Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelte Haushaltsführung Lediger
Leitsatz (redaktionell)
1. Da ein Lediger sich nicht gleichzeitig an zwei Orten aufhalten kann, ruht der eine Haushalt jeweils. Es ist sachgerecht, jeweils nur die durch die Aufspaltung des Familienhaushalts entstehenden Mehraufwendungen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG als Werbungskosten anzuerkennen. Nur Ledige, die mit Angehörigen einen eigenen Hausstand am bisherigen Wohnort außerhalb des Beschäftigungsortes fortführen, können deshalb Mehraufwendungen infolge doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten geltend machen.
2. Daß ein lediger Steuerpflichtiger ohne eigenen Hausstand für eine im Regelfall zweijährige Übergangszeit seine glaubhaft gemachten Mehraufwendungen für Unterkunft, Verpflegung sowie Fahrtkosten einer wöchentlichen Heimfahrt zum bisherigen Wohnort als Werbungskosten gem. § 9 Abs. 1 S. 1 EStG nur dann geltend machen kann, wenn ihm ein Umzug an den neuen Beschäftigungsort nicht zuzumuten ist bzw. er keine angemessene Wohnung hat erlangen können, ist verfassungsmäßig nicht zu beanstanden.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1; EStG 1981 § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 5, § 12 Nr. 1
Verfahrensgang
BFH (Beschluss vom 22.04.1988; Aktenzeichen VI R 41/85) |
FG Hamburg (Urteil vom 06.11.1984; Aktenzeichen VI 20/83) |
Gründe
1. a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG 1981 gehören zu den Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit die notwendigen Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.
b) Wenn das Finanzgericht auf Grund der getroffenen Feststellungen in Übereinstimmung mit der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt ist, daß der unverheiratete Beschwerdeführer an seinem bisherigen Wohnort keinen eigenen Hausstand mehr unterhalten hat, mithin die Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung fehlen, andererseits aber wegen der auf Dauer angelegten beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers und seiner von vornherein fehlenden Absicht, an den Beschäftigungsort umzuziehen, einen Abzug von Mehraufwendungen für die dortige Unterkunft als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ebenfalls versagt hat, so ist dies von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Nur bei einer Verletzung von Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das Bundesverfassungsgericht auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen. Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, problematisch oder gar objektiv fehlerhaft erscheint. Vielmehr muß der Fehler gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen, in dem das Gericht sich von einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines der Grundrechte, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereiches, hat leiten lassen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 21, 209 ≪216≫).
Das vom Finanzgericht entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs mit Hilfe der herkömmlich anerkannten Auslegungsmittel gewonnene Auslegungsergebnis läßt solche Grundrechtsverstöße nicht erkennen.
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleichzubehandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 55, 72 ≪88≫ m.w.N.). Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt ebenfalls vor, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer derartigen, dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen (vgl. BVerfGE 58, 369 ≪374≫; 70, 230 ≪240≫).
Die doppelte Haushaltsführung setzt die Aufsplitterung der normalerweise einheitlichen Haushaltsführung auf zwei verschiedene Haushalte voraus (vgl. BFH, BStBl. II 1979, 338, 340 f.), wobei ein Haushalt unterhalten wird, wenn dort hauswirtschaftliches Leben herrscht, an welchem sich der Arbeitnehmer durch seine persönliche Mitwirkung wie auch finanziell maßgebend beteiligt (vgl. BFH, BStBl. II 1978, 26, 27).
Da ein Lediger sich nicht gleichzeitig an zwei Orten aufhalten kann, ruht der eine Haushalt jeweils (vgl. BFH, BStBl. II 1976, 558, 559). Es ist sachgerecht, jeweils nur die durch die Aufspaltung des Familienhaushalts entstehenden Mehraufwendungen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG als Werbungskosten anzuerkennen. Ledige, die mit Angehörigen einen eigenen Hausstand am bisherigen Wohnort außerhalb des Beschäftigungsortes fortführen (vgl. BFH, BStBl. II 1975, 649), können deshalb Mehraufwendungen infolge doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten geltend machen. Umgekehrt nimmt die Rechtsprechung auch bei Eheleuten, die während der Arbeitswoche ihren gemeinsamen Haushalt am Beschäftigungsort des Steuerpflichtigen haben und sich lediglich an Wochenenden und in den freien Tagen am bisherigen Wohnsitz aufhalten, in gleicher Weise wie bei Ledigen an, daß der Haushalt am Wohnort während der Abwesenheit ruht. Daß ein ruhender Haushalt keine doppelte Haushaltsführung begründet, weil darin kein hauswirtschaftliches Leben herrscht, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Nichtannahme-Beschluß vom 2. Oktober 1984 – 1 BvR 1138/83 –, HFR 1985, 238).
