Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerrecht. Mehrwertsteuer. Befugnis der Mitgliedstaaten, auf bestimmte Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden. Eintrittsberechtigung für Vergnügungsparks und Jahrmärkte. Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Leistungen von ortsgebundenen und ortsungebundenen Schaustellern. Vergleichbarkeit. Kontext. Sicht des Durchschnittsverbrauchers. Gerichtliches Sachverständigengutachten
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 98; EGRL 112/2006 Anhang III Nr. 7
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Art. 98 in Verbindung mit Anhang III Nr. 7 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern einerseits und ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks andererseits unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen unterliegen, nämlich einem ermäßigten Satz und dem Regelsteuersatz, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird. Das Unionsrecht verbietet nicht, dass das vorlegende Gericht, wenn es bei der Prüfung, ob der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, besondere Schwierigkeiten hat, nach Maßgabe des nationalen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 25. August 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 28. August 2020, in dem Verfahren
Phantasialand
gegen
Finanzamt Brühl
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Kumin (Berichterstatter) sowie des Richters T. von Danwitz und der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Phantasialand, vertreten durch Steuerberater T. Ketteler-Eising und P. Peplowski,
- der deutschen Regierung, vertreten durch R. Kanitz, J. Möller und S. Costanzo als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Mantl und V. Uher als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 98 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 7 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Unternehmen Phantasialand und dem Finanzamt Brühl (Deutschland, im Folgenden: Finanzamt) über den Umsatzsteuersatz, der auf die Eintrittsberechtigungen für den von diesem Unternehmen betriebenen Freizeitpark anzuwenden ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 3
Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.”
Rz. 4
In Art. 98 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.
(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.
…”
Rz. 5
Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält das Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze gemäß Art. 98 der Richtlinie angewandt werden können. Nr. 7 dieses Anhangs umfasst folgende Dienstleistungen:
„Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen, Theater, Zirkus, Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen, Tierparks, Kinos und Ausstellungen sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen”.
Durchführungsverordnung Nr. 282/2011
Rz. 6
In Art. 32 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112 (ABl. 2011, L 77, S. 1) heißt es:
„(1) Zu den Dienstleistungen betreffend die Eintrittsberechtigung zu Veranstaltungen auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Unterhaltung oder ähnlichen Veranstaltungen im Sinne des Artikels 53 der [Mehrwertsteuerrichtlinie], gehören Dienstleistungen, deren wesentliche Merkmale darin bestehen, gegen eine Eintrittskarte oder eine Vergütung, auch in Form eines Abonnements, einer Zeitkarte oder einer regelmäßigen Gebühr, das Recht auf Eintritt zu einer Veranstaltung zu gewähren.
(2) Absatz 1 gilt insbesondere für:
a) das Recht auf Eintritt zu Darbiet...