § 2 LStDV) der Einkommensteuer bzw. der Lohnsteuer unterliegen. Sie werden weder vom Arbeitgeber noch sonst unmittelbar auf Grund des Arbeitsverhältnisses gezahlt.
Gehören die Streikunterstützungen nicht unmittelbar zum Arbeitslohn, so braucht nicht untersucht zu werden, ob wegen der von den Arbeitnehmern gezahlten Gewerkschaftsbeiträge etwa § 2 Abs. 2 Nr. 2 LStDV eingreift. Nach dieser Vorschrift gehören Bezüge, die ganz oder teilweise auf früheren Beitragsleistungen beruhen, nicht zum Arbeitslohn. Diese Bestimmung bezieht sich, wie sich aus der Gegenüberstellung zu den in Satz 1 erwähnten Wartegeldern, Ruhegeldern, Witwen- und Waisengeldern ergibt, nicht auf Beitragsleistungen schlechthin, sondern nur auf solche, die der Zukunftsicherung der Arbeitnehmer dienen und als Sonderausgaben abzugsfähig sind. Das Urteil des RFH VI A 400/25 vom 28. April 1926 (RFH 19, 91, RStBl 1926, 267), auf dem die seit dem Jahre 1934 bis heute unveränderte Bestimmung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 LStDV beruht, befaßt sich nur mit Bezügen zur Zukunftsicherung. Beiträge der Gewerkschaftsmitglieder werden jedoch als Beiträge zu Berufsständen und Berufsverbänden (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 20 Abs. 2 Nr. 1 LStDV) angesehen, die als Werbungskosten abgezogen werden können.
III.
Wenn danach die Streikunterstützungen dem Kläger nicht unmittelbar aus Anlaß oder als Ausfluß des Arbeitsverhältnisses zugewendet worden sind, so sind sie steuerrechtlich doch als Entschädigungen für entgangenen oder entgehenden Arbeitslohn anzusehen.
Mit dem FG ist davon auszugehen, daß § 24 Nr. 1 EStG keine weitere selbständige Einkunftsart neben den Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 EStG bildet. Das Gesetz stellt lediglich klar, daß die wie Einkünfte zu behandelnden Entschädigungen den vorhandenen Einkunftsarten zuzuordnen sind (vgl. BFH-Urteile VI 82/63 U vom 9. April 1965, BFH 82, 319, BStBl III 1965, 361; IV R 262/69 vom 9. April 1970, BFH 98, 434, BStBl II 1970, 421).
Der Buchst. a des § 24 Nr. 1 EStG setzt voraus, daß durch Entschädigungen Einnahmen ersetzt werden, die zu den Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 EStG gehören, und daß diese Einnahmen bereits entgangen sind oder noch entgehen. Aus der gesetzlichen Formulierung, daß die Entschädigungen "als Ersatz" geleistet werden, ergibt sich, daß sie zum Ausgleich eines Schadens bestimmt sein müssen (BFH-Urteil VI R 177/68 vom 31. Juli 1970, BFH 100, 42, BStBl II 1970, 784). Das Gesetz läßt Leistungen als Entschädigungen genügen, die "gewährt worden sind". Der Gewährende braucht zum Ersatz der entgangenen Einnahmen nicht nach den §§ 249 ff. BGB verpflichtet zu sein. Auch ein Dritter kann Entschädigungen im Sinn dieser Vorschrift gewähren, selbst wenn er den Verlust der Einnahmen weder verschuldet oder auch nur verursacht hat. Es genügt, wenn wirtschaftlich ein Ersatz für den Verlust steuerpflichtiger Einnahmen geleistet wird. Im allgemeinen werden die als Ersatz gewährten Einnahmen deshalb mehr oder weniger hinter einem vollen Ausgleich der entgangenen oder entgehenden Einnahmen zurückbleiben (BFH-Urteil IV 223/58 S vom 17. Dezember 1959, BFH 70, 195, BStBl III 1960, 72). Allerdings fordert die Rechtsprechung für die Leistung der Entschädigung eine Billigkeitsgrundlage, wenn ein Rechtsanspruch auf Ersatz ausscheidet (BFH-Urteil IV 260/52 U vom 11. Dezember 1952, BFH 57, 144, BStBl III 1953, 57).
Eine Besonderheit der Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG besteht darin, daß sie "aus einer ohne oder gegen den Willen des Steuerpflichtigen eingetretenen Sachlage herrühren" (BFH-Urteil IV 223/58 S, a. a. O.). An dieser vielfach kritisierten Auffassung hat der BFH in ständiger Rechtsprechung festgehalten (vgl. dazu Hinweise im BFH-Urteil VI R 66/67 vom 17. Juli 1970, BFH 99, 381, BStBl II 1970, 683). Der erkennende Senat brauchte in dem Urteil VI R 66/67 zwar nicht abschließend zu dieser Streitfrage Stellung zu nehmen. Er sieht jedoch keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Einnahmen, die einem Steuerpflichtigen "entgehen", sind nicht freiwillig aufgegeben worden, sondern auf Grund eines Sachablaufs verlorengegangen, der ihren Ersatz aus Rechts- oder Billigkeitsgründen rechtfertigt.