Eine ungerechtfertigte Schlechterstellung lediger Steuerpflichtiger im Verhältnis zu Eheleuten, Familien oder Ledigen, die mit Angehörigen in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist danach erkennbar nicht gegeben. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb eine auf sachfremden Erwägungen beruhende, von den tatsächlichen Verhältnissen losgelöste einschränkende Auslegung des Haushaltsbegriffes gegeben sein soll.
Rechtsprechung (vgl. BFH, BStBl. II 1975, 356) und Verwaltung (vgl. Abschn. 27 Abs. 5 Nr. 1 Lohnsteuer-Richtlinien) anerkennen jedoch auch bei Arbeitnehmern ohne eigenen Hausstand gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG entsprechend § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG allgemein für die ersten zwei Wochen am Beschäftigungsort Werbungskosten, weil in der Phase des Einlebens (Suche einer neuen Unterkunft, einer preiswerten Verpflegung etc.) Mehraufwendungen entstehen. Für die Folgezeit kann ein lediger Steuerpflichtiger für eine im Regelfall zweijährige Übergangszeit seine glaubhaft gemachten Mehraufwendungen für Unterkunft und Verpflegung sowie Fahrtkosten für eine wöchentliche Heimfahrt zum bisherigen Wohnort als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG geltend machen, sofern es sich entweder um eine auswärtige Beschäftigung von verhältnismäßig kurzer Dauer handelt, weil in einem solchen Fall die Aufgabe der bisherigen Wohnung und ein Umzug an den neuen Beschäftigungsort nicht zuzumuten sind (vgl. BFH, BStBl. II 1983, 515, 516), oder bei längerfristiger Tätigkeit, solange er am Beschäftigungsort bei grundsätzlich bestehender Umzugsabsicht eine nach objektiven Maßstäben angemessene Wohnung nicht hat erlangen können und die Unterkunft am bisherigen Wohnort als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen beibehalten worden ist (vgl. BFH, BStBl. II 1976, 795; II 1983, 629, 630).
Das von der Rechtsprechung entwickelte einschränkende Kriterium der Zumutbarkeit des Umzugs trägt in sachgerechter Weise dem Umstand Rechnung, daß es sich in diesen Fällen an sich um gemischte Aufwendungen im Sinne des § 12 Nr. 1 EStG handelt (vgl. BVerfGE 47, 1 ≪27 f.≫) und einem Ledigen ohne gemeinsamen Hausstand prinzipiell Mehraufwendungen durch eine Aufspaltung eines Hausstandes im Gegensatz zu Steuerpflichtigen mit eigenem gemeinsamen Haushalt nicht entstehen. Beabsichtigt ein lediger Steuerpflichtiger zudem von vornherein bei einer längerfristigen Tätigkeit nicht an den neuen Beschäftigungsort umzuziehen, so dürfte eine berufliche Veranlassung von Mehraufwendungen von Anfang an durch private Motive, die Bindung zum bisherigen Wohnort aufrechtzuerhalten, überlagert werden (im Ergebnis zustimmend v. Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn, EStG, § 9 G 292).
c) Diese Rechtsprechungsgrundsätze und ihre Anwendung im konkreten Fall verletzen auch nicht andere Grundrechte des Beschwerdeführers.
Die Berufsausübung des Beschwerdeführers (Art. 12 Abs. 1 GG) wird durch die Nichtberücksichtigung von Mehraufwendungen als Werbungskosten weder direkt noch mittelbar beschränkt. Das EStG knüpft an einen unspezifischen Adressatenkreis ohne unmittelbaren Bezug zu einem Beruf an generelle Merkmale wie Einkünfte aus erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit an (vgl. BVerfGE 47, 1 ≪21≫). Weder wird der Umfang der Tätigkeit des Beschwerdeführers eingeschränkt noch deren Inhalt beeinflußt.
Ebensowenig wird das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 11 Abs. 1 GG direkt und gezielt berührt, jeden Ort des Bundesgebietes aufzusuchen und sich dort aufhalten zu dürfen (vgl. BVerfGE 43, 203 ≪211≫).
Wenn die geltend gemachten Aufwendungen für eine Unterkunft am neuen Beschäftigungsort nur unter den in verfassungsrechtlich unbedenklicher Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte gewonnenen Voraussetzungen anerkannt werden, so wird ersichtlich auch das aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit nicht tangiert.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 34 Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen