Leitsatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen eine deutsche Steuerpflichtige (Entwicklerin) vor dem 01.01.2015 eine Dienstleistung auf elektronischem Weg an im Gemeinschaftsgebiet ansässige Nichtsteuerpflichtige (Endkunden) über einen Appstore einer irischen Steuerpflichtigen erbracht hat, Art. 28 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) anzuwenden mit der Folge, dass die irische Steuerpflichtige so behandelt wird, als ob sie diese Dienstleistungen von der Entwicklerin erhalten und an die Endkunden erbracht hätte, weil der Appstore erst in den – den Endkunden erteilten – Bestellbestätigungen die Entwicklerin als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat?
2. Bei Bejahung der Frage 1: Liegt der Ort der gemäß Art. 28 MwStSystRL fingierten, von der Entwicklerin an den Appstore erbrachten Dienstleistung gemäß Art. 44 MwStSystRL in Irland oder gemäß Art. 45 MwStSystRL in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland)?
3. Falls nach der Antwort auf die Fragen 1 und 2 die Entwicklerin keine Dienstleistungen in Deutschland erbracht hat: Besteht eine Steuerschuld der Entwicklerin für deutsche Umsatzsteuer gemäß Art. 203 MwStSystRL, weil der Appstore sie vereinbarungsgemäß in seinen per E‐Mail an die Endkunden übermittelten Bestellbestätigungen als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat, obwohl die Endkunden nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind?
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 3 Abs. 11, § 3a Abs. 1 und 2, Abs. 4 Satz 2 Nr. 13, § 14c UStG, Art. 28, Art. 44, Art. 45, Art. 58, Art. 203 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 9a VO (EU) Nr. 282/2011
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine in Deutschland ansässige App-Entwicklerin, vertrieb ihre Spiele-Apps in den Streitjahren (2012 bis 2014) u.a. über einen Appstore der in Irland ansässigen X. Zur Nutzung des Appstores war eine Anmeldung erforderlich, bei der die Endkunden ihre persönlichen Daten sowie eine Zahlungsart (Kreditkarte, PayPal, Guthaben o.Ä.) hinterlegen und die Nutzungsbedingungen des Appstores akzeptieren mussten.
X schloss mit der Klägerin eine standardisierte Vereinbarung über den Vertrieb von Produkten über den Appstore. Danach war in den Streitjahren der Entwickler der Verkäufer der Produkte, die über den Appstore angeboten wurden. X sollte die Produkte im Namen der Entwickler anzeigen sowie zum Download und Kauf für die Endkunden zur Verfügung stellen und dafür eine Provision erhalten. Bei der Vorstellung einer App im Appstore wurde u.a. der Name des Entwicklers angegeben. Die Klägerin trat im Appstore mit ihrer Firma, ihrer Rechtsform und ihrer Anschrift auf.
Die Spiele-Apps der Klägerin konnten zwar im Appstore kostenlos heruntergeladen werden. Durch entgeltliche In-App-Käufe konnte der Endkunde jedoch im Spielgeschehen vorankommen oder andere Vorteile erlangen. Die Endkunden konnten die gewünschten Verbesserungen oder Vorteile in der Spiele-App der Klägerin auswählen und gegen Zahlung des Entgelts freischalten lassen. In den drei sich im Bestellprozess öffnenden Pop-up-Fenstern war nur das Logo der X zu sehen. Die Klägerin wurde in keinem von ihnen als Leistende genannt. Der Endkunde erhielt allerdings nach dem Kauf von X eine Bestellbestätigung per E Mail. Diese enthielt u.a. die Angabe, dass bei der Klägerin im Appstore eingekauft worden sei. Ferner wurden der Bruttopreis und die darin enthaltene deutsche USt genannt.
X rechnete die In-App-Käufe monatlich mit der Klägerin ab und behielt für jeden Kauf eine Provision von 30 % ein. Der Vereinbarung mit X folgend sah sich die Klägerin als Leistende an die Endkunden an und meldete für Endkunden aus der EU deutsche USt an, da der Leistungsort nach § 3a Abs. 1 UStG, Art. 45 MwStSystRL an ihrem Sitz liege. Daneben nahm sie zunächst an, X habe an sie, die Klägerin, eine Vermittlungsleistung erbracht, für die sie, die Klägerin, nach § 13b Abs. 1 und 5 Satz 1 UStG die USt schulde. Die Klägerin führte die USt an das FA ab.
Im Jahr 2016 machte die Klägerin in berichtigten USt-Erklärungen geltend, dass eine Dienstleistungskommission (§ 3 Abs. 11 UStG, Art. 28 MwStSystRL) vorgelegen habe. Sie, die Klägerin, habe ihre Dienstleistungen an X erbracht und X die Leistungen an die Endkunden. Der Ort ihrer Leistungen an X und X an die in der EU ansässigen Endkunden liege gemäß § 3a Abs. 2 UStG, Art. 44 MwStSystRL in Irland.
Das FG (FG Hamburg, Urteil vom 25.2.2020, 6 K 111/18, Haufe-Index 13857695, EFG 2020, 874) gab der Klage statt. Es nahm an, dass die Umsätze der Klägerin nicht in Deutschland steuerbar seien, weil Empfängerin der Dienstleistungen der Klägerin nicht der jeweilige Endkunde, sondern X gewesen sei. Die Einbettung der Produkte in die Appstore-Oberfläche der X habe bei einem Durchschnittsverbraucher die Erwartung geweckt, dass X Verkäuferin der Produkte ...