Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollrecht
Leitsatz (amtlich)
Der dem Urteil VII 60/59 U vom 30. November 1960 zu entnehmende Rechtssatz, daß die im Verordnungswege erlassenen Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif insoweit rechtsgültig sind, als sie mit dem im Zolltarif zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers vereinbar sind, duldet Ausnahmen in den Fällen, in denen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes geboten ist.
Nummer 3 der Erläuterungen zur Tarifnr. 2708 ist rechtsgültig.
Normenkette
GZT Allgemein
Gründe
Nach § 1 Abs. 2 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) in der für den Streitfall (Oktober 1957) geltenden Fassung sind der Steuer unterliegende Mineralöle im Sinne des Abs. 1 im einzelnen aufgeführte, zu bestimmten Tarifnummern des Zolltarifs 1951 gehörende Erzeugnisse, und zwar nach Nummer 1 Erzeugnisse der Nummer 2710 - B bis D des Zolltarifs, ausgenommen das nicht für motorische Zwecke verwendbare Braunkohlenteeröl, nach Nummer 2 leichte Steinkohlenteeröle aus Nummer 2708 des Zolltarifs. § 2 des Gesetzes nennt Abs. 1 unter Nummer 1 die Steuersätze für die erstgenannten Erzeugnisse, und zwar unter a) den Steuersatz für Leichtöle (Benzin, Testbenzin u. a. ), in Nummer 2 den Steuersatz für leichte Steinkohlenteeröle. Nach § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes in der zur Zeit des Streitfalles maßgebenden Fassung gelten für Mineralöle die jeweiligen Begriffsbestimmungen des Zolltarifs und seiner Erläuterungen, soweit nicht in dieser Verordnung etwas anderes bestimmt ist. Die Rechtslage im Streitfall unterscheidet sich daher von der des Urteils des Bundesfinanzhofs V z 104/53 U vom 23. November 1956 (BStBl 1957 III S. 59, Slg. Bd. 64 S. 155), da zur Zeit des damals zu entscheidenden Falles eine entsprechende Bestimmung nicht bestanden hat. Entgegen der Meinung der Bfin. richtet sich also die steuerliche Behandlung des von der Bfin. hergestellten Mineralöls danach, wie es zolltariflich einzuordnen ist, da für dieses Mineralöl die Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes keine Sonderbestimmung enthält.
Das von der Bfin. hergestellte Hydroformat ist nach ihren eigenen Angaben ein aus Erdöl stammendes, durch Aromatisierung (Cyclisierung) gewonnenes Kohlenwasserstoffgemisch. Die Herkunft dieser Ware weist angesichts der Warenbezeichnung der Tarifnr. 2710 des Zolltarifs 1951 "Erdöl, Schieferöl und ähnliche Mineralöle" mangels einer besonderen Tarifnummer für daraus gewonnene Erzeugnisse auf die Zugehörigkeit dieses Erzeugnisses zu dieser Tarifstelle hin. Nach der Erläuterung 3 zu Tarifnr. 2708 sind jedoch wie öle und Erzeugnisse der Destillation des Steinkohlenteers oder nicht paraffinischer Mineralteerarten - also wie die in Tarifnr. 2708 genannten Erzeugnisse - auch ähnliche Erzeugnisse gleichen Charakters zu behandeln, z. B. Benzolkohlenwasserstoffe, die aus Erdöl stammen und durch Aromatisierung (Cyclisierung) oder durch ein anderes Verfahren gewonnen sind. Eine Anwendung dieser Erläuterung, die die Bundesregierung durch die Erste Verordnung über Erläuterungen zum Zolltarif vom 26. Mai 1953 (BGBl 1953 I S. 252, Bundeszollblatt - BZBl - 1953 S. 322) gegeben hat, setzt allerdings voraus, daß sie gültig ist.
