Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Erhebung der Abschöpfungen nach Maßgabe der Verordnungen der EWG über die schrittweise Errichtung gemeinsamer Marktorganisationen für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse
Leitsatz (redaktionell)
- § 6 Abs. 1 und 2 Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der EWG, wonach die Einfuhr- und Vorratsstelle die nach den EWG-Vorschriften und dem Abschöpfungserhebungsgesetz für Getreide zu entrichtenden Abschöpfungen errechnete und durch Auslegung im Dienstgebäude bekannt machte, verstößt nicht gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG; es wird keine Regelungsbefugnis eingeräumt; die übertragene Tätigkeit ist materiell auch nicht als Rechtsetzung zu werten, sondern typische Verwaltungsaufgabe.
- Die Regelung der Erhebung von Abschöpfungen auf Getreide in AbschG §§ 1 und 3 i.d.F. vom 25.7.1962 EWGV19DG § 6 Abs. 1 und 2 sowie § 5 i.d.F. vom 26.7.1962 war mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar und genügte dem Bestimmtheitsgebot und den Geboten der Normenklarheit und Rechtssicherheit.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3, Art. 80 Abs. 1 S. 1, Art. 82 Abs. 1 S. 2; EWGV19DG §§ 5, 6 Abs. 1 S. 2, Abs. 2; AbschG §§ 1, 3; EWGV 19 Art. 2, 3 S. 2; EWGV 19 Art. 4; EWGV 19 Art. 15 Abs. 2 S. 1; EWGV 67 Art. 1, 1 Abs. 3; GetrAbSÄndV 1964
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 14.10.1970; Aktenzeichen III 391/66) |
Tatbestand
A. – I.
Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 (BGBl. II S. 766) – EWGV – sieht in den Art. 38 ff. vor, daß die Mitgliedstaaten während der Übergangszeit schrittweise eine gemeinsame Agrarpolitik entwickeln. Insbesondere soll eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte geschaffen werden, die unter anderem Preisregelungen und gemeinsame Einrichtungen zur Stabilisierung der Ein- und Ausfuhren einschließen kann (Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 EWGV).
Am 4. April 1962 erließ der Rat der EWG die Verordnung Nr. 19 über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Getreide – VO Nr. 19 – (ABlEurGem. S. 933/62; BGBl. II S. 710). Ziel dieser Verordnung war, wie in der Präambel ausgeführt wird, durch eine einheitliche Maßnahme an der Grenze, die an die Stelle sämtlicher bis dahin angewandter einzelstaatlicher Maßnahmen treten sollte, sowohl eine angemessene Stützung der Agrarmärkte der Mitgliedstaaten während der Übergangszeit sicherzustellen als auch mit der Entwicklung des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft die schrittweise Errichtung des Gemeinsamen Marktes zu ermöglichen.
Demgemäß bestimmt Art. 1:
Um eine fortschreitende Entwicklung des Gemeinsamen Marktes und der gemeinsamen Agrarpolitik zu gewährleisten, wird schrittweise eine gemeinsame Marktorganisation für Getreide errichtet, die eine Abschöpfungsregelung für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern für folgende Erzeugnisse umfaßt: … Gerste…
Das Preisniveau, auf das der Preis der eingeführten Erzeugnisse anzuheben war, wurde durch den von den Mitgliedstaaten festzulegenden Schwellenpreis bestimmt. Der innergemeinschaftliche Abschöpfungssatz errechnete sich aus dem Unterschied zwischen dem günstigsten Frei-Grenze-Preis im ausführenden Staat und dem Schwellenpreis des einführenden Mitgliedstaates abzüglich eines Pauschbetrages (Art. 2).
Über den Frei-Grenze-Preis des aus einem Mitgliedstaat stammenden Erzeugnisses bestimmt Art. 3:
Der Preis des aus dem ausführenden Mitgliedstaat stammenden Erzeugnisses frei Grenze des einführenden Mitgliedstaates wird auf der Grundlage der Preise bestimmt, die auf den für die Ausfuhr nach dem betreffenden einführenden Mitgliedstaat repräsentativsten Märkten des ausführenden Mitgliedstaates gelten und entsprechend etwaigen Qualitätsunterschieden gegenüber der für den Schwellenpreis maßgebenden Standardqualität berichtigt werden. Die Kommission bestimmt den Preis frei Grenze nach den Kriterien, die nach dem Verfahren des Artikels 26 festgelegt werden.
Die Kriterien für die Feststellung des Frei-Grenze-Preises wurden durch die Verordnung Nr. 89 der Kommission über die Kriterien für die Bestimmung der Frei-Grenze-Preise für Getreide, Mehl, Grob- und Feingrieß vom 25. Juli 1962 (ABlEurGem. S. 1899/62) – VO Nr. 89 – näher geregelt.
Nach Art. 5 VO Nr. 19 hatten die Mitgliedstaaten jährlich einen Grundrichtpreis für bestimmte Getreidearten einer Standardqualität innerhalb der vom Rat der EWG einstimmig festzusetzenden oberen und unteren Grenze festzulegen. Der für die Berechnung der Abschöpfung wesentliche Schwellenpreis war nach den Art. 4 und 8 festzusetzen:
Artikel 4
Für Weichweizen und Gerste sowie für Mais und Roggen in Mitgliedstaaten, in denen eine nennenswerte Erzeugung dieser Getreidearten besteht, wird der Schwellenpreis von den Mitgliedstaaten jährlich für eine einheitliche Standardqualität so festgesetzt, daß der Verkaufspreis des eingeführten Erzeugnisses auf dem Markt des Handelsplatzes der Zone mit dem größten Zuschußbedarf unter Berücksichtigung des in Artikel 2 Absatz (1) vorgesehenen Pauschbetrags sowie der in Artikel 12 vorgesehenen Ausgleichskoeffizienten dem Grundrichtpreis nach Artikel 5 entspricht. Jeder Mitgliedstaat teilt den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission den Schwellenpreis vor dem 1. März jedes Jahres für das folgende Getreidewirtschaftsjahr mit. Ist der Schwellenpreis nicht nach Unterabsatz 1 festgesetzt worden, so wird er nach dem Verfahren des Artikels 26 einer Revision unterzogen.
