Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Quellensteuer auf Körperschaftsteuer, Quellensteuer auf von einer gebietsfremden Gesellschaft ausgeschütteten Dividende, Steuerbefreiung von Dividenden aus inländischen Quellen, Anrechungsmethode bei Dividenden aus ausländischen Quellen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Art. 49 AEUV und 63 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die Befreiungsmethode auf Dividenden aus inländischen Quellen und die Anrechnungsmethode auf Dividenden aus ausländischen Quellen anwendet, wenn sich erweist, dass zum einen die Steuergutschrift für die Dividenden empfangende Gesellschaft im Rahmen der Anrechnungsmethode dem Betrag der Steuer entspricht, die tatsächlich auf die den ausgeschütteten Dividenden zugrunde liegenden Gewinne entrichtet worden ist, und zum anderen in dem betreffenden Mitgliedstaat das effektive Besteuerungsniveau für die Gewinne von Gesellschaften generell unter dem vorgeschriebenen Steuersatz liegt.
2. Die Antworten des Gerichtshofs auf die zweite und die vierte Frage im Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation (C-446/04), gelten auch in Fällen, in denen
‐ die ausländische Körperschaftsteuer, mit der die den ausgeschütteten Dividenden zugrunde liegenden Gewinne belegt waren, nicht oder nicht vollständig von der gebietsfremden Gesellschaft, die diese Dividenden an die gebietsansässige Gesellschaft zahlt, sondern von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen direkten oder indirekten Tochtergesellschaft der erstgenannten Gesellschaft entrichtet worden ist;
‐ die Körperschaftsteuervorauszahlung nicht von der gebietsansässigen Gesellschaft entrichtet worden ist, die die Dividenden von einer gebietsfremden Gesellschaft empfangen hat, sondern im Rahmen der Regelung der Gruppenbesteuerung von ihrer gebietsansässigen Muttergesellschaft.
3. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft, die im Rahmen einer Regelung der Gruppenbesteuerung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden unter Verstoß gegen das Unionsrecht gezwungen war, die Körperschaftsteuervorauszahlung auf den aus Dividenden aus ausländischen Quellen stammenden Teil ihres Gewinns zu entrichten, einen Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Steuer hat, soweit diese den Mehrbetrag der Körperschaftsteuer übersteigt, den der betreffende Mitgliedstaat erheben durfte, um den im Vergleich zu dem nominalen Steuersatz für die Gewinne der gebietsansässigen Muttergesellschaft niedrigeren nominalen Steuersatz für die den Dividenden aus ausländischen Quellen zugrunde liegenden Gewinne auszugleichen.
4. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass sich eine im Gebiet eines Mitgliedstaats ansässige Gesellschaft, die eine Beteiligung an einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft hält, die ihr einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der letztgenannten Gesellschaft verschafft, auf Art. 63 AEUV berufen kann, um die Vereinbarkeit einer Regelung dieses Mitgliedstaats über die steuerliche Behandlung von Dividenden aus Quellen dieses Drittlands, die nicht ausschließlich auf Situationen anwendbar ist, in dem die Muttergesellschaft einen entscheidenden Einfluss auf die Dividenden ausschüttende Gesellschaft ausübt, mit dieser Bestimmung in Frage zu stellen.
5. Die Antwort des Gerichtshofs auf die dritte Frage in der Rechtssache, in der das Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation ergangen ist, gilt nicht, wenn in anderen Mitgliedstaaten ansässige Tochtergesellschaften, auf die keine Übertragung der Körperschaftsteuervorauszahlung erfolgen konnte, im Mitgliedstaat der Muttergesellschaft nicht besteuert werden.
Normenkette
AEUV Art. 49, 63
Beteiligte
Test Claimants in the FII Group Litigation |
Test Claimants in the FII Group Litigation |
Commissioners of Inland Revenue |
The Commissioners for HM Revenue and Customs |
Verfahrensgang
High Court of Justice (Vereinigtes Königreich) (Urteil vom 20.12.2010; ABl. EU 2011, Nr. C 103/27) |
Tatbestand
„Art. 49 AEUV und 63 AEUV ‐ Ausschüttung von Dividenden ‐ Körperschaftsteuer ‐ Rechtssache C-446/04 ‐ Test Claimants in the FII Group Litigation ‐ Auslegung des Urteils ‐ Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung ‐ Gleichwertigkeit der Befreiungs- und der Anrechnungsmethode ‐ Begriffe ‚Steuersätze‘ und ‚unterschiedliche Besteuerungsniveaus‘ ‐ Aus Drittstaaten stammende Dividenden“
In der Rechtssache C-35/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 20. Dezember 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Januar 2011, in dem Verfahren
Test Claimants in the FII Group Litigation
gegen
Commissioners of Inland Revenue,
The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), der Kammerpräsidente...