Entscheidungsstichwort (Thema)
Eröffnung der Gesamtvollstreckung. Ratenzahlungsvereinbarungen. Wiedergewinnung der Zahlungsfähigkeit durch Zahlungsaufnahme an alle Gläubiger. Benachteiligung der Gesamtvollstreckungsgläubiger durch Beitragszahlungen an einen Sozialversicherungsträger wegen Verrechnung auf Arbeitnehmeranteile. Keine Vorrechte der gesetzlichen Krankenkasse im Gesamtvollstreckungsverfahren gegenüber anderen Gläubigern
Leitsatz (amtlich)
Beitragszahlungen des späteren Gesamtvollstreckungsschuldners an einen Sozialversicherungsträger benachteiligen die anderen Gesamtvollstreckungsgläubiger regelmäßig auch insoweit, als sie auf Arbeitnehmeranteile zu verrechnen sind.
a) Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung wird grundsätzlich erst beseitigt, wenn die geschuldeten Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger im allgemeinen wieder aufgenommen werden; dies hat grundsätzlich derjenige zu beweisen, der sich auf einen nachträglichen Wegfall der Zahlungseinstellung beruft.
b) Ein Gläubiger, der nach einem eigenen Eröffnungsantrag von dem betroffenen Schuldner Zahlungen erhält, darf deswegen allein grundsätzlich nicht davon ausgehen, daß auch die anderen, nicht antragstellenden Gläubiger in vergleichbarer Weise Zahlungen erhalten.
Normenkette
GesO § 10 Abs. 1 Nr. 4; StGB § 266a
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG |
LG Frankfurt (Oder) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. Dezember 2000 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der Sch. mbH (nachfolgend: Schuldnerin oder Gesamtvollstreckungsschuldnerin). Gegen diese beantragte die verklagte Krankenkasse nach fruchtlosem Pfändungsversuch mit Schreiben vom 24. November 1995 die Eröffnung der Gesamtvollstreckung wegen Zahlungsunfähigkeit. Der Beitragsrückstand der Schuldnerin belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 75.780,96 DM. Die A. beantragte unter dem 13. Dezember 1995 wegen eines Beitragsrückstandes von fast 90.000 DM gleichfalls die Eröffnung der Gesamtvollstreckung. Die Beklagte vereinbarte mit der Schuldnerin am 14. Dezember 1995, daß diese sofort einen Betrag von 37.000 DM zahlen und die Restschuld in monatlichen Raten von 6.500 DM abtragen sollte. Die Schuldnerin zahlte alsbald 37.000 DM an die Beklagte. Diese nahm am 16. Januar 1996 ihren Antrag auf Eröffnung der Gesamtvollstreckung zurück. Am 1. Januar 1997 wurde die Gesamtvollstreckung über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet.
Der Kläger verlangt im Wege der Anfechtung Rückzahlung folgender Beträge, welche die Beklagte auf Kosten der Gesamtvollstreckungsschuldnerin erhalten hat: Diese selbst zahlte unter anderem am 19. Februar 1996 6.500 DM und am 13. März 1996 7.004,60 DM an die Beklagte. Weitere 40.773,86 DM zahlte ein Drittschuldner der Gesamtvollstreckungsschuldnerin aufgrund einer Pfändungs- und Überweisungsverfügung der Beklagten in Raten vom 1. August bis 25. September 1996. Das Landgericht hat die Beklagte teilweise, das Berufungsgericht hat sie in voller Höhe zur Zahlung von 54.278,46 DM nebst Zinsen verurteilt. Dagegen richtet sich deren zugelassene Revision.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Kläger könne die der Beklagten zugeflossenen Zahlungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO anfechten.
Sämtliche angefochtenen Zahlungen seien nach dem Antrag auf Eröffnung der Gesamtvollstreckung erfolgt. Es bestehe kein Zweifel daran, daß der Antrag der A. vom 13. Dezember 1995 zur Eröffnung der Gesamtvollstreckung geführt habe. Gegenteiliges hätten die Parteien nicht vorgetragen.
