Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfange der Beirat (Verwaltungsrat) einer Publikumskommanditgesellschaft zu Änderungen des Gesellschaftsvertrages ermächtigt werden kann.
Normenkette
HGB §§ 119, 161
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 14. März 1984 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Kommanditist der verklagten Publikumskommanditgesellschaften. Bei der Beklagten zu 1 hat er am 20. Dezember 1979 und 14. November 1980 Einlagen von 60.000 DM und 30.000 DM gezeichnet; der Beklagten zu 2 ist er am 4./17. Juli 1979 mit einer Einlage von 60.000 DM beigetreten. Die Einlagen bei der Beklagten zu 2 hat er in voller Höhe, die bei der Beklagten zu 1 in Höhe von 85.000 DM erbracht.
Im vorliegenden Verfahren macht der Kläger Ansprüche aus den in den Beitrittserklärungen enthaltenen Bestimmungen geltend, wonach eingezahlte Beträge ab Wertstellung bis zum 31. Dezember 1983 mit 15 % zu verzinsen sind. Die Beklagten haben diese Zinsen nur bis Ende 1981 gezahlt. Die Zinsen für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1982 sind Gegenstand der Klageanträge.
Die Beklagten halten die Klagen insbesondere deshalb für unbegründet, weil der Verwaltungsrat der Beklagten aufgrund einer Ermächtigung der Gesellschafterversammlung am 15. September 1983 beschlossen habe, die Zahlung der Gesellschafterzinsen ab 1. Januar 1982 auszusetzen und bis auf weiteres nicht fällig zu stellen.
Das Landgericht hat entsprechend den Anträgen des Klägers die Beklagte zu 1 zur Zahlung von 6.375 DM und die Beklagte zu 2 zur Zahlung von 4.500 DM – jeweils nebst Zinsen – verurteilt. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klagen abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Urteile. Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis darin zuzustimmen, daß der Kläger in seiner Eigenschaft als Kommanditist der Beklagten für das hier in Frage stehende erste Halbjahr 1982 einen Anspruch auf Auszahlung eines Betrages von jährlich 15 % der von ihm eingezahlten Einlagen erlangt hat. Die bei seinem Eintritt geltenden Gesellschaftsverträge der beiden Beklagten sehen dies allerdings noch nicht vor. Auch die in den Beitrittsverträgen enthaltenen Klauseln, die eingezahlten Beträge seien mit 15 % jährlich zu verzinsen, konnten diesen Anspruch nicht begründen; denn die persönlich haftende Gesellschafterin, die den Beitrittsvertrag mit den neu eintretenden Kommanditisten im Namen aller Gesellschafter abgeschlossen hat, hatte keine Vollmacht, eine derart vom Gesellschaftsvertrag abweichende Vereinbarung zu treffen. Die Klauseln sind aber dadurch wirksam geworden, daß – wie zwischen den Parteien unstreitig ist – die Gesellschaftsverträge entsprechend geändert worden sind und demgemäß die der persönlich haftenden Gesellschafterin erteilte Ermächtigung entsprechend erweitert worden ist. Damit sollten ersichtlich auch die hier in Frage stehenden Klauseln genehmigt werden.
II. Das Berufungsgericht hält den so entstandenen Anspruch für zur Zeit unbegründet, weil seine Fälligkeit hinausgeschoben worden sei. Der Verwaltungsrat der beiden Beklagten habe auf der Grundlage einer Ermächtigung durch die Gesellschafter Versammlungen am 15. September 1983 wirksam beschlossen, daß „die in den Gesellschaftsverträgen … vorgesehenen Gesellschafterzinsen auf das jeweils eingezahlte Gesellschaftskapital für alle fünf Mega-Petrol-Kommanditgesellschaften ab 1. Januar 1982 ausgesetzt und damit bis auf weiteres nicht fällig” seien. Die den Gesellschaftern obliegende Treuepflicht gebiete ebenfalls, von der Geltendmachung des Zinsanspruchs solange abzusehen, bis die Beklagten durch Gewinn in die Lage kämen, diese Vergütungen zur Verfügung zu stellen, ohne die Liquidität zu gefährden.
Das Berufungsgericht stellt hierzu im einzelnen unangefochten fest, daß die Liquidität der beiden Beklagten schon im Herbst 1982 stark beeinträchtigt gewesen sei, weil die Erträge aus den Investitionen mit Rücksicht auf die erfolgte Abtretung an US-Banken dort einbehalten worden seien. Eine Fortzahlung der Zinsen an die insoweit anspruchsberechtigten Kommanditisten, die 4/5 des Nominalkapitals ausmachten, würde zur Zahlungsunfähigkeit und damit zum Konkurs der Beklagten führen.
Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision greifen nicht durch.
1. Es bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, der Verwaltungsrat sei zum Erlaß des hier in Frage stehenden Beschlusses ermächtigt gewesen.
