Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis Strafverfahren - Besteuerungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
Zu den Grenzen des Verwendungsverbots nach § 393 Abs. 2 Satz 1 AO.
Normenkette
AO § 393 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 02.06.2003; Aktenzeichen 12 KLs 501 Js 1026/01) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 2. Juni 2003
- im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der Urkundenfälschung in vier Fällen, davon einmal in Tateinheit mit versuchter Steuerhinterziehung schuldig ist,
- im Strafausspruch zu den Fällen II. 3 a und b der Urteilsgründe (Firma I) sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in vier Fällen, davon in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchter Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet.
I.
Der Angeklagte reichte für die Firma D. (im folgenden: D.) beim Finanzamt Nürnberg-Süd sowie für die Firmen 3D (im folgenden: 3D) und I. (im folgenden: I.) beim Finanzamt Frankfurt am Main inhaltlich unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen ein, um unberechtigt Vorsteuererstattungen in Höhe von insgesamt 3,3 Mio. DM zu erhalten. Wegen der einschlägigen Vorstrafe des Angeklagte traten die gesondert Verfolgten Sc … (Firmen D. und 3D) und R. (Firma I) als Inhaber der ausschließlich für diesen Zweck errichteten Scheinfirmen auf.
1. Im einzelnen hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
Am 9. Mai 2001 gingen beim Finanzamt Nürnberg-Süd für die Firma D. und beim Finanzamt Frankfurt am Main für die Firma 3D die Umsatzsteuervoranmeldungen für März und April 2001 jeweils gemeinsam ein. Die Umsatzsteuervoranmeldung der Firma I. für März 2001 ging beim Finanzamt Frankfurt am Main am 3. Mai 2001 ein, die Voranmeldung für April 2001 am 10. Mai 2001. Zu einer Auszahlung der zu Unrecht beantragten Vorsteuererstattungen kam es in keinem der Fälle.
Den Umsatzsteuervoranmeldungen waren jeweils eine frei erfundene Eröffnungsbilanz sowie Fotokopien von fingierten Rechnungen beigefügt. Diese hatten der Angeklagte und seine Mittäter erstellt, indem sie Werbeschreiben anderer Unternehmen so abklebten, daß nur noch die Firmendaten sichtbar waren; sodann fertigten sie daraus Blankobriefbögen. Die eigentlichen Rechnungsteile erstellte der Angeklagte mit Hilfe eines Computers und setzte sie in die Blankovorlagen ein. Anschließend wurden die Scheinfirmen als Empfänger eingetragen und die Rechnungen von den anderweitig Verfolgten Sc, R. und K. – zum Teil unter Nachahmung der auf den ursprünglichen Schreiben enthaltenen Namenszeichen – unterschrieben sowie mit Stempelaufdrucken „bezahlt”, „gebucht” und „Kopie” versehen. Diese falschen Rechnungen wurden wiederum kopiert und die Fotokopien den einzelnen Umsatzsteuervoranmeldungen beigefügt.
2. Da die beantragten Vorsteuerbeträge nicht so schnell wie erhofft erstattet wurden, erkundigte sich der Angeklagte – jeweils unter dem Namen des Inhabers der betroffenen Scheinfirma – bei den Finanzämtern wiederholt telefonisch nach dem Stand der Bearbeitung. Als er bei einem solchen Telefonat mit einem Sachbearbeiter des Finanzamts Frankfurt am Main erfuhr, daß hinsichtlich der Firma I. eine Umsatzsteuersonderprüfung beabsichtigt sei, verfaßte er unter dem Absender „M. R.” ein Schreiben, welches er von diesem unterzeichnen ließ und spätestens am 21. Mai 2001 absandte. Darin wird dem Finanzamt mitgeteilt, daß Selbstanzeige gemäß § 371 AO erstattet werde, da die in den Umsatzsteuervoranmeldungen für März und April 2001 behaupteten Umsätze frei erfunden und unwahr seien. Die beigefügten Unterlagen seien mit Hilfe eines Computers in einem Internetcafe unter Abänderung der Originalunterlagen der jeweiligen Firmen erstellt worden; die Originalunterlagen sowie weitere Ausdrucke seien vernichtet worden.