Jedenfalls habe die Beklagte bei allen Zahlungseingängen auch die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gekannt oder hätte sie kennen müssen. Die Beklagte habe ihren eigenen Eröffnungsantrag vom 24. November 1995 darauf gestützt und keine Tatsachen dargelegt, aus denen sie habe schließen können, der Schuldner verfüge inzwischen wieder über finanzielle Mittel, um sämtliche Schulden im wesentlichen abzudecken. Aufgrund der zuvor von der Beklagten selbst und der A. erfolglos durchgeführten Pfändungsversuche und der Höhe der in beiden Eröffnungsanträgen seinerzeit geltend gemachten Zahlungsrückstände stehe fest, daß die Gesamtvollstreckungsschuldnerin Ende 1995 zahlungsunfähig gewesen sei. Die Ratenzahlungsvereinbarung zwischen der Beklagten und der Schuldnerin reiche nicht aus, um deren Liquidität wiederherzustellen. Sie habe nicht die Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber anderen Gläubigern betroffen. Zudem sei die Schuldnerin nicht einmal in der Lage gewesen, die Ratenzahlungsvereinbarung gehörig zu erfüllen.
Endlich sei der Kläger auch insoweit forderungsbefugt, als die anfechtbaren Zahlungen auf Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung anzurechnen gewesen seien. Insoweit fehle es nicht an der objektiven Benachteiligung der Gesamtvollstreckungsgläubiger. Die Beklagte habe nicht behauptet, der Arbeitgeber habe die Arbeitnehmeranteile etwa auf einem Treuhandkonto separiert gehabt. Gerade der Umstand, daß die Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt würden, zeige, daß es dem Schuldner darauf ankomme, die einbehaltenen Arbeitnehmeranteile in seinem eigenen Vermögen zu behalten, um damit zunächst vermeintlich „dringendere” Verpflichtungen zu erfüllen. Endlich habe die Beklagte nicht dargetan, daß Zahlungen in gleicher Höhe an sie auf bevorrechtigte Forderungen aus der Gesamtvollstreckungsmasse zu leisten seien.
II.
Demgegenüber rügt die Revision:
Die am 1. Januar 1997 eröffnete Gesamtvollstreckung beruhe nicht auf dem schon im Dezember 1995 gestellten Antrag der A. Keine Partei habe Derartiges vorgetragen. Sie hätten vor einer entsprechenden Feststellung darauf hingewiesen werden müssen.
Die angefochtenen Zahlungen seien auch nicht nach einer Zahlungseinstellung geleistet worden. Die Beklagte habe dies bestritten, das Berufungsgericht Gegenteiliges nicht festgestellt. Nach Abschluß der Ratenzahlungsvereinbarung vom 14. Dezember 1995 und der daraufhin erbrachten Zahlungen der Schuldnerin sei die Beklagte davon ausgegangen, daß die Schuldnerin ihre Zahlungsfähigkeit wiedergewonnen habe. Weitere Nachforschungen in dieser Richtung habe die Beklagte nicht anstellen können. Auch der Erfolg der Pfändung vom 10. Juli 1996 spreche nicht für eine Zahlungsunfähigkeit, sondern ergebe im Gegenteil, daß die Schuldnerin noch über Außenstände verfügt habe.
Jedenfalls könne der Kläger nicht die Rückzahlung der Arbeitnehmeranteile verlangen, weil insoweit keine objektive Gläubigerbenachteiligung eingetreten sei. Wenngleich der Arbeitgeber alleiniger Schuldner der Krankenkassen sei, seien die Arbeitnehmeranteile bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise dem Arbeitnehmer zuzurechnen. Sinn der Abführungsregelung sei nämlich allein die Vereinfachung des Zahlungsverkehrs mit dem Sozialversicherungsträger, nicht aber die Vergrößerung der Vermögensmasse des Arbeitgebers. Zudem zeige die Strafvorschrift des § 266a StGB, daß die Abführung der Arbeitnehmeranteile Vorrang vor anderen zivilrechtlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers habe. Sofern der Arbeitgeber seine strafrechtlich sanktionierte Verpflichtung zur Abführung der Arbeitnehmeranteile erfülle und die Solidargemeinschaft die ihr zustehenden Beiträge erhalten habe, dürften sie ihr nicht nachträglich durch Konkursanfechtung wieder entzogen werden.
