Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Heilbehandlung, Krankenhausgesellschaft privaten Rechts, Einrichtung mit sozialem Charakter, Fortbestand der Steuerpflicht von Krankenhausbehandlungen
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. b, Art. 391, 377
Beteiligte
IDEALMED III – Serviços de Saúde SA |
Autoridade Tributária e Aduaneira |
Verfahrensgang
Tribunal Arbitral Tributário (Portugal) (Beschluss vom 19.02.2018; ABl. EU 2018 Nr. C 240/17) |
Tenor
1. Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats bei der Prüfung der Frage, ob die von einer privaten Krankenhauseinrichtung durchgeführten Heilbehandlungen, die dem Gemeinwohl dienen, unter Bedingungen erbracht werden, die mit den Bedingungen für die in dieser Bestimmung genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, berücksichtigen können, dass diese Heilbehandlungen im Rahmen von Vereinbarungen mit den Behörden dieses Mitgliedstaats zu den in diesen Vereinbarungen festgelegten Preisen durchgeführt werden, deren Kosten teilweise von den Trägern der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats getragen werden.
2. Art. 391 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit ihrem Art. 377 und den Grundsätzen des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der steuerlichen Neutralität ist dahin auszulegen, dass er nicht dem entgegensteht, dass die von einer privaten Krankenhauseinrichtung durchgeführten, in den Anwendungsbereich von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie fallenden Heilbehandlungen von der Mehrwertsteuer befreit werden, weil seit dem Zeitpunkt, zu dem diese Einrichtung für die in den nationalen Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehene Besteuerungsregelung (wonach ein Steuerpflichtiger, der eine solche Wahl trifft, verpflichtet ist, während eines bestimmten Zeitraums, der noch nicht abgelaufen ist, diese Regelung beizubehalten) optiert hat, hinsichtlich der Ausübung ihrer Tätigkeiten eine Änderung eingetreten ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa) (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren], Portugal) mit Entscheidung vom 19. Februar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 26. März 2018, in dem Verfahren
IDEALMED III – Serviços de Saúde SA
gegen
Autoridade Tributária e Aduaneira
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan, des Richters L. Bay Larsen (Berichterstatter) und der Richterin C. Toader,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Idealmed III – Serviços de Saúde SA, vertreten durch J. P. Lampreia und F. Antas, advogados,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo, R. Campos Laires, M. J. Marques und P. Barco da Costa als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Afonso und N. Gossement als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Oktober 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b sowie der Art. 377 und 391 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Idealmed III – Serviços de Saúde SA (im Folgenden: Idealmed) und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollverwaltung, Portugal) wegen deren Entscheidung, Idealmed zur Zahlung eines Betrags, der der Mehrwertsteuer entspricht, die für die von ihr zwischen 2014 und 2016 erbrachten medizinischen Leistungen abgezogen wurde, sowie zur Zahlung von Ausgleichs- und Verzugszinsen in Bezug auf diese Leistungen zu verpflichten.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 2006/112
Rz. 3
Der siebte Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sollte, selbst wenn die Sätze und Befreiungen nicht völlig harmonisiert werden, eine Wettbewerbsneutralität in dem Sinne bewirken, dass gleichartige Gegenstände und Dienstleistungen innerhalb des Gebiets der einzelnen Mitgliedstaaten ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet werden.”
Rz. 4
In Art. 132 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 heißt es:
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
b) Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenans...