Leitsatz (redaktionell)
1. Vorzeitiges Altersruhegeld (§ 25 Abs 1 bis 3 AVG = § 1248 Abs 1 bis 3 RVO) kann gemäß Abs 4 aaO nicht beanspruchen, wer daneben eine der Art nach ("denkbar") rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit ausübt (Fortführung von BSG vom 27.4.1982 - 1 RJ 72/81 = BSGE 53, 242 = SozR 2200 § 1248 Nr 36).
2. Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft stehen zwar in "Beschäftigung" iS von § 7 Abs 1 SGB 4, gehören aber wegen § 3 Abs 1a iVm § 2 Abs 1a AVG nicht zum unmittelbar kraft gesetzlichen Zwanges rentenversicherungspflichtigen Personenkreises (Fortführung von BSG vom 22.11.1973 - 12/3 RK 20/71 = BSGE 36, 258 = SozR Nr 24 zu AVG § 3 und vom 4.9.1979 - 7 RAr 57/78 = BSGE 49, 22 = SozR 4100 § 168 Nr 10).
3. Machen Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft von dem Recht auf Antragspflichtversicherung Gebrauch, das ihnen in entsprechender Anwendung von § 2 Abs 1 Nr 11 AVG (= § 1227 Abs 1 S 1 Nr 9 RVO) zusteht, so üben sie eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung aus.
4. "Gelegentlich" iS von § 25 Abs 4 S 1 Buchst a AVG wird eine Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit nur ausgeübt, wenn die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses, nicht die der einzelnen Arbeitsvorgänge, die aaO genannten Zeitgrenzen unterschreitet.
Normenkette
AktG; AVG § 3 Abs. 1a, § 2 Abs. 1a; SGB IV § 7 Abs. 1; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 11; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 9; AVG § 25 Abs. 4 S. 1 Buchst. b, a; RVO § 1248 Abs. 4 S. 1 Buchst. b, a
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von vorzeitigem Altersruhegeld (ARG).
Der im April 1923 geborene Kläger, der durch Bescheid des Versorgungsamtes B. vom 1. September 1981 als Schwerbehinderter iS des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) anerkannt ist, wurde im Oktober 1973 vom Aufsichtsrat der H. Brauerei Aktiengesellschaft (Brauerei-AG) zum ordentlichen Vorstandsmitglied, seit 1982 zum Alleinvorstand dieser Gesellschaft bestellt. Die Vergütung für die Vorstandstätigkeit beträgt ab Oktober 1983 60.000,-- DM jährlich. Mit Bescheid vom 9. Januar 1974 hatte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem Kläger bestätigt, für ihn als Vorstandsmitglied einer AG trete ab 1. Dezember 1973 antragsgemäß Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) "für die Dauer der Selbständigkeit" ein. Daraufhin entrichtete der Kläger deswegen Pflichtbeiträge.
Mit seinem Antrag auf Gewährung von ARG für Schwerbehinderte (§ 25 Abs 1 AVG) ab Oktober 1983 trug der Kläger vor, die auf unbefristete Dauer vorgesehene Beschäftigung als Vorstandsmitglied nehme ihn nur weniger als 50 Arbeitstage pro Jahr in Anspruch, da sie sich auf die formalrechtliche Betreuung und Vertretung der Brauerei-AG (Vorbereitung und Durchführung von Aufsichtsratssitzungen und Hauptversammlungen einschließlich des Jahresabschlusses) beschränke, die Brauerei-AG seit der 1981 erfolgten vollständigen Übertragung ihres Handelsgeschäftes auf die Brauerei B. (B.) GmbH und Co, deren Kommanditistin sie ist, kein eigenes Personal und keinen eigenen Geschäftsbetrieb habe und die äußerst geringen Verwaltungsarbeiten von Mitarbeitern der Brauerei B. GmbH und Co erledigt würden.