III.
Das Berufungsgericht hat mit Recht alle hier fraglichen Zahlungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO für anfechtbar gehalten.
1. Zahlungen der Gesamtvollstreckungsschuldnerin haben deren Gläubiger auch insoweit objektiv benachteiligt, als sie auf Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung entfallen. Entgegen der Auffassung der Beklagten – die sich auf ein Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. Mai 2000 (2/4 O 9/00) stützt – gehörten die von der Gesamtvollstreckungsschuldnerin überwiesenen Beträge in vollem Umfang zu ihrem eigenen Vermögen (in diesem Sinne auch OLG Hamburg ZIP 2001, 708, 710 m. zust. Anm. v. Bender EWiR 2001, 577, 578; LG Hamburg ZInsO 2001, 568, 571; LG Kiel ZIP 2001, 1726 f; LG Stuttgart ZIP 2001, 2014, 2015; LG Coburg ZInsO 2001, 973 f; AG Düsseldorf NZI 2000, 492, 493; a.M. Brückl/Kersten NZI 2001, 288, 291 Fußn. 44).
a) Zwar tragen nach § 249 Abs. 1 SGB V die versicherungspflichtig Beschäftigten und ihre Arbeitgeber die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung jeweils zur Hälfte. Davon zu unterscheiden ist die Pflicht des Arbeitgebers, die gesamten Beiträge – nämlich die eigenen und die des Arbeitnehmers – an die Krankenkasse abzuführen (§ 253 SGB V i.V.m. § 28e SGB IV). Üblicherweise behält der Arbeitgeber den auf den Arbeitnehmer entfallenden Beitragsanteil nach § 28g SGB IV durch Abzug vom Lohn oder Gehalt des Arbeitnehmers ein und leitet ihn dann mit seinem eigenen Anteil an die Krankenversicherung weiter.
Jedoch ist nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV (i.V.m. § 253 SGB V) der Arbeitgeber alleiniger Schuldner der Krankenkasse. Diese Zahlungspflicht auch für die Arbeitnehmerbeiträge gehört zu den Hauptpflichten des Arbeitgebers im Rahmen seiner Indienstnahme als Privater im Rahmen eines besonderen öffentlich-sozialversicherungsrechtlichen Pflichtverhältnisses (Kasseler Kommentar/Seewald, Sozialversicherungsrecht, § 28e SGB IV Rn. 1). Das gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seiner arbeitsrechtlichen Lohnzahlungspflicht an den Arbeitnehmer bereits nachgekommen ist oder nicht. Die Krankenkasse erlangt damit auch im Umfang des Arbeitnehmeranteils zum Beitrag gegen den Arbeitgeber nur einen schuldrechtlich wirkenden Anspruch, der in dessen Gesamtvollstreckung keine Vorrechte gegenüber allen anderen Gläubigern verschafft. Genauso wie der Arbeitnehmer selbst unterliegt der Sozialversicherer im Insolvenzverfahren dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger.