Artikel 8
1. Für die in Artikel 1 Buchstabe a) aufgeführten und in Artikel 4 nicht genannten Erzeugnisse einschließlich Mais und Roggen in Mitgliedstaaten, in denen eine nennenswerte Erzeugung dieser Getreidearten nicht besteht, gilt folgendes: Der Schwellenpreis wird für jedes Erzeugnis so festgesetzt, daß unter Berücksichtigung des in Artikel 2 Absatz (1) vorgesehenen Pauschbetrags die Höhe der Richtpreise für die in Artikel 4 genannten inländischen Getreidearten erreicht werden kann, und zwar – bei den als Brotgetreide geltenden Getreidearten die Höhe der Richtpreise für Brotgetreide und – bei den sonstigen Getreidearten die Höhe der anderen Richtpreise. Der Schwellenpreis wird jährlich von den Mitgliedstaaten für eine einheitliche Standardqualität festgesetzt und den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission vor dem 1. April für das folgende Getreidewirtschaftsjahr mitgeteilt.
2. Bei den in Artikel 1 Buchstabe c) genannten Erzeugnissen legt der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission die Kriterien fest, nach denen die Mitgliedstaaten den Schwellenpreis festsetzen. Diese Kriterien werden festgelegt unter Berücksichtigung – der Notwendigkeit eines Schutzes der Verarbeitungsindustrie und – der in Absatz (1) genannten Ziele oder bei den aus Hartweizen hergestellten Erzeugnissen unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, den Stand des Hartweizenpreises einzuhalten. Der Schwellenpreis ist den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission vor dem 1. März mitzuteilen. Er wird nach dem Verfahren des Artikels 26 einer Revision unterzogen, falls die vom Rat festgelegten Kriterien nicht beachtet worden sind.
Die Abschöpfungssätze waren gemäß Art. 15 VO Nr. 19 von den Mitgliedstaaten zu berechnen und nach Maßgabe der Veränderung der Berechnungsfaktoren zu verändern. Der Berechnung des Abschöpfungsbetrages war nach Art. 17 Abs. 1 VO Nr. 19 grundsätzlich der am Einfuhrtag geltende Abschöpfungssatz zugrunde zu legen.
Gemäß Art. 15 Abs. 2 VO Nr. 19 erließ die Kommission die Verordnung Nr. 67 zur Festlegung der Kriterien für die Änderung der Abschöpfungssätze auf Getreide, Mehl, Grob- und Feingrieß vom 11. Juli 1962 – VO Nr. 67 – (ABlEurGem. S. 1860/62). Wie in der Präambel ausgeführt wird, sei es zweckmäßig, “gewisse Mindestgrenzen vorzusehen, unterhalb deren etwaige Schwankungen nicht berücksichtigt werden dürfen, damit keine übermäßige Komplizierung des Verfahrens zur Festsetzung der Abschöpfungen eintritt”.
Art. 1 der Verordnung bestimmt:
Der Abschöpfungsbetrag je Tonne eines der einzelnen in Artikel 1 Buchstabe a, b und c der Verordnung Nr. 19 des Rats über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Getreide genannten Erzeugnisse bei deren Einfuhr aus Mitgliedsländern oder dritten Ländern wird geändert, sobald sich die Berechnungsfaktoren gegenüber den früheren Abschöpfungssätzen so stark verschoben haben, daß sich hieraus eine Erhöhung oder Senkung um einen Mindestbetrag ergibt, den jeder Mitgliedstaat für jedes der obengenannten Erzeugnisse zwischen der oberen Grenze von 0,75 RE und der unteren Grenze von 0,45 RE festsetzt. Der Abschöpfungssatz bleibt dagegen unverändert, wenn die Veränderung der Berechnungsfaktoren eine Erhöhung oder Senkung gegenüber dem vorher geltenden Satz für ein bestimmtes Erzeugnis ergeben würde, welches diesen Mindestbetrag nicht erreicht. Dieser Betrag ist bei Einfuhren aus Mitgliedsländern oder aus dritten Ländern gleich; er wird für jedes Erzeugnis für die gesamte Dauer des Handelsjahres festgesetzt und nach Festsetzung an die Kommission mitgeteilt.
Zur Ergänzung und Durchführung der Verordnung Nr. 19 im Bereich der Bundesrepublik Deutschland ergingen das Abschöpfungserhebungsgesetz – AbschG – vom 25. Juli 1962 (BGBl. I S. 453) und das Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – DurchfG VO Nr. 19 – vom 26. Juli 1962 (BGBl. I S. 455).
§ 1 AbschG in der im November und Dezember 1962 geltenden Fassung lautete:
Abschöpfungsgegenstand
Die Einfuhr von Waren unterliegt einer Abgabe (Abschöpfung), wenn die Erhebung einer solchen Abgabe in den Verordnungen vorgeschrieben oder zugelassen ist, die der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf Grund der Artikel 42 oder 43 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 (Bundesgesetzbl. II S. 753) erläßt.
§ 3 AbschG bestimmte:
Abschöpfungssatz
Abschöpfungen werden nach Abschöpfungssätzen erhoben, die sich aus den in § 1 bezeichneten Verordnungen und den dazu ergangenen Durchführungsvorschriften ergeben.
§ 6 DurchfG VO Nr. 19 sah vor:
(1) Die Abschöpfungssätze für die einzelnen Erzeugnisse werden von der Einfuhr- und Vorratsstelle errechnet. Sie werden nach Maßgabe der Durchführungsbestimmungen der Kommission gemäß Artikel 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 19 geändert.
(2) Die Einfuhr- und Vorratsstelle gibt die Abschöpfungssätze durch Aushang in ihrem Dienstgebäude bekannt.
(3) In den Fällen des Artikels 17 Abs. 2 der Verordnung Nr. 19 setzt die Einfuhr- und Vorratsstelle auf Antrag in der Einfuhrlizenz den Abschöpfungssatz und die Prämie fest.