Mit dem streitigen Bescheid vom 26. August 1983, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 1. März 1984, lehnte die BfA den Antrag ab, weil die Tätigkeit des Klägers als Vorstandsmitglied nicht "gelegentlich" und trotz der geringen zeitlichen Inanspruchnahme nicht "aushilfsweise" iS von § 25 Abs 4 Satz 1 Buchst a AVG ausgeübt werde.
Das Sozialgericht (SG) Bremen hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Januar 1986). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Bremen den streitigen Verwaltungsakt aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger "Altersruhegeld gemäß § 25 Abs 1 AVG ab 1. Oktober 1983 zu zahlen" (Urteil vom 23. April 1987). Das LSG meint, dem Anspruch nach Abs 1 aaO, dessen Voraussetzungen mit Recht außer Streit stünden, stehe die entgeltliche Beschäftigung als Vorstandsmitglied der Brauerei-AG nicht iS von Abs 4 aaO entgegen unabhängig davon, ob sie nur gelegentlich ausgeübt werde oder auf Dauer angelegt sei. Denn sie sei nicht "sozialrechtlich relevant", dh "denkbar sozialversicherungspflichtig" (Hinweis auf Bundessozialgericht -BSG- BSGE 53, 242 = SozR 2200 § 1248 Nr 36 und BSG SozR 2200 § 1248 Nr 41).
Zur Begründung der - vom Senat zugelassenen - Revision trägt die Beklagte vor, die Vorstandstätigkeit des Klägers sei schon deshalb "sozialrechtlich relevant", weil die Einkünfte aus dieser Tätigkeit der Beitragsentrichtung bei der Antragspflichtversicherung für Selbständige zugrunde gelegt würden. Aus § 3 Abs 1a AVG, nach dem die Mitglieder des Vorstandes einer AG nicht zu den Angestellten gehören, ergebe sich nichts Gegenteiliges.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil
des Sozialgerichts Bremen vom 13. Januar 1986 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Es komme nicht darauf an, ob die Pflichtversicherung für Selbständige zu Recht gewährt worden sei. Als Vorstandsmitglied einer AG sei er ein Arbeitnehmer, der kraft § 3 Abs 1a AVG keine sozialrechtlich relevante Tätigkeit ausübe.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Nach § 25 Abs 1 AVG erhält auf Antrag der Versicherte ARG, der das 63. Lebensjahr vollendet hat oder das 60. Lebensjahr vollendet hat und in diesem Zeitpunkt ua anerkannter Schwerbehinderter iS des § 1 SchwbG ist, wenn die Wartezeit nach Abs 7 Satz 1 aaO erfüllt ist, dh wenn 35 anrechnungsfähige Versicherungsjahre, in denen mindestens eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten enthalten ist, zurückgelegt sind. Diese Voraussetzungen liegen vor: Der im April 1923 geborene Kläger hat im April 1983 das 60., im April 1986 das 63. Lebensjahr vollendet und ist seit 1981 anerkannter Schwerbehinderter iS von § 1 SchwbG. Er hat auch die erforderliche Wartezeit erfüllt. Zwar hat das LSG Art und Umfang der zurückgelegten Versicherungszeiten und -jahre nicht ausdrücklich festgestellt. Sie ergeben sich aber mit noch hinreichender Klarheit aus den vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsvorgängen der Beklagten, im einzelnen aus dem Kontospiegel vom 8. Juli 1983 (Blatt 13 bis 18 der Rentenakte). Danach hat der Kläger insgesamt 42,42 anrechnungsfähige Versicherungsjahre (509 Monate, davon 341 Monate Beitragszeiten, 96 Monate Ersatzzeiten und 72 Monate Ausfallzeiten) zurückgelegt, in denen eine Versicherungszeit von 437 Monaten (Beitrags- und Ersatzzeiten - § 27 Abs 1 AVG) enthalten ist. Darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
Gleichwohl steht dem Kläger vorgezogenes ARG nicht zu.
