Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzugsfähigkeit von Spenden an Einrichtungen mit Forschungs- und Lehraufgaben, Abzugsbeschränkung auf Spenden an im Inland ansässige Einrichtungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 EG und Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 verstoßen, dass sie die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zuwendungen an Einrichtungen mit Forschungs- und Lehraufgaben nur im Fall von in Österreich ansässigen Einrichtungen zugelassen hat.
2. Die Republik Österreich trägt die Kosten.
Normenkette
EGVtr Art. 56; EWR-Abkommen Art. 40
Beteiligte
Tatbestand
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ‐ Freier Kapitalverkehr ‐ Abzugsfähigkeit von Zuwendungen an Einrichtungen mit Forschungs- und Lehraufgaben ‐ Beschränkung der Abzugsfähigkeit auf Zuwendungen an gebietsansässige Einrichtungen“
In der Rechtssache C-10/10
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 8. Januar 2010,
Europäische Kommission, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Republik Österreich, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters K. Schiemann, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal (Berichterstatterin) sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. März 2011
folgendes
Urteil
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission die Feststellung, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 EG und Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, dass sie die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zuwendungen an Einrichtungen mit Forschungs- und Lehraufgaben nur im Fall von in Österreich ansässigen Einrichtungen zugelassen hat.
Rechtlicher Rahmen
EWR-Abkommen
Rz. 2
Art. 40 EWR-Abkommen lautet:
„Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt der Kapitalverkehr in Bezug auf Berechtigte, die in den … Mitgliedstaaten [der Europäischen Union] oder den … Staaten [der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)] ansässig sind, keinen Beschränkungen und keiner Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnortes der Parteien oder des Anlageortes. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel sind in Anhang XII enthalten.“
Rz. 3
Anhang XII („Freier Kapitalverkehr“) des EWR-Abkommens nimmt auf die Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [Artikel aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam] (ABl. L 178, S. 5) Bezug. Nach Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in ihrem Anhang I gegliedert.
Nationales Recht
Rz. 4
§ 4 des Einkommensteuergesetzes 1988 (Bundesgesetz vom 7. Juli 1988, BGBl. Nr. 400/1988, im Folgenden: EStG) behandelt die Ermittlung des Gewinns als Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer. Nach dieser Bestimmung wird der Gewinn durch Betriebsausgaben gemindert. Insbesondere sind nach § 4 Abs. 4 EStG bestimmte ausdrücklich aufgeführte Ausgabenposten „jedenfalls“ Betriebsausgaben.
Rz. 5
§ 4a Z 1 EStG in der durch das Steuerreformgesetz 2009 (BGBl. I Nr. 26/2009) geänderten Fassung (im Folgenden: EStG in der geänderten Fassung), der Zuwendungen aus dem Betriebsvermögen betrifft, führt eine Reihe von Zuwendungen auf, die ebenfalls als Betriebsausgaben gelten. § 4a EStG in der geänderten Fassung übernimmt hierzu die bis 31. März 2009 in § 4 Abs. 4 Z 5 EStG enthaltene Liste von Betriebsausgaben.
Rz. 6
§ 4a EStG in der geänderten Fassung bestimmt Folgendes:
„Als Betriebsausgaben gelten auch:
1. Zuwendungen aus dem Betriebsvermögen zur Durchführung von
‐ Forschungsaufgaben oder
‐ der Erwachsenenbildung dienenden Lehraufgaben, welche die wissenschaftliche oder künstlerische Lehre betreffen und dem Universitätsgesetz 2002 entsprechen,
sowie damit verbundenen wissenschaftlichen Publikationen und Dokumentationen an folgende Einrichtungen:
a) Universitäten, Kunsthochschulen und die Akademie der bildenden Künste, deren Fakultäten, Institute und besondere Einrichtungen;
b) durch Bundes- oder Landesgesetz errichtete Fonds, die mit Aufgaben der Forschungsförderung betraut sind;
c) die Österreichische Akademie der Wissenschaften;
d) juristisch unselbständige Einrichtungen von Gebietskörperschaften, die im Wesentlichen mit Forschungs- oder Lehraufgaben der genannten Art für die österreichische Wissenschaft oder Wirtschaft und damit verbundenen wissenschaftlichen Publikationen oder Dokumentationen befasst sind;
e) juristische Personen, die im Wesentlichen mit Forschungs- oder Lehraufgaben der ...