§ 5 DurchfG VO Nr. 19 ermächtigte den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Festsetzung der Schwellenpreise:
Der Bundesminister bestimmt im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Schwellenpreise für die einzelnen Monate des Getreidewirtschaftsjahres für die in Artikel 1 Buchstaben a bis c der Verordnung Nr. 19 genannten Erzeugnisse; dabei können für Saatgetreide im Sinne des Saatgutgesetzes vom 27. Juni 1953 (Bundesgesetzbl. I S. 450) und für Braugerste besondere Zu- und Abschläge festgesetzt werden.
Aufgrund dieser Ermächtigung erging am 30. Juli 1962 die “Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft” – Schwellenpreisverordnung – (BGBl. I S. 473).
Diese Abschöpfungsregelung fand ab 30. Juli 1962 Anwendung (Art. 1 Abs. 1a VO Nr. 49 des Rates vom 29. Juni 1962 – ABlEurGem. S. 1571/62). Die Kommission setzte die Frei-Grenze-Preise in Form einer an alle Mitgliedstaaten gerichteten Entscheidung in der Regel jeden Freitag fest. Der Bundesrepublik wurde die Entscheidung durch Fernschreiben an ihre ständige Vertretung bei den Gemeinschaften noch am selben Tage zugestellt. Auf der Grundlage dieser Entscheidung errechnete die Einfuhr- und Vorratsstelle die Abschöpfungssätze für die verschiedenen Erzeugnisse und gab sie durch Aushang in ihrem Dienstgebäude bekannt. Diese Abschöpfungssätze wurden den Zollämtern durch in der Regel wöchentlich erscheinende Austauschblätter zum Gebrauchs-Abschöpfungstarif mitgeteilt. Da diese Austauschblätter nicht immer zeitgerecht verteilt werden konnten, hatte der Bundesminister der Finanzen durch Erlaß vom 17. Juli 1962 (BZBl. 1962 S. 652) angeordnet, daß für abschöpfungspflichtiges Getreide grundsätzlich nur vorläufige Abschöpfungsbescheide zu erteilen waren. Diesen waren die im jeweils letzten Austauschblatt zum Gebrauchs-Abschöpfungstarif mitgeteilten Abschöpfungssätze zugrunde zu legen. Nach Mitteilung der am Tage der Einfuhr geltenden Abschöpfungssätze war der Abschöpfungsbescheid entsprechend zu berichtigen.
Die Einfuhr- und Vorratsstelle ging bei der Änderung der Abschöpfungssätze zunächst von dem Mindestbetrag von 0,45 RE pro Tonne aus. Durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 19. Juli 1963 (BGBl. I S. 493) wurde § 6 Abs. 1 um folgenden Satz 3 ergänzt:
Der Bundesminister bestimmt im Einvernehmen mit den Bundesministern für Wirtschaft und der Finanzen durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die Mindestbeträge nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 67 der Kommission vom 11. Juli 1962 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften S. 1860) und nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 98 der Kommission vom 25. Juli 1962 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften S. 1914, 2552 D) sowie nach den zur Änderung oder Ergänzung dieser Verordnungen erlassenen Vorschriften.
Am 25. März 1964 erging die Verordnung über die Änderung von Abschöpfungssätzen für eingeführtes Getreide und eingeführte Getreideerzeugnisse (BGBl. I S. 227), die den Mindestbetrag mit Wirkung ab 29. März 1964 auf 3 Deutsche Mark (= 0,75 RE) pro Tonne festlegte.
An die Stelle der Verordnung Nr. 19 trat mit Wirkung vom 1. Juli 1967 die Verordnung Nr. 120/67 EWG des Rates vom 13. Juni 1967 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABlEurGem. S. 2269/67), zu deren Durchführung in der Bundesrepublik das Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen für Getreide, Reis, Schweinefleisch, Eier und Geflügelfleisch vom 30. Juni 1967 (BGBl. I S. 617) erging.
II.
1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens führte im November 1962 etwa 250 Tonnen Braugerste aus den Niederlanden in das deutsche Zollgebiet ein. Das Zollamt Andernach forderte mit vorläufigem Bescheid vom 27. November 1962 eine Abschöpfung in Höhe von 25 766,70 DM und Umsatzausgleichsteuer in Höhe von 935,40 DM. Durch endgültigen Bescheid vom 19. Dezember 1962 wurde die Abschöpfung auf 21 989,80 DM festgesetzt. Gegen die genannten Bescheide legte die Klägerin Einspruch ein, den das Hauptzollamt Koblenz mit Bescheid vom 10. Mai 1967 zurückwies. Am 22. November 1966 hatte die Klägerin bereits bei dem Finanzgericht Rheinland-Pfalz in Neustadt an der Weinstraße Klage erhoben mit dem Antrag, den Abschöpfungsbescheid wegen eines Teilbetrages von 935,40 DM aufzuheben und die Beklagte zur Rückzahlung dieses Betrages nebst Zinsen zu verurteilen.
2. Mit Beschluß vom 14. Oktober 1970 hat das Finanzgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Fragen vorgelegt, ob
I. die durch § 6 Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung 19/62 des Rates der EWG (Bundesgesetzblatt 1962, I, 455) (GDVO 19) der Einfuhr- und Vorratsstelle (EVSt) übertragene Befugnis, nach den EWG-Vorschriften und dem Abschöpfungserhebungsgesetz zu entrichtende Abschöpfungen zu errechnen und durch Aushang in ihrem Dienstgebäude bekanntzumachen, vereinbar ist mit dem in Artikel 80 Abs. 1 Satz 1 GG enthaltenen Gebot, mit dem Erlaß von Rechtsverordnungen wenigstens einen Bundesminister zu beauftragen,
II. die §§ 1, 3 des Abschöpfungserhebungsgesetzes vom 25.7.1962 (Bundesgesetzblatt I, 453), soweit sie die Abschöpfungserhebung für Getreide betreffen, und §§ 5 und 6 Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung 19 des Rates der EWG (BGBl. I 1962 S. 455) vereinbar sind mit dem sich aus den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit (Artikel 20, 80 und 82 GG) ergebenden Grundsatz, daß der Bürger in den Stand gesetzt werden muß, bereits aus einem Abgabengesetz selbst zu erkennen und vorherzusehen, was von ihm gefordert werden kann, und daß allgemeine Geltung beanspruchende Rechtsvorschriften auf eine dauerhafte, ohne Schwierigkeiten zugängliche Weise verkündet werden müssen.
