Leitsatz (amtlich)
a) Die von einem Unternehmen für eine Vielzahl von Gesellschaftsverträgen mit stillen Gesellschaftern vorformulierten Vertragsbedingungen unterliegen – unabhängig von der Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 AGBG – gem. §§ 157, 242 BGB einer ähnlichen objektiven Auslegung und Inhaltskontrolle wie Allgemeine Geschäftsbedingungen (vgl. Senat BGHZ 64, 238) und können vom Revisionsgericht frei ausgelegt werden, soweit sie über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus verwendet wurden. Beides gilt auch für Vertragsbestimmungen in einem Emissionsprospekt, soweit dessen Inhalt in die (vorformulierten) Einzelverträge einbezogen ist.
Das einem stillen Gesellschafter vertraglich eingeräumte Kündigungsrecht kann auch ohne ausdrückliche Berufung hierauf ausgeübt werden und schließt die Insolvenzanfechtung einer Einlagenrückgewähr gemäß § 237 a.F. HGB (jetzt: § 136 InsO) auch dann aus, wenn es nach der Kündigung zu einer Auflösungsvereinbarung kommt, die lediglich das konkretisiert, was der Stille auch ohne sie aufgrund der Kündigungsregelung im ursprünglichen Vertrag hätte verlangen können.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 242; HGB § 237; AGBG § 23 Abs. 1 Fassung: 1985-12-19
Verfahrensgang
LG Itzehoe |
Schleswig-Holsteinisches OLG |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 18. Februar 2000 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter im Konkurs über das Vermögen der H. Aktiengesellschaft E., an der sich bis zur Konkurseröffnung am 24. Juli 1997 ca. 38.500 Anleger, darunter der Beklagte, als „stille Gesellschafter” beteiligt hatten. Der Beklagte zeichnete am 28. November 1994 unter Verwendung von Vertragsformularen der Gemeinschuldnerin je eine Beteiligung des Typs A mit einer Einlage von 10.000,– DM sowie des Typs KAP mit einer in 72 Monatsraten zu zahlenden Einlage von 21.600,– DM, jeweils zuzüglich 5 % Agio. Nach Zahlung von 10.500,– DM auf die Beteiligung Typ A und Ratenzahlungen von insgesamt 4.905,– DM auf die Beteiligung Typ KAP erklärte er mit Schreiben vom 29. Juli 1996 die Kündigung seiner Beteiligungen, weil er in finanziellen Schwierigkeiten sei. Die Gemeinschuldnerin schloß daraufhin mit dem Beklagten im August/September 1996 je einen schriftlichen „Vertrag zur vorfristigen Auflösung der Beteiligungen” und zahlte dem Beklagten dessen Einlagen mit bestimmten, vereinbarten Abzügen zurück. Er erhielt 9.382,19 DM auf den Typ A sowie 1.649,77 DM auf den Typ KAP. Am 12. Mai 1997 ordnete das Bundesamt für das Kreditwesen gegenüber der Gemeinschuldnerin die unverzügliche Rückzahlung sämtlicher Einlagen des Typs A und KAP an, weil die zugrundeliegenden Verträge als unerlaubte Bankgeschäfte (§§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 32 Abs. 1 Satz 1 KWG) zu qualifizieren seien. Kurz darauf stellte die Gemeinschuldnerin Konkursantrag.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten im Wege der Konkursanfechtung gemäß § 237 a.F. HGB die Erstattung der an ihn ausbezahlten Beträge mit dem Vortrag, es habe sich nicht um Darlehen, sondern um Einlagen eines stillen Gesellschafters gehandelt, bei deren Rückzahlung der Grund für den späteren Konkurs der Gemeinschuldnerin bereits gelegt gewesen sei. Der Beklagte beruft sich u.a. darauf, daß sich aus dem Emissionsprospekt der Gemeinschuldnerin ein jederzeitiges Kündigungsrecht ergebe. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. Dagegen richtet sich die – zugelassene – Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Revision bleibt im Ergebnis erfolglos.