b) Das Interesse derArbeitnehmer daran, daß die auf sie entfallenden, vom Arbeitgeber einzubehaltenden Sozialversicherungsanteile tatsächlich an den Sozialversicherer abgeführt werden, begründet in der Insolvenz des Arbeitgebers nicht ohne weiteres eine rechtlich geschützte Position. Eine solche wäre nur im Wege eines Treuhandverhältnisses gerade mit Bezug auf bestimmte, abzuführende Vermögenswerte möglich. Dafür müssen aber besondere Voraussetzungen erfüllt sein, die im Regelfalle nicht vorliegen. Der Arbeitgeber zahlt nämlich die Sozialversicherungsbeiträge – genauso wie den Lohn selbst – aus seinem gesamten eigenen Vermögen. Daran besteht keine treuhänderische Mitberechtigung Dritter. Frühestens in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber seine allgemeine Leistungspflicht durch Zuweisung konkretisierter Vermögenswerte an bestimmte Empfänger zur Erfüllung tatsächlich vorbereitet, könnten diese selbst eine individuelle Berechtigung an den ihnen zugedachten Werten erlangen, wenn zudem weitere rechtliche Voraussetzungen erfüllt sind. Danach entfällt hier eine treuhänderische Mitberechtigung der Arbeitnehmer von vornherein, soweit die Beklagte Beträge in Höhe von 40.773,86 DM durch Pfändung von einem Drittschuldner erlangt hat. Aber auch hinsichtlich der zwei Zahlungen von zusammen 13.504,60 DM ist nur dargetan, daß sie allgemein aus dem Vermögen des Schuldners geflossen sind. Dagegen muß ein Treuhandverhältnis als solches wenigstens erkennbar sein. Dies setzt mindestens voraus, daß der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer eine Lohnabrechnung vornimmt, in der bestimmte Beträge als Abzüge aufgeführt sind, und daß diese als Guthaben des einzelnen Arbeitnehmers in den Buchhaltungsunterlagen des Arbeitgebers ausgewiesen werden sowie tatsächlich vorhanden sind. In dem Fall, der dem Senatsurteil vom 15. Februar 1990 (IX ZR 149/88, ZIP 1990, 459, 461) zugrunde lag, hat der Arbeitgeber tatsächlich – wenngleich objektiv zu Unrecht – einen Betrag als bestimmten Arbeitnehmerbeitrag vom Bruttogehalt abgezogen und abgeführt; der Anspruch auf Rückgewähr dieser individualisierten Leistung stand damit gemäß § 26 Abs. 3 SGB IV dem Arbeitnehmer zu. An den genannten Voraussetzungen fehlt es aber schon dann, wenn der Arbeitgeber zwar noch die Nettolöhne aus verfügbaren Kreditmitteln auszuzahlen vermag, jedoch für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge keine eigenen Barmittel mehr vorhanden sind: Insbesondere gibt es regelmäßig keine treuhänderische Berechtigung des Arbeitnehmers an einem allgemeinen Betriebsmittelkredit, der dem Arbeitgeber eingeräumt sein mag. Zu alledem ist hier nichts vorgetragen. Die Zahlungen der Gesamtvollstreckungsschuldnerin wurden vielmehr, soweit dargetan, ununterscheidbar auf die ältesten Beitragsrückstände im allgemeinen geleistet.
Eine unmittelbare Berechtigung an den für den Arbeitnehmer zu entrichtenden Beiträgen schafft auch die Strafvorschrift des § 266a StGB nicht. Danach macht sich zwar der Arbeitgeber strafbar, der Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vorenthält. Damit wird aber nur der Arbeitgeber als Schuldner persönlich verstärkt angehalten, seine Zahlungspflichten gegenüber dem Sozialversicherungsträger zu erfüllen. Eine gesonderte Berechtigung an bestimmten Bestandteilen des Vermögens des Arbeitgebers ist mit dieser Verstärkung seiner Zahlungspflicht allein nicht verbunden. Diese wirkt insbesondere in der Insolvenz des Arbeitgebers nicht gegenüber allen anderen Gläubigern, von denen viele in vergleichbarer Weise – z.B. gemäß § 263 oder § 266 StGB – geschädigt worden sein mögen wie die hier fraglichen Arbeitnehmer. Demgemäß hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden (Urt. v. 20. Januar 1959 – VIII ZR 113/58, WM 1959, 470 f), daß auch derjenige, der durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung des Schuldners geschädigt wurde, in dessen Insolvenz nicht deswegen einen Anspruch auf Sicherung hat.
§ 266a StGB verzichtet auf die Konkretisierung bezüglich bestimmbarer Bestandteile des Schuldnervermögens. Die Vorschrift stellt nicht einmal darauf ab, ob das Entgelt für die Tätigkeit des Arbeitnehmers bereits geleistet oder empfangen ist (BGH, Urt. v. 9. Januar 2001 – VI ZR 407/99, NJW 2001, 969, 970).
c) Die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bilden aber auch nicht zugunsten desSozialversicherungsträgers einen besonderen Bestandteil des Gesamtvermögens des Arbeitgebers, ehe dieser seine Zahlungspflicht tatsächlich erfüllt. Es fehlt in derselben Weise wie gegenüber dem Arbeitnehmer jede vorherige Absonderung aus dem Gesamtvermögen des Arbeitgebers.