Zur Begründung führt das Gericht aus:
Wenn § 6 Abs. 1 und 2 DurchfG VO Nr. 19 ungültig sei, seien die Abschöpfungssätze nicht wirksam festgesetzt gewesen. Die aus einem anderen Grunde gegen einen Teil der Abschöpfung gerichtete Klage müsse dann schon deshalb Erfolg haben, weil dem gesamten Abschöpfungsbescheid die Rechtsgrundlage fehle. Wenn die §§ 1 und 3 AbschG und die §§ 5 und 6 DurchfG VO Nr. 19 ungültig seien, fehle es überhaupt an einer Rechtsgrundlage für die Erhebung von Abschöpfungen auf Getreide. Bejahe das Bundesverfassungsgericht dagegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen, so könne das vorlegende Gericht sofort auf Klageabweisung erkennen.
Seine Ansicht, daß § 6 Abs. 1 und 2 DurchfG VO Nr. 19 gegen Art. 80 Abs. 1 GG verstoße, begründet das Finanzgericht wie folgt:
Die Errechnung und Bekanntmachung der Abschöpfungssätze durch die Einfuhr- und Vorratsstelle sei materiell als Rechtsverordnung zu werten. Es handle sich nicht um den rein mathematischen Vollzug gesetzlicher Bestimmungen auf der Grundlage festliegender Faktoren. Der Frei-Grenze-Preis sei nicht durch Gesetz oder gesetzesgleiche Norm bestimmt gewesen. Die von der Kommission an die Bundesrepublik gerichtete Entscheidung habe der Transformation in innerstaatliches Recht bedurft, um unmittelbare Wirkung gegenüber dem Bürger zu erlangen. Eine solche Transformation sei nicht schon durch die Bestimmungen des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Durchführungsgesetzes zur Verordnung Nr. 19 erfolgt.
Die §§ 1 und 3 AbschG enthielten keine eigenständige Regelung über die Höhe der Abschöpfungssätze. § 3 AbschG lasse nicht erkennen, daß mit “Durchführungsvorschriften” auch Entscheidungen der Kommission gemeint seien. § 6 Abs. 1 Satz 1 DurchfG Nr. 19 bestimme nichts über die der Berechnung zugrunde zu legenden Faktoren. § 6 Abs. 1 DurchfG VO Nr. 19 könne somit nur dahin verstanden werden, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle ermächtigt werde, die Entscheidungen der Kommission in deutsches Recht zu transformieren.
Im übrigen habe die Errechnung und Bekanntmachung der Abschöpfungssätze auch deshalb den Charakter von Rechtsverordnungen gehabt, weil sich eine Veränderung der Abschöpfungssätze nicht allein aus der Differenz zwischen Frei-Grenze-Preis und Schwellenpreis ergeben habe. Da der Mindestbetrag, der erreicht sein mußte, bevor die Abschöpfungssätze geändert wurden, nicht durch eine Norm geregelt worden sei, habe § 6 DurchfG VO Nr. 19 in der bis zum 20. Juli 1963 geltenden Fassung die Ermächtigung an die Einfuhr- und Vorratsstelle enthalten, innerhalb der in der Verordnung Nr. 67 genannten Marge die Änderung der Abschöpfungssätze nach ihrem Ermessen vorzunehmen.
Nach Überzeugung des vorlegenden Gerichts verstoßen die §§ 1 und 3 AbschG und 6 Abs. 1 und 2 DurchfG VO Nr. 19 aus folgenden Gründen gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit: Der Staatsbürger könne aus dem Abschöpfungserhebungsgesetz und dem Durchführungsgesetz zur Verordnung Nr. 19 kein klares Bild über das geltende Recht gewinnen, weil nicht eindeutig ersichtlich sei, auf welche weiteren Normen Bezug genommen werde. Die für die Änderung der Abschöpfungssätze geltende Marge sei zudem völlig ungewiß geblieben. Der Importeur habe daher nicht nachprüfen können, ob der auf seine Einfuhr angewandte Abschöpfungssatz zu Recht gefordert wurde.
Darüber hinaus fehle es an eindeutigen Maßstäben für die Festsetzung des Schwellenpreises, da Art. 4 VO Nr. 19 die bei der Festsetzung zu berücksichtigenden Faktoren nicht erschöpfend aufführe. Der Faktor “Vermarktungskosten” sei zudem zu unbestimmt.
Schließlich sei zu berücksichtigen, daß im Zeitpunkt der Abfertigung der Ware die Abschöpfungssätze in der Regel noch nicht bekannt gewesen und grundsätzlich nur vorläufige Bescheide erteilt worden seien. Es widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß ein Importeur die Änderung der Abschöpfungssätze nur aufgrund ständiger eigener Marktbeobachtung an den repräsentativen Handelsplätzen habe vorauskalkulieren können. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen sei auch nicht vereinbar, daß gemäß § 6 Abs. 2 DurchfG VO Nr. 19 die Bekanntgabe der Abschöpfungssätze durch Aushang im Dienstgebäude der Einfuhr- und Vorratsstelle erfolgt sei. Eine “andere Art der Bekanntmachung” im Sinne des Art. 82 Abs. 1 Satz 2 GG könne nur dann als zulässig angesehen werden, wenn sie dauerhaft und für den Bürger ohne größere Umstände zugänglich sei. Die Mitteilung der Abschöpfungssätze an die Zollstellen habe nur verwaltungsinterne Bedeutung gehabt und den Mangel der Veröffentlichung nicht heilen können.
3. Nach Eingehen dieser Vorlage beim Bundesverfassungsgericht entschied der Europäische Gerichtshof auf eine Vorlage des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz in einem anderen Verfahren durch Urteil vom 12. Mai 1971 (Rspr. XVII S. 393), Art. 4 VO Nr. 19 sei dahin auszulegen, daß bei der Festsetzung des Schwellenpreises zum Ausgleich solcher bei der Einfuhr erhobenen inländischen Abgaben wie der Umsatzausgleichsteuer ein fester Betrag vom Grundrichtpreis abzuziehen sei. Aufgrund dieser Entscheidung senkte der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten durch die Verordnung zur Änderung der Schwellenpreise für Getreide für die Monate Juli bis Dezember 1962 vom 2. November 1971 (BAnz. Nr. 209) unter anderem den Schwellenpreis für Braugerste um 4 DM pro Tonne. Das Zollamt Andernach setzte daraufhin mit Bescheid vom 11. April 1972 den Abschöpfungsbetrag auf 20 992 DM fest; der Differenzbetrag von 997,80 DM wurde der Klägerin erstattet.
In der Zwischenzeit hatte die Klägerin mit Schriftsatz vom 19. November 1971 ihren Klageantrag erweitert; sie beantragt nunmehr, unter Aufhebung des Abschöpfungsbescheides die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den gesamten Abschöpfungsbetrag nebst 6 Prozent Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat durch Beschluß vom 7. Februar 1973 die Begründung des Vorlagebeschlusses dahin ergänzt, daß mögliche Bedenken gegen die Zulässigkeit des ursprünglichen Beschlusses infolge der Klageerweiterung gegenstandslos geworden seien. Die Klageerweiterung habe während der Aussetzung des Verfahrens zum Zwecke der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht wirksam erfolgen können. Zweifel an der Entscheidungserheblichkeit der dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten Fragen könnten nun nicht mehr bestehen.
III.
1. Namens der Bundesregierung hat der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen Stellung genommen. Er hält die Vorlage für unzulässig. Die dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten Fragen seien für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens nicht entscheidungserheblich. Außerdem sei die vom vorlegenden Gericht vertretene Rechtsansicht, daß § 6 DurchfG VO Nr. 19 eine Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle zum Erlaß von Rechtsverordnungen enthalte, offensichtlich unhaltbar.
Gehe man dennoch von der Zulässigkeit der Vorlage aus, so sei die Vereinbarkeit der im Vorlagebeschluß aufgeführten Bestimmungen des Abschöpfungserhebungsgesetzes und des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 mit dem Grundgesetz zu bejahen. Der Abschöpfungstatbestand sei hinreichend normiert gewesen.
2. Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs hat mitgeteilt, der Senat sei in seiner Rechtsprechung von dem rechtswirksamen Zustandekommen der von der Einfuhr- und Vorratsstelle errechneten und bekanntgegebenen Abschöpfungssätze ausgegangen.
Da die Berechnungsfaktoren für die Abschöpfungssätze aufgrund von Rechtsetzungsakten der EWG-Organe und der Bundesrepublik festgestanden hätten, sei für eine Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle zu Rechtsetzungsakten kein Raum gewesen. Die Einfuhr- und Vorratsstelle habe auch vor dem Inkrafttreten der Verordnung über die Änderung von Abschöpfungssätzen vom 25. März 1964 mangels einer gesetzlichen Regelung keinen Ermessensspielraum für die Änderung der Abschöpfungssätze gehabt. Solange der Mindestbetrag für die Änderung der Abschöpfungssätze in der Bundesrepublik nicht festgesetzt gewesen sei, habe die Einfuhr- und Vorratsstelle den Mindestbetrag an der unteren Grenze von 0,45 RE zugrunde legen müssen.
Die Bedenken des Finanzgerichts hinsichtlich der Vorhersehbarkeit der Belastung seien ebenfalls nicht begründet. Der Staatsbürger habe aus Art. 3 VO Nr. 19 und aus der Verordnung Nr. 89 den Frei-Grenze-Preis als Berechnungsfaktor erkennen und die Abgabebelastung insoweit vorhersehen können.
3. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hält die Vorlage für zulässig. Sie vertritt wie das vorlegende Gericht die Auffassung, daß § 6 Abs. 1 und 2 DurchfG VO Nr. 19 mit Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar sei. Jedenfalls sei das Verfahren zur Festsetzung und Bekanntgabe der Abschöpfungssätze wegen Verstoßes gegen den sich aus Art. 82 GG ergebenden Rechtsgedanken verfassungswidrig.
Die Frage, ob § 5 DurchfG VO Nr. 19 den Anforderungen von Art. 80 GG genüge, bedürfe trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Oktober 1970 ( BVerfGE 29, 198 ff.) im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 12. Mai 1971 erneut der Prüfung.
Entscheidungsgründe
B.
Die Vorlage ist zulässig.
Die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Bestimmungen ist für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts erheblich. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts über die Zulässigkeit der im Ausgangsverfahren gestellten Anträge wie über die materielle Rechtslage des Ausgangsverfahrens maßgebend, solange sie nicht offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 32, 333 [336 f.] mit weiteren Nachweisen). Die Ansicht des Finanzgerichts, daß die Klageerweiterung während der Aussetzung des Verfahrens wirksam erfolgen konnte und die Klage nicht schon wegen Unanfechtbarkeit des Abschöpfungsbescheides in Höhe des zunächst nicht angefochtenen Betrages unbegründet ist, ist nicht offensichtlich unhaltbar. Die Auslegung der zur Prüfung vorgelegten Bestimmungen durch das Finanzgericht kann ebenfalls nicht als offensichtlich unhaltbar bezeichnet werden.
C. – I.
§ 6 Abs. 1 und 2 DurchfG VO Nr. 19 verstößt nicht gegen Art. 80 Abs. 1 GG.
