Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Mehrwertsteuer. Dienstleistung. Mehrwertsteueranspruch. Begriff ‚Leistungen, die zu aufeinanderfolgenden Zahlungen Anlass geben’. In Raten vergütete einmalige Leistung. Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage. Begriff ‚Nichtbezahlung des Preises’
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 64 Abs. 1, Art. 90 Abs. 1
Beteiligte
X-Beteiligungsgesellschaft |
X-Beteiligungsgesellschaft mbH |
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Art. 64 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass eine in Raten vergütete einmalige Dienstleistung nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt.
2. Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass bei Vorliegen einer Ratenzahlungsvereinbarung die Nichtbezahlung eines Teilbetrags der Vergütung vor seiner Fälligkeit nicht als Nichtbezahlung des Preises im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden und deshalb nicht zu einer Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage führen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 7. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 2020, in dem Verfahren
Finanzamt B
gegen
X-Beteiligungsgesellschaft mbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Vizepräsidenten L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und M. Safjan,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der X-Beteiligungsgesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwalt O. Pantle,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und S. Heimerl als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaite und L. Mantl als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Juli 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 64 Abs. 1 und Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen dem Finanzamt B (Deutschland) und der X-Beteiligungsgesellschaft mbH über die Fälligkeit der Mehrwertsteuer, die für eine in mehreren Teilbeträgen vergütete Dienstleistung geschuldet wird.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Die Begriffe ‚Steuertatbestand’ und ‚Steueranspruch’ sollten harmonisiert werden, damit die Anwendung und die späteren Änderungen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in allen Mitgliedstaaten zum gleichen Zeitpunkt wirksam werden.”
Rz. 4
In Art. 14 Abs. 2 dieser Richtlinie heißt es:
„Neben dem in Absatz 1 genannten Umsatz gelten folgende Umsätze als Lieferung von Gegenständen:
…
b) die Übergabe eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags, der die Vermietung eines Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums oder den Ratenverkauf eines Gegenstands vorsieht, der regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird;
…”
Rz. 5
Titel VI („Steuertatbestand und Steueranspruch”) der Richtlinie 2006/112 enthält in seinem Kapitel 2 („Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen”) die Art. 63 bis 67 der Richtlinie.
Rz. 6
Art. 63 der Richtlinie sieht vor:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.”
Rz. 7
Art. 64 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„(1) Geben Lieferungen von Gegenständen, die nicht die Vermietung eines Gegenstands oder den Ratenverkauf eines Gegenstands im Sinne des Artikels 14 Absatz 2 Buchstabe b betreffen, und Dienstleistungen zu aufeinander folgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass, gelten sie jeweils als mit Ablauf des Zeitraums bewirkt, auf den sich diese Abrechnungen oder Zahlungen beziehen.
(2) Die Mitgliedstaaten können in bestimmten Fällen vorsehen, dass kontinuierliche Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die sich über einen bestimmten Zeitraum erstrecken, mindestens jährlich als bewirkt gelten.”
Rz. 8
In Art. 66 dieser Richtlinie heißt es:
„Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:
- spätestens bei der Ausstellung der Rechnung;
- spätestens bei der Vereinnahmung des Preises;
- im Falle der Nichtausstellung oder verspäteten Ausstellung der Rechnung binnen einer bestimmten Frist nach dem Eintreten des Steuertatbestands.”
Rz. 9
Art. 90 in Titel VII („Bemessungsgr...