Die genannte Verordnung beruht auf der in § 18 Nummer 1 des Zolltarifgesetzes (ZTG) vom 16. August 1951 (BGBl 1951 I S. 527) enthaltenen Ermächtigung für die Bundesregierung, Erläuterungen zur Auslegung und Anwendung des Zolltarifs zu geben. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der in § 49 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) enthaltenen gleichlautenden Ermächtigung und der Rechtsgültigkeit der auf ihr beruhenden Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif hat der Senat in seinem Urteil VII 60/59 U vom heutigen Tage (BStBl 1961 III S. 55) eingehend Stellung genommen. Er hat dort entschieden, daß die im ZG enthaltene Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlaß von Erläuterungen zur Auslegung und Anwendung des Zolltarifs mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes nicht im Widerspruch steht und daher rechtsgültig ist, und daß auch die auf Grund dieser Ermächtigung im Verordnungsweg ergangenen Erläuterungen als rechtsgültig anzusehen sind, soweit sie mit dem im Zolltarif zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers vereinbar sind. Auf die Begründung dieses Urteils wird Bezug genommen. Das dort Gesagte gilt im Hinblick auf den mit § 49 Abs. 3 ZG übereinstimmenden Wortlaut der Ermächtigung in § 18 Nummer 1 ZTG 1951 auch für diese und für Verordnungen, die auf Grund dieser Ermächtigung ergangen sind.
Demnach bestehen gegen die in § 18 Nummer 1 ZTG 1951 enthaltene Ermächtigung keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Gültigkeit der auf Grund dieser Ermächtigung in der Verordnung vom 26. Mai 1953 gegebenen Erläuterung 3 zur Tarifnr. 2708 des Zolltarifs 1951 hängt daher nur noch davon ab, ob sie mit dem im Zolltarif zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers vereinbar ist. Da in Tarifnr. 2710 Erdöl, Schieferöl und ähnliche Mineralöle, in Tarifnr. 2708 öl und Erzeugnisse der Destillation des Steinkohlenteers oder nichtparaffinischer Mineralteerarten genannt sind, die Erläuterung 3 aber bestimmt, daß aus Erdölen stammende ähnliche Erzeugnisse gleichen Charakters "wie" die Waren der Tarifnr. 2708 zu behandeln sind, steht sie mit dem im Wortlaut des Zolltarifs zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers allerdings nicht im Einklang. Danach wäre sie als nicht rechtsgültig anzusehen, wenn der dem oben angeführten Urteil des Senats zu entnehmende Rechtssatz keinerlei Ausnahme duldete. Das ist jedoch nicht der Fall.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. das Urteil VII 35/57 U vom 13. Mai 1959, BStBl 1959 III S. 284, Slg. Bd. 69 S. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung) ist nämlich die Auslegung eines Gesetzes gegen seinen Wortlaut nicht ausgeschlossen, sondern möglich, aber nur dann zulässig und geboten, wenn entweder anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber tatsächlich etwas anderes gewollt hat, als er zum Ausdruck gebracht hat, oder wenn die wörtliche Anwendung der Bestimmungen zu einem wirtschaftlich nicht vertretbaren unsinnigen Ergebnis führen würde. Wenn danach anzuerkennen ist, daß die Gerichte in solchen außergewöhnlichen Fällen das Gesetz gegen seinen Wortlaut, der als erklärter Wille des Gesetzgebers grundsätzlich als bindend anzusehen ist, auslegen dürfen, kann es dem vom Gesetzgeber ermächtigten Verordnungsgeber nicht versagt sein, das gleiche in dem oben abgegrenzten Umfange zu tun. Auch er kann daher unter den genannten Voraussetzungen durch Rechtsverordnung dem Gesetz eine von dessen Wortlaut abweichende Auslegung geben.
Es ist daher zu prüfen, ob danach die vom Wortlaut des Zolltarifs abweichende Auslegung, wie sie die Erläuterung 3 zu Tarifnr. 2708 gibt, als zulässig und geboten anzusehen ist. Für das Vorliegen der Voraussetzung, daß der Gesetzgeber tatsächlich etwas anderes gewollt habe, als er zum Ausdruck gebracht hat, besteht kein Anhaltspunkt. Dagegen ist die oben genannte andere Voraussetzung als gegeben zu erachten. Wie nämlich aus dem übereinstimmenden Vortrage der Verfahrensbeteiligten hervorgeht, wäre eine sich nur nach der Herkunft des Erzeugnisses richtende zolltarifliche Einordnung der von den Tarifnrn. 2708 und 2710 erfaßten Waren wirtschaftlich unsinnig, dagegen eine Unterscheidung nach dem Charakter sinnvoll.