Die Bestimmung erteilt keine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen. Ihr Wortlaut enthält keinerlei Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber die Einfuhr- und Vorratsstelle zum Erlaß von Rechtsnormen ermächtigen wollte. Die der Einfuhr- und Vorratsstelle übertragene Tätigkeit ist auch materiell nicht als Rechtsetzung zu werten.
1. Die Einfuhr- und Vorratsstelle hatte nach § 6 Abs. 1 DurchfG VO Nr. 19 die Abschöpfungssätze nicht konstitutiv festzusetzen, sondern sie sollte sie nach den ihr vorgegebenen Berechnungsfaktoren “errechnen”. Die Höhe des jeweils anzuwendenden Abschöpfungssatzes ergab sich nach § 3 AbschG in Verbindung mit Art. 2 VO Nr. 19 aus dem Schwellenpreis und dem Frei-Grenze-Preis; der Pauschbetrag, um den die Abschöpfungssätze im innergemeinschaftlichen Handel zu verringern waren, kann hier außer Betracht bleiben, weil er für die verfassungsrechtliche Beurteilung der im Vorlagebeschluß aufgeführten Bestimmungen ohne Bedeutung ist.
Der Schwellenpreis war durch die Schwellenpreisverordnung vom 30. Juli 1962 für den Bereich der Bundesrepublik eindeutig und verbindlich festgesetzt. Den Frei-Grenze-Preis bestimmte gemäß Art. 3 Satz 2 VO Nr. 19 die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Raum für eigene Rechtsetzung der Einfuhr- und Vorratsstelle bestand insoweit nicht.
2. Der Errechnung und Bekanntgabe der Abschöpfungssätze kam auch nicht unter dem Gesichtspunkt Rechtssatzqualität zu, daß hierdurch die jeweilige Entscheidung der Kommission über den Frei-Grenze-Preis erst in innerstaatliches Recht “transformiert” wurde. Die Verbindlichkeit der durch die Kommission festgesetzten Frei-Grenze-Preise für die deutschen Behörden und die betroffenen Bürger bei der Berechnung und Erhebung der Abschöpfungen ergibt sich bereits aus § 3 AbschG in Verbindung mit Art. 2 und 3 Satz 2 VO Nr. 19 (hierzu unten unter II 1.).
3. Schließlich ist die Änderung der Abschöpfungssätze gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 DurchfG VO Nr. 19 in Verbindung mit Art. 1 VO Nr. 67 nicht deshalb als Erlaß von Rechtsverordnungen zu werten, weil der deutsche Gesetz- oder Verordnunggeber den Mindestdifferenzbetrag, der vor der Neuberechnung der Abschöpfungssätze erreicht sein mußte, nicht festgesetzt hatte.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Bestimmung des Mindestbetrages einer Rechtsverordnung bedurfte und ob die Abschöpfungssätze schon dann als Rechtsnormen zu qualifizieren wären, wenn die Einfuhr- und Vorratsstelle den Mindestbetrag, den sie ihren Neuberechnungen zugrunde legte, nach eigenem Ermessen hätte bestimmen können. § 6 Abs. 1 Satz 2 DurchfG VO Nr. 19 ermächtigte die Einfuhr- und Vorratsstelle weder zur Regelung des Mindestbetrages noch auch nur zu dessen eigenständiger Festsetzung im Einzelfall im Rahmen ihrer Berechnungen.
Der Wortlaut der Vorschrift enthält keine Anhaltspunkte dafür, daß der Einfuhr- und Vorratsstelle eine solche Aufgabe übertragen werden sollte. Vielmehr spricht die Formulierung “Sie werden nach Maßgabe der Durchführungsbestimmungen der Kommission … geändert” eher für die Annahme, daß der Gesetzgeber in der Änderung der Abschöpfungssätze eine rein ausführende Tätigkeit sah.
Eine eigenständige Festsetzungsbefugnis der Einfuhr- und Vorratsstelle kann auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die Durchführungsbestimmungen der Kommission, auf die in § 6 Abs. 1 Satz 2 DurchfG VO Nr. 19 verwiesen wird, die Festsetzung des Mindestbetrages den Mitgliedstaaten überließen. Die Verordnung Nr. 67 sagte über die innerstaatliche Zuständigkeit für die Festsetzung nichts aus, sondern überließ die Zuständigkeitsregelung dem innerstaatlichen Recht. Aus der ihr vom deutschen Gesetzgeber übertragenen Zuständigkeit für die Errechnung und Änderung der Abschöpfungssätze allein kann nicht auf die Zuständigkeit der Einfuhr- und Vorratsstelle für die Festsetzung des Mindestbetrages geschlossen werden. Diese Festsetzung, die nach Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 67 für die gesamte Dauer des Handelsjahres zu erfolgen hatte, ging über die der Einfuhr- und Vorratsstelle übertragene rein ausführende Tätigkeit eindeutig hinaus.
Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 zeigt im übrigen, daß der Gesetzgeber an eine Ermächtigung der Einfuhr- und Vorratsstelle zur Festsetzung des Mindestbetrages nicht gedacht hat; denn ihm war nicht bekannt, daß eine solche Festsetzung erforderlich sein würde. Das Gesetz wurde am 29. Juni 1962 in dritter Lesung vom Bundestag verabschiedet (StenBer. IV/1620). Die Verordnung Nr. 67 aber datiert erst vom 11. Juli 1962 und wurde am 28. Juli 1962 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht.
b) Eine Auslegung von § 6 Abs. 1 Satz 2 DurchfG VO Nr. 19 im Sinne einer Ermächtigung zur Rechtsetzung ist auch nicht erforderlich, um eine Gesetzeslücke zu schließen. Die Verordnung Nr. 67 enthält ihrem Wortlaut nach zwar keine Regelung für den Fall, daß ein Mitgliedstaat den Mindestbetrag nicht festsetzt. Aus Sinn und Zweck der Bestimmung in Verbindung mit der Abschöpfungsregelung insgesamt ist jedoch zu schließen, daß bei Fehlen einer solchen Festsetzung ein Mindestbetrag von 0,45 RE zugrunde gelegt werden sollte.