3. Die beim Finanzamt Nürnberg-Süd betreffend die Firma D. eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen für März und April 2001 erweckten dort den Verdacht einer versuchten Steuerhinterziehung. Deshalb kam es am 30. Mai 2001 zu Durchsuchungen der Wohnung des Sc in Dresden und der angeblichen Geschäftsadresse der Firma D. in Nürnberg, ohne daß Geschäftsunterlagen oder ein Computer aufgefunden wurden. Da die Ermittlungsbeamten erfahren hatten, daß sich am 28. Mai 2001 eine Person unter dem Namen Sc nach dem Fortgang des Erstattungsverfahrens erkundigt hatte und dieser Anruf dem Telefonanschluß eines H. St. in Ottendorf-Okrilla zuzuordnen war, befragten sie Sc …, der im übrigen keine Angaben machte, ob sich der Computer, auf dem die gefälschten Belege erstellt worden waren, etwa dort befinde. Sc … bejahte diese Frage. Daraufhin fuhren weitere Steuerfahnder nach Ottendorf-Okrilla, die dort den Angeklagten antrafen. Nach Mitteilung des Sachverhaltes verwies der Angeklagte sogleich freiwillig auf den im ersten Stock befindlichen Computer, offenbarte das notwendige Paßwort und zeigte den Beamten die die Firma D. betreffenden Dateien, von denen einige auch ausgedruckt wurden. Beim Überprüfen der Verzeichnisstruktur fiel den Ermittlern auf, daß weitere Verzeichnisse mit vergleichbaren Firmenbezeichnungen vorhanden waren. Auf Nachfrage, ob entsprechende Straftaten unter anderen Firmen geplant oder durchgeführt worden seien, räumte der Angeklagte dies ein und zeigte den Beamten weitere Dateien am Bildschirm. Er überspielte die aufgefundenen Daten auf Diskette, um eine Beschlagnahme des Computers abzuwenden. Schließlich gestand er ein, die Dokumente erstellt, allerdings auf Anweisung der anderen gehandelt zu haben. Dem Angeklagten wurde sodann die Einleitung des Steuerstrafverfahrens im Hinblick auf die Firmen D. und I. bekanntgegeben; anschließend wurde er vorläufig festgenommen.
4. Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß der Angeklagte hinsichtlich der Firma 3D eine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO erstattet hat, indem er den Ermittlungsbeamten bei der Durchsuchung die Daten auf dem Computer offenbarte. Bezüglich der beiden anderen Unternehmen hat es eine wirksame Selbstanzeige verneint, da diese Taten zum Zeitpunkt der Durchsuchung bereits zum Teil entdeckt gewesen seien (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO). Der schriftlichen Selbstanzeige betreffend die Firma I. hat die Strafkammer nur strafbefreiende Wirkung für den gesondert Verfolgten M. R. zuerkannt, nicht jedoch für den Angeklagten, da dieser unrichtige Angaben, insbesondere hinsichtlich der an der versuchten Steuerhinterziehung beteiligten Personen gemacht habe. Nach Auffassung des Landgerichts steht der Verurteilung des Angeklagten wegen Urkundenfälschung nicht das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 AO entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Angeklagten ist teilweise begründet.
1. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, daß Fälle, in denen die Existenz eines Unternehmens nur vorgetäuscht wird, für das sodann ohne Bezug auf reale Vorgänge fingierte Umsätze angemeldet und Vorsteuererstattungen begehrt werden, nicht als Betrug, sondern als Steuerhinterziehung zu beurteilen sind (BGHSt 40, 109; 36, 100).
2. Betreffend die Firmen 3D und I. ist der Angeklagte nicht wegen Steuerhinterziehung zu bestrafen, da er eine strafbefreiende Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 1 AO erstattet hat. Hinsichtlich der Firma D. stand einer strafbefreienden Selbstanzeige der Ausschlußgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO entgegen.
a) Eine wirksame Selbstanzeige im Sinne des § 371 Abs. 1 AO setzt voraus, daß die bisher unrichtigen, unvollständigen oder ganz unterbliebenen Angaben wahrheitsgemäß nachgeholt werden. Das Finanzamt muß durch die nunmehrige Mitteilung der steuerlich erheblichen Tatsachen in die Lage versetzt werden, auf ihrer Grundlage ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzen (vgl. BGH NJW 2003, 2996, 3000 m.w.N.). Straffreiheit tritt nicht ein, wenn zum Zeitpunkt der Berichtigung einer der Ausschlußgründe des § 371 Abs. 2 AO vorliegt oder wenn die verkürzten Steuern nicht innerhalb angemessener Frist nachgezahlt werden (§ 371 Abs. 3 AO).
