Leitsatz
Fahrtkosten einer selbstständigen Musikpädagogin zu verschiedenen Schulen und Kindergärten, die nicht als Betriebsstätten anzusehen sind, sind nach der geänderten Rechtsprechung des BFH zu § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG in voller Höhe und nicht nur in Höhe der Entfernungspauschale als Betriebsausgaben zu berücksichtigen.
Sachverhalt
Die Klägerin war hauptberuflich als angestellte Krankenschwester tätig. Daneben führte sie im Auftrag einer Musikschule als Musikpädagogin in diversen Schulen und Kindergärten Kurse zur musikalischen Früherziehung durch und erzielte hieraus Einkünfte aus selbstständiger Arbeit. In der Gewinnermittlung machte sie die Fahrtkosten mit ihrem PKW pauschal mit 0,30 EUR pro gefahrenen Kilometer als Betriebsausgaben geltend. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, die Fahrtkosten seien nur zur Hälfte abziehbar, da es sich bei allen Fahrten um solche zwischen Wohnung und Betriebsstätte handele. Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, eine Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs sei nicht gerechtfertigt, weil sie sich nicht wie ein Arbeitnehmer auf immer gleiche Wegstrecken einstellen könne.
Entscheidung
Das FG hat entschieden, dass der Klägerin ein Betriebsausgabenabzug in vollem Umfang zusteht, und schließt sich hinsichtlich der Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte i. S. v. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG der geänderten BFH-Rechtsprechung zur Frage der regelmäßigen Arbeitsstätte in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG an (z. B. BFH, Urteil v. 9.6.2011, VI R 36/10, BStBl 2012 II S. 36). Das Erfordernis einer entsprechenden Auslegung ergibt sich aus der bereits nach der bisherigen Rechtsprechung zum Betriebsstättenbegriff gebotenen Gleichbehandlung von Arbeitnehmern und Unternehmern in Bezug auf den Abzug von Fahrtkosten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeits- bzw. Betriebsstätte. Ebenso wie ein Arbeitnehmer kann auch ein selbstständiger Unternehmer bei wechselnden Betriebsstätten nicht durch Bildung von Fahrgemeinschaften oder die Verlegung seines Wohnsitzes die Fahrtkosten minimieren. Schließlich spricht auch der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG enthaltene Verweis, wonach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG insgesamt und nicht nur in Bezug auf seine Rechtsfolgen anzuwenden ist, für eine gleichartige Auslegung beider Vorschriften.
Hinweis
Im Fall eines selbständigen Steuerberaters hat das FG Münster mit Urteil v. 10.7.2013, 10 K 1769/11 E die gleiche Entscheidung getroffen. Das FG Münster hat in beiden Fällen die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, welche inzwischen von den Finanzämtern eingelegt wurden und beim BFH unter den Az VIII R 53/13 und III R 9/13 geführt werden. In vergleichbaren Fällen sollten daher die ablehnenden Bescheide der Finanzämter unter Hinweis auf die vorstehenden Verfahren durch einen Einspruch offen gehalten werden. Selbst wenn der BFH positiv entscheiden sollte, dürfte die Freude über die Änderung der Rechtsprechung nur von kurzer Dauer sein, da nach dem Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts, ab dem 1.1.2014 der Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte durch den Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" ersetzt wird.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 22.03.2013, 4 K 4834/10 E