Nach § 25 Abs 4 Satz 1 Halbs 1 und Satz 3 iVm Satz 2 AVG besteht Anspruch auf ARG nach Abs 1 aaO bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres neben einer Beschäftigung gegen Entgelt oder neben einer Erwerbstätigkeit nur, wenn die Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit a) nur gelegentlich, insbesondere zur Aushilfe, für eine Zeit
dauer, die im Laufe eines jeden Jahres seit dem erstmaligen Beginn des ARG
auf nicht mehr als zwei Monate oder insgesamt 50 Arbeitstage nach der
Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch Vertrag
beschränkt ist,
oder
b) zwar laufend oder in regelmäßiger Wiederkehr, aber nur gegen
ein Entgelt oder ein Arbeitseinkommen, das durchschnittlich im Monat
1.000,-- DM, bis zur Vollendung des 62. Lebensjahres ein Siebtel (1/7) der
monatlichen Bezugsgröße (§ 18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 4), dh
1/7 von 2.580,-- DM für 1983, von 2.730,-- DM für 1984 und von 2.800,-- DM
für 1985, nicht überschreitet, ausgeübt wird.
Das bedeutet, daß vorzeitiges ARG nicht beanspruchen kann, wer noch eine
entgeltliche Beschäftigung oder eine Erwerbstätigkeit verrichtet, es sei
denn, er übte sie nur "gelegentlich" iS von Abs 4 Satz 1 Buchst a aaO oder
nur gegen eine iS von Abs 4 Satz 1 Buchst b iVm Satz 3 und 2 aaO "geringe"
Vergütung aus.
Jedoch ist eine entgeltliche Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit, welche die Unbeachtlichkeitsgrenze des Abs 4 aaO überschreitet, dem Anspruch auf vorzeitiges ARG nur abträglich, wenn sie ihrer Art nach grundsätzlich, dh ungeachtet der Bestimmungen über Versicherungsfreiheit (§§ 4 ff AVG) oder über die Befreiung von der Versicherungspflicht (§ 7 f AVG), "denkbar rentenversicherungspflichtig" und in diesem Sinne "sozialrechtlich relevant" ist (BSGE 53, 242 = SozR 2200 § 1248 Nr 36; BSG SozR aaO Nr 41). Der Grund hierfür ergibt sich aus Sinn und Zweck des Rechts, die Versichertengemeinschaft schon vor Erreichen der allgemeinen Altersgrenze (65. Lebensjahr - § 25 Abs 5 AVG) auf Gewährung von ARG in Anspruch nehmen zu können: Das ARG - auch das vorzeitige - dient als Vollrente dem Ausgleich der Einbuße an Erwerbseinkommen, die sich in aller Regel dann einstellt, wenn dem Versicherten wegen Alters eine Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit nicht mehr zuzumuten ist. Nach dem typisierenden Regelungskonzept des § 25 AVG ist dieser Zeitpunkt - grundsätzlich - unwiderlegbar und endgültig für alle Versicherten mit Vollendung des 65. Lebensjahres gekommen. Nur der einzelne Versicherte kann ihn für sich durch besondere Willenserklärung hinausschieben (Abs 6 aaO). Generell jedoch stellt die Versichertengemeinschaft jeden 65-jährigen Versicherten, der eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat (Abs 7 Satz 3 aaO), allein wegen seines Alters von der Sorge, den Lebensunterhalt durch eine Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit zu sichern, nach Maßgabe der von ihm erworbenen Rentenanwartschaft frei. Daher ist es für das ARG (Abs 5 aaO) unbeachtlich, wenn sich der Versicherte, der die Altersgrenze nicht hinausgeschoben hat, auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres eine Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit zumutet, die bei Jüngeren Rentenversicherungs- und Beitragspflicht begründen würde. Er ist jedoch schlechthin versicherungs- und damit beitragsfrei gestellt (§ 6 Abs 1 Nr 1 AVG; anders sein Arbeitgeber: § 113 AVG) und hat die Lasten der Versichertengemeinschaft nicht mehr mitzutragen. Demgegenüber streitet für diejenigen, die schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres ARG in Anspruch nehmen wollen und dürfen (Abs 1 bis 3 aaO), keine allgemeine gesetzliche Vermutung, ihnen sei wegen Alters eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit und ein entsprechender Beitrag zur Solidargemeinschaft nicht mehr zuzumuten. Es ist vielmehr jedem einzelnen von ihnen die Rechtsmacht eingeräumt worden, selbst zu beurteilen und zu entscheiden, ob er sich bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (weiterhin) eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zumuten und infolgedessen anwartschaftssteigernde Beiträge entrichten oder aber vorher endgültig aus dem Erwerbsleben und dem Kreis der Versicherungs- und Beitragspflichtigen ausscheiden und eine entsprechende, durch das ARG auszugleichende Einkommenseinbuße hinnehmen will. Dieses Wahlrecht, dessen Ausübung die Versichertengemeinschaft hinzunehmen hat, wenn seine Voraussetzungen vorliegen, ist eingeräumt worden, weil die Versicherten sich der allgemeinen Altersgrenze soweit genähert haben, daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit bei Hinzutreten typischer Belastungen (Schwerbehinderung, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, langdauernde Arbeitslosigkeit, Doppelbelastung von Frauen in Familie und Beruf) oder allein schon wegen der großen Nähe zur allgemeinen Altersgrenze (Abs 1 Regelung 1 aaO: Vollendung des 63. Lebensjahres) im Einzelfall unzumutbar sein kann. Die Inanspruchnahme der Versichertengemeinschaft durch Bezug des vorzeitigen ARG umfaßt daher nach dem Konzept des § 25 AVG - anders als beim ARG nach Abs 5 aaO - die Bekundung, vorzeitig, aber endgültig aus dem Erwerbsleben und aus der Lastengemeinschaft der Versicherten ausscheiden zu wollen (vgl BSG SozR 2200 § 1248 Nr 7 S 20). Dieser Wille wird freilich dann nicht "in die Tat umgesetzt" (BSG aaO), es widerspricht ihm sogar (vgl § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB), wenn der Versicherte trotz Bezugs von vorzeitigem ARG eine grundsätzlich rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit in nicht unerheblichem Umfang (Abs 4 aaO) ausübt, daraus beitragsfreies (§ 6 Abs 1 Nr 1 AVG) Arbeitsentgelt (§ 14 SGB 4) oder Arbeitseinkommen (§ 15 SGB 4) erzielt und derart die altersbedingte Einbuße im Erwerbseinkommen vermeidet, zu deren Ausgleich ihm das vorzeitige ARG gewährt wird. Sinn und Zweck dieser Rente ist es aber nicht, ein - uU unverändert zufließendes - Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus an sich rentenversicherungspflichtiger Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit aufzustocken und zugleich beitragsfrei zu stellen (vgl BT-Drucks VI/3767 S 6).
Daraus folgt: Die Begrenzung (§ 25 Abs 4 AVG) des Wahlrechts des Versicherten (Abs 1 bis 3 aaO) zielt ausschließlich darauf ab zu vermeiden, daß rentenversicherungspflichtige Beschäftigung und Entgelt hieraus sowie rentenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit und Arbeitseinkommen hieraus "schon vor Erreichen der normalen, der Regelaltersgrenze von 65 Jahren ..... einerseits Versicherungspflicht in einer gesetzlichen Rentenversicherung und demgemäß Rentenanwartschaften auch für das vorzeitige flexible ARG begründen, andererseits aber auch noch nach Eintritt des Versicherungsfalles und nach Bewilligung dieses Ruhegeldes unbeschränkt leistungsunschädlich weitergeführt werden können" (BSGE 53, 242 = SozR 2200 § 1248 Nr 36 S 86). Daher sind wirtschaftliche Betätigungen - und Einkünfte (§ 16 SGB 4) hieraus -, die nicht grundsätzlich (§ 2 AVG) rentenversicherungspflichtig sind, iS von § 25 Abs 4 AVG unbeachtlich.
