Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, mit Sozialfürsorge verbundene Leistungen, Begriff der Einrichtung mit sozialem Charakter
Leitsatz (amtlich)
1. Das Wort „charitable“ in der englischen Sprachfassung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben g und h der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage stellt einen eigenständigen Begriff des Gemeinschaftsrechts dar, der unter Berücksichtigung aller Sprachfassungen der Sechsten Richtlinie auszulegen ist.
2. Der Begriff „von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“ in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben g und h der Sechsten Richtlinie 77/388 schließt private Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht nicht aus.
3. Das nationale Gericht hat unter Berücksichtigung insbesondere der Grundsätze der Gleichbehandlung und der steuerlichen Neutralität sowie des Inhalts der fraglichen Dienstleistungen und der Bedingungen ihrer Erbringung zu prüfen, ob die Anerkennung einer privaten Einrichtung mit Gewinnerzielungsabsicht ‐ die deshalb nicht den Status einer „charity“ nach innerstaatlichem Recht hat ‐ als Einrichtung mit sozialem Charakter für die Zwecke der Steuerbefreiungen des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben g und h der Sechsten Richtlinie 77/388 das den Mitgliedstaaten in diesen Bestimmungen für eine solche Anerkennung eingeräumte Ermessen überschreitet.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, h
Beteiligte
Kingscrest Associates und Montecello |
Kingscrest Associates Ltd |
Commissioners of Customs & Excise |
Verfahrensgang
VAT and Duties Tribunal London (Vereinigtes Königreich) (Entscheidung vom 10.06.2003) |
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben g und h ‐ Befreite Umsätze ‐ Eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen ‐ Eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Leistungen ‐ Leistungen anderer Einrichtungen als Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt worden sind ‐ Private Einrichtung mit Gewinnerzielungsabsicht ‐Begriff sozialer Charakter
In der Rechtssache C-498/03
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom VAT and Duties Tribunal, London (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 10. Juni 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 26. November 2003, in dem Verfahren
Kingscrest Associates Ltd,
Montecello Ltd
gegen
Commissioners of Customs & Excise
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter A. Borg Barthet, A. La Pergola, J. Malenovský und A. Ó Caoimh (Berichterstatter),
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Kingscrest Associates Ltd und der Montecello Ltd, vertreten durch A. Hitchmough, Barrister, beauftragt durch C. Mainprice, Solicitor,
‐ des Vereinigten Königreichs, vertreten durch K. Manji und C. White als Bevollmächtigte im Beistand von N. Paines, QC, und P. Mantle, Barrister,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Februar 2005
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben g und h der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Kingscrest Associates Ltd und der Montecello Ltd einerseits (im Folgenden: Klägerinnen) und den Commissioners of Customs & Excise (im Folgenden: Beklagte), der im Vereinigten Königreich für Mehrwertsteuerfragen zuständigen Behörde, andererseits über die Befreiung der von Kingscrest Residential Care Homes (im Folgenden: Kingscrest), einer von den Klägerinnen zum Betrieb von Heimen für betreutes Wohnen im Vereinigten Königreich gegründeten Personengesellschaft (partnership), erbrachten Leistungen von der Mehrwertsteuer, die nach Ansicht der Klägerinnen mehrwertsteuerpflichtig sind.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Artikel 13 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mi...