I. Das Berufungsgericht hat gemeint, ein Rückforderungsanspruch des Klägers gemäß § 237 Abs. 1 Satz 1 a.F. HGB bestehe deshalb nicht, weil die zwischen dem Beklagten und der Gemeinschuldnerin abgeschlossenen Verträge der Typen A und KAP keine stillen Beteiligungen, sondern Darlehen zum Gegenstand gehabt hätten. Denn § 13 Abs. 3 Satz 1 der Vertragsbedingungen garantiere den betreffenden Anlegern unabhängig von dem Gewinn und Verlust der Geschäftsinhaberin eine Ausschüttung oder Einlagenerhöhung von 9 % pro Jahr. Diese (vermeintlich) sichere Rendite und nicht die Förderung der unternehmerischen Ziele der Gemeinschuldnerin sei für die Anleger bestimmend gewesen, während es der Gemeinschuldnerin nur um Liquiditätszuflüsse gegangen sei. Eine analoge Anwendung des § 237 a.F. HGB auf Darlehensverträge sei abzulehnen.
II. Es kann dahinstehen, ob diese Begründung zutrifft, die u.a. auch vom Oberlandesgericht Dresden in einem Urteil vom 8. September 1999 (19 U 101/99) in einer der zahlreichen, bei dem Senat anhängigen Parallelsachen (II ZR 292/99) herangezogen wurde (anders z.B. OLG Stuttgart, Urt. v. 16. Juni 1999 – 20 U 5/99, Revision II ZR 211/99) und im Ergebnis der Auffassung des Bundesamtes für das Kreditwesen zum Darlehenscharakter der angeblichen stillen Einlagen gemäß dem Bescheid vom 12. Mai 1997 entspricht. Jedenfalls war der Beklagte aufgrund der Kündigungsregelung im Emissionsprospekt der Gemeinschuldnerin, der gemäß dem formularmäßigen Beteiligungsvertrag dessen Bestandteil war, zu seiner Kündigung vom 29. Juli 1996 und Zurückforderung seiner Leistungen mit den bereits im Emissionsprospekt vorgesehenen Abzügen berechtigt, was die vom Kläger geltend gemachte Anfechtung der Rückzahlung in direkter oder analoger Anwendung des § 237 a.F. HGB ausschließt. Im gleichen Sinne haben etliche Oberlandesgerichte in bei dem Senat anhängigen oder aktenkundigen Anfechtungsprozessen des Klägers mit anderen Anlegern entschieden (vgl. z.B. OLG Celle, Urt. v. 22. September 1999 – 9 U 1/99, Revision II ZR 297/99; OLG Dresden, Urt. v. 20. Mai 1999 – 4 U 3339/98; OLG Frankfurt, Urt. v. 3. Dezember 1999 – 10 U 256/98, Revision II ZR 9/00; OLG Köln, Urt. v. 8. Juni 1999 – 22 U 3/99; OLG Oldenburg, Urt. v. 20. Mai 1999 – 1 U 24/99, Revision II ZR 193/99; OLG Stuttgart, Urt. v. 16. Juni 1999 – 20 U 5/99, Revision II ZR 211/99). Das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg (aaO) hat der Senat bereits durch Nichtannahmebeschluß vom 17. Juli 2000 (II ZR 193/99) bestätigt.
1. Der Senat kann die im Tatbestand des angefochtenen Urteils in Bezug genommenen und im Rechtsstreit vorgelegten Formularverträge samt den dazugehörigen Vertragsbedingungen im Emissionsprospekt und im „Angebot zum Abschluß eines Gesellschaftsvertrages als stiller Gesellschafter” selbst frei auslegen, weil sie von der Gemeinschuldnerin bundesweit gegenüber zahlreichen Anlegern, mithin über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus, verwendet wurden (vgl. Zöller/Gummer, ZPO 21. Aufl. § 549 Rdn. 8, § 550 Rdn. 5 m.N.). Das gilt nach Sinn und Zweck dieser revisionsgerichtlichen Auslegungskompetenz unabhängig davon, ob es sich hier um Allgemeine Geschäftsbedingungen (für Darlehensverträge) im Sinne des AGB-Gesetzes (vgl. BGHZ 122, 256, 260 m.N.; Musielak/Ball, ZPO 2. Aufl. § 550 Rdn. 5) oder um gesellschaftsvertragliche Regelungen für eine Vielzahl von – entsprechend § 4 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages mit jedem einzelnen Anleger zustande gekommenen – stillen Gesellschaften handelt, die zwar unter die Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 AGBG fallen mögen (vgl. Senat BGHZ 127, 176, 183; s. aber auch Palandt/Heinrichs, BGB 59. Aufl. § 23 AGBG Rdn. 3 m.w.N.), jedoch – entsprechend der Rechtsprechung des Senates zu Gesellschaftsverträgen von Publikumsgesellschaften (vgl. BGHZ 64, 238) – einer ähnlichen Auslegung und Inhaltskontrolle (gemäß § 242 BGB) wie Allgemeine Geschäftsbedingungen unterliegen.