Der Kläger hat - entgegen der Ansicht des LSG - seit Oktober 1983 eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung gegen Entgelt iS von Abs 4 Satz 1 aaO ausgeübt, welche die Gewährung von ARG nach Abs 1 aaO ausschließt.
"Beschäftigung" ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs 1 SGB 4), "Arbeitsentgelt" sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (§ 14 Abs 1 SGB 4). Diese gesetzlichen Begriffsbestimmungen sind bei der Anwendung des § 25 Abs 4 Satz 1 AVG zugrunde zu legen (BSG aaO Nr 41 S 102; Nr 36 S 85 mwN). Vorstandsmitglieder einer AG werden - unbeschadet der arbeitsrechtlichen Qualifikation des Anstellungsvertrages (§ 84 Abs 1 des Aktiengesetzes - AktG; dazu BSGE 49, 22, 24 = SozR 4100 § 168 Nr 10; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl 1987, S 52 f; jew mwN) - "abhängig gegen Entgelt beschäftigt" (so BSGE 36, 258 = SozR Nr 24 zu § 3 AVG). Eine "nichtselbständige Arbeit" iS von § 7 Abs 1 SGB 4 liegt bei hochqualifizierten Mitarbeitern auch dort noch vor, wo sie sich "zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozeß verfeinert" hat (BSGE 53, 242 = SozR 2200 § 1248 Nr 36 S 87; Nr 41 S 102; jew mwN). Zwar hat der Vorstand einer AG die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten (§ 76 Abs 1 AktG) und nimmt gegenüber der Belegschaft die Arbeitgeberfunktionen wahr. Seine Geschäftsführung unterliegt aber der Überwachung durch den Aufsichtsrat (§ 111 Abs 1 AktG), der ihn bestellt und ggf abberuft (§ 84 AktG), der bestimmte Arten von Geschäften an seine Zustimmung binden kann (§ 111 Abs 4 Satz 2 AktG) und dem er berichts- und rechenschaftspflichtig ist (§ 90 AktG). Außerdem ist er der Hauptversammlung verantwortlich (§§ 119, 120 AktG), die durch die Satzung seine Geschäftsführungsbefugnis beschränken kann (§§ 82 Abs 2, 111 Abs 4 Satz 2 AktG). Ein eigenes unternehmerisches Risiko trägt der Vorstand aber nicht. Keiner Darlegung bedarf, daß der Kläger für seine Vorstandstätigkeit "Arbeitsentgelt" iS von § 14 Abs 1 SGB 4, nämlich jährlich 60.000,-- DM, erhalten hat.
Die Beschäftigung als Vorstandsmitglied der Brauerei-AG war rentenversicherungspflichtig und deshalb "relevant" iS von § 25 Abs 4 AVG. Dies folgt schon daraus, daß die Beklagte auf Antrag des Klägers durch den bindend (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) gewordenen und bislang nicht aufgehobenen Bescheid vom 9. Januar 1974 "bestätigt" (vgl § 45 Abs 1 SGB 10), dh festgestellt hat, für ihn trete - wie sie meint: aufgrund der Selbständigkeit begründenden Vorstandstätigkeit - antragsgemäß ab 1. Dezember 1973 "Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten für die Dauer der Selbständigkeit" ein. Dieser feststellende Verwaltungsakt ist nicht nichtig, dh nicht rechtlich unwirksam. Nach § 40 Abs 1 SGB 10 (andere Vorschriften greifen offenkundig nicht ein) ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Zwar hat die Beklagte bei Erlaß des Bescheides vom 9. Januar 1974 unzutreffend (so) angenommen, der Kläger sei als Vorstandsmitglied einer AG nicht "beschäftigt" iS von § 7 Abs 1 SGB 4, sondern selbständig tätig. Gleichwohl hat sie den Eintritt der Antragspflichtversicherung im Ergebnis zu Recht bestätigt, weil § 2 Abs 1 Nr 11 AVG hier lückenfüllend entsprechend anzuwenden ist:
