Landesamt für Steuern Niedersachsen, Verfuegung v. 21.02.2024, S 2137 - St 224a/St 221-3596/2023
I. Rückstellung dem Grunde nach
Für die zu erwartenden Aufwendungen für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden, weil dafür eine öffentlich-rechtliche Aufbewahrungspflicht (§ 257 HGB, § 147 AO sowie Einzelsteuergesetze) besteht (BFH-Urteil vom 19. August 2002, VIII R 30/01, BStBl 2003 II S. 131). Die Passivierungspflicht besteht sowohl in der Handelsbilanz als auch (über den Maßgeblichkeitsgrundsatz) in der Steuerbilanz.
Bei der Bildung dieser Rückstellung ist zu berücksichtigen, welche Unterlagen tatsächlich aufbewahrungspflichtig sind und wie lange die Aufbewahrungspflicht für einzelne Unterlagen noch besteht (vgl. H 6.11 (Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen) EStH 2022).
Es besteht nicht für alle Unterlagen eine gesetzliche Aufbewahrungspflicht von zehn Jahren. Zehn Jahre lang aufzubewahren sind insbesondere Jahresabschlüsse mit allen dazugehörenden Unterlagen, Buchungsbelegen (§ 257 Abs. 1 Nr. 1 und 4 i. V. m. Abs. 4 HGB, § 147 Abs. 1 Nr. 1 und 4 i. V. m. Abs. 3 AO) sowie Ein- und Ausgangsrechnungen (§ 14b UStG). Handels- und Geschäftsbriefe sowie sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind, sind sechs Jahre lang aufzubewahren (§ 257 Abs. 1 Nr. 2 und 3 i. V. m. Abs. 4 HGB, § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 i. V. m. Abs. 3 AO). Werden Unterlagen freiwillig länger aufbewahrt, fehlt es an der rechtlichen Verpflichtung. Eine Rückstellung kommt insoweit nicht in Betracht. Die Höhe des rückstellungsfähigen Aufwandes kann daher nur im Einzelfall festgestellt werden. Dabei kommt es vor allem darauf an, wie sich die aufbewahrten Unterlagen zusammensetzen. Sind Feststellungen zur Zusammensetzung der aufbewahrten Unterlagen im Einzelfall nicht oder nur unter erheblichem Aufwand möglich, bestehen keine Bedenken, für Unterlagen, zu deren Aufbewahrung der Unternehmer nicht verpflichtet ist, einen Abschlag von 20 % von den Gesamtkosten vorzunehmen (vgl. Beispiel 2b).
II. Rückstellung der Höhe nach
a) berücksichtigungsfähige Kosten
Die Rückstellung ist mit dem Betrag zu passivieren, der nach den Preisverhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtages für die Erfüllung der Verpflichtung voraussichtlich notwendig ist. Die Sachleistungsverpflichtung ist mit den Einzelkosten und einem angemessenen Teil der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe b EStG).
Bei der Berechnung sind folgende Kosten einzubeziehen:
- Einmaliger Aufwand für das Einscannen oder die Einlagerung der am Bilanzstichtag noch nicht archivierten Unterlagen für das abgelaufene Wirtschaftsjahr, für das Brennen von DVD/CD und für die Datensicherung (Sach- und Personalkosten). Die Kosten für die fortlaufende Archivierung im laufenden Veranlagungszeitraum bis zum Bilanzstichtag sind nicht einzubeziehen.
- Raumkosten (anteilige Miete bzw. Gebäude-AfA, Grundsteuer, Gebäudeversicherung, Instandhaltung, Heizung, Strom) für Räumlichkeiten, die der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen dienen. Soweit im Zusammenhang mit der digitalen Speicherung noch ein Raumbedarf besteht (z. B. für einen anteiligen PC-Arbeitsplatz, bei größeren Betrieben für einen (anteiligen) Server oder für Lagerungszwecke), dürfte bei kleineren und mittleren Betrieben nur noch ein geringer Platzbedarf bestehen, der entsprechend auch nur anteilig zu berücksichtigen ist.
- Einrichtungsgegenstände (AfA für Regale und Schränke), es sei denn, diese sind bereits abgeschrieben.
- Anteilige Finanzierungskosten für den Server, den PC oder die Archivräume (BFH-Urteil vom 11. Oktober 2012, BStBl II 2013 S. 676).
- Der Zinsanteil aus Leasingraten (z. B. für die o. g. technischen Geräte oder für Archivräume), wenn der Leasingnehmer nicht wirtschaftlicher Eigentümer des Leasinggegenstandes ist (Folge aus dem BFH-Urteil vom 11. Oktober 2012, a. a. O).
Nicht rückstellungsfähig sind
- die Kosten für die zukünftige Anschaffung von zusätzlichen Regalen und Ordnern (§ 5 Abs. 4b Satz 1 EStG),
- die Kosten für die Entsorgung der Unterlagen nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist,
- die Kosten für die Einlagerung künftig entstehender Unterlagen,
- die Finanzierungskosten bei Poolfinanzierung, wenn eine verursachungsgerechte Zuordnung zur Herstellung/Anschaffung durch Kostenschlüsselung nicht möglich ist oder die Kosten nicht angemessen sind (BFH-Urteil vom 11. Oktober 2012, a. a. O., 2. Leitsatz im Umkehrschluss) und
- die Kosten für die Aufbewahrung von Mandantendaten sowie Handakten bei einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft (Hinweis auf BFH-Urteil vom 13. Februar 2019, XI R 42/17, BStBl II 2020 S. 671).
b) Berechnung der Rückstellung
Bei der Bewertung der Rückstellung ist die verbleibende Dauer der Aufbewahrungspflicht in Abhängigkeit vom Entstehungszeitpunkt der jeweiligen Unterlagen und der gesetzlich angeordneten Dauer der Aufbewahrungsfristen zu berücksichtigen. Sind Unterlagen aufzubewahren, die verschiedenen Jahrgängen ent...