Leitsatz
Ist Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG dahin auszulegen, dass den Mitgliedstaaten eine Regelung gestattet ist, nach der nur bestimmte (Renn-)Wetten und Lotterien von der Steuer befreit und sämtliche "sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz" von der Steuerbefreiung ausgenommen sind?
Normenkette
§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 2005 i.d.F. des StEindämmG, Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt eine Spielhalle mit Geldspielautomaten. Sie macht geltend, ihre daraus im Januar 2007 erzielten Umsätze seien steuerfrei. § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. sei gemeinschaftswidrig.
Das FA unterwarf die Umsätze der Umsatzsteuer.
Das FG wies die Klage ab (Niedersächsisches FG, Urteil vom 18.10.2007, 5 K 137/07, Haufe-Index 1849643, EFG 2008, 256): Die Umsätze aus Geldspielautomaten seien nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. steuerfrei, da sie nicht unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fielen. Die Neuregelung verstoße nicht gegen Art. 135 Abs. 1 Buchst. I MwStSystRL.
Entscheidung
Der XI. Senat hat sich den Zweifeln des V. Senats daran, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. durch Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL gedeckt ist, angeschlossen und den EuGH zur Vorabentscheidung angerufen.
Hinweis
1. Nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG in der bis einschließlich 5. Mai 2006 geltenden Fassung waren die Umsätze mit Geldspielautomaten in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei, diejenigen in privaten Spielhallen nicht.
Der EuGH hat diese Vorschrift wegen der unterschiedlichen Behandlung der gleichen Tätigkeit als gemeinschaftswidrig angesehen (Urteil vom 17.02.2005, C-453/02 – Edith Linneweber – und C-462/02 – Savvas Akriditis –, BFH/NV Beilage 2005, 94).
2. Als Reaktion auf dieses Urteil wurde § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG mit Wirkung ab dem 06.05.2006 dahin geändert, dass nunmehr steuerfrei sind:
"die Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen. Nicht befreit sind die unter das Renn- und Lotteriegesetz fallenden Umsätze, die von der Rennwett- und Lotteriesteuer befreit sind oder von denen diese Steuer allgemein nicht erhoben wird".
Danach sind nur noch bestimmte Wetten und Lotterien befreit; sämtliche "sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz", also auch sämtliche Umsätze mit Geldspielautomaten, sind steuerpflichtig. Die Neuregelung bewirkt, dass die Mehrzahl der Glücksspielarten und der mengenmäßig überwiegende Anteil der Umsätze aus Glücksspielen steuerpflichtig sind.
3. Es fragt sich, ob dies durch Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der MwStSystRL gedeckt ist. Danach befreien die Mitgliedstaaten "Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden".
Der V. Senat des BFH hat Zweifel geäußert, ob die Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG noch mit dem grundsätzlichen Gebot der Steuerbefreiung des Glücksspiels im Einklang steht (vgl. z.B. Beschluss vom 30.10.2007, V B 170/07, BFH/NV 2008, 627).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 17.12.2008, XI R 79/07