Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorenthalten von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung wegen Liquiditätsproblemen
Leitsatz (amtlich)
Der Geschäftsführer einer GmbH ist wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung auch dann gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB haftungsrechtlich verantwortlich, wenn die GmbH zwar zum Fälligkeitszeitpunkt nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, er es jedoch pflichtwidrig unterlassen hat, die Erfüllung dieser Verpflichtung durch Bildung von Rücklagen, notfalls auch durch Kürzung der Nettolohnzahlung sicherzustellen (st.Rspr. vgl. BGH, Urt. v. 21.1.1997 - VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 309 = GmbHR 1997, 305 = MDR 1997, 460).
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; StGB § 266a
Verfahrensgang
LG Bückeburg (Urteil vom 08.03.2005; Aktenzeichen 2 S 71/04) |
AG Stadthagen (Urteil vom 27.10.2004; Aktenzeichen 41 C 253/04 (II)) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Bückeburg vom 8.3.2005 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des AG Stadthagen - 41 C 253/04 (II) - vom 27.10.2004 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Der Beklagte war im Jahr 2003 Geschäftsführer der C. GmbH, auf deren am 24.4.2003 gestellten Antrag am 1.6.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Die spätere Insolvenzschuldnerin zahlte dem bei ihr tätigen Arbeitnehmer B. für den Monat Februar 2003 den Nettolohn, blieb jedoch den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung i.H.v. 609,49 EUR schuldig; sie beglich diesen ausstehenden Betrag auch nicht, als im April 2003 eine Zahlung von 50.000 EUR bei ihr einging. Die klagende - zum 1.1.2005 mit der zuständigen Einzugstelle vereinigte - Betriebskrankenkasse verlangt von dem Beklagten, gestützt auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB, Ersatz dieses Betrages.
[2] Der Beklagte hat sich darauf berufen, ihm sei die Abführung des Arbeitnehmeranteils zum Fälligkeitszeitpunkt (15.3.2003) nicht möglich gewesen. Die Gesellschaft habe nicht über die erforderlichen Zahlungsmittel verfügt, sie habe sich Ende Februar/Anfang März 2003 in einem erheblichen Liquiditätsengpass befunden. Er habe auf die - nicht eingehaltenen - Zusicherungen der niederländischen Muttergesellschaft vertraut, dass der Gesellschaft Ende März bzw. Ende April liquide Mittel zufließen würden. Die Gesellschaft sei spätestens zum 1.3.2003 wegen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit insolvenzreif gewesen.
[3] Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen Revision - verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
[4] Die Revision der Klägerin ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückweisung der Berufung des Beklagten und zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
[5] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
[6] Die spätere Insolvenzschuldnerin habe am 15.3.2003, dem Fälligkeitszeitpunkt der Arbeitnehmerbeiträge für Februar 2003, nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um diese Verpflichtung zu erfüllen. Die Klägerin sei der sie treffenden Darlegungs- und Beweislast, dass dem Beklagten die Abführung der Arbeitnehmeranteile möglich gewesen wäre, nicht nachgekommen. Die Nichtbegleichung der Beitragsschuld aus den der Gesellschaft im April 2003 zugeflossenen Mitteln führe nicht zur Haftung des Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB, vielmehr lasse die Unmöglichkeit der Pflichterfüllung zum Fälligkeitszeitpunkt die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a StGB entfallen.
[7] II. Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[8] 1. Im Ausgangspunkt noch zutreffend ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Geschäftsführer nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB nicht haftet, soweit ihm die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zum Fälligkeitszeitpunkt mangels verfügbarer Mittel nicht möglich war, und dass die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Möglichkeit normgemäßen Verhaltens des Geschäftsführers bei der Sozialkasse liegt (BGH, Urt. v. 15.10.1996 - VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 379 f. = AG 1997, 37 = GmbHR 1997, 25 = MDR 1997, 151; BGH, Urt. v. 11.12.2001 - VI ZR 123/00, BGHReport 2002, 372 = GmbHR 2002, 208 = MDR 2002, 453 = ZIP 2002, 261, 262 f. und BGH v. 11.12.2001 - VI ZR 350/00, BGHReport 2002, 370 = GmbHR 2002, 213 = MDR 2002, 515 = ZIP 2002, 524; Urt. v. 18.4.2005 - II ZR 61/03, BGHReport 2005, 1138 = GmbHR 2005, 874 = MDR 2005, 1167 (LS) = ZIP 2005, 1026, 1028).