aa) Die Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerrecht beruht vor allem auf fiskalischen Erwägungen (vgl. BGHSt 35, 36, 37; BGHR AO § 371 Abs. 1 Unvollständigkeit 2). Der Staat will dadurch, daß er bei einer Selbstanzeige Straffreiheit in Aussicht stellt, sowohl Hinweise auf bisher verschlossene Steuerquellen erlangen, um in den Besitz aller ihm geschuldeten Steuern zu kommen, als auch Hinweise auf unberechtigt geltend gemachte Steuererstattungen erhalten, um im Besitz der Steuern zu bleiben, damit er seine Aufgaben erfüllen kann (vgl. BGHSt 29, 37, 40; 12, 100 f.). Die Selbstanzeige nach § 371 AO schließt die Anwendung der Vorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches über den Rücktritt vom Versuch nicht aus (BGHSt 37, 340, 345 f.).
bb) Die Selbstanzeige, für die eine bestimmte Form nicht eingehalten werden muß, ist ein persönlicher Strafaufhebungsgrund (vgl. BGHR AO § 371 Selbstanzeige 6). Demzufolge erlangt Straffreiheit nur, wer als Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung die Selbstanzeige persönlich erstattet (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 5. Aufl. § 371 Rdn. 79). Dies schließt jedoch nicht aus, daß die Selbstanzeige durch einen – zuvor bevollmächtigten – Vertreter erstattet wird. Dabei ist auch eine verdeckte Stellvertretung zulässig (vgl. Joecks aaO Rdn. 82; Rüping in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 371 Rdn. 43). Entscheidend ist, daß der Täter die Mitteilung veranlaßt hat (vgl. BGH wistra 1990, 308) und sie ihm deshalb zuzurechnen ist (vgl. Rüping aaO Rdn. 40). Es ist jedoch regelmäßig erforderlich, daß durch die Mitteilung die Person des Vertretenen den Finanzbehörden bekannt wird. Denn nur so ist es möglich, dem Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung, bei der bereits eine Steuerverkürzung eingetreten ist oder Steuervorteile bereits erlangt wurden, eine Frist gemäß § 371 Abs. 3 AO zu setzen (vgl. BGH ZfZ 1995, 218; Joecks aaO Rdn. 83; Rüping aaO Rdn. 43). Der Täter oder Teilnehmer einer (versuchten) Steuerhinterziehung muß in der Selbstanzeige also grundsätzlich neben den Besteuerungsgrundlagen auch seinen eigenen Tatbeitrag offenlegen (vgl. BGH NJW 2003, 2996, 3000). Dies erfährt jedoch eine Ausnahme, wenn eine Fristsetzung und Zahlung von hinterzogenen Steuern nicht in Betracht kommt, das heißt jedenfalls dann, wenn durch die Angaben in der Selbstanzeige ohne weiteres feststeht, daß ein Steuererstattungsanspruch nicht besteht. In diesen Fällen besteht keine durch § 371 AO gebotene Notwendigkeit, daß die Täter oder Teilnehmer der (versuchten) Steuerhinterziehung den Finanzbehörden namentlich bekannt werden; eine (weitere) Gefährdung des Steueraufkommens ist ausgeschlossen.
cc) Eine strafbefreiende Selbstanzeige kommt nicht in Betracht, wenn ein Ausschlußgrund des § 371 Abs. 2 AO vorliegt. Das ist dann der Fall, wenn vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger zur steuerlichen Prüfung erschienen ist (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. a AO), wenn ein Steuerstrafverfahren bereits eingeleitet wurde und dem Täter oder seinem Vertreter dies bekannt gegeben worden ist (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. b AO) oder wenn die Tat ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wußte oder damit rechnen mußte (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO).
Einer Selbstanzeige steht die Sperrwirkung nach § 371 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AO allerdings dann nicht entgegen, wenn zum Zeitpunkt, in dem ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat erschienen ist, der von einer späteren Selbstanzeige umfaßte Sachverhalt weder vom Ermittlungswillen des Amtsträgers erfaßt war noch mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand in engem sachlichen Zusammenhang stand (vgl. BGHR AO § 371 Abs. 2 Nr. 1 Sperrwirkung 3). Für die Annahme einer Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO reicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein bloßer Anfangsverdacht nicht aus. Erforderlich ist mehr als die Kenntnis von Anhaltspunkten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit späterer Aufklärung gegeben ist. Der Tatverdacht muß sich vielmehr soweit konkretisiert haben, daß bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist (vgl. BGHR AO § 371 Abs. 2 Nr. 2 Tatentdeckung 3).