Insoweit ist § 266a StGB ebenfalls bedeutungslos. Zwar mag die individuelle Strafandrohung das Beitragsaufkommen im Interesse der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten gewährleisten sollen. Ein vorrangiger Zugriff auf bestimmte Vermögenswerte des Gesamtvollstreckungsschuldners ist damit aber nicht verbunden. Die anderen Gesamtvollstreckungsgläubiger haben nicht im Außenverhältnis gegenüber Sozialversicherungsträgern zurückzutreten: Deren Vorrechte sind in § 13 Abs. 1 Nr. 3 b und Abs. 2 sowie § 17 Abs. 3 Nr. 1 b GesO abschließend festgelegt; darum geht es hier nicht. In der Insolvenzordnung sind sogar alle früheren Vorrechte für bestimmte Gläubiger gezielt entfallen. Im übrigen gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger. Dieser darf nicht auf dem Umweg über § 266a StGB mittelbar durchbrochen werden (so schon Senatsurt. v. 14. Oktober 1999 – IX ZR 142/98, ZIP 1999, 1977, 1979). Hiernach kommt es nicht einmal mehr entscheidend darauf an, daß ein Schaden des Sozialversicherungsträgers durch Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen trotz § 266a StGB zu verneinen sein kann, wenn die Beitragszahlung im Insolvenzverfahren erfolgreich angefochten worden wäre (BGH, Urt. v. 14. November 2000 – VI ZR 149/99, NJW 2001, 967, 969).
2. Die Beklagte hat alle hier fraglichen Leistungen nach der Zahlungseinstellung der Gesamtvollstreckungsschuldnerin erlangt. Diese hatte nämlich ihre Zahlungen auf der Grundlage des eigenen Vorbringens der Beklagten vor Februar 1996 eingestellt.
a) Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, daß er zahlungsunfähig, das heißt nicht in der Lage ist, seine fälligen, eingeforderten Zahlungsverpflichtungen im wesentlichen zu erfüllen. Die Nichtzahlung gegenüber einem einzigen Gläubiger kann ausreichen, wenn dessen Forderung von erheblicher Höhe ist.
Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte am 28. September 1995 bei der Schuldnerin wegen Beitragsrückständen vergeblich zu pfänden versucht. Zuvor (am 17. Juli 1995) und kurz danach (am 11. Oktober 1995) hatte auch die A. fruchtlose Vollstreckungsversuche ausgebracht. Die Beklagte hat am 24. November 1995 wegen Beitragsrückständen von 75.780,96 DM, die A. am 13. Dezember 1995 wegen Rückständen von 89.665,69 DM die Eröffnung der Gesamtvollstreckung beantragt. Es lag auf der Hand, daß diese Verbindlichkeiten gegenüber Sozialversicherungsträgern nicht annähernd die einzigen der gewerblich tätigen Schuldnerin waren. Allen Verbindlichkeiten stand zum Jahresende 1995 an liquiden Mitteln unstreitig nur ein Guthaben der Schuldnerin von 31.357,44 DM gegenüber. Damit war diese außerstande, ihre als sofort fällig und ernsthaft eingefordert festgestellten Verbindlichkeiten zu erfüllen. Diese stellten auch einen wesentlichen Teil ihrer Gesamtschulden dar.
Bei der Schuldnerin lag nicht nur eine vorübergehende Zahlungsstockung vor. Die Grenze von der Zahlungsstockung zur Zahlungseinstellung wird nach der Rechtslage der Konkurs- und der Gesamtvollstreckungsordnung überschritten, wenn die fälligen Schulden nicht im wesentlichen binnen etwa einem Monat bezahlt werden können (Senatsurt. v. 3. Dezember 1998 – IX ZR 313/97, ZIP 1999, 76, 78 m.w.N.; v. 4. Oktober 2001 – IX ZR 81/99, z.V.b.). In der entsprechenden Frist seit den ergebnislos versuchten Pfändungen hat hier die Schuldnerin ihre Rückstände nicht zurückgeführt.