[9] 2. Wie die Revision mit Recht rügt, hat das Berufungsgericht jedoch verkannt, dass die Tatbestandsmäßigkeit i.S.d. § 266a Abs. 1 StGB hier nicht wegen Unmöglichkeit der Entrichtung der geschuldeten Beitragsleistung aufgrund fehlender Mittel ausgeschlossen ist, weil der Beklagte den Nettolohn für den betreffenden Monat in voller Höhe ausgezahlt hat.
[10] Der Geschäftsführer hat als Arbeitgeber i.S.v. § 266a StGB dafür Sorge zu tragen, dass ihm die zur ordnungsgemäßen Abführung der - auf den geschuldeten Lohn entfallenden - Arbeitnehmeranteile notwendigen Mittel bei Fälligkeit zur Verfügung stehen. Drängen sich wegen der konkreten finanziellen Situation der Gesellschaft deutliche Bedenken auf, dass zum Fälligkeitszeitpunkt ausreichende Zahlungsmittel vorhanden sein werden, muss der Geschäftsführer nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 15.10.1996 - VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 379 f. = AG 1997, 37 = GmbHR 1997, 25 = MDR 1997, 151; BGH, Urt. v. 21.1.1997 - VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 308 f. = GmbHR 1997, 305 = MDR 1997, 460; Urt. v. 15.9.1997 - II ZR 170/96, GmbHR 1997, 1156 = ZIP 1998, 42, 43 = BGH, Urt. v. 15.9.1997 - II ZR 170/96, BGHZ 136, 332 = GmbHR 1997, 1156; BGH, Urt. v. 14.11.2000 - VI ZR 149/99, BGHReport 2001, 161 = GmbHR 2001, 147 = MDR 2001, 453 = ZIP 2001, 80, 81) durch Bildung von Rücklagen, notfalls durch Kürzung der Nettolöhne sicherstellen, dass am Fälligkeitstag die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung fristgerecht an die zuständige Einzugsstelle entrichtet werden können.
[11] Gegen diese Pflicht hat der Beklagte verstoßen. Er hat am 7.3.2003 - nur wenige Tage vor Fälligkeit des für Februar 2003 geschuldeten Arbeitnehmerbeitrags - den Nettolohn für diesen Monat ungekürzt ausgezahlt, obwohl er wusste, dass er die Beitragsschuld bei Fälligkeit nicht würde erfüllen können. Denn nach seinem eigenen Vorbringen konnte er nicht erwarten, dass der Gesellschaft, die schon Ende Februar/Anfang März einen erheblichen Liquiditätsbedarf hatte, bis zum Fälligkeitszeitpunkt am 15.3. liquide Mittel zufließen würden.
[12] Dafür, dass die Gesellschaft zum Zeitpunkt der verspäteten Lohnzahlung im insolvenzrechtlichen Sinne zahlungsunfähig war, ergeben sich aus dem in sich widersprüchlichen und nicht konkretisierten Vortrag des Beklagten keine hinreichenden Anhaltspunkte.
[13] 3. Das Berufungsurteil unterliegt deshalb der Aufhebung, ohne dass es auf den - von den Instanzgerichten für maßgeblich erachteten - späteren Liquiditätszufluss und die von dem Berufungsgericht für rechtsgrundsätzlich erachtete Frage ankommt.
Fundstellen
Haufe-Index 1620392 |
DB 2006, 17 |
DB 2006, 2681 |
DStR 2006, 2185 |
HFR 2007, 399 |