b) Danach gilt hier folgendes:
aa) Betreffend die Firma 3D geht das Landgericht rechtsfehlerfrei davon aus, daß der Angeklagte eine strafbefreiende Selbstanzeige erstattet hat. Indem er bei der Durchsuchung den Steuerfahndungsbeamten unbeschränkten Zugriff auf den Computer, insbesondere auch auf die Dateien hinsichtlich der bis dahin unbekannten Scheinfirma 3D, ermöglichte, wurde das Finanzamt in die Lage versetzt ohne weiteres zu erkennen, daß ein Steuererstattungsanspruch nicht bestand. Der Selbstanzeige stand auch die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 AO nicht entgegen. Ein Strafverfahren gegen den Angeklagten war zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingeleitet. Darüber hinaus waren die Steuerfahndungsbeamten im Strafverfahren gegen Sc … wegen der versuchten Umsatzsteuerhinterziehung betreffend die Firma D … erschienen. Von einer Beteiligung des Angeklagten war bei der Durchsuchung ebensowenig bekannt, wie von den versuchten Steuerhinterziehungen mittels weiterer Scheinfirmen. Auch die Annahme des Landgerichts, es bestehe zwischen den versuchten Steuerhinterziehungen unter den verschiedenen Scheinfirmen kein so enger sachlicher Zusammenhang, daß eine Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 lit. a AO hinsichtlich der Firma 3D eingetreten ist, da es sich um jeweils unterschiedliche Steuerpflichtige handelt, die bei verschienenen Finanzämtern veranlagt werden, ist nicht zu beanstanden.
bb) Im Fall der Firma D. ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, daß die Tat bereits entdeckt war im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO, als der Angeklagte den zur Durchsuchung erschienenen Steuerfahndungsbeamten den Inhalt der auf dem Computer gespeicherten Dateien zeigte und diese kopierte.
(1) Nach den Urteilsfeststellungen lagen zum Zeitpunkt der Durchsuchung beim Angeklagten genügend Anhaltspunkte vor, die eine Verurteilung wegen versuchter Steuerhinterziehung ausreichend wahrscheinlich erscheinen ließen. Die Vorermittlungen der Steuerfahndung hatten schon erste Anhaltspunkte dafür ergeben, daß es sich bei der Firma D. um eine nur für den „Umsatzsteuerbetrug” errichtete Scheinfirma handelte. Dieser Verdacht erhärtete sich, als bei den eingeleiteten Durchsuchungsmaßnahmen festgestellt wurde, daß weder am Wohnsitz des Strohmanns Sc noch am vermeintlichen Geschäftssitz der Firma D. irgendeine Geschäftsausstattung vorhanden war. Mit der bestätigenden Antwort des Sc auf die Frage, ob sich der Computer, auf dem die Rechnungsunterlagen gefertigt worden seien, im Anwesen in Ottendorf-Okrilla befinde, hatte sich der bisher bestehende Verdacht als zutreffend bestätigt. Damit war die Tat entdeckt im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO. Denn es war bekannt, daß den geltend gemachten Vorsteuererstattungsansprüchen kein reales Geschehen zugrunde lag, und es war offenkundig, daß die eingereichten Unterlagen auf Fälschungen beruhten.
Die Tatsache, daß bei Tatentdeckung noch nicht bekannt war, daß der Angeklagte an der Tat beteiligt war, führt hier zu keiner anderen Beurteilung. Aus dem objektiv vorliegenden Sachverhalt konnte ohne weiteres der Schluß gezogen werden, daß die an der versuchten Steuerhinterziehung Beteiligten vorsätzlich handelten. Eine Kenntnis von der Mitwirkung des Angeklagten war auch nicht im Hinblick auf § 71 AO erforderlich. Eine Rückforderung unberechtigt erlangter Steuervorteile vom Angeklagten als zusätzlichem Haftungsschuldner kam hier nicht in Betracht.
(2) Da die Beamten, die zur Durchsuchung auf dem Anwesen in Ottendorf-Okrilla erschienen waren, dem Angeklagten den zugrundeliegenden Sachverhalt mitteilten, bevor er die Computerdaten offenbarte, wußte er auch vor der Abgabe der Selbstanzeige, daß die Tat entdeckt war.