Die von dem Kläger empfangenen Streikunterstützungen erfüllen die Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Der Kläger vermißt zwar zwischen den Zahlungen der Streikunterstützungen und dem entgangenen Arbeitslohn einen wesensmäßigen Zusammenhang. Wie oben dargelegt, kommt es aber nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht darauf an, wer die Entschädigungen gewährt und aus welchem Grund sie gewährt werden. Entscheidend ist, daß die Streikunterstützungen als Ersatz des entfallenden Arbeitslohnes gedacht sind und wie dieser dazu dienen sollen, dem auf die Einnahmen angewiesenen Kläger die Kosten der Lebenshaltung zu sichern.
Dieser Zusammenhang wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß die Zuflüsse verschiedenen Bereichen angehören. Die Zahlung der Streikunterstützungen gehört zur kollektiven koalitionsmäßigen Betätigung der Gewerkschaften, während der Arbeitslohn aufgrund des Einzelarbeitsvertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezahlt wird. Der Einzelarbeitsvertrag wird durch den Kollektivakt des arbeitsrechtlichen Streiks nicht gelöst. Für die Dauer des Streiks ruht jedoch der Anspruch auf Arbeitslohn (Beschluß des Bundesarbeitsgerichts - BAG - Gr.S. 1/54 vom 28. Januar 1955, Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bd. 1 S. 291, 304, 305 - BAGE 1, 291, 304, 305 -). Die Sorge für ihre Lebenshaltung haben die Mitglieder der Gewerkschaft für den Fall, daß sie zum Arbeitskampf aufgefordert oder von ihm betroffen werden, durch die Zahlung von Beiträgen auf die Gewerkschaft überbürdet. Dieser Aufgabe kommt die Gewerkschaft in entsprechender Weise nach. Die Streikunterstützung ist nach der Höhe des Beitrages gestaffelt, der sich wiederum nach der Höhe des monatlichen Bruttoverdienstes richtet. An die Stelle des durch die Kampfmaßnahmen ausfallenden Arbeitslohns tritt die Streikunterstützung. Diese ist "Ersatz" für die vom Arbeitgeber auf Grund der Kampfmaßnahmen der Gewerkschaft eingestellten Lohnzahlungen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob den Mitgliedern der Gewerkschaft Textil-Bekleidung ein Rechtsanspruch auf die Streikunterstützung zusteht, wie der BdF meint. Der § 15 der Gewerkschaftssatzung spricht zwar von Anrecht (§ 15 Nr. 7) und Anspruch (§ 15 Nr. 10) auf die Streikunterstützung. Das FG hat es mit Recht für zweifelhaft gehalten, ob diese Wortfassungen einen klagbaren Rechtsanspruch gegen die Gewerkschaft begründen sollten. Es hätte dann keiner ausdrücklichen Ermächtigung an den Hauptvorstand bedurft, Streikunterstützungen zu zahlen. Die ausführliche Regelung der Streikunterstützungen in der Satzung stellt aber in jedem Fall eine ausreichende Billigkeitsgrundlage dar, aufgrund deren der streikende Arbeitnehmer ihre Zahlung erwarten kann.
Die Einnahmen aus dem Arbeitsverhältnis sind dem Kläger durch den Streik im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG "entgangen". Für die Frage der Freiwilligkeit wird zwischen der Beteiligung der Arbeitnehmer an dem kollektivrechtlichen Vorgehen der Gewerkschaft in der arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung und der Auswirkung dieser kollektivrechtlichen Betätigung auf den Einzelarbeitsvertrag zu unterscheiden sein. Aus der Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ergibt sich ein kollektives solidarisches Verhalten der Arbeitnehmer im Kampf um die Arbeitsbedingungen. Die Folgen von Kollektivakten sind jedoch für den einzelnen Arbeitnehmer unabhängig davon, ob er den Kampfmaßnahmen zugestimmt hat oder nicht, unausweichlich. Auch der Arbeitnehmer, der zu Beginn des Streiks bereits krank war, und nicht an dem Streik teilnimmt, verliert die Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag für die Dauer des Streiks (BAG-Urteil vom 17. Dezember 1964, AZR 72/64, BAGE 17, 27, 31). Der Wegfall des Arbeitslohns ist für den Arbeitnehmer stets ein Schaden. An die Stelle des Rechtsanspruchs auf Arbeitslohn tritt die von verschiedenen Voraussetzungen abhängige Anwartschaft auf die Unterstützung, deren Höhe sich nur mittelbar an den entgehenden Arbeitslohn anlehnt. Außerdem wird nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung des BAG der Arbeitnehmer noch mit dem Risiko belastet, bei etwaigen Abwehrmaßnahmen des Arbeitgebers seinen Arbeitsplatz zu verlieren.
Ein Streik hat zwangsläufig den unfreiwilligen Verlust des Arbeitslohns zur Folge. Als wirtschaftlicher Ersatz wird dem Arbeitnehmer die Streikunterstützung gewährt. Die Streikunterstützungen sind deshalb als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zur Einkommensbesteuerung heranzuziehen.
Fundstellen
Haufe-Index 69326 |
BStBl II 1971, 138 |
BFHE 1971, 504 |