b) Eine einmal nach außen hin in Erscheinung getretene Zahlungseinstellung wirkt grundsätzlich fort. Sie kann nur dadurch wieder beseitigt werden, daß die Zahlungenim allgemeinen wieder aufgenommen werden (RGZ 100, 62, 65; OLG Hamburg HRR 1929 Nr. 346; Heidelberger Kommentar zur InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 17 Rn. 43). Die Stundung von Forderungen genügt hierzu erst, wenn danach die geschuldeten Ratenzahlungen allgemein wieder aufgenommen werden (BGH, Urt. v. 25. September 1952 – IV ZR 13/52, LM § 30 KO Nr. 1 Bl. 2; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 30 Rn. 33; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 30 Rn. 10 a.E.). Allenfalls ein nicht wesentlicher Teil fälliger Forderungen darf unerfüllt bleiben.
Die allgemeine Aufnahme der Zahlungen hat derjenige zu beweisen, der sich auf den nachträglichen Wegfall einer zuvor eingetretenen Zahlungseinstellung beruft. Denn hat der anfechtende Verwalter für einen bestimmten Zeitpunkt den ihm obliegenden Beweis der Zahlungseinstellung des Schuldners geführt, muß der Anfechtungsgegner grundsätzlich beweisen, daß diese Voraussetzung zwischenzeitlich wieder entfallen ist (ebenso zum nachträglichen Wegfall einer Eigenkapitalersatzfunktion von Gesellschafterdarlehen BGH, Urt. v. 14. November 1988 – II ZR 115/88, NJW 1989, 1219, 1220; v. 27. November 1989 – II ZR 43/89, NJW-RR 1990, 290, 291).
Umstände, die eine allgemeine Aufnahme der Zahlungen durch die Schuldnerin in dem hier fraglichen, verhältnismäßig kurzen Zeitraum seit der festgestellten Zahlungseinstellung (s.o. a) ergeben, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Sie hat nur darauf verwiesen, daß die Schuldnerin an sie am 18. Dezember 1995 37.000 DM und am 24. Januar 1996 sowie 19. Februar 1996 die vereinbarten Raten von jeweils 6.500 DM auf die Rückstände bezahlt hat. Soweit sich die Beklagte auf zwei weitere Buchungen von je 6.500 DM am 15. und 18. Januar 1996 in ihrem Beitragsbuch berufen hat, ist ihr Vortrag dagegen in sich widersprüchlich; denn die zweite Buchung war danach nur eine Stornierung der Buchung vom 15. Januar. Sogar alle von der Beklagten substantiiert vorgetragenen Zahlungen führten bis 18. Februar 1996 – unmittelbar vor der ersten hier angefochtenen Leistung – im Ergebnis lediglich dazu, daß der Beitragsrückstand allein ihr gegenüber auf etwas mehr als 40.000 DM sank; im Vergleich mit den Schulden, die Anlaß zur Stellung des Gesamtvollstreckungsantrags gaben, war der Rückstand – einschließlich der fällig werdenden neuen Schulden – im Verlaufe von fast drei Monaten seit dem Eröffnungsantrag nicht einmal auf die Hälfte und damit nicht wesentlich zurückgeführt. Daß der Schuldner noch einzelne – sogar beträchtliche – Zahlungen erbringt, schließt seine Zahlungseinstellung nicht ohne weiteres aus (BGH, Urt. v. 17. Mai 2001 – IX ZR 188/98, ZIP 2001, 1155 m.w.N.; v. 4. Oktober 2001 – IX ZR 81/99, z.V.b.).
Über eine Rückführung der Schulden gegenüber der A., die unstreitig ebenfalls bestanden, ist nichts dargetan. Ohne bestimmte, erhebliche Behauptungen der Beklagten oblag es dem Kläger nicht, aufgrund der ihm verfügbaren Unterlagen der Schuldnerin durch ein substantiiertes Bestreiten zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen. Im übrigen wurde der Sequestrationsbeschluß vom 30. Oktober 1996, welcher der Eröffnung der Gesamtvollstreckung vorausging, noch zeitnah zum früheren, zurückgenommenen Eröffnungsantrag der Beklagten erlassen. Nach der Darstellung des Klägers waren die Verbindlichkeiten der Schuldnerin bis zum Jahresende 1996 insgesamt sogar leicht angestiegen.