(3) Bei dem vorliegend vom Landgericht festgestellten Sachverhalt bedurfte es keiner ausdrücklichen Auseinandersetzung mit der Frage eines Rücktritts gemäß § 24 StGB. Die versuchte Steuerhinterziehung war fehlgeschlagen, da es nach den durchgeführten Ermittlungen der Steuerfahndung nicht mehr zur Vollendung kommen konnte. Zudem fehlte es offensichtlich an der Freiwilligkeit der Tataufgabe, nachdem die Fahndungsbeamten zur Durchsuchung beim Angeklagten erschienen waren.
cc) Betreffend die Firma I. können die Verurteilungen wegen versuchter Steuerhinterziehung allerdings keinen Bestand haben. Denn entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Angeklagte insoweit durch das von ihm verfaßte Schreiben an das Finanzamt Frankfurt am Main strafbefreiend Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 1 AO erstattet.
Indem der Angeklagte das Schreiben formulierte, es von R. unterschreiben ließ und es selbst an das Finanzamt absandte, hat er eine ihm zurechenbare Selbstanzeige veranlaßt. In dem Schreiben wurde den Finanzbehörden offenbart, daß der Vorsteuererstattungsanspruch, der geltend gemacht worden war, nicht besteht, sondern der gesamte Sachverhalt frei erfunden war. Das Finanzamt wurde somit in die Lage versetzt, den Erstattungsanspruch sachlich richtig mit „Null” festzusetzen. Da der Angeklagte bis dahin keinen Steuervorteil erlangt hatte, bedurfte es auch nicht der Nachentrichtung oder Rückzahlung von hinterzogenen Steuern gemäß § 371 Abs. 3 AO, um Straffreiheit zu erlangen. Die unrichtigen Behauptungen des Angeklagten in der Selbstanzeige, die Belege seien in einem Internetcafe erstellt und die Originalunterlagen seien vernichtet worden, rechtfertigen keine andere Beurteilung. Denn diese unwahren Angaben betreffen keine steuerrelevanten Tatsachen. Die Offenbarung des insoweit wahren Sachverhaltes hätte zu keiner anderen steuerrechtlichen Beurteilung geführt.
3. Durch die Selbstanzeige in den Fällen betreffend die Firmen 3D und I. erlangte der Angeklagte nur hinsichtlich der Steuervergehen Straffreiheit (vgl. BGHSt 12, 100 zur Vorgängerregelung § 410 AbgO; Joecks aaO § 371 Rdn. 37 ff., 44; Klein, AO 8. Aufl. § 371 Rdn. 6; Kohlmann, Steuerstrafrecht 26. Lfg. Oktober 1998 § 371 Rdn. 31 ff.; Rüping aaO § 371 Rdn. 34). Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 371 AO („Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung”, „in den Fällen des § 370”, „wird insoweit straffrei”), als auch aus dem fiskalischen Zweck der Regelung des § 371 AO (vgl. oben II. 2. a) aa)). Der Steuerpflichtige wird straflos, wenn er die Finanzbehörde in die Lage versetzt, ihn so zu veranlagen, als hätte er die Steuererklärung von vornherein ordnungsgemäß abgegeben. Die oben angeführte Zweckbestimmung und die entsprechende Ausgestaltung des § 371 AO begrenzen notwendig die Geltung auf solche Steuerverfehlungen, die durch unrichtige, unvollständige oder unterlassene Steuerangaben begangen sind. Im Hinblick auf alle anderen Straftaten muß die Vergünstigung versagt bleiben (vgl. BGHSt 12, 100, 102).
Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit § 24 StGB. Tritt der Täter unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen von einer versuchten Straftat zurück, wird er insoweit straffrei. Hat er jedoch gleichzeitig eine weitere (vollendete) Straftat begangen, verbleibt es bei der Strafbarkeit wegen dieser (vgl. BGHSt 42, 43; 39, 128). Der Täter einer Steuerstraftat ist gegenüber anderen Straftätern bereits besser gestellt, weil er bei einer versuchten Steuerhinterziehung neben der Möglichkeit des Rücktritts gemäß § 24 StGB auch die Möglichkeit einer Selbstanzeige gemäß § 371 AO hat, um straflos zu werden (vgl. BGHSt 37, 340, 345 f.). Darüber hinaus ist die Selbstanzeige auch noch bei vollendeter Steuerhinterziehung möglich. Es ist kein Grund ersichtlich, den Umfang der Strafbefreiung bei der Selbstanzeige gemäß § 371 AO weiter zu fassen als bei § 24 StGB und den Steuerstraftäter noch weitergehend zu bevorzugen.
4. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Urkundenfälschung ist nicht zu beanstanden.
a) Es kann dahinstehen, ob das Revisionsvorbringen zur Verletzung des Verwendungsverbots des § 393 Abs. 2 AO den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt (vgl. BGHR AO § 393 Abs. 2 Anwendungsbereich 1; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze 107. ErgLfg. AO § 393 Rdn. 11; Rogall in FS für Kohlmann 2003 S. 465, 497). Die Rüge ist jedenfalls unbegründet.
b) Die Vorlage der Ablichtungen der angeblichen Rechungen bei den Finanzämtern stellt das Gebrauchmachen von gefälschten Urkunden zur Täuschung im Rechtsverkehr im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB dar.
Zwar wurden zunächst nur Collagen erstellt, indem von Originalschreiben, in denen große Teile des Textes abgedeckt waren, Kopien angefertigt wurden. Durch das Ausfüllen dieser so erlangten Blankoformulare durch den Angeklagten und die Unterzeichnung durch seine Mittäter – zum Teil unter Nachahmung der Originalunterschriften – wurden diese Collagen jedoch zu unechten Urkunden im Sinne des § 267 StGB (vgl. BGH StV 1994, 18). Durch die Vorlage von Kopien der tatsächlich nicht existierenden Rechnungen bei der Geltendmachung der Vorsteuererstattungen wurden diese Urkunden auch zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht (vgl. BGHR StGB § 267 Abs. 1 Gebrauchmachen 4; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 267 Rdn. 12b und 24).
c) Das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO steht in der hier gegebenen Fallgestaltung einer Verurteilung wegen der Urkundenfälschung nicht entgegen.
aa) Der Steuerpflichtige ist im Besteuerungsverfahren verpflichtet, die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß gegenüber den Finanzbehörden anzugeben, selbst dann, wenn er dadurch zugleich eigenes früheres strafbares Verhalten aufdecken muß. Diese Pflicht ist im Blick auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nach dem Leistungsvermögen mit Zwangsmitteln (§ 328 AO) durchsetzbar; sie steht jedoch im Spannungsverhältnis zu dem strafverfahrensrechtlichen Grundsatz, daß niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst Zeugnis abzulegen (nemo tenetur se ipsum accusare). Das Gesetz löst diesen Konflikt, indem es in § 393 Abs. 1 AO den Einsatz von Zwangsmitteln untersagt, soweit der Steuerpflichtige Steuerstraftaten offenbaren müßte (vgl. BGHSt 47, 8, 12; BGHR AO § 393 Abs. 1 Erklärungspflicht 2 und 3), und ergänzt diesen Schutz in § 30 AO durch ein begrenztes an Amtsträger gerichtetes Offenbarungs- und Weitergabeverbot sowie in § 393 Abs. 2 AO durch ein „begrenztes strafrechtliches Verwertungsverbot” für andere Straftaten (BVerfGE 56, 37, 47; vgl. zu § 393 Abs. 2 AO auch Senatsurteil vom heutigen Tag – 5 StR 139/03).
bb) Die Regelung des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO untersagt – soweit es um die Verfolgung einer Nichtsteuerstraftat geht – die Verwendung von Tatsachen oder Beweismitteln, die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat.
In Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten handelt der Steuerpflichtige, wenn er Informationen aufgrund seiner Mitwirkungspflichten mitteilt. Ein Steuerpflichtiger, der vorsätzlich falsche Angaben gegenüber den Finanzbehörden macht, um unberechtigte Vorsteuererstattungen zu erlangen, erfüllt keine steuerrechtlichen Erklärungs- und Mitwirkungspflichten. Gleiches gilt für die dabei erfolgte Vorlage gefälschter oder verfälschter Urkunden (vgl. BGH wistra 2003, 429).