a) Gemäß den von der Gemeinschuldnerin vorformulierten Beteiligungserklärungen, die auch im vorliegenden Fall verwendet wurden, beteiligt sich der Anleger nach Maßgabe des im Anhang des Emissionsprospektes abgedruckten Gesellschaftsvertrages als typisch stiller Gesellschafter; er bestätigt, den Emissionsprospekt einschließlich Gesellschaftsvertrag erhalten zu haben und beide als verbindlich anzuerkennen. Dies bedeutet aus der Sicht des Anlegers, daß mit der auf dem Formular vorgesehenen Annahme der Beteiligungserklärung durch die H. AG der Emissionsprospekt ebenso Vertragsbestandteil wird wie der vorgedruckte Gesellschaftsvertrag.
b) Zwar räumt § 16 Nr. 2 des Gesellschaftsvertrages dem Gesellschafter ein ordentliches Kündigungsrecht erstmals zum Ende des sechsten vollen Geschäftsjahres seit Beteiligungsbeginn ein, dessen Abwicklungsfolgen in § 17 Abs. 1 in teilweiser Abweichung von § 235 HGB geregelt sind. Auch im Emissionsprospekt ist unter der Überschrift „Kündigungsfrist und vorzeitige Kündigung” zunächst die Kündigungsregelung des § 16 Nr. 2 wiedergegeben. Anschließend heißt es aber:
„Wird der Vertrag vorzeitig gekündigt, so schuldet der Gesellschafter gleichwohl die im Mittelverwendungsplan unter Kapitalbeschaffungs- sowie Beratungs- und Treuhänderkosten ausgewiesenen Beträge (insgesamt 19,5 %, nämlich 14,5 % der Vertragssumme und das Agio). Die H. AG ist in diesem Fall berechtigt, das Guthaben des Gesellschafters um den geschuldeten Betrag zu kürzen.”
Abschließend heißt es in diesem Abschnitt:
„Mit der Kündigungsregelung wird Ausgewogenheit hergestellt zwischen den jetzigen Gesellschaftern, die den bisherigen Aufbau getragen haben, und dem Kündigenden, sowie den Belangen der Energiewerke mit regionalen Versorgungsaufgaben.”
Aus dieser Regelung durfte ein Anleger – unabhängig von der fraglichen Anwendbarkeit des § 5 AGBG – schon nach §§ 133, 157 BGB entnehmen, daß er den Vertrag auch vorzeitig unter Inkaufnahme der vorbestimmten Nachteile sollte kündigen können. Insoweit enthält die Regelung nicht einen Widerspruch, sondern eine Ergänzung zu der im Gesellschaftsvertrag (und im vorherigen Satz des Emissionsprospektes) getroffenen Kündigungsregelung nach Ablauf von sechs Jahren mit anderen Rechtsfolgen. Entgegen der vom Kläger auch in Parallelsachen (z.B. II ZR 193/99) geäußerten Ansicht regelt der Prospekt nicht nur die Rechtsfolgen einer vorzeitigen Kündigung, welche die Geschäftsherrin beliebig zurückweisen könnte, sondern läßt eine vorzeitige Kündigung zu und überläßt es dem Anleger, ob er die für diesen Fall vereinbarten wirtschaftlichen Nachteile in Kauf nehmen will. Eine solche Regelung nur für den Fall einer Kündigung des Anlegers aus gegebenem wichtigem Grund wäre gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 HGB i.V.m. § 723 Abs. 1, 3 BGB unwirksam; sie kann sich daher nach redlichem Verständnis (§ 157 BGB) nicht (nur) auf diesen Fall beziehen; erst recht nicht auf die Fälle einer Kündigung oder eines Rücktritts der Geschäftsinhaberin aus wichtigem Grund bzw. wegen Nichterbringung der Einlage des Stillen gemäß §§ 16 Nr. 1, 17 Nr. 3, 5 Nr. 5 des Gesellschaftsvertrages, weil deren Rechtsfolgen in § 5 Nr. 5 anders als im Prospekt geregelt sind und dieser sich an der zitierten Stelle ersichtlich nur mit Kündigungen des Anlegers nach und vor Ablauf einer sechsjährigen Vertragszeit befaßt.
