Dr. Gerlind Wendt, Michael Wendt
Leitsatz
1. Bei der Auslegung des Schreibens, mit dem der Steuerpflichtige einen Einspruch zurücknimmt, sind auch Umstände in Betracht zu ziehen, die sich nicht aus dem Rücknahmeschreiben selbst ergeben, die jedoch dem FA bekannt sind.
2. Eine selbst originär gewerblich tätige Personengesellschaft kann eine nur eigenes Vermögen verwaltende GbR, an der sie beteiligt ist, gewerblich prägen; dies gilt auch für Feststellungszeiträume vor 1986.
Normenkette
AO 1977 § 362; EStG § 15 Abs. 3 Nr. 2
Sachverhalt
An einer vermögensverwaltenden GbR waren eine GmbH und eine gewerblich tätige GmbH & Co. KG beteiligt. Die GbR stellte Bilanzen auf und gab Gewinnfeststellungserklärungen ab, in denen sie – abgesehen vom ersten Jahr 1983 – die erzielten Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb bezeichnete. Außerdem wurden Gewerbesteuererklärungen abgegeben. Gegen die für endgültig erklärten Gewinnfeststellungsbescheide erhob die GbR Einspruch wegen der Zuordnung der Einkünfte zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb. Ebenfalls wurde Einspruch gegen den Gewerbesteuer-Messbescheid 1983 eingelegt. In einem späteren Schreiben an das FA erklärte der StB, er nehme den Einspruch gegen den "Gewinnfeststellungsbescheid 1983" wieder zurück. Der Bearbeiter des FA vermerkte auf dem Schreiben "Gewerbesteuer-Messbescheid lt. fernm. Ankündigung am ...".
Das FA wies die gegen die Gewinnfeststellungsbescheide gerichteten Einsprüche als unbegründet zurück. Klage und Revision hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
1. Der Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1983 sei nicht zurückgenommen worden. Die Rücknahme eines Einspruchs sei wie der Einspruch selbst eine empfangsbedürftige, bedingungsfeindliche Willenserklärung, die nach §§ 133, 157 BGB auszulegen sei. Es komme darauf an, wie das FA den objektiven Erklärungswert des Schreibens habe verstehen müssen. Dabei seien auch nicht aus dem Schreiben ersichtliche, aber der Behörde und ggf. anderen Beteiligten bekannte Umstände in Betracht zu ziehen, wie hier das vorherige Telefongespräch. Habe das FA unter solchen Umständen das Rücknahmeschreiben so verstanden, wie es gemeint war, spreche eine Vermutung dafür, dass dies dem objektiven Erklärungsinhalt unter Beachtung des Empfängerhorizonts entsprochen habe.
2. Nach der Auffassung des III. und IV. Senats des BFH sei die Umqualifizierung der Einkünfte für betrieblich Beteiligte einer vermögensverwaltenden Gesellschaft auf der Ebene der Gesellschaft vorzunehmen. Da vorliegend sämtliche Beteiligten betrieblich an der GbR beteiligt gewesen seien, ergäben sich ausschließlich gewerbliche Einkünfte, mithin dasselbe Ergebnis wie vom FA angenommen. Auf diese Frage müsse aber nicht abschließend eingegangen werden.
Denn die GbR habe originär gewerbliche Einkünfte erzielt, weil sie eine gewerblich geprägte Personengesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gewesen sei. Ihre Gesellschafter seien eine GmbH und eine gewerblich geprägte KG gewesen. Die Behandlung der KG als gewerblich geprägte Gesellschaft folge daraus, dass ihr Komplementär eine GmbH sei. Dass eine gewerblich geprägte Gesellschaft zusätzlich auch noch originär gewerbliche Einkünfte erziele, nehme ihr nicht die Eignung, ihrerseits eine Untergesellschaft gewerblich prägen zu können.
Auch für doppelstöckig gewerblich geprägte Personengesellschaften sei § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG rückwirkend auf VZ vor 1986 anzuwenden. Die gesetzlich geregelte Rückwirkung sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Es habe auch unter Geltung der damaligen Geprägerechtsprechung nahe gelegen, dass eine GmbH als Komplementär der Obergesellschaft zugleich die Untergesellschaft gewerblich präge. Außerdem hätte die GbR selbst angenommen, gewerbliche Einkünfte zu erzielen.
Hinweis
1. Wenn der BFH hier zu Gunsten des Stpfl. großzügig bei der Auslegung des Schreibens verfährt, mit dem ein Einspruch zurückgenommen wird, darf daraus nicht geschlossen werden, man könne mit Regelungen des Verfahrensrechts insgesamt großzügig verfahren. Im Gegenteil werden gerade Verfahrensvorschriften häufig eng ausgelegt, weil sie einen Wertungsspielraum nicht zulassen. Insbesondere bei fristgebundenen oder an eine bestimmte Form geknüpften Anträgen sollte der steuerliche Berater peinlich genau auf die Einhaltung der gesetzlichen Verfahrensregelungen achten und eindeutige Formulierungen verwenden.
2. Zur Frage der Umqualifizierung der Einkünfte für gewerblich Beteiligte an einer vermögensverwaltenden Gesellschaft musste der BFH hier nicht erneut Stellung nehmen, weil er wegen der gewerblichen Prägung der Untergesellschaft schon deshalb zur Annahme von gewerblichen Einkünften auf deren Ebene kam. In einem vergleichbaren Fall ohne gewerbliche Prägung der Untergesellschaft hat der BFH aber wenig später seine bisherige Linie bestätigt, dass die Umqualifizierung auf der Ebene der vermögensverwaltenden Gesellschaft vorzunehmen sei (Urteil vom 21.9.2000, IV R 77/99).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.6.2000, IV R 37/99