Auch falsche Angaben zur Erlangung unberechtigter Vorsteuererstattungen führen dazu, daß ein Steuerverfahren in Gang gesetzt wird. Innerhalb dieses Steuerverfahrens besteht zwar keine strafbewehrte oder mit steuerrechtlichen Zwangsmitteln (§ 328 AO) durchsetzbare Pflicht zu einer Richtigstellung. Der Steuerpflichtige erfüllt gleichwohl mit den wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben einer Selbstanzeige nunmehr seine steuerrechtlichen Erklärungs- und Mitwirkungspflichten und ermöglicht dem Finanzamt so eine zutreffende Steuerfestsetzung.
cc) Offenbart der Steuerpflichtige im Rahmen einer Selbstanzeige eine allgemeine Straftat, die er zugleich mit der Steuerhinterziehung begangen hat – wie hier eine tateinheitlich begangene Urkundenfälschung –, besteht kein Verwendungsverbot gemäß § 393 Abs. 2 AO hinsichtlich eines solchen Allgemeindelikts, mithin eines Delikts, das keine Steuerstraftat im Sinne des § 369 Abs. 1 AO darstellt.
Diese einschränkende Auslegung des § 393 Abs. 2 AO folgt aus der ratio legis der gesetzlichen Vorschrift, die es dem Steuerpflichtigen ermöglichen soll, auch bemakelte Einkünfte anzugeben, ohne deswegen eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Denn der Staat will Kenntnis von allen – legalen wie illegalen – Einkünften erlangen, um sie einer Besteuerung unterwerfen zu können. Der Steuerstraftäter, der im Rahmen einer Selbstanzeige ein mit der Steuerhinterziehung gleichzeitig begangenes Allgemeindelikt aufdeckt, offenbart jedoch keine weitere Steuerquelle für den Staat. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Täter – wie hier der Angeklagte – einen angeblichen Steuererstattungsanspruch geltend macht, der auf einen völlig frei erfundenen Sachverhalt gestützt wird, und dazu gefälschte Urkunden vorlegt.
Die Regelung des § 393 Abs. 2 AO soll zudem das Spannungsverhältnis ausgleichen zwischen der Erzwingbarkeit der Steuererklärung einerseits und dem berechtigten Interesse des Steuerpflichtigen andererseits, sich in Erfüllung seiner steuerrechtlichen Mitwirkungs- und Offenbarungspflichten nicht der Strafverfolgung wegen möglicherweise zu offenbarendem strafbaren Verhaltens auszusetzen. Der innere Grund für das in § 393 Abs. 2 AO normierte Verwendungsverbot ist demnach die Erzwingbarkeit der Pflichterfüllung. Die Erfüllung der Mitwirkungs- und Offenbarungspflichten ist jedoch dann nicht mehr mit den Zwangsmitteln des Steuerrechts (§ 328 AO) durchsetzbar, wenn der Steuerpflichtige genötigt wäre, sich wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat selbst zu belasten (§ 393 Abs. 1 AO). Der Täter einer Steuerhinterziehung kann nicht zur Abgabe einer Selbstanzeige gezwungen werden. Dies macht deutlich, daß in dieser Situation, in welcher der Steuerpflichtige aufgrund seiner vorherigen Steuerstraftat nicht mehr mit Zwangsmitteln zur Erfüllung seiner steuerrechtlichen Pflichten veranlaßt werden kann (§ 393 Abs. 1 AO) und er als Beschuldigter in einem Strafverfahren keine Angaben machen müßte, er auch nicht des Schutzes des Beweisverwendungsverbots nach § 393 Abs. 2 AO bedarf.
III.
Soweit die Revision Erfolg hat, führt dies zum Wegfall der die Firma I. betreffenden Verurteilungen wegen versuchter Steuerhinterziehung, mithin zur Änderung des Schuldspruchs. Ein Freispruch kommt insoweit nicht in Betracht, da die Verurteilung wegen der tateinheitlich begangenen Urkundenfälschung Bestand hat (vgl. Schoreit in KK 5. Aufl. § 260 Rdn. 20). Der verminderte Schuldumfang in den Fällen II. 3 a und b (Firma I.) hat die Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafen wie auch die Aufhebung der Gesamtstrafe zur Folge. Die übrigen Einzelstrafen können bestehen bleiben. Es ist auszuschließen, daß sie von der Strafzumessung im Fall der Firma I. beeinflußt worden sind.
Unterschriften
Harms, Häger, Raum, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 1167350 |
BFH/NV Beilage 2004, 380 |
BGHSt 2005, 136 |
BGHSt |
HFR 2004, 1253 |
NJW 2005, 2720 |
Inf 2004, 528 |
Nachschlagewerk BGH |
wistra 2004, 309 |
JA 2005, 14 |
StV 2004, 526 |
StraFo 2004, 387 |
BFH/NV-Beilage 2004, 380 |