Der Kläger gehört seit seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied der Brauerei-AG schlechthin nicht mehr dem Personenkreis an, der wegen einer entgeltlichen Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit unmittelbar kraft gesetzlichen Zwangs in einer gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist (vgl BSGE 36, 258 = SozR Nr 24 zu § 3 AVG; BSGE 49, 22, 24 = SozR 4100 § 168 Nr 10). Denn nach § 3 Abs 1a AVG gehören zu den Angestellten iS von Abs 1 aaO nicht die Vorstandsmitglieder einer AG, die deswegen, obwohl entgeltlich beschäftigt (so), nicht "als Angestellte" versicherungspflichtig nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG sind und nach § 2 Abs 1a AVG auch nicht der Versicherungspflicht in anderen gesetzlichen Rentenversicherungen unterliegen. Wie die Entstehungsgeschichte der durch das Dritte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 28. Juli 1969 (BGBl I S 956) mit Wirkung vom 1. Januar 1968 eingefügten §§ 3 Abs 1a, 2 Abs 1a AVG ausweist (dazu: BSGE 36, 164 = SozR Nr 23 zu § 3 AVG; BSGE 36, 258 = SozR Nr 24 zu § 3 AVG; BSG SozR 2400 § 3 Nr 4; jew mwN), beruht die gänzliche Herausnahme der Vorstandsmitglieder einer AG aus dem unmittelbar kraft Gesetzes rentenversicherungspflichtigen Personenkreis auf der Erwägung, bei typisierender Betrachtung gehörten die AGen zu den "großen" Gesellschaften; ihre Vorstandsmitglieder sollten wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung nicht mehr zu den Angestellten iS von § 3 Abs 1 AVG gehören sowie des Schutzes und der Sicherheit der Rentenversicherung nicht bedürfen. Der 12. Senat des BSG (SozR 2400 § 3 Nr 4 S 4 f) hat bereits darauf hingewiesen, daß einerseits diese Motive nicht in den gesetzlichen Tatbestand eingegangen sind, der allein auf die formale Stellung als Vorstandsmitglied einer AG abhebt, daß andererseits aber insbesondere für Vorstandsmitglieder einer kleinen oder wirtschaftlich leistungsschwachen AG durchaus ein Bedürfnis nach rentenversicherungsrechtlicher Sicherung bestehen kann. Gleichwohl gerieten die Vorstandsmitglieder einer AG selbst dann nicht wieder in das Blickfeld des Gesetzgebers, als mit der Einfügung des § 2 Abs 1 Nr 11 AVG durch § 2 Nr 2b des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) allen kraft Gesetzes nicht versicherungspflichtigen Personen, die nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich des AVG eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, das Wahlrecht eingeräumt wurde, sich auf Antrag, der innerhalb von zwei Jahren seit Aufnahme der selbständigen Tätigkeit oder seit dem Ende der Versicherungspflicht zu stellen ist, in der Angestelltenversicherung pflichtig zu versichern ("Versicherungspflicht auf Antrag"). Nr 11 aaO wollte denjenigen, die als Selbständige zwar einem in typisierender Betrachtung generell nicht schutzbedürftigen Personenkreis angehören, aber nicht selten keine hinreichende Altersvorsorge treffen können, den wahlfreien Eintritt in die Rentenversicherungspflicht ermöglichen (vgl BT-Drucks VI/2153). Daß bei den abhängig beschäftigten Vorstandsmitgliedern einer AG, die der Gesetzgeber wenige Jahre zuvor aufgrund gleichfalls typisierender Überlegungen (so) aus der Versicherungspflicht kraft Gesetzes ausgenommen hatte, ein ähnliches Schutzbedürfnis vorliegen kann, ist nicht erwogen worden. Der Gesetzgeber des RRG hat - wie ua auch die Neugestaltung der Voraussetzungen der freiwilligen Versicherung (§ 10 AVG) zeigt (dazu: Jahn, SGb 1973, 201) - beabsichtigt, die Rentenversicherung für weitere Personengruppen in weitem Umfang zu öffnen. Das legt nahe, daß er dem in § 3 Abs 1a AVG genannten Personenkreis, der ähnlich einem Selbständigen unternehmerische Aufgaben zu erfüllen hat und wie (in der Regel) ein Selbständiger nicht kraft Gesetzes versicherungspflichtig ist, gleichfalls das Recht zuerkannt hätte, sich für die Antragspflichtversicherung zu entscheiden (diese Möglichkeit wird vorausgesetzt in BSG SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 15 S 22; BSG USK 8562 S 319). Der Kläger hat deswegen durch seinen im Dezember 1973 gestellten Antrag die Pflichtversicherung analog § 2 Abs 1 Nr 11 AVG wirksam begründet.
