Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftliche Tätigkeit, Abwasserentsorgungssystem, Bewirtschaftung eines Abwasserentsorgungssystems durch eine Gesellschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht, Begriff der Dienstleistung
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die Bewirtschaftung von Landwirtschaftsbauten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen durch eine Handelsgesellschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht, die diese Tätigkeit nur ergänzend als ein Gewerbe mit Erzielung von Einnahmen ausübt, ungeachtet des Umstands, dass diese Bauten in erheblichem Maße mit staatlichen Beihilfen finanziert wurden und ihre Bewirtschaftung lediglich Einnahmen aus der Erhebung einer geringfügigen Gebühr erbringt, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift darstellt, soweit diese Gebühr aufgrund der vorgesehenen Dauer ihrer Erhebung einen nachhaltigen Charakter aufweist.
2. Art. 24 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass die Bewirtschaftung von Landwirtschaftsbauten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen in der Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt besteht, weil diese Dienstleistungen mit der erhaltenen oder zu erhaltenden Gebühr in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, vorausgesetzt, dass diese geringfügige Gebühr den Gegenwert für die erbrachte Dienstleistung darstellt. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass mit diesen Dienstleistungen eine gesetzliche Verpflichtung erfüllt wird. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Höhe der erhaltenen oder zu erhaltenden Gebühr als Gegenleistung geeignet ist, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den erbrachten oder zu erbringenden Dienstleistungen und dieser Gegenleistung und damit die Entgeltlichkeit der gewährten Dienstleistungen zu begründen. Insbesondere muss sich das Gericht vergewissern, dass die von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens vorgesehene Gebühr die erbrachten oder zu erbringenden Dienstleistungen nicht nur teilweise vergütet und dass die Höhe der Gebühr nicht durch etwaige andere Faktoren bestimmt wurde, die gegebenenfalls den unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Dienstleistungen und deren Gegenleistung in Frage stellen könnten.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 9 Abs. 1, Art. 24
Beteiligte
Lajvér Meliorációs Nonprofit Kft., Lajvér Csapadékvízrendezési Nonprofit Kft |
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Dél-dunántúli Regionális Adó Foigazgatósága (NAV) |
Verfahrensgang
Kúria (Ungarn) (Beschluss vom 14.05.2015; ABl. EU 2015, Nr. C 294/23) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Steuerrecht ‐ Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 9 Abs. 1 ‐ Begriffe ‚mehrwertsteuerpflichtig‘ und ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ ‐ Art. 24 Abs. 1 ‐ Begriff ‚Dienstleistung‘ ‐ Landwirtschaftsbauten ‐ Bau und Bewirtschaftung eines Abwasserentsorgungssystems durch eine Handelsgesellschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht ‐ Auswirkungen der Finanzierung der Bauten durch staatliche Beihilfen und Beihilfen der Europäischen Union“
In der Rechtssache C-263/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 14. Mai 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juni 2015, in dem Verfahren
Lajvér Meliorációs Nonprofit Kft.,
Lajvér Csapadékvízrendezési Nonprofit Kft.
gegen
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Dél-dunántúli Regionális Adó Főigazgatósága (NAV)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Sváby sowie der Richter J. Malenovský und M. Vilaras (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Talabér-Ritz und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den als Handelsgesellschaften ohne Gewinnerzielungsabsicht verfassten Unternehmen Lajvér Meliorációs Nonprofit Kft. und Lajvér Csapadékvízrendezési Nonprofit Kft. auf der einen Seite und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Dél-dunántúli Regionális Adó Főigazgatósága (NAV) (Hauptdirektion für Steuern der Region Südtransdanubien, Ungarn) auf der anderen Seite wegen des Rechts dieser Handelsgesellschaften auf Vorsteuerabzug bei Rechnungen, die von der Recontír BPM Kft. für von ihnen in ihrem Namen durchgeführte Arbeiten ausgestellt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 sieht vor, dass Lieferu...