Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Eng mit der Sozialfürsorge verbundene Dienstleistungen, Überlassung von Pflegepersonal an eine Pflegeeinrichtung, Zeitarbeitsfirma als soziale Einrichtung
Leitsatz (amtlich)
Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass weder staatlich geprüfte Pflegekräfte, die ihre Leistungen unmittelbar an Pflegebedürftige erbringen, noch ein Zeitarbeitsunternehmen, das solche Pflegekräfte Einrichtungen, die als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt sind, zur Verfügung stellt, unter den in dieser Bestimmung enthaltenen Begriff „als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“ fallen.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. g
Beteiligte
Verfahrensgang
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 132 Abs. 1 Buchst. g ‐ Steuerbefreiung für eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen ‐ Begriff ‚als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen‘ ‐ Zeitarbeitsunternehmen ‐ Gestellung von qualifizierten Pflegekräften ‐ Ausschluss von der Steuerbefreiung“
In der Rechtssache C-594/13
betreffend ein Ersuchen um Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 21. August 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 21. November 2013, in dem Verfahren
„go fair“ Zeitarbeit OHG
gegen
Finanzamt Hamburg-Altona
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter J. Malenovský und M. Safjan,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Oktober 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der „go fair“ Zeitarbeit OHG, vertreten durch Rechtsanwalt L. Gause,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
‐ von Irland, vertreten durch E. Creedon, G. Hodge, M. Heneghan und N. J. Travers als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Cordewener, C. Soulay und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g und Art. 134 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Revisionsverfahrens zwischen der „go fair“ Zeitarbeit OHG (im Folgenden: „go fair“) und dem Finanzamt Hamburg-Altona wegen der Erhebung von Mehrwertsteuer für das Steuerjahr 2010 auf von „go fair“ erbrachte Dienstleistungen.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 2006/112
Rz. 3
Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt.“
Rz. 4
Art. 10 der Richtlinie bestimmt:
„Die selbständige Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des Artikels 9 Absatz 1 schließt Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung aus, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.“
Rz. 5
Titel IX Kapitel 2 der Richtlinie trägt die Überschrift „Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“. Dieses Kapitel umfasst die Art. 132 bis 134.
Rz. 6
Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie befreien die Mitgliedstaaten folgende Umsätze von der Steuer:
„eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“.
Rz. 7
Art. 134 der Richtlinie sieht vor:
„In folgenden Fällen sind Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen von der Steuerbefreiung des Artikels 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n ausgeschlossen:
a) sie sind für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich;
b) sie sind im Wesentlichen dazu bestimmt, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden.“
Deutsches Recht
Rz. 8
Gemäß § 4 Nr. 16 des Umsatzsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes vo...