Da er aus der Vergütung für seine Vorstandstätigkeit Pflichtbeiträge entrichtet hat, die seine Rentenanwartschaft - ggf auch für das vorzeitige ARG - erhöht haben, er aber diese Beschäftigung auch seit Oktober 1983 ausgeübt hat, ist sie iS von § 25 Abs 4 Satz 1 AVG "relevant".
Der Kläger hat die Beschäftigung nicht nur "gelegentlich" iS von § 25 Abs 4 Satz 1 Buchst a AVG ausgeübt. Zwar hat das LSG hierzu keine Feststellungen getroffen. Dies steht einer Sachentscheidung des Revisionsgerichts jedoch nicht entgegen, da die Berufung des Klägers schon nach seinem Vorbringen zweifelsfrei unbegründet ist, ohne daß es weiterer Feststellungen des Berufungsgerichts bedarf (BSG SozR 1500 § 146 Nr 16 S 34 mwN). "Gelegentlich" wird - wie der Senat bereits anderweitig ausgeführt hat (BSG SozR 2200 § 1248 Nr 7 S 20 ff) - eine Beschäftigung nur ausgeübt, wenn sie aufgrund besonderer Umstände aufgenommen und befristet wird. Nicht entscheidend ist die Dauer der einzelnen Arbeitsvorgänge, sondern die des Beschäftigungsverhältnisses. Daß der Kläger seit Oktober 1983 in jedem Jahr nicht nur für zwei Monate oder insgesamt 50 Arbeitstage zum Vorstandsmitglied der Brauerei-AG bestellt war, ergibt sich aus seinem Vorbringen und bedarf keiner Darlegung. Schon deswegen ist nicht darauf einzugehen, daß eine Weiterbeschäftigung iS der Rechtsprechung des Senats (BSG aaO S 20) vorliegt, da sich die Arbeitsbedingungen und Begleitumstände der Vorstandstätigkeit - nach dem Vortrag des Klägers - jedenfalls seit 1982, als er Alleinvorstand wurde, also seit einem Zeitpunkt nicht verändert haben, der deutlich vor dem des beabsichtigten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben liegt.
Es liegt auf der Hand, daß das Entgelt für die Vorstandstätigkeit in Höhe von 60.000,-- DM jährlich die in § 25 Abs 4 Satz 1 Buchst b AVG genannten Grenzen (so) übersteigt.
Nach alledem mußte die Revision der Beklagten Erfolg haben und das Urteil des SG wiederhergestellt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 60327 |
BSGE 65, 113-119 (LT1-4) |
BSGE, 113 |
RegNr, 18502 (BSG-Intern) |
BR/Meuer AVG § 3, 31-05-89, 4 RA 22/88 (LT2-4) |
NZA 1990, 668-670 (LT) |
USK, 8936 (LT1-2) |
SozR 2200 § 1248, Nr 48 (LT1-4) |