Dieser Rechtslage kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, daß noch viel mehr Insolvenzverfahren eröffnet würden, wenn Gläubiger von ihnen gestellte Eröffnungsanträge nicht nach einer Zahlungs- und Stundungsvereinbarung folgenlos zurücknehmen könnten. Sie dürfen von Rechts wegen solche Anträge nur stellen, wenn sie selbst das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes wenigstens für glaubhaft halten (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 GesO). Liegt dieser im Ergebnis vor, so soll ein Gesamtvollstreckungsverfahren möglichst frühzeitig eröffnet werden, damit die geordnete, dem Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz verpflichtete insolvenzmäßige Abwicklung durchgeführt werden kann. Dem stehen Sondervorteile, die einzelnen Insolvenzgläubigern unter dem Druck eines Eröffnungsantrages gewährt werden, entgegen (vgl. schon Senatsurt. v. 14. Oktober 1999 – IX ZR 142/98, aaO).
3. Die Zahlungsunfähigkeit der Gesamtvollstreckungsschuldnerin mußte der Beklagten bei Empfang schon der ersten hier angefochtenen Zahlung – am 19. Februar 1996 – wenigstens den Umständen nach bekannt sein.
a) Die Beklagte hat ihren Eröffnungsantrag vom 24. November 1995 damit begründet, daß nach ihren Feststellungen die Schuldnerin zahlungsunfähig sei. In der mündlichen Verhandlung vom 21. September 1999 vor dem Landgericht hat sie auch ausdrücklich zugestanden, sie sei im Zeitpunkt der Stellung des Gesamtvollstreckungsantrages von Zahlungsunfähigkeit ausgegangen. Dieses Geständnis (§ 288 ZPO) hat sie nicht gemäß § 290 ZPO wirksam widerrufen, indem sie im Berufungsverfahren behauptet hat, sie sei nicht von einer Zahlungsunfähigkeit ausgegangen, sondern habe den Eröffnungsantrag nur gestellt, um die Schuldnerin unter Druck zu setzen. Die Beklagte hat mit diesem späteren Vortrag nicht dargetan, inwiefern sie sich bei ihrem früheren gerichtlichen Geständnis geirrt haben könnte.
b) Auf der Grundlage ihres Geständnisses will die Beklagte allerdings wegen der später erbrachten Ratenzahlungen von einer wiedergewonnenen Zahlungsfähigkeit ausgegangen sein. Demgegenüber wird angenommen, daß es dem Gläubiger – der die Zahlungsunfähigkeit einmal erkannt hat – allgemein nichts helfe, wenn er irrtümlich glaube, sie sei nachträglich wieder behoben worden (RG JW 1916, 1118 Nr. 8; OLG Colmar OLGR 15, 230; Jaeger LZ 1914, 741 f, 1344 f m.w.N.; Jaeger/Henckel, aaO § 30 Rn. 32 und 50 jew. a.E.). Ob dem uneingeschränkt zu folgen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn nicht einmal die der Beklagten bekannten Umstände stützten aus Rechtsgründen die Annahme eines Wegfalls der Zahlungsunfähigkeit.
Die Beklagte kannte die Höhe ihrer gesamten jeweils offenstehenden Beitragsforderungen und konnte die Höhe der von der Gesamtvollstreckungsschuldnerin geleisteten Zahlungen damit vergleichen. Daraus ergab sich, daß der Gesamtrückstand bis unmittelbar vor Empfang der ersten, hier angefochtenen Zahlung vom 19. Februar 1996 – also innerhalb von zwei Monaten – auf 39.363,88 DM zurückgegangen war; er betrug damit immer noch mehr als die Hälfte die Schuldsaldos im Zeitpunkt des Eröffnungsantrags.