Für die Richtigkeit dieser Ausführungen sprechen die Anmerkungen zu Kapitel 27 des Internationalen Zolltarifschemas (gekürztes Brüsseler Zolltarifschema 1950), das zwar nicht unmittelbar Anwendung findet, zu dessen übernahme in ihre Zolltarife sich aber in dem von der Bfin. angeführten Abkommen über das Zolltarifschema (BGBl 1952 II S. 225 ff.) die Vertragsstaaten einschließlich der Bundesrepublik verpflichtet haben, und das im wesentlichen bereits im Zolltarif 1951 berücksichtigt ist. In diesem Zolltarifschema heißt es in Anmerkung 2 zu Kapitel 27: "Die Nummer 2707 - deren Warenbezeichnung stimmt im wesentlichen mit der der Tarifnr. 2708 des Deutschen Zolltarifs 1951 überein - enthält nicht nur öle und Erzeugnisse der Destillation von Steinkohlenteeren und Mineralteerarten, sondern auch ähnliche Erzeugnisse gleichen Charakters, die durch Ringbildung von Erdölen oder durch ein anderes Verfahren gewonnen worden sind." Anmerkung 3 a. a. O. lautet: "Die Nummern 2709, 2710 und 2714 umfassen nicht nur Erdöl und Schieferöl sowie Erzeugnisse daraus, sondern auch öle und ähnliche Erzeugnisse, die durch Destillation von paraffinischen Teeren oder durch Hydrierung oder durch Synthese gewonnen sind, wenn sie den Charakter von Erdöl oder Schieferöl haben." Dementsprechend und in übereinstimmung mit der Fassung der Tarifnr. 2707 im Brüsseler Zolltarifschema 1955 hat der Deutsche Zolltarif 1958 in die Warenbezeichnung der Tarifnr. 2707 außer ölen und anderen Erzeugnissen der Destillation von Steinkohlenteer auch noch "ähnliche Erzeugnisse" aufgeführt und gehören in übereinstimmung mit den Vorschriften 2 und 3 zu Kapitel 27 des genannten Brüsseler Zolltarifschemas nach den Vorschriften 2 und 3 zu Kapitel 27 des Deutschen Zolltarifs 1958 zur Tarifnr. 2707 neben den ölen und anderen Erzeugnissen der Destillation von Steinkohlenteer auch ähnliche Erzeugnisse der Destillation von Steinkohlenschwelteer oder anderen Mineralteeren, der Cyclisierung von Erdöl oder eines anderen Verfahrens, in denen die aromatischen Bestandteile im Gewicht gegenüber den nichtaromatischen Bestandteilen überwiegen, und sind unter den Bezeichnungen "Erdöl" und "Schieferöl" in Tarifnr. 2710 neben Erdöl und Schieferöl auch ähnliche öle ohne Rücksicht auf das Herstellungsverfahren zu verstehen, in denen die nichtaromatischen Bestandteile im Gewicht gegenüber den aromatischen Bestandteilen überwiegen.
Die Erläuterung 3 zur Tarifnr. 2708 des Zolltarifs 1951 ist daher, obwohl die mit ihr gegebene Auslegung von dem Wortlaut des Zolltarifs 1951 abweicht, in Anbetracht der andernfalls wirtschaftlich unsinnigen Ergebnisse als gültig zu erachten, so daß ihrer Anwendung für die zolltarifliche Einreihung und demgemäß für die steuerrechtliche Behandlung des streitigen Erzeugnisses der Bfin. nichts im Wege steht.
Fundstellen
Haufe-Index 409885 |
BStBl III 1961, 151 |
BFHE 1961, 412 |
BFHE 72, 412 |