Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermäßigter Steuersatz, Personenbeförderungen mit Taxen, Personenbeförderungen mit Mietwagen, Unterschiedliche Besteuerung von Taxen und Mietwagen
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 in Verbindung mit Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2001/4/EG des Rates vom 19. Januar 2001 geänderten Fassung und Art. 98 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass sie der Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze, eines ermäßigten und des normalen Steuersatzes, auf zwei Arten von Dienstleistungen der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks im Nahverkehr, nämlich zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrergestellung, nicht entgegenstehen, sofern zum einen aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen, denen diese beiden Beförderungsarten unterliegen, die Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Taxi einen konkreten und spezifischen Aspekt der Dienstleistungskategorie der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks im Sinne von Kategorie 5 bzw. Nr. 5 der Anhänge dieser Richtlinien darstellt und zum anderen die fraglichen Unterschiede maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung des durchschnittlichen Nutzers für die eine oder die andere Beförderungsart haben. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies in den Ausgangsverfahren der Fall ist.
2. Dagegen sind Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 in Verbindung mit Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2001/4 geänderten Fassung und Art. 98 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 5 der Richtlinie 2006/112 unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass sie der Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze auf zwei Arten von Dienstleistungen der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks im Nahverkehr, nämlich zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrergestellung, entgegenstehen, wenn aufgrund einer Sondervereinbarung, die auf die Taxiunternehmen und die Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung, mit denen sie getroffen wurde, unterschiedslos angewandt wird, die Beförderung von Personen per Taxi keinen konkreten und spezifischen Aspekt der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks darstellt und wenn die im Rahmen dieser Vereinbarung durchgeführte Tätigkeit, aus der Sicht des durchschnittlichen Nutzers, als der Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Mietwagen mit Fahrergestellung gleichartig anzusehen ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 12 Abs. 3; EWGRL 388/77 Anhang H Nr. 5
Beteiligte
Finanzamt Würzburg mit Außenstelle Ochsenfurt |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Vorabentscheidungsersuchen ‐ Mehrwertsteuer ‐ Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 12 Abs. 3 ‐ Anhang H Kategorie 5 ‐Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 98 Abs. 1 und 2 ‐ Anhang III Nr. 5 ‐ Grundsatz der Neutralität ‐ Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks ‐ Regelung eines Mitgliedstaats, wonach für die Beförderung per Taxi und per Mietwagen mit Fahrergestellung unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gelten“
In den verbundenen Rechtssachen C-454/12 und C-455/12
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidungen vom 10. Juli 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Oktober 2012, in den Verfahren
Pro Med Logistik GmbH (C-454/12)
gegen
Finanzamt Dresden-Süd
und
Eckard Pongratz als Insolvenzverwalter von Karin Oertel (C-455/12)
gegen
Finanzamt Würzburg mit Außenstelle Ochsenfurt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. G. Fernlund (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Pro Med Logistik GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt J. Seelinger,
‐ von Herrn Pongratz, vertreten durch die Rechtsanwälte T. Küffner und T. Streit,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von B. Tidore, avvocato dello Stato,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls u...