Entscheidungsstichwort (Thema)
Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Aufenthaltsrecht. Familienangehörige eines eingebürgerten türkischen Arbeitnehmers. Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit. Datum der Einbürgerung
Beteiligte
Staatssecretaris van Justitie |
Tenor
Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem aufgrund des Abkommens über eine Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingesetzten Assoziationsrat erlassen wurde, ist dahin auszulegen, dass die Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, sich weiterhin auf diese Bestimmung berufen können, wenn dieser Arbeitnehmer die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erhalten hat und gleichzeitig die türkische Staatsangehörigkeit beibehält.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Niederlande) mit Entscheidungen vom 31. Dezember 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Januar 2010, in den Verfahren
Staatssecretaris van Justitie
gegen
Tayfun Kahveci (C-7/10),
Osman Inan (C-9/10)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter M. Safjan, M. Ilešič und E. Levits (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Ferreira, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Februar 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Kahveci, vertreten durch A. Durmuş und E. Köse, advocaten,
- von Herrn Inan, vertreten durch H. Drenth, advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar, M. Arciszewski und A. Miłkowska als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und G. Rozet als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 20. Oktober 2011
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung des Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685, im Folgenden: Assoziierungsabkommen EWG-Türkei) geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Staatssecretaris van Justitie (Staatssekretär für Justiz, im Folgenden: Staatssecretaris) und Herrn Kahveci einerseits sowie Herrn Inan andererseits über die Frage, ob ein Familienangehöriger eines Arbeitnehmers, der nicht nur die türkische Staatsangehörigkeit, sondern auch die des Aufnahmemitgliedstaats besitzt, sich auf Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 berufen kann.
Rechtlicher Rahmen
Beschluss Nr. 1/80
Rz. 3
In Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 heißt es:
„Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
…”
Rz. 4
Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 lautet:
„Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.”
Nationales Recht
Rz. 5
Gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. e der Vreemdelingenwet (Ausländergesetz) 2000 (Stb. 2000, Nr. 495, im Folgenden: Vw 2000) kann ein Antrag auf Verlängerung einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt werden, wenn der ausländische Staatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit darstellt. Nach Art. 19 der Vw 2000 kann eine befristete Aufenthaltsgenehmigung aus diesen Gründen entzogen werden.
Rz. 6
Nach Art. 67 Abs. 1 Buchst. b der Vw 2000 kann der Ausländer vom Staatssekretär für unerwünscht erklärt werden, wenn er durch rechtskräftiges Urteil wegen einer Straftat verurteilt worden ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren bedroht ist. Nach Art. 67 Abs. 3 kann der für unerwünscht erklärte Ausländer sich ...