Nach dem Vorbringen der Parteien und den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, daß die ordnungsgemäß einberufene Gesellschafter Versammlung vom 10. Juni 1983, in der jeweils über 90 % der Mitglieder der beiden Beklagten vertreten waren, einstimmig (bei 12 Stimmenthaltungen der Gesellschafter der Beklagten zu 1) den hier in Frage stehenden Verwaltungsrat eingesetzt und gewählt und ihm unter anderem „die Aufgaben der Gesellschafter Versammlung gemäß Gesellschaftsvertrag” übertragen haben. Damit ist den Anforderungen des Gesellschaftsvertrages entsprochen worden, der für Vertragsänderungen eine Mehrheit von 75 % vorsieht.
Es erhebt sich allerdings die Frage, ob allgemeine gesellschaftsrechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit dieses Beschlusses sprechen. Das ist jedoch nicht der Fall.
a) Die Gesellschafter Versammlung hat mit dem Beschluß vom 10. Juni 1983 nicht, wie die Revision meint und dem Wortlaut des Beschlusses entnommen werden könnte, uneingeschränkt ihre Aufgaben „übertragen”. Dieser Klausel folgt nämlich unmittelbar die Erklärung: „Die Rechte der Gesellschafter Versammlung bleiben unberührt.” Das zeigt, daß sich die Gesellschafterversammlung nicht, wie die Revision anführt, „entmachtet” hat, daß ihre Stellung vielmehr rechtlich und tatsächlich unangetastet geblieben ist. Demgemäß liegt kein Fall einer verdrängenden Ausübung von Mitgliedschaftsrechten vor. Der Verwaltungsrat war lediglich damit betraut,neben der Gesellschafterversammlung tätig zu werden. Diese konnte und kann insbesondere auch Entscheidungen und Beschlüsse des Verwaltungsrats wieder außer Kraft setzen. Das steht auch der Annahme entgegen, daß die notwendig mit dem Gesellschaftsanteil verbundenen Verwaltungsrechte der Gesellschafter in unzulässiger Weise von ihnen gelöst worden sind.
b) Entgegen der Auffassung der Revision ist auch für eine Anwendung des von der Rechtsprechung für das Recht der Personengesellschaften entwickelten Bestimmtheitsgrundsatzes kein Raum. Der Senat hat diesen Grundsatz, wonach Vertrags ändernde Mehrheitsbeschlüsse selbst dann, wenn der Gesellschaftsvertrag solche zuläßt, aus Gründen des Minderheitenschutzes nur wirksam sind, wenn sich der Beschlußgegenstand, für den das personengesellschaftsrechtliche Einstimmigkeitsprinzip nicht gelten soll, unzweideutig – sei es auch nur im Wege der Auslegung – aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt, für das Recht der Publikumsgesellschaften aufgegeben (vgl. BGHZ 71, 53, 58). Die Gründe, die den erkennenden Senat veranlaßten, diesen Grundsatz nicht auf die Publikumsgesellschaften anzuwenden, sind gerade auch für den vorliegenden Fall kennzeichnend. Seine Anwendung würde hier dazu führen, wie nachstehend aufzuzeigen ist, daß eine Fortentwicklung des Gesellschaftsunternehmens unmöglich sein würde und selbst an krisenhaften Zuständen nichts geändert werden könnte.
c) Der Revision ist allerdings darin zuzustimmen, daß vertragsändernde Mehrheitsentscheidungen nicht zulässig sind, soweit sie in die Rechtsstellung der Gesellschafter – in ihre rechtliche und vermögensmäßige Position in der Gesellschaft – eingreifen; den Gesellschaftern steht insoweit ein unverfügbarer Kernbereich von Rechten zu. Daraus folgt jedoch nicht, daß die im vorliegenden Fall durch vertragsändernden Mehrheitsbeschluß erfolgte Ermächtigung des Verwaltungsrats, Aufgaben der Gesellschafter Versammlung wahrzunehmen, unwirksam ist, soweit es um die hier in Frage stehende Befugnis geht, die gesellschaftsvertragliche; Regelung, wonach jährlich 15 % Zinsen auf die Kapitaleinlagen zu zahlen sind, hinsichtlich des Fälligkeitszeitpunkts zu ändern. Hierbei bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Wirkungen der Verwaltungsrat zu Änderungen des Gesellschaftsvertrags ermächtigt werden kann, die die Rechtsstellung einzelner oder aller Gesellschafter verkürzen. Die Ermächtigung des Verwaltungsrats der beiden Beklagten, soweit sie das Recht begründet, die Fälligkeit des gesellschaftsvertraglich begründeten Zinsanspruchs hinauszuschieben, ist jedenfalls deshalb als zulässig und demgemäß der entsprechende Verwaltungsratsbeschluß als wirksam zu erachten, weil die wirtschaftliche Lage der Beklagten die Aussetzung der Zinszahlungen gebot und demgemäß im Verhältnis der Gesellschafter untereinander die Rechtspflicht entstand, den insoweit notwendigen Maßnahmen zuzustimmen. Es stellte eine Verletzung der gesellschaftlichen Treuepflicht dar, wenn sich ein Gesellschafter dieser Notwendigkeit verschlösse. Ist aber die Gesamtheit der Gesellschafter unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Treuepflicht gehalten, einer Änderung der gesellschaftsvertraglichen Regelung über die Verzinsung der Kapitaleinlagen – hier in der Form einer vorübergehenden Aussetzung der Zinszahlungen – zuzustimmen, so können Gesellschafterbeschlüsse, die mit der für Vertragsänderungen vorgeschriebenen 3/4-Mehrheit den Verwaltungsrat hierzu ermächtigen, und die in diesem Rahmen liegenden Maßnahmen des Verwaltungsrats nicht mit der Begründung als unwirksam angesehen werden, sie verkürzten in unzulässiger Weise die rechtliche und Vermögens mäßige Position der Gesellschafter.
2. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats besteht zwar für den Gesellschafter im allgemeinen keine Rechtspflicht, einer Änderung des Gesellschaftsvertrags zuzustimmen. Das gilt insbesondere dann, wenn, wie hier, durch die Vertragsänderung seine eigenen Rechte beeinträchtigt werden. Eine solche Verpflichtung ergibt sich aber dann, wenn die rechtsbeeinträchtigende Vertragsänderung einerseits mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis, insbesondere zur Erhaltung des im Rahmen des Gesellschaftsverhältnisses Geschaffenen, erforderlich und andererseits für den Gesellschafter bei Berücksichtigung der Belange des Ganzen zumutbar ist (Sen. Urt. v. 24.4.1954 – II ZR 35/53, LM HGB § 105 Nr. 8; BGHZ 64, 253, 257 m.w.N.). Dem kann nicht entgegengesetzt werden, in einer Publikumsgesellschaft bestünden derartige Treuepflichten nicht. Sie mögen hier mit Rücksicht darauf, daß die Anlagegesellschafter untereinander und zu den eigentlichen Unternehmensgesellschaftern in keinerlei persönlichen Beziehungen stehen, einen anderen Inhalt haben und andere Wirkungen zeitigen. Das kann aber nicht dazu führen, die Treuepflicht überhaupt zu leugnen, sondern nur dazu, daß die Grenzen anders – und wohl auch enger – zu ziehen sind. Das Treuegebot bleibt insbesondere bestehen, wenn es, wie hier, um die Frage der Erhaltung des Gesellschaftsunternehmens geht.
Daß im vorliegenden Falle das die Gesellschafter treffende Treuegebot die Pflicht begründet, dem Beschluß des Verwaltungsrats zuzustimmen, folgt aus den überzeugenden Darlegungen des Berufungsgerichts, daß die Treuepflicht vom Kläger verlange, die Beklagten nicht in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben. Ihm ist entgegen der Auffassung der Revision auch im rechtlichen Ausgangspunkt zuzustimmen, daß bei der Beurteilung der Frage, ob durch die sofortige Erfüllung der hier in Frage stehenden Ansprüche der Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit und damit der Konkurs der Beklagten droht, nicht nur der Anspruch des Klägers zu berücksichtigen ist, sondern die Forderung aller insoweit anspruchsberechtigten Gesellschafter einbezogen werden müssen. Das gebietet das allgemeine Rechtsprinzip der Gleichbehandlung der ganzen Gruppe der betroffenen Gesellschafter.
Angesichts der unangefochten festgestellten schlechten Liquiditätslage der Beklagten erscheint eine Stundung der Gesellschafterforderungen geboten, um das Gesellschaftsunternehmen zu erhalten und damit die weitere Verfolgung des Gesellschaftszwecks zu sichern. Demgegenüber wird die vermögensmäßige Position der anspruchsberechtigten Gesellschafter nicht oder nur wenig beeinträchtigt, weil ihre Haftung als Kommanditisten in dem gleichen Umfang wieder aufleben würde, in dem Zinszahlungen erfolgten. Nach dem Vorbringen der Parteien und den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, daß der Betrag von 15 % der erbrachten Einlage nicht aus erzielten Gewinnen gezahlt werden kann, so daß es sich um eine Zuwendung aus dem Vermögen der Beklagten handelte, ohne daß diesem eine gleichwertige Gegenleistung zuflösse. Das aber bedeutet für ihr Verhältnis zu den Gesellschaftsgläubigern – im Falle des Konkurses im Verhältnis zum Konkursverwalter – daß erneut ein Haftungsrisiko in voller Höhe des erhaltenen Betrags begründet würde (§ 172 Abs. 4 HGB).
Unterschriften
Stimpel, Dr. Schulze, Dr. Kellermann, Dr. Seidl, Brandes
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.11.1984 durch Spengler Justiz angestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Nachschlagewerk BGH |
WM 1985, 256 |