Leitsatz
Hat der Arbeitgeber eine Anrufungsauskunft eingeholt und ist er danach verfahren, ist das Betriebsstätten-FA im LSt-Abzugsverfahren daran gebunden. Eine Nacherhebung der LSt ist auch dann nicht zulässig, wenn der Arbeitgeber nach einer LSt-Außenprüfung einer Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zugestimmt hat.
Normenkette
§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 42e Satz 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist ein Flugunternehmen. Arbeitnehmer der Klägerin konnten Freiflüge und verbilligte Flüge für sich und ihre Familienangehörigen buchen.
Die Klägerin hatte beim FA beantragt, den geldwerten Vorteil für die Arbeitnehmer-Freiflüge mit 50 % der von den obersten Finanzbehörden des Bunds und der Länder jeweils festgesetzten Durchschnittswerte je Flugkilometer ansetzen zu dürfen. Diesem Antrag hatte das FA mit Anrufungsauskunft gem. § 42e EStG entsprochen.
Nachdem der Bundesrechnungshof die Bewertung der Urlaubsflüge mit 50 % des Sachbezugswerts beanstandet hatte, wurde bei der Klägerin eine LSt-Außenprüfung durchgeführt. Zur Vermeidung von Nachversteuerungen bei ihren Arbeitnehmern aufgrund von Kontrollmitteilungen des FA erklärte sich die Klägerin bereit, die Mehrsteuern wegen der Arbeitnehmer-Flüge für die Arbeitnehmer zu übernehmen, ohne jedoch die in den Prüfungsfeststellungen gezogenen Schlussfolgerungen anzuerkennen. Dem Pauschalierungsantrag der Klägerin nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG stimmte das FA zu. Das FG gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung. Eine Nacherhebung der LSt scheide aufgrund der Bindungswirkung der Anrufungsauskunft aus, obgleich diese materiell unrichtig gewesen war.
Hinweis
1. Zum Wesen der Anrufungsauskunft: Der Arbeitgeber steht im LSt-Abzugsverfahren in einer Art öffentlich-rechtlichem Auftragsverhältnis zum FA (vgl. § 38 EStG). Im Rahmen seiner Hilfstätigkeit haftet der Arbeitgeber für Fehler beim LSt-Abzug (§ 42d EStG). Zur Verminderung dieses Haftungsrisikos wird ihm durch die Anrufungsauskunft nach § 42e EStG die Möglichkeit eingeräumt, vom Betriebsstätten-FA verbindlich zu erfahren, wie er sich im Zweifelsfall beim LSt-Abzug zu verhalten hat. Ein Arbeitgeber, der die ihm erteilte Anrufungsauskunft befolgt, genießt Vertrauensschutz; eine LSt-Haftung ist dann ausgeschlossen. Denn wenn sich der Arbeitgeber an die Auskunft hält, so hat er die LSt auch dann vorschriftsmäßig einbehalten, wenn die Auskunft des FA unrichtig war. Denn der Arbeitgeber ist dem "Auftrag" des "Auftraggebers" entsprechend verfahren.
Der dem Arbeitgeber durch die Anrufungsauskunft gewährte Vertrauensschutz beschränkt sich allerdings auf das LSt-Abzugsverfahren. Eine Anrufungsauskunft bewirkt keine Bindungswirkung für das Veranlagungsverfahren des Arbeitnehmers (grundlegend BFH, Urteil vom 9.10.1992, VI R 97/90, BStBl II 1993, 166).
2. Ausgehend von dieser Rechtsprechung hat der BFH im Streitfall ausgesprochen, dass der durch eine Ausrufungsauskunft bewirkte Vertrauensschutz auch dann greift, wenn eine Nacherhebung der LSt gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfolgt.
In der Begründung hat der BFH zum einen darauf abgestellt, dass eine solche vom FA durchgeführte LSt-Nacherhebung – ebenso wie die LSt-Haftung nach § 42d EStG – im LSt-Abzugsverfahren (vgl. §§ 38 ff. EStG) stattfindet. Zu den dieses Verfahren regelnden Vorschriften gehört auch § 40 EStG.
Zum anderen könnte bei einer anderen Auslegung der Sinn und Zweck des § 42e EStG (Schutz des Arbeitgebers) unterlaufen werden. Dies auch deshalb, weil das FA unter bestimmten Voraussetzungen zwischen einem LSt-Haftungsbescheid und einem Nachforderungsbescheid wählen kann.
Im Übrigen entfällt der durch die Anrufungsauskunft ausgelöste Vertrauenstatbestand nicht deshalb, weil ein Arbeitgeber einen Pauschalierungsantrag nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG stellt. Ein LSt-Einbehalt entsprechend einer Anrufungsauskunft ist nicht "nicht vorschriftsgemäß" i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.
3. Zusammenfassend: Verfährt der Arbeitgeber entsprechend einer ihm vom FA erteilten (ggf. auch fehlerhaften) Anrufungsauskunft, so kann ihm nicht entgegengehalten werden, er habe die LSt "nicht vorschriftsmäßig" einbehalten. Der Vertrauensschutz greift, unabhängig davon, welches Anforderungsinstrument (Haftungs- bzw. Nachforderungsbescheid) vom FA verwendet wird. Der Vertrauensschutz wird auch nicht dadurch beseitigt, dass der Arbeitgeber einer LSt-Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zugestimmt hat.
4. Das Urteil dürfte nicht unerhebliche Bedeutung für die Besteuerungspraxis haben. Wie auch der Streitfall zeigt, stellen Arbeitgeber insbesondere deshalb einen Pauschalierungsantrag nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, um Streit mit der Belegschaft zu vermeiden. Dieses "Druckmittel" steht den Finanzbehörden unter den oben angeführten Umständen nicht mehr ohne weiteres zur Verfügung. Den Betriebsstätten-FÄ bleibt natürlich unbenommen, Kontroll-Mitteilungen an die Wohnsitz-FÄ zu fertigen, um bei den Veranlagungen der Arbeitnehmer den unterbliebene...