Leitsatz

Die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners für die Hälfte der vom Steuerschuldner verwirkten Säumniszuschläge ist nicht deshalb ermessenswidrig, weil der Steuerschuldner in dem betreffenden Zeitraum zahlungsunfähig gewesen ist.

 

Normenkette

§ 69 Satz 2 AO , § 191 Abs. 1 , § 240 AO und , § 227 AO

 

Sachverhalt

Der Geschäftsführer einer Gesellschaft, die ihrer Verpflichtung zur Abführung von Lohnsteuer nicht nachgekommen war, wurde vom FA auf Haftung für von der Gesellschaft nach Konkursantragstellung verwirkte Säumniszuschläge in Anspruch genommen, allerdings nur zur Hälfte. Er meinte indes, die Säumniszuschläge seien dem Erstschuldner wegen Zweckverfehlung zu erlassen, seine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner sei folglich ermessenswidrig. Dem ist der BFH nicht gefolgt.

 

Entscheidung

Säumniszuschläge haben einen doppelten Zweck. Sie sind zum einen ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Zweitens verfolgen sie den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuerschulden zu erhalten und Verwaltungsaufwendungen abzugelten, die entstehen, wenn Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht fristgemäß zahlen.

Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist deshalb nur insofern sachlich unbillig, als dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich war. Der Tatbestand der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit rechtfertigt hingegen keinen vollständigen Erlass von Säumniszuschlägen.

Deshalb konnte auch zur Hälfte die Haftung geltend gemacht werden.

 

Hinweis

Haftungsansprüche muss das FA nach § 191 AO festsetzen. Es muss dabei Ermessen (§ 5 AO) ausüben. Deshalb hat es bei der Haftungsinanspruchnahme alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sonst – bei dem Erlass eines Steuerbescheids – erst im Billigkeitsverfahren (§§ 163, 226 AO) zu berücksichtigen wären.

Unbillig ist die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners für Steuern und steuerliche Nebenleistungen, die auch der Steuerschuldner nicht hätte zahlen können oder müssen, z.B. weil sie ihm hätten erlassen werden müssen.

Säumniszuschläge zu erheben und von dem Haftungsschuldner zu verlangen (beachten Sie dazu § 69 Satz 2 AO), ist unbillig, insoweit durch Säumniszuschläge kein Druck auf den Steuerpflichtigen ausgeübt werden konnte, seine Steuern zu zahlen, weil dieser zahlungsunfähig war. Sie sind aus diesem Grund aber im Allgemeinen nur zur Hälfte zu erlassen. Die andere Hälfte steht dem FA als Ausgleich für die verspätete Zahlung zu. Sie ist regelmäßig nicht zu erlassen und kann folglich auch vom Haftungsschuldner gefordert werden.

Anders ist es nur, wenn andere Gründe einen Erlass gebieten oder die Haftungsinanspruchnahme verbieten, etwa solche persönlicher Unbilligkeit. Ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge bzw. eine Nichtinanspruchnahme eines Haftungsschuldners kann also z.B. in Betracht kommen, wenn ein Steuererlass oder ein Verzicht auf Stundungszinsen gerechtfertigt gewesen wäre.

Die Festsetzung der gegen den Haftungsschuldner geltend gemachten Steuerforderung gegenüber dem Steuerschuldner ist im Übrigen nie Voraussetzung der Haftungsinanspruchnahme. Säumniszuschläge entstehen überdies kraft Gesetzes, müssen also ohnehin nicht durch Steuerbescheid festgesetzt werden. Sie werden allenfalls "festgestellt" oder z.B. in einem Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) schlicht angesetzt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 19.12.2000, VII R 63/99

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