Entscheidungsstichwort (Thema)
Quellensteuerabzug, Dividendenausschüttung an gebietsfremde Muttergesellschaft, Gebietsfremde Muttergesellschaft mit Anteilseigner aus Drittstaaten, Steuerbefreiung bei Quellensteuerabzug, Steuerumgehung, Steuermissbrauch, Beteiligungskette
Leitsatz (amtlich)
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der Fassung der Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 zum einen und Art. 49 AEUV zum anderen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, wonach die Steuerbegünstigung nach Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie ‐ Quellensteuerbefreiung von Gewinnen, die eine gebietsansässige Tochtergesellschaft an eine gebietsfremde Muttergesellschaft ausschüttet, wenn diese Muttergesellschaft unmittelbar oder mittelbar von einer oder mehreren in Drittstaaten ansässigen Personen kontrolliert wird ‐ vom Nachweis durch diese Muttergesellschaft abhängt, dass in dieser Befreiung nicht der Hauptzweck oder einer der Hauptzwecke der Beteiligungskette besteht.
Normenkette
EWGRL 435/90 Art. 1 Abs. 2; AEUV Art. 49
Beteiligte
Ministre des finances et des comptes publics |
Verfahrensgang
Conseil d Etat (Frankreich) (Beschluss vom 30.12.2015; ABl. EU 2016, Nr. C 106/24) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Direkte Besteuerung ‐ Niederlassungsfreiheit ‐ Freier Kapitalverkehr ‐ Steuerabzug an der Quelle ‐ Richtlinie 90/435/EWG ‐ Art. 1 Abs. 2 ‐ Art. 5 Abs. 1 ‐ Steuerbefreiung ‐ Dividenden, die von einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft an eine gebietsfremde Muttergesellschaft ausgeschüttet werden, deren Anteile unmittelbar oder mittelbar von in Drittstaaten ansässigen Personen gehalten werden ‐ Vermutung ‐ Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch“
In der Rechtssache C-6/16
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d' État (Frankreich) mit Entscheidung vom 30. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Januar 2016, in dem Verfahren
Eqiom SAS, vormals Holcim France SAS,
Enka SA
gegen
Ministre des Finances et des Comptes publics
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter A. Arabadjiev und C. G. Fernlund (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Eqiom SAS und der Enka SA, vertreten durch R. Alberti, avocat,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,
‐ der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning und M. Wolff als Bevollmächtigte,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
‐ der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González und V. Ester Casas als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von E. De Bonis, avvocato dello Stato,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und L. Pamukcu als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. Januar 2017
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 und 63 AEUV sowie von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 1990, L 225, S. 6) in der durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 (ABl. 2004, L 7, S. 41) geänderten Fassung (im Folgenden: Mutter-Tochter-Richtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Eqiom SAS, vormals Holcim France SAS, als Rechtsnachfolgerin der Gesellschaft Euro Stockage sowie der Enka SA einerseits und der französischen Steuerbehörde andererseits über deren Weigerung, von Euro Stockage an ihre Muttergesellschaft Enka ausgeschüttete Dividenden von der Quellensteuer zu befreien.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der dritte und der fünfte Erwägungsgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie haben folgenden Wortlaut:
„Die für die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten geltenden Steuerbestimmungen weisen von einem Staat zum anderen erhebliche Unterschiede auf und sind im allgemeinen weniger günstig als die auf die Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften desselben Mitgliedstaats anwendbaren Bestimmungen. Die Zusammenarbeit von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten wird auf diese Weise gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats benachteiligt. Diese Benachteiligung ist durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems zu beseitigen, wodurch Zusammenschlüsse von Gesellschaften auf ...