Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wird eine Rechtsmittelschrift einem nur wenige Tage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist abgesandten Paket beigefügt und nicht als Brief abgesandt, so trägt der Absender die Gefahr des verspäteten Eingangs des Rechtsmittels.
Normenkette
AO § 86
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Vorsteher des Finanzamts Nachsicht wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist (ß 86 AO) gewährt werden kann.
Dem Bevollmächtigten der Berufungsführerin wurde das Urteil des Finanzgerichts mit Postzustellungsurkunde am 7. September 1961 zugestellt, so daß die Frist für die Einlegung der Rb. durch den Vorsteher des Finanzamts am 7. Oktober 1961 (Sonnabend) ablief. Der Vorsteher des Finanzamts unterzeichnete die Rechtsbeschwerdeschrift am 3. Oktober 1961, die die mit der Absendung durch die Post betraute Angestellte einem Akten enthaltenden, ebenfalls für das Finanzgericht bestimmten Paket beifügte. Dieses Paket übergab die Angestellte im Laufe des 3. Oktober 1961 dem mit der Ablieferung bei der Post beauftragten Boten, der das Paket bei der Post am 4. Oktober 1961 um 10 Uhr vormittags aufgab. Das Paket ging beim Finanzgericht erst am Montag, dem 9. Oktober 1961, ein. Es besteht die Möglichkeit, daß das Paket, wenn das Finanzgericht am Sonnabend, dem 7. Oktober 1961, nicht geschlossen gewesen wäre, von der Post schon am 7. Oktober 1961 beim Finanzgericht abgeliefert worden wäre.
Der Vorsteher des Finanzamts begründet seinen Antrag auf Nachsichtgewährung damit, daß die Angestellte, die die für die Oberfinanzdirektion, das Finanzgericht und den Bundesfinanzhof bestimmte Post zur Absendung fertigzumachen habe, die Post dem mit der Aufgabe bei der Post betrauten Boten jeweils mit dem Hinweis übergebe, die Post noch an demselben Tage abzusenden. Der zuständige Sachbearbeiter habe außerdem die Angestellte am Nachmittag des 3. Oktober 1961 gefragt, ob das Paket abgegangen sei, was die Angestellte unter Hinweis auf den von ihr gefertigten Absendevermerk bejaht habe. Wäre das Paket weisungsgemäß am 3. Oktober nachmittags bei der Post in Frankfurt am Main aufgegeben worden, so hätte es bei normalem Postverlauf spätestens am Freitag, dem 6. Oktober 1961, bei dem Finanzgericht in Kassel eingehen müssen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist unzulässig. Es ist unstreitig, daß die Frist zur Einlegung der Rb. durch den Vorsteher des Finanzamts am 7. Oktober 1961 (Sonnabend) ablief und die Rechtsbeschwerdeschrift in einem Paket erst am Montag, dem 9. Oktober 1961, beim Finanzgericht einging. Damit war die Rechtsmittelfrist von einem Monat versäumt (§§ 245, 246, 249 und 285 AO). Dem Vorsteher des Finanzamts kann die von ihm beantragte Nachsicht wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist (ß 86 AO) nicht gewährt werden, weil er nicht ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Der Senat legte im Beschluß I 63/60 U vom 10. Oktober 1961 (BStBl 1961 III S. 555, Slg. Bd. 73 S. 795) im einzelnen dar, daß die Grundsätze, die die Rechtsprechung über die Nachsichtgewährung bei solchen Fristversäumnissen entwickelte, die trotz eines ordnungsmäßig organisierten Büros von Angestellten der steuerberatenden Berufe verschuldet werden, bei Fristversäumung des Vorstehers des Finanzamts nicht anwendbar sind und bei ihm strengere Anforderungen an den Nachweis mangelnden Verschuldens gestellt werden müssen.
Geht man von diesen Grundsätzen aus, so sieht der Senat das Verschulden des Vorstehers im wesentlichen darin, daß er keine allgemeinen Anordnungen dafür traf, daß wenige Tage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist abgesandte Rechtsmittelschriften unter keinen Umständen in einem Paket an das Finanzgericht abgesendet werden. Wenn man auch von dem Vorsteher mit Rücksicht auf die Größe seines Amtes nicht verlangen kann, daß er die rechtzeitige Absendung der von ihm am 3. September 1961 unterzeichneten Rechtsmittelschrift persönlich überwachte, so mußte er doch im vorliegenden Fall die Anordnung geben, daß die Rechtsmittelschrift nicht in einem Paket an das Finanzgericht abgesandt werde. Der Senat muß nach dem Vortrag des Finanzamts davon ausgehen, daß die übersendung der Rechtsmittelschrift in einem die zugehörigen Akten enthaltenden Paket keinen ohne Kenntnis des Vorstehers vorkommenden Ausnahmefall darstellt und daß jedenfalls keine allgemeine Anweisung bestand, gegen Ende der Rechtsmittelfrist abgesandte Fristsachen wenigstens als gewöhnlichen Brief zu befördern. Mangels einer solchen Anweisung mußte dem Vorsteher bekannt sein, daß in seinem Amt Rechtsmittelschriftstücke gelegentlich einem Paket beigefügt wurden. Dann traf ihn aber ein Verschulden an der Fristversäumnis, weil er nicht die sofortige Absendung der von ihm am 3. Oktober 1961 unterzeichneten Rechtsbeschwerdeschrift mit gewöhnlichem Brief verfügte. Selbst wenn das die Rb. enthaltende Paket am 3. Oktober 1961 abgesandt worden und trotzdem erst am 9. Oktober 1961 beim Finanzgericht eingegangen wäre, träfe den Vorsteher insofern ein Verschulden an der Fristversäumung, als mit der Zustellung eines gewöhnlichen, nach einem anderen Ort versandten Pakets innerhalb von drei Tagen, also bis zum 6. Oktober 1961, nicht mit solcher Sicherheit gerechnet werden konnte, daß die Beifügung der Rechtsmittelschrift entschuldbar war. Da der letzte Tag der Rechtsmittelfrist auf einen Sonnabend fiel, mußte der Vorsteher des Finanzamts, dem bekannt war, daß das Finanzgericht am Sonnabend keine Dienststunden hatte, die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß ein schon am Sonnabend in Kassel zur Zustellung bereitliegendes Paket wegen der Dienststundengestaltung des Finanzgerichts erst am Montag zugestellt werden würde. Auf eine Zustellung des Pakets am Sonnabend konnte er sich jedenfalls nicht verlassen. Werden Rechtsmittelschriften einem Paket beigefügt und nicht, wie es üblich ist, als Brief abgesandt, so trifft grundsätzlich den Absender die Gefahr der rechtzeitigen Zustellung, wenn die Absendung des Pakets nur kurze Zeit vor Ablauf der Rechtsmittelfrist liegt.
Fundstellen
Haufe-Index 410536 |
BStBl III 1962, 406 |
BFHE 1963, 386 |
BFHE 75, 386 |