Da die schuldende GmbH ein Gebäudereinigungsunternehmen betrieb, war es für die Beklagte auch offensichtlich, daß außer ihr weitere Gläubiger vorhanden waren; die Zahl der bei ihr selbst versicherten Arbeitnehmer mußte sie kennen. Ein Gläubiger, der nach einem Insolvenzantrag mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung schließt, darf grundsätzlich nicht davon ausgehen, daß die Forderungen der anderen, zurückhaltenden Gläubiger in vergleichbarer Weise bedient werden wie seine eigenen. Vielmehr entspricht es einer allgemeinen Lebenserfahrung, daß Schuldner – um ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern – unter dem Druck eines Insolvenzantrags Zahlungen bevorzugt an den antragstellenden Gläubiger leisten, um ihn zum Stillhalten zu bewegen. Bei einem Schuldner, der nicht alle seine Gläubiger voll zu befriedigen vermag, gehen solche Zahlungen an den am meisten drängenden Gläubiger typischerweise zu Lasten der anderen, abwartenden: Diese erhalten auf ihre Forderungen letztlich entsprechend weniger oder zeitgerecht gar nichts. Dies führt dazu, daß mit mehr oder minder großer Verzögerung oft einige der zu kurz gekommenen Gläubiger letztlich erneut Insolvenzanträge stellen, die dann zur Eröffnung oder sogar zur Abweisung mangels Masse führen, weil das früher schon insgesamt unzureichende Vermögen des Schuldners inzwischen ganz aufgebraucht ist. Diese Erfahrungswerte verbieten einen Schluß des antragstellenden Gläubigers dahin, daß – nur weil er selbst Zahlungen erhalten hat – der Schuldner seine Zahlungen auch im allgemeinen wieder aufgenommen habe (vgl. Senatsurt. v. 14. Oktober 1999, aaO S. 1978; Beschl. v. 30. April 1998 – IX ZR 141/97, Leitsatz in ZInsO 1998, 141 f, zu OLG Dresden ZIP 1997, 1036 f; OLG Hamm ZIP 1996, 469 f; LG Magdeburg DZWIR 1999, 472, 473 f).
Diese Erfahrung bestätigte sich auch gerade im vorliegenden Fall. Denn nach dem 19. Februar 1996 hat die Schuldnerin – ausweislich des Beitragsbuchs – von sich aus keine beständigen Raten mehr auf die Rückstände an die Beklagte geleistet, und nach dem 13. März 1996 überhaupt keine laufenden Beiträge mehr. Weitere Zahlungen erlangte die Beklagte allein durch Pfändung. Bei nur kurzfristigen zwischenzeitlichen Zahlungen des Schuldners handelt es sich meist lediglich um einen vergeblichen und deshalb bedeutungslosen Versuch, wieder zahlungsfähig zu werden (vgl. RGZ 132, 281, 283 f; RG JW 1916, 1118 Nr. 8 m. zust. Anm. Jaeger).
Zudem muß sich gerade einem Sozialversicherungsträger angesichts der partiellen Strafbewehrtheit seiner Forderungen (§ 266a StGB) die allgemeine Erfahrung aufdrängen, daß solche Ansprüche oft vorrangig vor anderen befriedigt werden, deren Nichterfüllung für den insolvenzreifen Schuldner weniger gefährlich ist (vgl. Senatsurt. v. 14. Oktober 1999, aaO S. 1978).
c) Danach kommt es nicht mehr entscheidend auf die Frage an, ob das Gesamtvollstreckungsverfahren letztlich aufgrund des Antrags der A. eröffnet worden ist (zur Bedeutungslosigkeit zurückgenommener Anträge vgl. Senatsurt. v. 14. Oktober 1999 – IX ZR 142/98, aaO S. 1977 f) und ob die Beklagte diesen Antrag kannte.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer, Raebel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 25.10.2001 durch Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BGHZ |
BGHZ, 100 |
BB 2002, 590 |
DB 2002, 265 |
DStR 2002, 366 |
DStZ 2002, 48 |
NJW 2002, 512 |
BGHR 2002, 84 |
EWiR 2002, 207 |
KTS 2002, 129 |
NZG 2002, 137 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 2398 |
WuB 2002, 375 |
ZAP 2002, 140 |
ZIP 2001, 2235 |
DZWir 2002, 119 |
MDR 2002, 418 |
NJ 2002, 315 |
NZI 2002, 31 |
NZI 2002, 88 |
NZS 2002, 309 |
VersR 2002, 619 |
ZInsO 2001, 1150 |