Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmereigenschaft, Einrichtung des öffentlichen Rechts, Gesellschaft in vollständigem Besitz der öffentlichen Hand, Nonprofit-Organisation
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ‐ vorbehaltlich einer Überprüfung der relevanten tatsächlichen Umstände durch das vorlegende Gericht ‐ eine Tätigkeit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die darin besteht, dass ein Unternehmen aufgrund eines Vertrags zwischen ihm und einer Gemeinde bestimmte öffentliche Aufgaben wahrnimmt, eine Dienstleistung gegen Entgelt darstellt, die aufgrund dieser Bestimmung der Mehrwertsteuer unterliegt.
2. Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass ‐ vorbehaltlich einer Überprüfung der relevanten tatsächlichen Umstände und des relevanten nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht ‐ eine Tätigkeit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die darin besteht, dass ein Unternehmen aufgrund eines Vertrags zwischen ihm und einer Gemeinde bestimmte öffentliche Aufgaben wahrnimmt, nicht von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Regel der Behandlung als nicht mehrwertsteuerpflichtig erfasst wird, wenn es sich bei dieser Tätigkeit um eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie handelt.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 13 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Buchst. c
Beteiligte
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatóság |
Verfahrensgang
Kúria (Ungarn) (Beschluss vom 30.03.2017; Abl.EU 2017, Nr. C 221/6) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 9 und Art. 13 Abs. 1 ‐ Behandlung als Nichtsteuerpflichtige ‐ Begriff ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ ‐ Handelsgesellschaft, deren Anteile zu 100 % von einer Gemeinde gehalten werden und die mit bestimmten dieser Gemeinde obliegenden öffentlichen Aufgaben betraut ist ‐ Festlegung dieser Aufgaben und ihrer Vergütung in einem Vertrag zwischen diesem Unternehmen und der betreffenden Gemeinde“
In der Rechtssache C-182/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 30. März 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 11. April 2017, in dem Verfahren
Nagyszénás Településszolgáltatási Nonprofit Kft.
gegen
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatóság
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,
‐ der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios, F. Clotuche-Duvieusart und L. Havas als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Nagyszénás Településszolgáltatási Nonprofit Kft. (im Folgenden: NTN) und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatóság (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) (im Folgenden: Behörde) über die Mehrwertsteuerpflichtigkeit dieses Unternehmens für bestimmte Tätigkeiten, mit denen es aufgrund eines Vertrags mit der Gemeinde Nagyszénás (Ungarn) (im Folgenden: betreffender Vertrag) betraut ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt.“
Rz. 4
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
Rz. 5
Art. 13 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„(1) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öff...