Die Faktoren für die erstmalige Berechnung der Abschöpfungssätze zum 30. Juli 1962 waren eindeutig geregelt. Art. 15 Abs. 2 Satz 1 VO Nr. 19 sah zunächst vor, daß die Mitgliedstaaten die Abschöpfungssätze nach Maßgabe der Veränderung der Berechnungsfaktoren zu ändern hatten. Durch die Verordnung Nr. 67 wurde diese Regelung dahin modifiziert, daß die Änderung nicht vor Erreichen des Mindestdifferenzbetrages von 0,45 RE erfolgen durfte, spätestens jedoch bei Erreichen des Differenzbetrages von 0,75 RE vorgenommen werden mußte. Hatte ein Mitgliedstaat den Mindestbetrag nicht – wie in der Verordnung Nr. 67 vorgesehen – festgesetzt, so durfte die zuständige Behörde dieses Staates bei Änderung der Berechnungsfaktoren die Abschöpfungssätze somit nicht ändern, bevor nicht ein Differenzbetrag von 0,45 RE erreicht war. Andererseits konnte sie aber der durch Art. 15 Abs. 2 Satz 1 VO Nr. 19 gebotenen Neuberechnung mangels einer entsprechenden Festsetzung nicht einen anderen Mindestbetrag zugrunde legen. Die Verordnung Nr. 67 war im Zusammenhang mit der Verordnung Nr. 19 deshalb dahin zu verstehen, daß von dem Mindestbetrag von 0,45 RE auszugehen war, wenn und solange die zuständige innerstaatliche Stelle eine andere Regelung nicht getroffen hatte.
Die Praxis der Einfuhr- und Vorratsstelle entsprach dieser Regelung. Bis zum Inkrafttreten der Verordnung vom 25. März 1964 ging sie bei der Neuberechnung der Abschöpfungssätze von einem Mindestbetrag von 0,45 RE aus, ohne jemals eine eigene Regelungsbefugnis für sich in Anspruch zu nehmen.
4. § 6 Abs. 1 und Abs. 2 DurchfG VO Nr. 19 räumte der Einfuhr- und Vorratsstelle somit weder bezüglich der erstmaligen Berechnung noch hinsichtlich der Änderung der Abschöpfungssätze eine Regelungsbefugnis ein. Die ihr übertragene Tätigkeit bestand vielmehr im mathematischen Vollzug der Abschöpfungsregelung. Es handelte sich um eine typische Verwaltungsaufgabe, die aus Gründen der Praktikabilität nicht den einzelnen Zollstellen, die die Abschöpfungen erhoben, sondern der Einfuhr- und Vorratsstelle übertragen worden war. Die Bekanntgabe der errechneten Abschöpfungssätze gemäß § 6 Abs. 2 DurchfG VO Nr. 19 war demnach nicht die Verkündung von Rechtsverordnungen, sondern die Bekanntgabe von Vollzugsakten zum Zwecke der frühzeitigen Information der von der Abschöpfungsregelung betroffenen Importeure.
II.
Die Regelung der Erhebung von Abschöpfungen auf Getreide in den §§ 1 und 3 AbschG, 5 und 6 Abs. 1 und Abs. 2 DurchfG VO Nr. 19 in der Fassung vom 25. und 26. Juli 1962 war mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG vereinbar.
1. Der rechtsstaatlichen Forderung, daß die eine Abgabepflicht begründenden Tatbestände so bestimmt sein müssen, daß der Abgabepflichtige die auf ihn entfallende Belastung vorausberechnen kann (vgl. BVerfGE 19, 253 [267]), war bei Berücksichtigung des besonderen Charakters der Abschöpfungen genügt.
Den §§ 1 und 3 AbschG in Verbindung mit den Vorschriften der Verordnung Nr. 19, auf die dort verwiesen wird, konnte der von den Marktordnungsbestimmungen betroffene Bürger entnehmen, welche Tatbestände, Normen und Grundsätze für die Berechnung der Abschöpfung im einzelnen maßgebend sein sollten. Der deutsche Gesetzgeber durfte zur näheren Bestimmung des Abgabetatbestandes auf Normen und Begriffe des Rechts der Europäischen Gemeinschaften verweisen (vgl. BVerfGE 29, 198 [210]). Für die Bürger, insbesondere für die unmittelbar von der Abschöpfungsregelung betroffenen Importeure, war auch erkennbar, auf welche Verordnungen und Durchführungsbestimmungen des europäischen Rechts sich die Verweisung in den §§ 1 und 3 AbschG bezog.
Aus Art. 2 VO Nr. 19 ergab sich eindeutig, daß sich der Abschöpfungssatz bei Einfuhren aus Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aus dem Schwellenpreis und dem Frei-Grenze-Preis für die jeweilige Getreideart errechnete. Die Festlegung dieser Berechnungsfaktoren war in den Bestimmungen der Verordnung Nr. 19 und den dazu ergangenen Durchführungsvorschriften ebenfalls hinreichend klar geregelt.
2. Die Schwellenpreise für die einzelnen Getreidearten, auf die der Preis des eingeführten Getreides durch die Abschöpfung angehoben werden sollte, waren für die Bundesrepublik Deutschland in der Schwellenpreisverordnung vom 30. Juli 1962 verbindlich festgesetzt. Diese Verordnung beruhte auf § 5 DurchfG VO Nr. 19, einer Norm, die Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung hinreichend bestimmte, wie das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluß vom 13. Oktober 1970 festgestellt hat (BVerfGE 29, 198 [210 ff.]). An diesem Beschluß hat sich durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 12. Mai 1971 (Rspr. XVII S. 393) nichts geändert.
Zwar hat der Europäische Gerichtshof in dieser Entscheidung Art. 4 VO Nr. 19 anders ausgelegt als es der Bundesfinanzhof in seinem Urteil getan hat, dessen Verfassungsmäßigkeit das Bundesverfassungsgericht in dem damaligen Beschluß zu prüfen hatte.