Der Annahme eines vorzeitigen Kündigungsrechts aus der (maßgebenden) Sicht des durchschnittlichen Anlegers läßt sich auch nicht entgegenhalten, daß dies für ihn erkennbar den Unternehmensinteressen zuwiderliefe. Denn zum einen war das Kündigungsrecht nicht völlig frei, sondern mit nicht unerheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für den Anleger verbunden. Zum anderen hat die Gemeinschuldnerin selbst im Prospekt die Kündigungsregelung auch unter Berücksichtigung ihrer Belange als „ausgewogen” bezeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, sich diese – ebenso wie gewisse soziale Regelungen bei KAP-Sparern – leisten zu können.
Unabhängig davon, ob es auf das subjektive Verständnis der Gemeinschuldnerin von dem objektiven Regelungsgehalt des Prospektes überhaupt ankommt, hat sie diesen ersichtlich selbst in dem dargelegten Sinne verstanden. Denn sie hat nicht nur im vorliegenden, sondern in zahlreichen Parallelfällen vorzeitige Kündigungen der Anleger unter Abschluß von Auflösungsverträgen akzeptiert und darin exakt nach den im Prospekt vorgesehenen Bedingungen abgerechnet. Die Verwertung dieser gerichtsbekannten Fakten (§ 291 ZPO) aus anderen bei ihm anhängigen Verfahren ist dem Senat – nach entsprechendem Hinweis in der mündlichen Verhandlung (vgl. BGH, Urt. v. 6. Mai 1993 – I ZR 84/91, NJW-RR 1993, 1122 f.) – auch als Revisionsgericht nicht verwehrt (vgl. BGH, Urt. v. 2. April 1998 – I ZR 1/96, NJW 1998, 3498 zu II 2).
2. Da der Beklagte sonach aufgrund des ihm vertraglich eingeräumten Kündigungsrechtes zu seiner Kündigung vom 29. Juli 1996 berechtigt war, ist die (teilweise) Rückgewähr seiner Einlage nicht gemäß § 237 a.F. HGB anfechtbar (vgl. Senat BGHZ 55, 5, 10; vollständiger Entscheidungsabdruck in NJW 1971, 375).
a) Daß er sich in seiner Kündigungserklärung nicht ausdrücklich auf sein Kündigungsrecht gemäß dem Prospekt, sondern – wie andere Anleger in den Parallelsachen – auf persönliche bzw. wirtschaftliche Gründe berufen hat, ändert am Bestehen seines Kündigungsrechtes nichts und ist jedenfalls bei einem vertraglichen Kündigungsrecht, das dem Gegner bekannt sein muß und auch in anderen Rechtsbereichen nicht selten mit gewissen Begründungen ausgeübt wird, unerheblich. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Senatsurteil BGHZ 55, 5, 10, wonach im Fall eines gesetzlichen Kündigungsrechtes aus wichtigem Grund dessen „Ausübung” verlangt wird, um eine freiwillige, gemäß § 237 a.F. HGB anfechtbare Einlagenrückgewähr auszuschließen.
b) Die nach der (wirksamen) Kündigung des Beklagten abgeschlossenen Verträge „zur vorfristigen Auflösung” seiner Beteiligungen sind für § 237 Abs. 1 a.F. HGB ohne Belang. Denn damit wurde – ebenso wie durch gleichförmige Verträge in Parallelsachen – lediglich klarstellend konkretisiert, was der Beklagte aufgrund der bereits im Prospekt getroffenen Kündigungsregelung ohnehin – auch ohne diese Verträge – hätte verlangen können. Die Einlagenrückgewähr erfolgte daher nicht „aufgrund” dieser (nachträglichen) Vereinbarung und ist deshalb nicht gemäß § 237 Abs. 1 Satz 1 a.F. HGB anfechtbar.
Unterschriften
Röhricht, Hesselberger, Henze, Kraemer, Münke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 27.11.2000 durch Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 314 |