Aus der unterschiedlichen Auslegung der beiden Gerichte läßt sich jedoch nicht auf mangelnde Bestimmtheit des § 5 DurchfG VO Nr. 19 schließen (vgl. BVerfGE 8, 274 [307]; 21, 209 [215]; 21, 245 [261]; 28, 66 [85]; 31, 255 [264]).
Die Auslegung des Europäischen Gerichtshofes ist gegenüber der des Bundesfinanzhofes enger. Daraus folgt in Verbindung mit dem Beschluß vom 13. Oktober 1970, daß nicht nur die Ermächtigung in § 5 DurchfG VO Nr. 19 hinreichend bestimmt, sondern auch durch die darauf gestützte deutsche Schwellenpreisverordnung gedeckt ist.
3. Die Regelung des Frei-Grenze-Preises begegnet ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
a) Die Getreideimporteure konnten die Höhe des Frei-Grenze-Preises schon vor dessen Bestimmung durch die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft so weitgehend voraussehen, daß sie ihre Dispositionen treffen konnten, ohne ein unzumutbares Risiko einzugehen. Die Kriterien für die Bestimmung des Frei-Grenze-Preises waren aus der Verordnung Nr. 89 zu ersehen, auf die in § 3 AbschG konkludent verwiesen ist. Nach Art. 2 VO Nr. 89 war der Frei-Grenze-Preis auf der Grundlage des günstigsten Preises auf den für die Ausfuhr in den einführenden Mitgliedstaat repräsentativsten Märkten unter Berücksichtigung der Transportkosten zu bestimmen. Die Importeure konnten daher durch Marktbeobachtung und Vorausschätzung weitgehend absehen, wie hoch der Frei-Grenze-Preis zum Zeitpunkt der beabsichtigten Einfuhr liegen würde. Anhand des für das ganze Getreidewirtschaftsjahr im voraus festgesetzten Schwellenpreises konnten sie somit die Höhe der zu zahlenden Abschöpfung vorausberechnen.
b) Am Tag der Einfuhr stand der Frei-Grenze-Preis aufgrund der für diesen Tag geltenden Entscheidung der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gemäß Art. 3 Satz 2 VO Nr. 19 eindeutig und verbindlich fest. Die Veröffentlichung des Frei-Grenze-Preises war zwar nicht vorgesehen. Es kann hier auch dahingestellt bleiben, ob die ohne Rechtspflicht erfolgende Veröffentlichung der von der Kommission festgesetzten Preise in der Landwirtschaftsbeilage des Amtsblattes der Europäischen Gemeinschaften den Importeuren eine rechtzeitige Kenntnisnahme der jeweils neuesten Preisfestsetzung ermöglichte. Die von den Marktordnungsbestimmungen betroffenen Bürger konnten in der Bundesrepublik jedenfalls die sich aus den Frei-Grenze-Preisen errechnenden Abschöpfungssätze für den Einfuhrtag aus dem Aushang im Dienstgebäude der Einfuhr- und Vorratsstelle erfahren. Diese Form der Bekanntgabe wurde rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht.
Art. 82 Abs. 1 Satz 2 GG ist weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Aus dem Rechtsstaatsprinzip läßt sich allenfalls die Forderung herleiten, daß entweder der Frei-Grenze-Preis oder die sich daraus errechnenden Abschöpfungssätze zu Beginn ihrer Geltungsdauer in einer Form bekanntgegeben wurden, die es den von der Abschöpfungserhebung Betroffenen ermöglichte, sich rechtzeitig darüber zu informieren. Bei der Bekanntgabe durch Aushang im Dienstgebäude der Einfuhr- und Vorratsstelle gemäß § 6 Abs. 2 DurchfG VO Nr. 19 war diese Voraussetzung erfüllt. Den Importeuren war schon deshalb zuzumuten, sich aus dem Aushang zu informieren, weil sie selbst an einer möglichst raschen Bekanntgabe der Abschöpfungssätze interessiert sein mußten, da die Frei-Grenze-Preise erst kurze Zeit vor ihrer Anwendbarkeit bestimmt werden konnten, um den tatsächlich geltenden Preisen möglichst weitgehend zu entsprechen.
4. Das Fehlen einer innerstaatlichen Festsetzung des Mindestdifferenzbetrages für die Änderung der Abschöpfungssätze verstieß ebenfalls nicht gegen das Gebot der Rechtssicherheit.
Wie unter C I 3 dargelegt ist, war die Verordnung Nr. 67 ihrem Sinn und Zweck im Rahmen der Gesamtregelung des Agrarmarktes nach dahin zu verstehen, daß bis zu der vorgesehenen Festsetzung des Mindestbetrages durch den Mitgliedstaat von dem Betrag von 0,45 RE pro Tonne auszugehen war. Da die Verordnung Nr. 67 mangels einer ausdrücklichen innerstaatlichen Regelung des Mindestbetrages auslegungsbedürftig war, war es Sache der Verwaltungsbehörden und Gerichte, die auftauchenden Zweifelsfragen mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu beantworten (vgl. BVerfGE 21, 209 [215]). Die Neuberechnung der Abschöpfungssätze konnte somit von den Gerichten daraufhin überprüft werden, ob die Einfuhr- und Vorratsstelle den rechtlich vorgeschriebenen Mindestbetrag zugrunde gelegt hatte.
5. Da dem betroffenen Importeur der am Einfuhrtag geltende Abschöpfungssatz bekannt war oder doch bekannt sein konnte und er die auf ihn entfallende Abgabebelastung demgemäß genau berechnen konnte, war es für die rechtsstaatlich gebotene Voraussehbarkeit der Belastung ohne Bedeutung, daß den Zollämtern die jeweils geltenden Abschöpfungssätze meist am Einfuhrtag noch nicht bekannt waren und deshalb der endgültige Abschöpfungsbescheid erst nachträglich erteilt wurde.
Wird ein Abschöpfungsbescheid gerichtlich angefochten, so erstreckt sich die richterliche Nachprüfung auch auf die rechnerische Richtigkeit der zugrunde gelegten Abschöpfungssätze.
III.
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Fundstellen